57 Prozent der Polen vertrauen der Europäischen Union, aber nur 23 Prozent der eigenen Regierung - so ergab eine polnische Umfrage im letzten Jahr. So ausgeprägt das Verhältnis der Polen zu ihrem Nationalstaat ist - zum Vaterland, zur polnischen Geschichte und Identität, so gestört ist andererseits das Vertrauen in den Staatsapparat. Das haben auch die Gebrüder Kaczynski erkannt und sich deshalb nicht weniger als den kompletten moralischen Umbau des Landes vorgenommen. Als Präsident und Premierminister verfolgen sie von den höchsten Staatsämtern aus ihre Mission: Für ein sauberes, von alten Seilschaften gereinigtes Polen. National, katholisch, konservativ - das ist der Dreiklang, der für die geistig-moralische Wende des Landes im Jahre 2006 steht. Damit haben die Kaczynskis letzten Herbst die Wahl gewonnen. Und damit überstehen sie bislang jede aufziehende Krise - auch die aktuelle. Allerorten tönt der Ruf nach Neuwahlen, aber noch lässt sich die Kaczynski-Partei "Recht und Gerechtigkeit" nicht beirren.
Für ein "freies Polen"
Die PiS-Partei im Kommunalwahlkampf
Die PiS-Partei im Kommunalwahlkampf
Von Anja Schrum
Zwölf junge Männer stehen im Halbkreis vor der Sigismund-Säule, dem Wahrzeichen Warschaus. Alle tragen die gleichen blauen T-Shirts mit der Aufschrift "PiS". Wobei das I von PiS zum stilisierten polnischen Adler wird. "Prawo i Spradwiedliwosc", zu deutsch: "Recht und Gerechtigkeit" steht auf den zwei Meter hohen Plakaten, die neben den Männern flattern. Einer von ihnen ist Mateusz, 21 Jahre alt.
Mein Ideal ist ein freies Polen. Frei von Korruption, frei von Affären und von Filz, sagt Mateusz. Während er erzählt, geht hinter seinem Rücken ein untersetzter Mann in Position. Hört zu, hält eine Kladde in der Hand. Der Wahlkampfleiter will sicher gehen, dass seine Jungs hier, bei der Auftaktveranstaltung zu den Kommunalwahlen, nichts Falsches erzählen. Er nickt zufrieden als Mihaul erklärt:
" Die Ungerechtigkeit muss beendet werden. Es müssen "Heilige Kühe" geschlachtet werden: Menschen, die ohne Grund viel zu sagen haben und sich die Taschen voll machen. Der Staat sollte für Gerechtigkeit sorgen, wie es im Namen meiner Partei steht. "
Plötzlich taucht ein junger Mann vor den Jungpolitikern auf. Mit Baseballkappe, einem T-Shirt mit der Aufschrift "Antikapitalismus, Antirassismus, Antisexismus". Der 25-Jährige hält eine Video-Kamera in der Hand, fixiert Mihaul durch den Sucher.
"Sieg heil" provoziert der junge Mann das PiS-Mitglied. Mihaul schweigt. Der 25jährige geht einen Schritt auf ihn zu. Und beginnt zu fragen: Willst du Kameras in der Schule haben? Bist du für Schuluniformen?
Michhaul antwortet kurz und knapp. Ja, er ist für Kameras, weil er sich sicher fühlen will. Ja, er ist für Schuluniformen.
"Meine Frau hat PiS gewählt", sagt der 25-Jährige. Er ist in Weißrussland geboren und hier in Polen verheiratet. Nun will er seiner Frau zeigen, wen sie da gewählt hat.
Diskutier nicht so viel, mischt sich ein älteres PiS-Mitglied ein. "Kennst du überhaupt die polnische Geschichte?" Und: "Geh doch lieber arbeiten." Der untersetzte Wahlkampfleiter steht daneben und nickt. Er ist zufrieden.
Daniel Odija zählt zu einer neuen, jungen Schriftsteller-Generation in Polen. Oft geht es in seinen Werken um die Verlierer am Rande der Gesellschaft. So auch in seinem 2003 erschienenem Roman Das Sägewerk. Im Mittelpunkt steht der Sägewerks-Besitzer Józef Mysliwski, ein Provinz-Oligarch, der es erst zu Reichtum bringt, und am Ende völlig abstürzt. Um ihn herum schart sich eine frustrierte und perspektivlose Bauernschaft, der die Nestwärme aus alten Kolchose-Zeiten fehlt.
Die Häuser stehen hier etwas weiter auseinander. Vom ersten Haus kann man das zweite, vom zweiten das dritte und vom dritten das erste nicht sehen. In diesen Häusern wohnen Menschen. Es sind nicht viele, und sie treffen einander selten. Offenbar haben sie kein Verlangen danach.
Josef Mysliwski hat fast den ganzen Boden aufgekauft. Er gehörte ihm nicht von Anfang an, sondern er erwarb ihn durch harte Arbeit. Nicht alle arbeiteten gern. Mysliwski jedoch machte die Arbeit nichts aus.
Er stand wochentags wie feiertags im Morgengrauen auf. Die Tier mussten gefüttert werden. Er mischte für sie Fischmehl mit Vitaminpulver. Wie ein Ochse schuftete er, zahlte die Schulden zurück, und es blieb ihm immer mehr Geld. Damit machte er sich keine Freunde. Da kommt so einer daher und stolziert gleich herum, als hätte er die Hosen vollgeschissen, sagten die Leute. Im übrigen muss einer mit viel Geld ein Dieb sein.
Einmal kehrte er mit dem Traktor vom Feld zurück, da sah er einen alten Mann. Der Alte stand mitten auf dem Weg, so dass Mysliwski nicht an ihm vorbeikam.
"Was ist los, Mann?" Er gab sich Mühe, höflich zu sein. "Willst Du nicht zur Seite gehen?"
"Tfuuu!" spuckte der Alte ihm vor den Reifen.
Józef Mysliwski stellte den Motor ab und stieg vom Traktor.
"Weißt Du, dass das alles einmal mir gehören wird?" warf er nachlässig hin und zeigte auf die Felder.
Der Alte warf ihm einen triefenden Blick aus kranken Augen zu. Mysliwski entdeckte darin einen Hass, der den anderen von innen heraus zerfressen musste. Er hielt dem Blick stand und trat so dicht an ihn heran, dass sich ihre Nasen beinahe berührten. Dazu beugte er sich zu ihm hinunter.
"Du wirst mich nicht verhexen, Alter, Hurerei, verdammte!" zischte er. "Ich hab schon ganz andere als Dich zu Dünger gemacht."
Er ging zurück zum Traktor und rief, während er den Motor anließ:
"Und jetzt verpiss Dich, sonst fahr ich Dich nieder!"
Und er fuhr los.
Der Alte sprang im letzten Moment zur Seite.
"Tfuuu!" spuckte er hinter Mysliwski aus. "Dass Dich ...!"
Staatspräsident Lech und Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski haben einen gemeinsamen Gegner, den es zu bekämpfen gilt - zum Wohle Polens. Diesen Gegner umschreiben sie gerne kryptisch als das System oder auch das graue Netz. Gemeint sind damit vor allem die alten kommunistischen Seilschaften, die Polen mit ihren korrupten und kriminellen Machenschaften angeblich ins Elend gestürzt haben. Aber Ungemach droht auch von anderer Seite: Mal sind es interessengesteuerte Medien, mal deutsche Vertriebenen-Verbände, die russische Gas-Lobby oder die Homosexuellen-Bewegung. All diesen Kräften hat die nationalkonservative Regierung den Kampf angesagt und deshalb die Vierte Republik ausgerufen: Sie steht für die Rückbesinnung auf Ehrlichkeit, Moral, und auf nationale und katholische Werte. Die aktuelle Regierungskrise wirkt nun allerdings wie ein Hohn auf all die sauberen Ankündigungen.
Und trotzdem bleiben die Hardliner auf Kurs. Da ist zum Beispiel die "Liga der polnischen Familien". Sie ist einer der verbliebenen Koalitions-Partner in der gerade auseinander gebrochenen Regierung. Scheinbar ungerührt führt sie ihren Wahlkampf für die anstehenden Kommunalwahlen jedoch weiter. Und fordert unter anderem die Todesstrafe für Kinderschänder. Die Abgeordneten der Familienliga sind die jüngsten im Sejm. Das allerjüngste Parlaments-Mitglied kommt aus Zielona Gora, im Westen Polens.
Zwölf junge Männer stehen im Halbkreis vor der Sigismund-Säule, dem Wahrzeichen Warschaus. Alle tragen die gleichen blauen T-Shirts mit der Aufschrift "PiS". Wobei das I von PiS zum stilisierten polnischen Adler wird. "Prawo i Spradwiedliwosc", zu deutsch: "Recht und Gerechtigkeit" steht auf den zwei Meter hohen Plakaten, die neben den Männern flattern. Einer von ihnen ist Mateusz, 21 Jahre alt.
Mein Ideal ist ein freies Polen. Frei von Korruption, frei von Affären und von Filz, sagt Mateusz. Während er erzählt, geht hinter seinem Rücken ein untersetzter Mann in Position. Hört zu, hält eine Kladde in der Hand. Der Wahlkampfleiter will sicher gehen, dass seine Jungs hier, bei der Auftaktveranstaltung zu den Kommunalwahlen, nichts Falsches erzählen. Er nickt zufrieden als Mihaul erklärt:
" Die Ungerechtigkeit muss beendet werden. Es müssen "Heilige Kühe" geschlachtet werden: Menschen, die ohne Grund viel zu sagen haben und sich die Taschen voll machen. Der Staat sollte für Gerechtigkeit sorgen, wie es im Namen meiner Partei steht. "
Plötzlich taucht ein junger Mann vor den Jungpolitikern auf. Mit Baseballkappe, einem T-Shirt mit der Aufschrift "Antikapitalismus, Antirassismus, Antisexismus". Der 25-Jährige hält eine Video-Kamera in der Hand, fixiert Mihaul durch den Sucher.
"Sieg heil" provoziert der junge Mann das PiS-Mitglied. Mihaul schweigt. Der 25jährige geht einen Schritt auf ihn zu. Und beginnt zu fragen: Willst du Kameras in der Schule haben? Bist du für Schuluniformen?
Michhaul antwortet kurz und knapp. Ja, er ist für Kameras, weil er sich sicher fühlen will. Ja, er ist für Schuluniformen.
"Meine Frau hat PiS gewählt", sagt der 25-Jährige. Er ist in Weißrussland geboren und hier in Polen verheiratet. Nun will er seiner Frau zeigen, wen sie da gewählt hat.
Diskutier nicht so viel, mischt sich ein älteres PiS-Mitglied ein. "Kennst du überhaupt die polnische Geschichte?" Und: "Geh doch lieber arbeiten." Der untersetzte Wahlkampfleiter steht daneben und nickt. Er ist zufrieden.
Daniel Odija zählt zu einer neuen, jungen Schriftsteller-Generation in Polen. Oft geht es in seinen Werken um die Verlierer am Rande der Gesellschaft. So auch in seinem 2003 erschienenem Roman Das Sägewerk. Im Mittelpunkt steht der Sägewerks-Besitzer Józef Mysliwski, ein Provinz-Oligarch, der es erst zu Reichtum bringt, und am Ende völlig abstürzt. Um ihn herum schart sich eine frustrierte und perspektivlose Bauernschaft, der die Nestwärme aus alten Kolchose-Zeiten fehlt.
Die Häuser stehen hier etwas weiter auseinander. Vom ersten Haus kann man das zweite, vom zweiten das dritte und vom dritten das erste nicht sehen. In diesen Häusern wohnen Menschen. Es sind nicht viele, und sie treffen einander selten. Offenbar haben sie kein Verlangen danach.
Josef Mysliwski hat fast den ganzen Boden aufgekauft. Er gehörte ihm nicht von Anfang an, sondern er erwarb ihn durch harte Arbeit. Nicht alle arbeiteten gern. Mysliwski jedoch machte die Arbeit nichts aus.
Er stand wochentags wie feiertags im Morgengrauen auf. Die Tier mussten gefüttert werden. Er mischte für sie Fischmehl mit Vitaminpulver. Wie ein Ochse schuftete er, zahlte die Schulden zurück, und es blieb ihm immer mehr Geld. Damit machte er sich keine Freunde. Da kommt so einer daher und stolziert gleich herum, als hätte er die Hosen vollgeschissen, sagten die Leute. Im übrigen muss einer mit viel Geld ein Dieb sein.
Einmal kehrte er mit dem Traktor vom Feld zurück, da sah er einen alten Mann. Der Alte stand mitten auf dem Weg, so dass Mysliwski nicht an ihm vorbeikam.
"Was ist los, Mann?" Er gab sich Mühe, höflich zu sein. "Willst Du nicht zur Seite gehen?"
"Tfuuu!" spuckte der Alte ihm vor den Reifen.
Józef Mysliwski stellte den Motor ab und stieg vom Traktor.
"Weißt Du, dass das alles einmal mir gehören wird?" warf er nachlässig hin und zeigte auf die Felder.
Der Alte warf ihm einen triefenden Blick aus kranken Augen zu. Mysliwski entdeckte darin einen Hass, der den anderen von innen heraus zerfressen musste. Er hielt dem Blick stand und trat so dicht an ihn heran, dass sich ihre Nasen beinahe berührten. Dazu beugte er sich zu ihm hinunter.
"Du wirst mich nicht verhexen, Alter, Hurerei, verdammte!" zischte er. "Ich hab schon ganz andere als Dich zu Dünger gemacht."
Er ging zurück zum Traktor und rief, während er den Motor anließ:
"Und jetzt verpiss Dich, sonst fahr ich Dich nieder!"
Und er fuhr los.
Der Alte sprang im letzten Moment zur Seite.
"Tfuuu!" spuckte er hinter Mysliwski aus. "Dass Dich ...!"
Staatspräsident Lech und Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski haben einen gemeinsamen Gegner, den es zu bekämpfen gilt - zum Wohle Polens. Diesen Gegner umschreiben sie gerne kryptisch als das System oder auch das graue Netz. Gemeint sind damit vor allem die alten kommunistischen Seilschaften, die Polen mit ihren korrupten und kriminellen Machenschaften angeblich ins Elend gestürzt haben. Aber Ungemach droht auch von anderer Seite: Mal sind es interessengesteuerte Medien, mal deutsche Vertriebenen-Verbände, die russische Gas-Lobby oder die Homosexuellen-Bewegung. All diesen Kräften hat die nationalkonservative Regierung den Kampf angesagt und deshalb die Vierte Republik ausgerufen: Sie steht für die Rückbesinnung auf Ehrlichkeit, Moral, und auf nationale und katholische Werte. Die aktuelle Regierungskrise wirkt nun allerdings wie ein Hohn auf all die sauberen Ankündigungen.
Und trotzdem bleiben die Hardliner auf Kurs. Da ist zum Beispiel die "Liga der polnischen Familien". Sie ist einer der verbliebenen Koalitions-Partner in der gerade auseinander gebrochenen Regierung. Scheinbar ungerührt führt sie ihren Wahlkampf für die anstehenden Kommunalwahlen jedoch weiter. Und fordert unter anderem die Todesstrafe für Kinderschänder. Die Abgeordneten der Familienliga sind die jüngsten im Sejm. Das allerjüngste Parlaments-Mitglied kommt aus Zielona Gora, im Westen Polens.
Jung, dynamisch, christlich-national
Der jüngste Abgeordnete im Sejm
Der jüngste Abgeordnete im Sejm
Von Ernst-Ludwig v. Aster
Büroleiter Krystian Kaminski lehnt sich hinter seinem Schreibtisch zurück. Analysiert den Wahlerfolg der NPD in Mecklenburg-Vorpommern.
"Der Populismus hat sich ausgezahlt", sagt Kaminski. Dann blickt er auf die Uhr. Sein Chef muss jeden Augenblick kommen. Die Heilige Messe ist zu Ende. Und die Kirche gleich um die Ecke
Zwei Minuten später kommt Kryzstof Bosak herein, grüßt, verriegelt die Bürotür von innen. Setzt sich an den großen, neuen Konferenztisch. Legt das Mobiltelefon vor sich:
" Wenn das Fernsehen käme, dann hätte ich einen Anzug an, eine Krawatte. Und glänzend, elegante Schuhe. Nicht Turnschuhe wie jetzt. "
Bosak lächelt. Turnschuhe, Jeans mit ausgefransten Beinen, blau-weiß-gestreiftes Hemd, dunkelblaues Leinensakko. Seine Freizeitklamotten. Jetzt vibriert das Mobiltelefon. Ein kurzer Blick auf die Text-Nachricht, dann auf die Uhr. 35 Minuten hat er noch. Dann muss er zum Flieger nach Warschau. Zeit genug für einen kleinen Stadtrundgang.
" Ich bin Abgeordneter der polnischen Familienliga, das ist eine konservative Partei, mit nationaler und christlicher Orientierung. Im Sejm sitze ich neben zwei jungen Parteifreunden-, die sind 27 und 28 Jahre alt. Einer ist der jüngste Minister in der Geschichte Polens. "
Und ist für Seewirtschaft und Fischerei zuständig. Die schmale Treppe des Altbaus geht es hinunter. Direkt auf den Marktplatz von Zielona Gora. Sorgfältig renovierte Bürgerhäuser, gusseiserne Laternen, Blumenkübel. Bosak bleibt auf dem Platz stehen. Blinzelt genießerisch in die Herbstsonne. "Junge Wölfe" - so wurden er und seine beiden Parteikollegen vor kurzem in einem Polit-Magazin genannt. Die Bezeichnung gefällt Bosak. Er ist erst 23 Jahre alt. Und damit der jüngste Abgeordnete im Sejm.
Bosak faltet die Hände hinter dem Rücken, federt leicht in den Knien, neigt den Kopf etwas zur Seite, setzt einen staatsmännischen Blick auf. Seit sechs Jahren ist er politisch aktiv sagt er, seine Karriere begann als Mitglied der "Allpolnischen Jugend".
" Diese Organisation hat das Ziel die Jugend auf das öffentliche Leben vorzubereiten. Und ihnen die richtigen Werte zu vermitteln: Vaterlandsliebe, katholische Morallehre, Verteidigung der Familie. Und dann noch Kenntnisse in Geschichte und Kultur. "
Seit einem Jahr ist Bosak der Vorsitzende. "Nur unsere Mitglieder können ein starkes und großes Polen aufbauen", heißt es in der Selbstdarstellung auf der Internet-Seite.
" Vielleicht ist es arrogant, aber das ist charakteristisch für junge Leute, die an ihre Ideen glauben. Nur sie können in dieser Welt etwas verändern. Weil die Mehrheit daran zweifelt, dass sie überhaupt etwas verbessern kann. "
Zweifel sind dem Vorsitzenden Bosak fremd. Ebenso wie seinen allpolnischen Gefolgsleuten . "Neue Generation" nennen sie sich. Das Weltbild fest in der Vergangenheit verankert. Die 4000 Mitglieder starke Jugendorganisation sieht sich als Kaderschmiede für eine neue Republik. Zeigen Flagge auf Demonstrationen. Sichern Veranstaltungen der konservativ-katholischen Familienliga. Für die Bosak auch im Parlament sitzt.
" Wir sind fest überzeugt, dass Homosexualität nicht gut ist für die Gründung einer normalen Familie und für die Erziehung der Kinder. Homosexuelle sollten sich nicht öffentlich zeigen, das ist sittenwidrig, weil es nicht natürlich ist. Wir sind auch dagegen, dass ihre Kundgebungen vom Staat beschützt werden. Und dass in der Hauptstadt für viele Stunden die Straßen gesperrt werden. Deshalb haben wir versucht diesen Schwachsinn zu verhindern. "
Ruhig sagt das der 23-Jährige. Verbindlich lächelnd. Zieht den rechten Arm hinter dem Rücken hervor, stützt mit Zeigefinger und Daumen das Kinn. Blickt nachdenklich. Dass Mitglieder der Allpolnischen Jugend auf Demonstrationen schon einmal "Schwule ins Gas" skandieren, dafür kann man ihn nicht verantwortlich machen. Auch nicht dafür, dass sich zwei seiner Partei-Kollegen aus dem Parlament beim Hitlergruss fotografieren ließen.
" In die Politik gehen nur Karrieristen oder Versager. Alle, die etwas können und die jung sind, die gehen in die Wirtschaft. Das ist natürlich ein Problem, wenn die Leute, die woanders nicht werden, in die Politik gehen. Die können nichts verbessern im Staat. "
Er und seine Kollegen aber sind die Ausnahme. Die diese Regel bestätigen. Da ist sich Krzystof Bosak ganz sicher.
An diesem Ort war es wirklich hässlich. Das einzige, was die Umgebung etwas aufhellte, war die Betonpfütze des unvermeidlichen Spielplatzes zwischen den grauen Wohnblocks. Das war alles. Das war die Kolchosensiedlung. Hier brachten die Armut Schmutz und die Arbeitslosigkeit Langeweile hervor. Die Männer waren ständig leicht angetrunken. Ein Schluck billigen Obstweins, ein Gläschen Selbstgebrannter oder einer anderen Kreation - nur um nicht daran denken zu müssen, dass es einem schlecht ging. In letzter Zeit hatten die Leute angefangen, sich über Politik zu unterhalten. Im Fernsehen tauchte eine Gestalt auf, die ihre Phantasie anregte. Sie hieß Andrzej Pasieka. Er stammte irgendwo aus der Gegend, angeblich aus Kulszewki, aber keiner wusste, ob aus Klein- oder Groß-Kulszewki. Angeblich wollte er erreichen, dass es den Bauern besser ging, und er konnte gut reden, nämlich selbstverständlich.
So geschah es eines Tages, dass Pasieka in die Siedlung kam. Den Leuten blieb vor Staunen der Mund offen, denn er kam mit einem Auto, das größer und sicher teurer war als das teuerste Auto. Pasieka entstieg diesem Auto nicht etwa im Anzug, wie sich das für einen Politiker gehörte, sondern er trug einen vertrauten Dress aus Ballonseide. Als die Leute sahen, dass Pasieka genauso angezogen war wie sie, wurde ihnen sofort leichter.
1949 geboren, kamen die eineiigen Zwillinge Lech und Jaroslaw Kaczynski schon zu Schulzeiten groß raus. "Von zweien, die den Mond stahlen" hieß der Kinderfilm, in dem sie 1962 als "Jacek und Placek" die Hauptrollen spielten. Ihre Wege trennten sich auch später kaum. Nach dem Jura-Studium machten beide in der Solidarnosc-Bewegung Karriere. Zunächst waren sie enge Weggefährten von Lech Walesa, mit dem sie aber Anfang der 90er Jahre im Streit auseinander gingen. Intrigant, jähzornig oder empfindlich lauten nur ein paar der Charaktereigenschaften, die den Brüdern immer wieder zugeschrieben werden. 2001 gründeten die Zwillinge die PiS-Partei "Recht und Gerechtigkeit". Dieses Sammelbecken für Bürgerliche und Rechtspopulisten stieg bei den Parlamentswahlen 2005 zur stärksten Partei auf. Überraschend verzichtete Jaroslaw aber zunächst auf das Amt des Ministerpräsidenten, um seinem Bruder Lech in den kurz darauf folgenden Präsidentschafts-Wahlen nicht die Chance auf den Sieg zu rauben. Die Aussicht auf das doppelte Entchen an der Staatsspitze hätte wohl manchen Wähler verschreckt. Genau das ist nun aber der Fall. Im Juli trat der von vornherein als Übergangs-Premier gehandelte Kazimierz Marcinkiewicz zurück. Und Staatspräsident Lech ernannte seinen Bruder Jaroslaw Kaczynski zum neuen Ministerpräsidenten.
Gegenwärtig wagt kaum jemand in Polen, die Brüder so offen zu kritisieren, wie Manuela Gretkowska. Die renommierte Schriftstellerin ist regelmäßig im polnischen Feuilleton zu lesen. Im Frühjahr dieses Jahres fiel einer ihrer Artikel allerdings der Schere zum Opfer.
Büroleiter Krystian Kaminski lehnt sich hinter seinem Schreibtisch zurück. Analysiert den Wahlerfolg der NPD in Mecklenburg-Vorpommern.
"Der Populismus hat sich ausgezahlt", sagt Kaminski. Dann blickt er auf die Uhr. Sein Chef muss jeden Augenblick kommen. Die Heilige Messe ist zu Ende. Und die Kirche gleich um die Ecke
Zwei Minuten später kommt Kryzstof Bosak herein, grüßt, verriegelt die Bürotür von innen. Setzt sich an den großen, neuen Konferenztisch. Legt das Mobiltelefon vor sich:
" Wenn das Fernsehen käme, dann hätte ich einen Anzug an, eine Krawatte. Und glänzend, elegante Schuhe. Nicht Turnschuhe wie jetzt. "
Bosak lächelt. Turnschuhe, Jeans mit ausgefransten Beinen, blau-weiß-gestreiftes Hemd, dunkelblaues Leinensakko. Seine Freizeitklamotten. Jetzt vibriert das Mobiltelefon. Ein kurzer Blick auf die Text-Nachricht, dann auf die Uhr. 35 Minuten hat er noch. Dann muss er zum Flieger nach Warschau. Zeit genug für einen kleinen Stadtrundgang.
" Ich bin Abgeordneter der polnischen Familienliga, das ist eine konservative Partei, mit nationaler und christlicher Orientierung. Im Sejm sitze ich neben zwei jungen Parteifreunden-, die sind 27 und 28 Jahre alt. Einer ist der jüngste Minister in der Geschichte Polens. "
Und ist für Seewirtschaft und Fischerei zuständig. Die schmale Treppe des Altbaus geht es hinunter. Direkt auf den Marktplatz von Zielona Gora. Sorgfältig renovierte Bürgerhäuser, gusseiserne Laternen, Blumenkübel. Bosak bleibt auf dem Platz stehen. Blinzelt genießerisch in die Herbstsonne. "Junge Wölfe" - so wurden er und seine beiden Parteikollegen vor kurzem in einem Polit-Magazin genannt. Die Bezeichnung gefällt Bosak. Er ist erst 23 Jahre alt. Und damit der jüngste Abgeordnete im Sejm.
Bosak faltet die Hände hinter dem Rücken, federt leicht in den Knien, neigt den Kopf etwas zur Seite, setzt einen staatsmännischen Blick auf. Seit sechs Jahren ist er politisch aktiv sagt er, seine Karriere begann als Mitglied der "Allpolnischen Jugend".
" Diese Organisation hat das Ziel die Jugend auf das öffentliche Leben vorzubereiten. Und ihnen die richtigen Werte zu vermitteln: Vaterlandsliebe, katholische Morallehre, Verteidigung der Familie. Und dann noch Kenntnisse in Geschichte und Kultur. "
Seit einem Jahr ist Bosak der Vorsitzende. "Nur unsere Mitglieder können ein starkes und großes Polen aufbauen", heißt es in der Selbstdarstellung auf der Internet-Seite.
" Vielleicht ist es arrogant, aber das ist charakteristisch für junge Leute, die an ihre Ideen glauben. Nur sie können in dieser Welt etwas verändern. Weil die Mehrheit daran zweifelt, dass sie überhaupt etwas verbessern kann. "
Zweifel sind dem Vorsitzenden Bosak fremd. Ebenso wie seinen allpolnischen Gefolgsleuten . "Neue Generation" nennen sie sich. Das Weltbild fest in der Vergangenheit verankert. Die 4000 Mitglieder starke Jugendorganisation sieht sich als Kaderschmiede für eine neue Republik. Zeigen Flagge auf Demonstrationen. Sichern Veranstaltungen der konservativ-katholischen Familienliga. Für die Bosak auch im Parlament sitzt.
" Wir sind fest überzeugt, dass Homosexualität nicht gut ist für die Gründung einer normalen Familie und für die Erziehung der Kinder. Homosexuelle sollten sich nicht öffentlich zeigen, das ist sittenwidrig, weil es nicht natürlich ist. Wir sind auch dagegen, dass ihre Kundgebungen vom Staat beschützt werden. Und dass in der Hauptstadt für viele Stunden die Straßen gesperrt werden. Deshalb haben wir versucht diesen Schwachsinn zu verhindern. "
Ruhig sagt das der 23-Jährige. Verbindlich lächelnd. Zieht den rechten Arm hinter dem Rücken hervor, stützt mit Zeigefinger und Daumen das Kinn. Blickt nachdenklich. Dass Mitglieder der Allpolnischen Jugend auf Demonstrationen schon einmal "Schwule ins Gas" skandieren, dafür kann man ihn nicht verantwortlich machen. Auch nicht dafür, dass sich zwei seiner Partei-Kollegen aus dem Parlament beim Hitlergruss fotografieren ließen.
" In die Politik gehen nur Karrieristen oder Versager. Alle, die etwas können und die jung sind, die gehen in die Wirtschaft. Das ist natürlich ein Problem, wenn die Leute, die woanders nicht werden, in die Politik gehen. Die können nichts verbessern im Staat. "
Er und seine Kollegen aber sind die Ausnahme. Die diese Regel bestätigen. Da ist sich Krzystof Bosak ganz sicher.
An diesem Ort war es wirklich hässlich. Das einzige, was die Umgebung etwas aufhellte, war die Betonpfütze des unvermeidlichen Spielplatzes zwischen den grauen Wohnblocks. Das war alles. Das war die Kolchosensiedlung. Hier brachten die Armut Schmutz und die Arbeitslosigkeit Langeweile hervor. Die Männer waren ständig leicht angetrunken. Ein Schluck billigen Obstweins, ein Gläschen Selbstgebrannter oder einer anderen Kreation - nur um nicht daran denken zu müssen, dass es einem schlecht ging. In letzter Zeit hatten die Leute angefangen, sich über Politik zu unterhalten. Im Fernsehen tauchte eine Gestalt auf, die ihre Phantasie anregte. Sie hieß Andrzej Pasieka. Er stammte irgendwo aus der Gegend, angeblich aus Kulszewki, aber keiner wusste, ob aus Klein- oder Groß-Kulszewki. Angeblich wollte er erreichen, dass es den Bauern besser ging, und er konnte gut reden, nämlich selbstverständlich.
So geschah es eines Tages, dass Pasieka in die Siedlung kam. Den Leuten blieb vor Staunen der Mund offen, denn er kam mit einem Auto, das größer und sicher teurer war als das teuerste Auto. Pasieka entstieg diesem Auto nicht etwa im Anzug, wie sich das für einen Politiker gehörte, sondern er trug einen vertrauten Dress aus Ballonseide. Als die Leute sahen, dass Pasieka genauso angezogen war wie sie, wurde ihnen sofort leichter.
1949 geboren, kamen die eineiigen Zwillinge Lech und Jaroslaw Kaczynski schon zu Schulzeiten groß raus. "Von zweien, die den Mond stahlen" hieß der Kinderfilm, in dem sie 1962 als "Jacek und Placek" die Hauptrollen spielten. Ihre Wege trennten sich auch später kaum. Nach dem Jura-Studium machten beide in der Solidarnosc-Bewegung Karriere. Zunächst waren sie enge Weggefährten von Lech Walesa, mit dem sie aber Anfang der 90er Jahre im Streit auseinander gingen. Intrigant, jähzornig oder empfindlich lauten nur ein paar der Charaktereigenschaften, die den Brüdern immer wieder zugeschrieben werden. 2001 gründeten die Zwillinge die PiS-Partei "Recht und Gerechtigkeit". Dieses Sammelbecken für Bürgerliche und Rechtspopulisten stieg bei den Parlamentswahlen 2005 zur stärksten Partei auf. Überraschend verzichtete Jaroslaw aber zunächst auf das Amt des Ministerpräsidenten, um seinem Bruder Lech in den kurz darauf folgenden Präsidentschafts-Wahlen nicht die Chance auf den Sieg zu rauben. Die Aussicht auf das doppelte Entchen an der Staatsspitze hätte wohl manchen Wähler verschreckt. Genau das ist nun aber der Fall. Im Juli trat der von vornherein als Übergangs-Premier gehandelte Kazimierz Marcinkiewicz zurück. Und Staatspräsident Lech ernannte seinen Bruder Jaroslaw Kaczynski zum neuen Ministerpräsidenten.
Gegenwärtig wagt kaum jemand in Polen, die Brüder so offen zu kritisieren, wie Manuela Gretkowska. Die renommierte Schriftstellerin ist regelmäßig im polnischen Feuilleton zu lesen. Im Frühjahr dieses Jahres fiel einer ihrer Artikel allerdings der Schere zum Opfer.
"Die Zwillinge schaden Polen intellektuell"
Manuela Gretkowska, Feuilletonistin und Kaczynski-Kritikerin
Manuela Gretkowska, Feuilletonistin und Kaczynski-Kritikerin
Von Anja Schrum
Manuela Gretkowska wohnt auf dem Land, eine Stunde von der Hauptstadt Warschau entfernt. Als Treffpunkt schlägt sie das "Hotel Bristol" vor. Nur einen Steinwurf vom Präsidenten-Palast entfernt
Ein livrierter Page hält Manuela Gretkowska die schwere Messingtür auf. Nickt zur Begrüßung. In der Hotel-Lobby biegt die Schriftstellerin nach rechts. Schlendert vorbei an einem Lädchen mit exquisiten Zigarren und einem Nobel-Frisör. Das Hotel Bristol ist die erste Adresse in Warschau. Doch das vornehme Ambiente ist Manuela Gretkowska egal.
"Hier gibt es den besten Tee der Stadt", sagt die Schriftstellerin. Und bleibt kurz vor einem Regal mit Hochglanz-Magazinen stehen. In der dritten Reihe von oben: das Lifestyle-Magazin "Sukces". Bis vor kurzem noch Gretkowskas Arbeitgeber.
Manuela Gretkowska nimmt auf einem der gepolsterten Edelholzstühle im Cafe Platz. Ein kurzer Blick in die Karte, dann bestellt sie ein Kännchen Ceylon-Tee. Lässt die Blätter lange ziehen. Trinkt den Tee ohne Zucker. Schmale Finger ohne Ringe umfassen die Tasse mit beiden Händen. Führen sie behutsam zum Mund.
" Als die Kaczynskis gewählt wurden, war ich gerade auf dem Weg vom Flughafen nach Hause. Und ich habe vergessen, das Licht am Auto anzumachen. Und alle haben mich mit der Lichthupe darauf hingewiesen. Ich dachte, da ist was passiert. Deshalb habe ich das Radio eingeschaltet. Und da wurden gerade die Wahlergebnisse verkündet. Ich habe diese Lichthupen als Protest verstanden. Dass die Leute zeigen wollten, dass sie dagegen sind. Aber danach bin ich auf eine Landstraße abgebogen und plötzlich war es um mich herum dunkel. Ich hatte ja das Licht nicht an. Aber für mich war das eine Metapher. Dass die Dunkelheit über Polen hereingebrochen ist. "
Manuela Gretkowska greift gerne zu Metaphern. Mit ihren ironischen, aber auch derb-erotischen Beschreibungen hat sich die 41jährige in Polen den Ruf als "böses Mädchen" erworben. Gepflegtes Hochpolnisch im Wechsel mit Kraftausdrücken. Das ist ein Markenzeichen der Gretkowska.
Das Leben ist so viel reicher als der Arsch der Enten, sagt die 41jährige. Kaczor - Enterich - so werden in Polen die Kaczynskis spöttisch genannt. Ihre deftigen Ausdrücke, die deutlichen Beschreibungen stehen im krassen Gegensatz zu Gretkowskas äußerer Erscheinung: Klein, zart, zerbrechlich sieht sie aus. Graue, schulterlange Haare, ungeschminktes Gesicht, beiger Blazer und T-Shirt. Der Blick offen und klar. Sie lacht viel, die Hände gestikulieren munter. Seit rund 20 Jahren schreibt Manuela Gretkowska in polnischen Feuilletons. Angefangen hat sie Ende der 80er bei BruLion, der legendären Untergrundzeitung der polnischen Studenten.
" Danach bin ich bei verschiedenen Zeitungen gewesen. Bei einigen habe ich die Zusammenarbeit abgebrochen. Die anderen haben die Zusammenarbeit mit mir abgebrochen. Und eigentlich hatte ich schon keine Lust mehr fürs Feuilleton zu schreiben. Aber dann kam die Chefredakteurin von Sukzes zu mir und ich habe ihr gesagt: Okay, aber keine Zensur. Nie. Und die Chefredakteurin war einverstanden. Sie hat mir versprochen, das einzuhalten. Und so habe ich dort ein Jahr gearbeitet. "
Ein Jahr lang - bis Gretkowska einen Artikel über die Kaczynskis schrieb. Dabei unterliefen ihr drei sachliche Fehler: Zwei Namen waren falsch. Und sie erklärte den Vater der Kaczynskis für schon längst gestorben. Die Antwort aus der Präsidialkanzlei kam postwendend. In Form eines Briefes. Zwischen den Zeilen forderte man ihren Rausschmiss aus der Redaktion. Gretkowska antwortete ihrerseits. Wies in einem neuen Artikel die Einmischung des Staates in ihre Arbeit zurück. Doch die Leser der April-Ausgabe von Sukces bekamen diesen Artikel niemals zu Gesicht.
" Ich war gerade im Fernsehen. Da hatte ich einen Auftritt. Und auf dem Monitor zeigen mir die Kollegen einen Film, in dem ich sehe, dass mit Scheren ein Artikel aus dem Magazin geschnitten wird. Natürlich - in diesem Moment denke ich, das hier ist eine Art "Versteckte Kamera". Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man im 21. Jahrhundert nicht per Computer-Knopfdruck sondern mit der Schere Artikel löscht. Mit der Schere! Zwei Tage saßen die Leute in einer kalten Halle und haben das gemacht. Glauben sie mir, fünf Minuten lang habe ich das für einen Witz gehalten. "
Aus 90.000 Exemplaren wurde eine komplette Seite fein säuberlich herausgetrennt. Der Grund: Der Herausgeber wollte sich einfach nicht bei der Regierung in Misskredit bringen, sagt die 41jährige. Manuela Gretkowska wirkt nicht verunsichert, wenn sie erzählt. Eher erstaunt-belustigt denn getroffen.
" Im Grunde genommen ist es nicht gefährlich. Eigentlich passiert nichts Schlechtes. Es gibt keine Zensur, es gibt im Allgemeinen keine Probleme mit der Freiheit des Wortes. Aber was jetzt passiert beeinflusst die Leute, die Mentalität ändert sich langsam. Plötzlich beginnst du, dich selbst zu zensieren. So ein Karikaturist hat etwas Lustiges über die polnische Nationalflagge und Kaczynski gesagt und plötzlich, am nächsten Tag, hat er die Staatsanwaltschaft am Hals und eine Hausdurchsuchung. "
Die Zwillinge schaden Polen nicht wirtschaftlich, sagt die Schriftstellerin aber intellektuell.
" Ich habe fünf Jahre in Schweden und fünf Jahre in Frankreich gelebt, in Ländern, in denen die Freiheit groß geschrieben wird und jetzt soll ich plötzlich wieder im Polen der 60er Jahre leben. Das ist ekelhaft - in jeder Hinsicht. "
Daniel Odijas Roman spielt in Ostpolen, jenem Landesteil, in dem die Mehrheit der Menschen von der Landwirtschaft lebt. Hier herrscht in manchen Gegenden bis zu 20 Prozent Arbeitslosigkeit. Vom Geld und der Aufbruchstimmung seit dem EU-Beitritt ist im Osten nicht viel angekommen. In diesen ländlichen und eher ärmlichen Landesteilen erfährt die Kaczynski-Partei "Recht und Gerechtigkeit" besonders viel Zuspruch.
Alle versammelten sich auf dem Spielplatz um Pasieka, und er sagte, dass sich die Wahlen näherten, und bekanntlich sei er es, der sich um ihre Angelegenheiten kümmere, weil er selber ein Kind einer Kolchosensiedlung sei! Aus diesem Grund müssten sie ihm vertrauen, doch könne er außer ihren Stimmen auch noch ein paar Groschen gebrauchen, um bei den Wahlen dieselben Chancen zu haben, wie die Diebe von der Regierung, die sich jetzt an den Futtertrögen mästeten, aber das werde nicht mehr lange so gehen, denn wenn er, Pasieka, an die Regierung komme, dann werde er alle diese Schmarotzer, Faulenzer und Trottel davonjagen. Damit das gelingt, meine lieben Leute, müsst Ihr ein wenig Geld herausrücken, damit ich diesen Dieben ordentlich den Marsch blasen kann.
Die einen taten so, als kramten sie in ihren Hosentaschen, aber soviel sie auch kramten und kramten, sie kramten nichts hervor. Die anderen schauten in den Himmel, als würde es gleich zu regnen beginnen, aber boshafterweise schien strahlend die Sonne, und über der Siedlung war nicht einmal die winzigste Wolke zu sehen. Irgendwie wurde die Situation peinlich, doch in diesem Augenblick flüsterte einer der beiden vierschrötigen Kerle, die mit Pasieka gekommen waren, diesem etwas ins Ohr. Pasieka hörte sich an, was der Kerl zu sagen hatte, und fragte die Leute, wie man zu Mysliwski gelange.
Ein Sommerloch hat es in der deutsch-polnischen Berichterstattung dieses Jahr nicht gegeben, Schuld war die Kartoffel. Genauer jene taz-Satire, in der Polens Präsident Lech Kaczynski mit einer Kartoffel verglichen wurde. Satire darf alles, hat Kurt Tucholsky einmal gesagt. Aber deutsche Journalisten zahlen dafür inzwischen einen hohen Preis in Polen. Auch der Warschauer Korrespondent der Süddeutschen Zeitung wird an den Pranger gestellt, und das ausgerechnet von Gesine Schwan. Von der Bundesregierung mit der Pflege der deutsch-polnischen Beziehungen beauftragt, trug Schwan vor kurzem eher zu ihrer Verschlechterung bei, als sie den SZ-Korrespondenten Thomas Urban in der polnischen Zeitung Rzeczpospolita angriff. Und ihm vorwarf, ein negatives Polen-Bild zu verbreiten.
Aber: "Polen beleidigt man nicht ungestraft", so war vor kurzem in der ultrakonservativen, katholischen Tageszeitung Nasz Dziennik zu lesen. Die Zeitung veröffentlichte die Namen von 16 deutschen Journalisten, die angeblich anti-polnische Artikel verfasst hätten. Für den Deutschlandfunk war bei Nasz Dziennik niemand zu einem Interview bereit. "Kein Interesse", lautete die Antwort.
Über eine negative Berichterstattung in deutschen und polnischen Medien klagt die Kaczynski-Regierung immer wieder. Anfang dieses Jahres hat sie nun versucht, ein neues Rundfunk-Gesetz auf den Weg zu bringen. Allerdings wurde dieser Vorstoß in weiten Teilen vom polnischen Verfassungsgericht gestoppt.
Dafür aber hat eine andere mächtige Institution weitgehend freie Bahn: Der polnische Staatsrat für Rundfunk und Fernsehen. Dieser nationale Rundfunkrat wurde nach dem Sieg der Kaczynski-Brüder im Herbst 2005 zügig mit Regierungsanhängern besetzt.
Manuela Gretkowska wohnt auf dem Land, eine Stunde von der Hauptstadt Warschau entfernt. Als Treffpunkt schlägt sie das "Hotel Bristol" vor. Nur einen Steinwurf vom Präsidenten-Palast entfernt
Ein livrierter Page hält Manuela Gretkowska die schwere Messingtür auf. Nickt zur Begrüßung. In der Hotel-Lobby biegt die Schriftstellerin nach rechts. Schlendert vorbei an einem Lädchen mit exquisiten Zigarren und einem Nobel-Frisör. Das Hotel Bristol ist die erste Adresse in Warschau. Doch das vornehme Ambiente ist Manuela Gretkowska egal.
"Hier gibt es den besten Tee der Stadt", sagt die Schriftstellerin. Und bleibt kurz vor einem Regal mit Hochglanz-Magazinen stehen. In der dritten Reihe von oben: das Lifestyle-Magazin "Sukces". Bis vor kurzem noch Gretkowskas Arbeitgeber.
Manuela Gretkowska nimmt auf einem der gepolsterten Edelholzstühle im Cafe Platz. Ein kurzer Blick in die Karte, dann bestellt sie ein Kännchen Ceylon-Tee. Lässt die Blätter lange ziehen. Trinkt den Tee ohne Zucker. Schmale Finger ohne Ringe umfassen die Tasse mit beiden Händen. Führen sie behutsam zum Mund.
" Als die Kaczynskis gewählt wurden, war ich gerade auf dem Weg vom Flughafen nach Hause. Und ich habe vergessen, das Licht am Auto anzumachen. Und alle haben mich mit der Lichthupe darauf hingewiesen. Ich dachte, da ist was passiert. Deshalb habe ich das Radio eingeschaltet. Und da wurden gerade die Wahlergebnisse verkündet. Ich habe diese Lichthupen als Protest verstanden. Dass die Leute zeigen wollten, dass sie dagegen sind. Aber danach bin ich auf eine Landstraße abgebogen und plötzlich war es um mich herum dunkel. Ich hatte ja das Licht nicht an. Aber für mich war das eine Metapher. Dass die Dunkelheit über Polen hereingebrochen ist. "
Manuela Gretkowska greift gerne zu Metaphern. Mit ihren ironischen, aber auch derb-erotischen Beschreibungen hat sich die 41jährige in Polen den Ruf als "böses Mädchen" erworben. Gepflegtes Hochpolnisch im Wechsel mit Kraftausdrücken. Das ist ein Markenzeichen der Gretkowska.
Das Leben ist so viel reicher als der Arsch der Enten, sagt die 41jährige. Kaczor - Enterich - so werden in Polen die Kaczynskis spöttisch genannt. Ihre deftigen Ausdrücke, die deutlichen Beschreibungen stehen im krassen Gegensatz zu Gretkowskas äußerer Erscheinung: Klein, zart, zerbrechlich sieht sie aus. Graue, schulterlange Haare, ungeschminktes Gesicht, beiger Blazer und T-Shirt. Der Blick offen und klar. Sie lacht viel, die Hände gestikulieren munter. Seit rund 20 Jahren schreibt Manuela Gretkowska in polnischen Feuilletons. Angefangen hat sie Ende der 80er bei BruLion, der legendären Untergrundzeitung der polnischen Studenten.
" Danach bin ich bei verschiedenen Zeitungen gewesen. Bei einigen habe ich die Zusammenarbeit abgebrochen. Die anderen haben die Zusammenarbeit mit mir abgebrochen. Und eigentlich hatte ich schon keine Lust mehr fürs Feuilleton zu schreiben. Aber dann kam die Chefredakteurin von Sukzes zu mir und ich habe ihr gesagt: Okay, aber keine Zensur. Nie. Und die Chefredakteurin war einverstanden. Sie hat mir versprochen, das einzuhalten. Und so habe ich dort ein Jahr gearbeitet. "
Ein Jahr lang - bis Gretkowska einen Artikel über die Kaczynskis schrieb. Dabei unterliefen ihr drei sachliche Fehler: Zwei Namen waren falsch. Und sie erklärte den Vater der Kaczynskis für schon längst gestorben. Die Antwort aus der Präsidialkanzlei kam postwendend. In Form eines Briefes. Zwischen den Zeilen forderte man ihren Rausschmiss aus der Redaktion. Gretkowska antwortete ihrerseits. Wies in einem neuen Artikel die Einmischung des Staates in ihre Arbeit zurück. Doch die Leser der April-Ausgabe von Sukces bekamen diesen Artikel niemals zu Gesicht.
" Ich war gerade im Fernsehen. Da hatte ich einen Auftritt. Und auf dem Monitor zeigen mir die Kollegen einen Film, in dem ich sehe, dass mit Scheren ein Artikel aus dem Magazin geschnitten wird. Natürlich - in diesem Moment denke ich, das hier ist eine Art "Versteckte Kamera". Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man im 21. Jahrhundert nicht per Computer-Knopfdruck sondern mit der Schere Artikel löscht. Mit der Schere! Zwei Tage saßen die Leute in einer kalten Halle und haben das gemacht. Glauben sie mir, fünf Minuten lang habe ich das für einen Witz gehalten. "
Aus 90.000 Exemplaren wurde eine komplette Seite fein säuberlich herausgetrennt. Der Grund: Der Herausgeber wollte sich einfach nicht bei der Regierung in Misskredit bringen, sagt die 41jährige. Manuela Gretkowska wirkt nicht verunsichert, wenn sie erzählt. Eher erstaunt-belustigt denn getroffen.
" Im Grunde genommen ist es nicht gefährlich. Eigentlich passiert nichts Schlechtes. Es gibt keine Zensur, es gibt im Allgemeinen keine Probleme mit der Freiheit des Wortes. Aber was jetzt passiert beeinflusst die Leute, die Mentalität ändert sich langsam. Plötzlich beginnst du, dich selbst zu zensieren. So ein Karikaturist hat etwas Lustiges über die polnische Nationalflagge und Kaczynski gesagt und plötzlich, am nächsten Tag, hat er die Staatsanwaltschaft am Hals und eine Hausdurchsuchung. "
Die Zwillinge schaden Polen nicht wirtschaftlich, sagt die Schriftstellerin aber intellektuell.
" Ich habe fünf Jahre in Schweden und fünf Jahre in Frankreich gelebt, in Ländern, in denen die Freiheit groß geschrieben wird und jetzt soll ich plötzlich wieder im Polen der 60er Jahre leben. Das ist ekelhaft - in jeder Hinsicht. "
Daniel Odijas Roman spielt in Ostpolen, jenem Landesteil, in dem die Mehrheit der Menschen von der Landwirtschaft lebt. Hier herrscht in manchen Gegenden bis zu 20 Prozent Arbeitslosigkeit. Vom Geld und der Aufbruchstimmung seit dem EU-Beitritt ist im Osten nicht viel angekommen. In diesen ländlichen und eher ärmlichen Landesteilen erfährt die Kaczynski-Partei "Recht und Gerechtigkeit" besonders viel Zuspruch.
Alle versammelten sich auf dem Spielplatz um Pasieka, und er sagte, dass sich die Wahlen näherten, und bekanntlich sei er es, der sich um ihre Angelegenheiten kümmere, weil er selber ein Kind einer Kolchosensiedlung sei! Aus diesem Grund müssten sie ihm vertrauen, doch könne er außer ihren Stimmen auch noch ein paar Groschen gebrauchen, um bei den Wahlen dieselben Chancen zu haben, wie die Diebe von der Regierung, die sich jetzt an den Futtertrögen mästeten, aber das werde nicht mehr lange so gehen, denn wenn er, Pasieka, an die Regierung komme, dann werde er alle diese Schmarotzer, Faulenzer und Trottel davonjagen. Damit das gelingt, meine lieben Leute, müsst Ihr ein wenig Geld herausrücken, damit ich diesen Dieben ordentlich den Marsch blasen kann.
Die einen taten so, als kramten sie in ihren Hosentaschen, aber soviel sie auch kramten und kramten, sie kramten nichts hervor. Die anderen schauten in den Himmel, als würde es gleich zu regnen beginnen, aber boshafterweise schien strahlend die Sonne, und über der Siedlung war nicht einmal die winzigste Wolke zu sehen. Irgendwie wurde die Situation peinlich, doch in diesem Augenblick flüsterte einer der beiden vierschrötigen Kerle, die mit Pasieka gekommen waren, diesem etwas ins Ohr. Pasieka hörte sich an, was der Kerl zu sagen hatte, und fragte die Leute, wie man zu Mysliwski gelange.
Ein Sommerloch hat es in der deutsch-polnischen Berichterstattung dieses Jahr nicht gegeben, Schuld war die Kartoffel. Genauer jene taz-Satire, in der Polens Präsident Lech Kaczynski mit einer Kartoffel verglichen wurde. Satire darf alles, hat Kurt Tucholsky einmal gesagt. Aber deutsche Journalisten zahlen dafür inzwischen einen hohen Preis in Polen. Auch der Warschauer Korrespondent der Süddeutschen Zeitung wird an den Pranger gestellt, und das ausgerechnet von Gesine Schwan. Von der Bundesregierung mit der Pflege der deutsch-polnischen Beziehungen beauftragt, trug Schwan vor kurzem eher zu ihrer Verschlechterung bei, als sie den SZ-Korrespondenten Thomas Urban in der polnischen Zeitung Rzeczpospolita angriff. Und ihm vorwarf, ein negatives Polen-Bild zu verbreiten.
Aber: "Polen beleidigt man nicht ungestraft", so war vor kurzem in der ultrakonservativen, katholischen Tageszeitung Nasz Dziennik zu lesen. Die Zeitung veröffentlichte die Namen von 16 deutschen Journalisten, die angeblich anti-polnische Artikel verfasst hätten. Für den Deutschlandfunk war bei Nasz Dziennik niemand zu einem Interview bereit. "Kein Interesse", lautete die Antwort.
Über eine negative Berichterstattung in deutschen und polnischen Medien klagt die Kaczynski-Regierung immer wieder. Anfang dieses Jahres hat sie nun versucht, ein neues Rundfunk-Gesetz auf den Weg zu bringen. Allerdings wurde dieser Vorstoß in weiten Teilen vom polnischen Verfassungsgericht gestoppt.
Dafür aber hat eine andere mächtige Institution weitgehend freie Bahn: Der polnische Staatsrat für Rundfunk und Fernsehen. Dieser nationale Rundfunkrat wurde nach dem Sieg der Kaczynski-Brüder im Herbst 2005 zügig mit Regierungsanhängern besetzt.
"Ich halte mich für einen harten Brocken"
Elzbieta Kruk, Vorsitzende des Nationalen Rundfunkrats
Elzbieta Kruk, Vorsitzende des Nationalen Rundfunkrats
Von Ernst-Ludwig v. Aster
Der Wachmann nickt kurz, drückt auf den Knopf. Langsam gleitet das Gittertor zu Seite. Gibt den Weg frei zu dem zweigeschossigen Gebäude. Leuchtend weiß liegt es etwas zurück in dem kleinen Park. Sieht aus wie ein Gartenschloss en miniature, mit seiner kleinen Freitreppe, dem Balkon über dem Eingang.
Auf der Treppe liegt eine Rolle Toilettenpapier. Auf dem Flur schraubt ein Techniker am Fotokopierer. Im ersten Stock, in Zimmer 9, steht die Sekretärin hinter ihrem Schreibtisch, telefoniert.
"Darek, überprüf mal, ob die Chefin ihre Handtasche im Auto vergessen hat", bittet die Sekretärin. Legt den Hörer auf. Lächelt die Besucher an.
"Vor dem Krieg war hier ein Bordell", sagt sie. Nach dem Krieg wurden ausländische Radiostationen abgehört".
Jetzt öffnet eine Referentin die gepolsterte Tür zum Chef-Büro. Elzbieta Kruk steht mitten im Raum, hört Klassik, macht einige Schritte auf die Journalisten zu. Elzbieta Kruk, 46 Jahre, zierliche Figur, Pagenschnitt, schlichte, ovale Brille, weiße Bluse, graues Sakko, grauer Rock.
Kruk bittet an den Besprechungstisch. Rechts vom Schreibtisch der große Fernseher, daneben der DVD-Player. Über der Mini-Hifi-Anlage hängt ein gesticktes Papstbild. Auf dem Papierkorb ein mobiler Aktenvernichter.
" Erstmal möchte ich sagen, dass der nationale Rundfunkrat von der Politik gewählt wird. Zwei Mitglieder werden vom Sejm, eines vom Senat und zwei vom Präsidenten nominiert. Es ist doch klar, dass unsere Mitglieder den Regierungsparteien nahe stehen. "
Elzbieta Kruk ist eine enge Vertraute von Staats-Präsident Lech Kaczynski. Die beiden kennen sich seit Jahren. Kruk war PiS-Abgeordnete, koordinierte Kaczynskis Büro als er Justizminister war.
" Ich halte mich für eine harten Brocken. Und ich mag einen starken Gegner. Der weiß, um was es geht. "
Das weiß der Präsident zu schätzen. Und berief Kruk zur Vorsitzenden des Nationales Rundfunkrates. "Rechtswidrig", urteilte das polnische Verfassungsgericht. Und erklärte die Ernennung für ungültig. Elzbieta Kruk aber ist immer noch auf ihrem Posten. Nun gewählt von ihren vier Ratskollegen. Zusammen wachen sie über die elektronischen Medien in Polen, entscheiden über die Vergabe und Verlängerung von Sendelizenzen, kümmern sich um Posten-Politik:
" Es geht vor allem um die Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Medien. Damit haben wir uns hauptsächlich beschäftigt. "
Elzbieta Kruk steht auf, holt sich eine Mentholzigarette vom Schreibtisch. Zündet sie an, nimmt einen hastigen Zug. Die letzten Monate waren anstrengend. Ob für den nationalen Fernsehsender, oder das Hörfunkprogramm, die 17 regionalen Radioanstalten, oder die staatliche Nachrichtenagentur - überall mussten politisch zuverlässige Rundfunkräte gefunden und von Kruks Gremium gewählt werden. In den Sendern haben die neuen Aufseher inzwischen die neuen Programm-Direktoren bestimmt.
" Künstler und Journalisten haben uns Vorwürfe gemacht, dass zu wenig Kandidaten aus ihren Kreisen berufen wurden. Aber leider war die Mehrheit der Kandidaten nicht qualifiziert. "
Elzbieta Kruk lächelt. Selbstbewusst. Sie sieht nicht so aus, als ob ihr irgendetwas leid tut. Unter dem Tisch trommeln die Finger ihrer rechten Hand auf den Oberschenkel. Medienpolitik ist Machtpolitik. Auch in Polen. So einfach ist das. Und die Macht haben derzeit ihre Parteifreunde. Und Glaubensgefährten.
" Ich sehe auch die Kirche als sehr wichtigen Faktor des heutigen Lebens, besonders in Polen. Und es ist merkwürdig, dass einige Kreise in Polen das nicht so sehen, das ist ein Ergebnis der 90er Jahre. Aber die polnische Geschichte zeigt, dass unsere Nation ohne die Kirche nicht überleben würde. "
Energisch drückt die Mittvierzigerin ihre Zigarette aus. Regelmäßig gehen bei mir Beschwerden ein, sagt Kruk. Über zu detaillierte Aufklärungssendungen etwa. Oder blasphemische Beiträge.
" Ich leite die Verfahren so ein: Ich schreibe an die Sender und bitte um eine Kopie der Sendung. Und um Stellungnahme zu den Vorwürfen. Die Sendung wird dann von einem speziellen Büro für Beschwerden analysiert. "
Abmahnen kann sie die Sender. Zu Geldstrafen verurteilen. Zweimal traf es bis jetzt den Privat-Sender PolSat. Eine Ekel-Survival-Show sei ein Verstoß gegen die Menschenwürde, urteilte Kruk und verhängte eine Strafe von einer halben Million Zloty, umgerechnet rund 125.000 Euro.
" Die zweite Strafe gab es für den Auftritt einer Talk-Show, da wurden die Religionsrechte angegriffen und die Würde der Schwerbehinderten. "
Eine Feministin hatte sich über eine schwerbehinderte Moderatorin lustig gemacht, die für den erzkatholischen Sender Radio Maryja arbeitet. Wieder sollte der TV-Sender eine halbe Million Zloty zahlen. Der aber weigert sich bis heute.
In Daniel Odijas Roman "Das Sägewerk" kommt es bei einer Bauernversammlung zum Zusammentreffen zwischen Pasieka, dem Politiker, und Mysliwski, dem Oligarchen und Sägewerks-Besitzer. Zunächst werden Wodka und Würstchen gereicht, bis die Stimmung sich plötzlich wandelt. Und der Politiker die Bauern gegen den Sägewerks-Besitzer aufhetzt.
Keiner wagte es, sich auch nur das Fett von der Wurst abzuwischen, das übers Kinn tropfte, denn die Spannung zwischen Pasieka und Mysliwski hatte die Luft in massiven Fels verwandelt.
"Na, Józus!" sprühte Pasieka Speichel.
"Na, Jedrus!" zischte Mysliwski.
Jedrus nickte den Bauern zu.
"Auf den Dieb!" rief Jedrus voll Pathos. Doch keiner rührte sich. Nur ein nicht allzu großer Stein, von dem keiner wusste, woher er kam, beschrieb in der Luft einen weiten Bogen und landete dann, ganz langsam, als falle er auf den Grund des Meeres auf Mysliwskis Stirn. Eine rote Blume erblühte. Etwas rann Mysliwski in die Augen, der noch nicht begriffen hatte, was geschehen war. Sicher glaubte er, ein Vogel habe ihn angeschissen, doch als ihm das Blut in die Augen rann, wischte er mit der Hand drüber und sah, dass die Hand schmutzig war. Da verstand er.
Die Bauern stürzten sich auf ihn. Verzerrte, aufgedunsene Gesichter. Mysliwski riss sich los, ehe sie ihn umringen konnten, um ihn in den Asphalt zu treten. Er erreichte seinen Mercedes, und es gelang ihm, sich darin einzuschließen. Plattgedrückte Nasen auf der Windschutzscheibe. Ein Zahn hinterließ einen Kratzer im Lack.
Mysliwski begriff, dass sich etwas verändert hatte. Er hatte immer gedacht, es sei anders. Jetzt sah er, dass andere anders dachten.
In Lettlands Hauptstadt Riga wurden diesen Sommer Homosexuelle mit Fäkalien beworfen. In Russland müssen Schwule und Lesben sich als "Sodomisten" beschimpfen lassen. Und überall in Osteuropa werden Homosexuellen-Paraden verboten. Hass und Abwehr-Reaktionen sind weit verbreitet. Die meisten der ehemals sozialistischen Staaten stecken noch immer mitten im Umbruch, immer auf der Suche nach einer neuen und eigenen Identität. So auch in Polen, wo selbsternannte Moralwächter an höchster Stelle die Ressentiments gegen Schwule und Lesben schüren. Als der jetzige Staatspräsident Lech Kaczynski noch Bürgermeister von Warschau war, ließ er im Sommer 2005 eine entsprechende Parade verbieten, weil der Anblick von fröhlichen Lesben und Schwulen die Jugend gefährde. Dabei ist Homosexualität als Straftat-Bestand schon vor Jahren aus dem polnischen Gesetzbuch gestrichen worden.
Trotzdem führen Schwule und Lesben in Polen ein Leben, das sich weitgehend im Verborgenen abspielt. Und es gibt kaum Prominente, die sich outen. Dieses Jahr aber durfte in Warschau wenigstens der Christopher Street Day stattfinden.
Der Wachmann nickt kurz, drückt auf den Knopf. Langsam gleitet das Gittertor zu Seite. Gibt den Weg frei zu dem zweigeschossigen Gebäude. Leuchtend weiß liegt es etwas zurück in dem kleinen Park. Sieht aus wie ein Gartenschloss en miniature, mit seiner kleinen Freitreppe, dem Balkon über dem Eingang.
Auf der Treppe liegt eine Rolle Toilettenpapier. Auf dem Flur schraubt ein Techniker am Fotokopierer. Im ersten Stock, in Zimmer 9, steht die Sekretärin hinter ihrem Schreibtisch, telefoniert.
"Darek, überprüf mal, ob die Chefin ihre Handtasche im Auto vergessen hat", bittet die Sekretärin. Legt den Hörer auf. Lächelt die Besucher an.
"Vor dem Krieg war hier ein Bordell", sagt sie. Nach dem Krieg wurden ausländische Radiostationen abgehört".
Jetzt öffnet eine Referentin die gepolsterte Tür zum Chef-Büro. Elzbieta Kruk steht mitten im Raum, hört Klassik, macht einige Schritte auf die Journalisten zu. Elzbieta Kruk, 46 Jahre, zierliche Figur, Pagenschnitt, schlichte, ovale Brille, weiße Bluse, graues Sakko, grauer Rock.
Kruk bittet an den Besprechungstisch. Rechts vom Schreibtisch der große Fernseher, daneben der DVD-Player. Über der Mini-Hifi-Anlage hängt ein gesticktes Papstbild. Auf dem Papierkorb ein mobiler Aktenvernichter.
" Erstmal möchte ich sagen, dass der nationale Rundfunkrat von der Politik gewählt wird. Zwei Mitglieder werden vom Sejm, eines vom Senat und zwei vom Präsidenten nominiert. Es ist doch klar, dass unsere Mitglieder den Regierungsparteien nahe stehen. "
Elzbieta Kruk ist eine enge Vertraute von Staats-Präsident Lech Kaczynski. Die beiden kennen sich seit Jahren. Kruk war PiS-Abgeordnete, koordinierte Kaczynskis Büro als er Justizminister war.
" Ich halte mich für eine harten Brocken. Und ich mag einen starken Gegner. Der weiß, um was es geht. "
Das weiß der Präsident zu schätzen. Und berief Kruk zur Vorsitzenden des Nationales Rundfunkrates. "Rechtswidrig", urteilte das polnische Verfassungsgericht. Und erklärte die Ernennung für ungültig. Elzbieta Kruk aber ist immer noch auf ihrem Posten. Nun gewählt von ihren vier Ratskollegen. Zusammen wachen sie über die elektronischen Medien in Polen, entscheiden über die Vergabe und Verlängerung von Sendelizenzen, kümmern sich um Posten-Politik:
" Es geht vor allem um die Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Medien. Damit haben wir uns hauptsächlich beschäftigt. "
Elzbieta Kruk steht auf, holt sich eine Mentholzigarette vom Schreibtisch. Zündet sie an, nimmt einen hastigen Zug. Die letzten Monate waren anstrengend. Ob für den nationalen Fernsehsender, oder das Hörfunkprogramm, die 17 regionalen Radioanstalten, oder die staatliche Nachrichtenagentur - überall mussten politisch zuverlässige Rundfunkräte gefunden und von Kruks Gremium gewählt werden. In den Sendern haben die neuen Aufseher inzwischen die neuen Programm-Direktoren bestimmt.
" Künstler und Journalisten haben uns Vorwürfe gemacht, dass zu wenig Kandidaten aus ihren Kreisen berufen wurden. Aber leider war die Mehrheit der Kandidaten nicht qualifiziert. "
Elzbieta Kruk lächelt. Selbstbewusst. Sie sieht nicht so aus, als ob ihr irgendetwas leid tut. Unter dem Tisch trommeln die Finger ihrer rechten Hand auf den Oberschenkel. Medienpolitik ist Machtpolitik. Auch in Polen. So einfach ist das. Und die Macht haben derzeit ihre Parteifreunde. Und Glaubensgefährten.
" Ich sehe auch die Kirche als sehr wichtigen Faktor des heutigen Lebens, besonders in Polen. Und es ist merkwürdig, dass einige Kreise in Polen das nicht so sehen, das ist ein Ergebnis der 90er Jahre. Aber die polnische Geschichte zeigt, dass unsere Nation ohne die Kirche nicht überleben würde. "
Energisch drückt die Mittvierzigerin ihre Zigarette aus. Regelmäßig gehen bei mir Beschwerden ein, sagt Kruk. Über zu detaillierte Aufklärungssendungen etwa. Oder blasphemische Beiträge.
" Ich leite die Verfahren so ein: Ich schreibe an die Sender und bitte um eine Kopie der Sendung. Und um Stellungnahme zu den Vorwürfen. Die Sendung wird dann von einem speziellen Büro für Beschwerden analysiert. "
Abmahnen kann sie die Sender. Zu Geldstrafen verurteilen. Zweimal traf es bis jetzt den Privat-Sender PolSat. Eine Ekel-Survival-Show sei ein Verstoß gegen die Menschenwürde, urteilte Kruk und verhängte eine Strafe von einer halben Million Zloty, umgerechnet rund 125.000 Euro.
" Die zweite Strafe gab es für den Auftritt einer Talk-Show, da wurden die Religionsrechte angegriffen und die Würde der Schwerbehinderten. "
Eine Feministin hatte sich über eine schwerbehinderte Moderatorin lustig gemacht, die für den erzkatholischen Sender Radio Maryja arbeitet. Wieder sollte der TV-Sender eine halbe Million Zloty zahlen. Der aber weigert sich bis heute.
In Daniel Odijas Roman "Das Sägewerk" kommt es bei einer Bauernversammlung zum Zusammentreffen zwischen Pasieka, dem Politiker, und Mysliwski, dem Oligarchen und Sägewerks-Besitzer. Zunächst werden Wodka und Würstchen gereicht, bis die Stimmung sich plötzlich wandelt. Und der Politiker die Bauern gegen den Sägewerks-Besitzer aufhetzt.
Keiner wagte es, sich auch nur das Fett von der Wurst abzuwischen, das übers Kinn tropfte, denn die Spannung zwischen Pasieka und Mysliwski hatte die Luft in massiven Fels verwandelt.
"Na, Józus!" sprühte Pasieka Speichel.
"Na, Jedrus!" zischte Mysliwski.
Jedrus nickte den Bauern zu.
"Auf den Dieb!" rief Jedrus voll Pathos. Doch keiner rührte sich. Nur ein nicht allzu großer Stein, von dem keiner wusste, woher er kam, beschrieb in der Luft einen weiten Bogen und landete dann, ganz langsam, als falle er auf den Grund des Meeres auf Mysliwskis Stirn. Eine rote Blume erblühte. Etwas rann Mysliwski in die Augen, der noch nicht begriffen hatte, was geschehen war. Sicher glaubte er, ein Vogel habe ihn angeschissen, doch als ihm das Blut in die Augen rann, wischte er mit der Hand drüber und sah, dass die Hand schmutzig war. Da verstand er.
Die Bauern stürzten sich auf ihn. Verzerrte, aufgedunsene Gesichter. Mysliwski riss sich los, ehe sie ihn umringen konnten, um ihn in den Asphalt zu treten. Er erreichte seinen Mercedes, und es gelang ihm, sich darin einzuschließen. Plattgedrückte Nasen auf der Windschutzscheibe. Ein Zahn hinterließ einen Kratzer im Lack.
Mysliwski begriff, dass sich etwas verändert hatte. Er hatte immer gedacht, es sei anders. Jetzt sah er, dass andere anders dachten.
In Lettlands Hauptstadt Riga wurden diesen Sommer Homosexuelle mit Fäkalien beworfen. In Russland müssen Schwule und Lesben sich als "Sodomisten" beschimpfen lassen. Und überall in Osteuropa werden Homosexuellen-Paraden verboten. Hass und Abwehr-Reaktionen sind weit verbreitet. Die meisten der ehemals sozialistischen Staaten stecken noch immer mitten im Umbruch, immer auf der Suche nach einer neuen und eigenen Identität. So auch in Polen, wo selbsternannte Moralwächter an höchster Stelle die Ressentiments gegen Schwule und Lesben schüren. Als der jetzige Staatspräsident Lech Kaczynski noch Bürgermeister von Warschau war, ließ er im Sommer 2005 eine entsprechende Parade verbieten, weil der Anblick von fröhlichen Lesben und Schwulen die Jugend gefährde. Dabei ist Homosexualität als Straftat-Bestand schon vor Jahren aus dem polnischen Gesetzbuch gestrichen worden.
Trotzdem führen Schwule und Lesben in Polen ein Leben, das sich weitgehend im Verborgenen abspielt. Und es gibt kaum Prominente, die sich outen. Dieses Jahr aber durfte in Warschau wenigstens der Christopher Street Day stattfinden.
Die Jagd wird schärfer
Lesben und Schwule unter Druck
Lesben und Schwule unter Druck
Von Anja Schrum
Robert Biedron eilt auf einen weinroten Kleinwagen zu. Die Zeit drängt. Gleich hat er einen Termin bei einer deutschen Stiftung, die auch die Homosexuellen in Polen unterstützt.
"Dieses Auto ist total kaputt", entschuldigt sich 30jährige und schließt die eingedellte Wagentür auf. Dann schiebt er den unverankerten Beifahrersitz nach vorne. Und läßt seine Gäste in den Fond krabbeln.
Robert gibt Gas. Steuert sein betagtes Gefährt durch den dichten Warschauer Berufsverkehr. Erzählt dabei von seinem Lebensgefährten. Bittet aber gleichzeitig, um Verschwiegenheit. Denn sein Freund arbeitet an exponierter Stelle.
Wenn sie herausfinden, dass er schwul ist, wird er Probleme bekommen, sagt Robert.
" Manche Leute glauben wirklich, dass es in Polen schlecht läuft wegen der Schwulen und Lesben, wegen der Juden oder wegen der EU. Natürlich hat die Regierung Unterstützer. Und auch Gegner. Die meisten aber interessieren sich einfach nicht dafür. Weil es sie nicht persönlich betrifft. "
Robert parkt das Auto in einer Seitenstraße. Blickt kurz in den Rückspiegel. Fährt sich durch das schwarz-graue Kurzhaar mit dem modischen Mini-Irokesen-Schnitt. Rückt den Kragen des hellbau-karierten Hemdes zurecht. Dann klettert er aus dem Kleinwagen. Im Laufen erzählt Robert von seinem Coming out: Ein junger Mann, der sich in ihn verliebt hatte, rief bei seiner ahnungslosen Mutter an und fragte, was er tun sollte. Meine Eltern waren natürlich schockiert, erinnert sich Robert. Ein halbes Jahr hörte er nichts von ihnen, dann kam eine Postkarte. Nun ist wieder alles, sagt er.
Im Büro der Stiftung. Robert muss ein paar Minuten warten. Er nutzt die kurze Verschnaufpause, um vom Alltag der Homosexuellen in Warschau zu erzählen:
" Ich kann es mir nicht erlauben, mit meinen Freund öffentlich Händchen zu halten, ihn zu küssen oder zu umarmen oder öffentlich über mein Schwulsein zu sprechen. Selbst ich persönlich, ich habe das Gefühl ich darf es nicht sagen, weil es gefährlich ist. "
Die Worte sprudeln aus Robert heraus. Seit ein paar Jahren ist der studierte Politologe Vorsitzender der "Kampagne gegen Homophobie". "Schwule und Lesben hatten es noch nie leicht in Polen", sagt Robert. Doch seit die national-konservative Regierung das Sagen hat, ist der Ton schärfer geworden.
" Mehr und mehr Leute rufen mir hinterher: Schwuchtel. Oder drohen mit Gewalt: sie wollen mich oder meine Mitstreiter schlagen. Diese hasserfüllte Sprache, die die Politik benutzt, hat Auswirkungen auf die Gesellschaft : Wenn zum Beispiel der normale Pole hört, dass unser Premierminister oder unser Präsident uns als Perverse beschimpft. Oder uns mit Tieren vergleicht, wie es ein Politiker getan hat. "
Die Politik greift Stereotypen auf, die ursprünglich von der katholischen Kirche kreiert wurden, sagt Robert. Die Kampagne gegen Homophobie aber möchte zeigen: Homosexuelle sind Menschen wie du und ich. Deshalb ist der Politologe auch der SLD beigetreten, den polnischen Sozialisten. Hat für den Sejm kandidiert. Allerdings vergeblich. Jetzt muss Robert aber los. "Wir sehen uns heut Abend", sagt er. Im Rasko.
Ein paar Stunden später, in einer Seitenstraße im Zentrum von Warschau. Ein unscheinbares Büro-Gebäude. Im Erdgeschoss rechts verspiegelte Fenster und eine Tür. Keine Leuchtreklame. Nichts. Nur ein kleines Schild, auf dem "RASKO" steht. Einer der wenigen Gay-Clubs in Warschau.
Das "Rasko" misst keine 100 Quadratmeter. Links die Bar. Dahinter eine winzige Bühne. Die Gäste an den Holztischen unterhalten sich. Zwei Drittel Männer, ein Drittel Frauen. Alle zwischen Anfang 20 und Mitte 30. An einem Barhocker lehnt Margozata und hält Händchen mit ihrer Freundin.
Meine Eltern haben mir geraten, unter dieser Regierung nicht zu sagen, dass ich homosexuell bin. Das würde mein ganzes Leben zerstören. Erzählt Margozata. Mihaul, ein Angestellter einer Fluglinie, führt die Attacken der Regierung auf Homosexuelle vor allem auf Unwissenheit zurück.
Ich möchte die Regierung nicht kritisieren, sagt Mihaul. Aber die Politiker haben einfach keine Ahnung. Sie kennen schlicht keine Homosexuellen. Sonst würden sie anders denken. Die Regierung nicht kritisieren? Robert Biedron steht neben Mihaul und lacht. Nein, ihr habt euch nicht verhört, sagt er. Viele Homosexuelle unterstützen diese Regierung. Dann berichtet er von einer Umfrage, die 2004 durchgeführt wurde, als Lech Kaczynski für das Warschauer Bürgermeister-Amt kandidierte. 65 Prozent der Homosexuellen sagten damals, sie wollten für Kaczynski stimmen.
" Das war eine ungewöhnliche Antwort. Also haben wir nach dem Grund gefragt: Die Antwort war: Das Verbot unserer Parade, oder dass sie uns beschimpfen - das ist nicht so wichtig. Wichtig ist uns die Ruhe auf den Straßen, die Sicherheit und so weiter. "
Robert zuckt mit den Achseln. Nicht nur die Gesellschaft hat Vorurteile. Auch viele Schwule und Lesben selbst glauben, sie leben in Sünde. So wie sie es von klein auf in der Kirche gehört haben.
Neben Irland hat Polen eines der strengsten Abtreibungsgesetze in der Europäischen Union. Vorehelicher Geschlechtsverkehr ist Sünde, so predigt die katholische Kirche, und das gleiche gilt für die Benutzung von Pille und Kondom. An den polnischen Schulen steht statt Aufklärung - seit jeher - das Fach "Familienausbildung" auf dem Lehrplan. Mit Familienplanung hat das nichts zu tun. Wohl aber mit der der allumfassenden geistig-moralischen Wende, die die Zwillingsbrüder Kaczynski sich auf ihre Fahne geschrieben haben. Und die schlägt sich nieder bis in die Keimzelle der Gesellschaft, also die Familie.
Ehrenamtliche Aufklärer versuchen aber mittlerweile gegenzusteuern, und zumindest Wissens-Lücken zu schließen. Zum Beispiel über Verhütungsmöglichkeiten. Trotzdem wird die Arbeit für sie immer schwieriger.
Robert Biedron eilt auf einen weinroten Kleinwagen zu. Die Zeit drängt. Gleich hat er einen Termin bei einer deutschen Stiftung, die auch die Homosexuellen in Polen unterstützt.
"Dieses Auto ist total kaputt", entschuldigt sich 30jährige und schließt die eingedellte Wagentür auf. Dann schiebt er den unverankerten Beifahrersitz nach vorne. Und läßt seine Gäste in den Fond krabbeln.
Robert gibt Gas. Steuert sein betagtes Gefährt durch den dichten Warschauer Berufsverkehr. Erzählt dabei von seinem Lebensgefährten. Bittet aber gleichzeitig, um Verschwiegenheit. Denn sein Freund arbeitet an exponierter Stelle.
Wenn sie herausfinden, dass er schwul ist, wird er Probleme bekommen, sagt Robert.
" Manche Leute glauben wirklich, dass es in Polen schlecht läuft wegen der Schwulen und Lesben, wegen der Juden oder wegen der EU. Natürlich hat die Regierung Unterstützer. Und auch Gegner. Die meisten aber interessieren sich einfach nicht dafür. Weil es sie nicht persönlich betrifft. "
Robert parkt das Auto in einer Seitenstraße. Blickt kurz in den Rückspiegel. Fährt sich durch das schwarz-graue Kurzhaar mit dem modischen Mini-Irokesen-Schnitt. Rückt den Kragen des hellbau-karierten Hemdes zurecht. Dann klettert er aus dem Kleinwagen. Im Laufen erzählt Robert von seinem Coming out: Ein junger Mann, der sich in ihn verliebt hatte, rief bei seiner ahnungslosen Mutter an und fragte, was er tun sollte. Meine Eltern waren natürlich schockiert, erinnert sich Robert. Ein halbes Jahr hörte er nichts von ihnen, dann kam eine Postkarte. Nun ist wieder alles, sagt er.
Im Büro der Stiftung. Robert muss ein paar Minuten warten. Er nutzt die kurze Verschnaufpause, um vom Alltag der Homosexuellen in Warschau zu erzählen:
" Ich kann es mir nicht erlauben, mit meinen Freund öffentlich Händchen zu halten, ihn zu küssen oder zu umarmen oder öffentlich über mein Schwulsein zu sprechen. Selbst ich persönlich, ich habe das Gefühl ich darf es nicht sagen, weil es gefährlich ist. "
Die Worte sprudeln aus Robert heraus. Seit ein paar Jahren ist der studierte Politologe Vorsitzender der "Kampagne gegen Homophobie". "Schwule und Lesben hatten es noch nie leicht in Polen", sagt Robert. Doch seit die national-konservative Regierung das Sagen hat, ist der Ton schärfer geworden.
" Mehr und mehr Leute rufen mir hinterher: Schwuchtel. Oder drohen mit Gewalt: sie wollen mich oder meine Mitstreiter schlagen. Diese hasserfüllte Sprache, die die Politik benutzt, hat Auswirkungen auf die Gesellschaft : Wenn zum Beispiel der normale Pole hört, dass unser Premierminister oder unser Präsident uns als Perverse beschimpft. Oder uns mit Tieren vergleicht, wie es ein Politiker getan hat. "
Die Politik greift Stereotypen auf, die ursprünglich von der katholischen Kirche kreiert wurden, sagt Robert. Die Kampagne gegen Homophobie aber möchte zeigen: Homosexuelle sind Menschen wie du und ich. Deshalb ist der Politologe auch der SLD beigetreten, den polnischen Sozialisten. Hat für den Sejm kandidiert. Allerdings vergeblich. Jetzt muss Robert aber los. "Wir sehen uns heut Abend", sagt er. Im Rasko.
Ein paar Stunden später, in einer Seitenstraße im Zentrum von Warschau. Ein unscheinbares Büro-Gebäude. Im Erdgeschoss rechts verspiegelte Fenster und eine Tür. Keine Leuchtreklame. Nichts. Nur ein kleines Schild, auf dem "RASKO" steht. Einer der wenigen Gay-Clubs in Warschau.
Das "Rasko" misst keine 100 Quadratmeter. Links die Bar. Dahinter eine winzige Bühne. Die Gäste an den Holztischen unterhalten sich. Zwei Drittel Männer, ein Drittel Frauen. Alle zwischen Anfang 20 und Mitte 30. An einem Barhocker lehnt Margozata und hält Händchen mit ihrer Freundin.
Meine Eltern haben mir geraten, unter dieser Regierung nicht zu sagen, dass ich homosexuell bin. Das würde mein ganzes Leben zerstören. Erzählt Margozata. Mihaul, ein Angestellter einer Fluglinie, führt die Attacken der Regierung auf Homosexuelle vor allem auf Unwissenheit zurück.
Ich möchte die Regierung nicht kritisieren, sagt Mihaul. Aber die Politiker haben einfach keine Ahnung. Sie kennen schlicht keine Homosexuellen. Sonst würden sie anders denken. Die Regierung nicht kritisieren? Robert Biedron steht neben Mihaul und lacht. Nein, ihr habt euch nicht verhört, sagt er. Viele Homosexuelle unterstützen diese Regierung. Dann berichtet er von einer Umfrage, die 2004 durchgeführt wurde, als Lech Kaczynski für das Warschauer Bürgermeister-Amt kandidierte. 65 Prozent der Homosexuellen sagten damals, sie wollten für Kaczynski stimmen.
" Das war eine ungewöhnliche Antwort. Also haben wir nach dem Grund gefragt: Die Antwort war: Das Verbot unserer Parade, oder dass sie uns beschimpfen - das ist nicht so wichtig. Wichtig ist uns die Ruhe auf den Straßen, die Sicherheit und so weiter. "
Robert zuckt mit den Achseln. Nicht nur die Gesellschaft hat Vorurteile. Auch viele Schwule und Lesben selbst glauben, sie leben in Sünde. So wie sie es von klein auf in der Kirche gehört haben.
Neben Irland hat Polen eines der strengsten Abtreibungsgesetze in der Europäischen Union. Vorehelicher Geschlechtsverkehr ist Sünde, so predigt die katholische Kirche, und das gleiche gilt für die Benutzung von Pille und Kondom. An den polnischen Schulen steht statt Aufklärung - seit jeher - das Fach "Familienausbildung" auf dem Lehrplan. Mit Familienplanung hat das nichts zu tun. Wohl aber mit der der allumfassenden geistig-moralischen Wende, die die Zwillingsbrüder Kaczynski sich auf ihre Fahne geschrieben haben. Und die schlägt sich nieder bis in die Keimzelle der Gesellschaft, also die Familie.
Ehrenamtliche Aufklärer versuchen aber mittlerweile gegenzusteuern, und zumindest Wissens-Lücken zu schließen. Zum Beispiel über Verhütungsmöglichkeiten. Trotzdem wird die Arbeit für sie immer schwieriger.
Aufklären und verhüten
Ein EU-finanziertes Projekt unterstützt Jugendliche
Ein EU-finanziertes Projekt unterstützt Jugendliche
Von Ernst-Ludwig v. Aster
In der Ferne rufen die Kirchenglocken zum Abendgebet, es ist kurz vor 18.00 Uhr. Anja eilt die Straße entlang. An den kleinen Elektroläden vorbei, den Stehcafes, den Sexshops. Die Mittzwanzigerin steuert auf eine schwere grüne Metalltür im Erdgeschoss eines Wohnblocks zu, drückt links auf eine unscheinbare Klingel.
Ola öffnet. Dunkle Haare, nach hinten zum Dutt gebunden, braune Augen, im rechten Nasenflügel funkelt ein kleiner Stecker. Kurze Begrüßung, die beiden Mittzwanzigerinnen kennen sich schon lange.
Anja stellt ihre Tasche in die Ecke, am großen Tisch sitzen schon Marta und Alina, blättern durch Papierstapel. Die sind nach Themengebieten aufgefächert: Zwischenberichte einer AIDS-Konferenz.
An den Wänden hängen Poster. In den Regalen: Bücher, hunderte von Studien: Gesundheitsberichte, Statistiken. Zu HIV, Geschlechtskrankheiten, Sexualaufklärung, Abtreibung. Vor dem Konferenztisch eine Pinnwand mit aktuellen Medien-Meldungen: "Gesundheitsminister gegen kostenfreie Abgabe von Verhütungsmitteln" steht da. Anja schüttelt den Kopf
" Ich studiere Geburtshilfe und ich bin erschrocken darüber, wie die jungen Hebammen ausgebildet werden. Die erfahren nichts über Verhütungsmethoden. Höchstens etwas über die natürliche Verhütung. Meine Arbeit hier ist eine Form des Protestes dagegen. "
Anjas Protest ist ihre Arbeit bei "Ponton". "Ponton" - das bedeutet soviel wie Rettungsring. Ein EU-finanziertes Projekt zur Sexualaufklärung. Ein Angebot für Teenager. Für Jugendgruppen und Schulen. In denen Aufklärung allzu selten auf dem Lehrplan steht...
" Bei uns kam ein Vertreter eines Slipeinlagen-Herstellers und sagte zu uns Mädchen: Ihr kriegt eure Tage. Und da nehmt ihr am besten unsere Produkte. Das war mir ein bisschen peinlich. "
Ola lächelt als sie das erzählt. Aufklärung vom Vertreter. Sexualkunde zum Selbstlesen. So war das, als sie zur Schule ging. Ola studiert Pädagogik, dann Gender Studies, macht schließlich ein Praktikum bei Ponton. Schnell merkt sie, dass sich in Sachen Sexualkunde in der Schule nicht viel geändert hat. Anatomie steht auf dem Lehrplan, nicht Aufklärung. Familien-Planung nicht Verhütung
" Es gibt Biologie-Unterricht, da werden Auszüge aus der Sexualkunde unterrichtet. Ein bisschen Anatomie, ein bisschen Physiologie. Biologie ist ein sehr breit angelegtes Fach. Da hängt vieles vom Lehrer ab: Wie viel möchte er über Verhütung erzählen. Oft erzählt er nur über natürliche Methoden, und sehr oft wird auch gar nichts erzählt. "
Glaubensfragen, Schamgefühle - all das reduziert oft die Sexualkunde im Unterricht auf das Unverfänglichste. Unnötigste. Ola und ihre Kolleginnen rufen die Schulen an, bieten kostenfreie Aufklärung an. Wenn die Direktoren zustimmen kommen zwei Ponton-Mitarbeiter in den Unterricht. Die Lehrer bleiben draußen, drinnen dürfen Schüler und Schülerinnen fragen, was sie auf dem Herzen haben. Mit Holzpenis und Kondomen üben.
" Am Anfang sind die Jugendlichen ein bisschen zurückhaltend, aber das ist verständlich, weil mit ihnen in der Schule nicht viel über das Thema gesprochen wird. Zuhause auch nicht. Wenn man dann ganz normal erzählt, dann sind sie begeistert. Wenn wir wieder kommen, sagen sie, da kommen die "Sex-Frauen". "
Ola geht ins Nebenzimmer, Dutzende Pakete in Packpapier stapeln sich an der Wand. Aufklärungsbroschüren, Kontakt-Flyer. Die Uhr auf dem kleinen Tisch ist stehen geblieben. Davor liegt eine alte Frauenzeitschrift. "Pani domu" heißt die: "Frau des Hauses"
Ola greift zu einem grünen Plastikhefter. Anfragen mal per Mail, mal per Fax. Vor allem männlichen Teenagern fehlen heute die Ansprechpartner", sagt Ola.
" Die Jungs haben viele Fragen zum Thema Selbstbefriedigung. Denn hier bei uns gibt es Lehrbücher, die vom Bildungsministerium zugelassen sind, da steht drin, dass Selbstbefriedigung zur Unfruchtbarkeit führt. "
Alina kommt herein, einen Ordner in der Hand. Mit Anfragen von Schulen.
" Die Direktoren haben Angst bekommen, sie sind vorsichtig geworden. Normalerweise finden sie es gut, was wir machen. Aber jetzt haben sie Angst um ihren Job, fürchten die Konsequenzen. An einer Schule, wurden nach der Ernennung des neuen Bildungsministers, unsere Besuche gestrichen. "
Ola nickt. Das Klima ändert sich. Langsam. Aber spürbar. Die Zeiten werden härter für die sexuellen Aufklärer in der 4. Republik. Vor einigen Wochen erst hat sie auf einer Konferenz einen Abgeordneten der Partei "Recht und Gerechtigkeit" getroffen. Es ging um das Thema "Meinungsfreiheit"
Der sagte auf der Konferenz: Wenn er wüsste, dass in seiner Heimatstadt so eine Organisation wie Ponton arbeitet und ein Direktor diesen Unterricht zulassen würde, dann würde er für dessen Entlassung sorgen. Für mich ist das eine Drohung. Aber wir haben keine Angst. Von einer Drohung bis zur Ausführung ist es ein weiter Weg.
Literatur
Daniel Odija, Das Sägewerk, Paul Zsolnay Verlag. Wien: 2006. Aus dem Polnischen von Martin Pollack
In der Ferne rufen die Kirchenglocken zum Abendgebet, es ist kurz vor 18.00 Uhr. Anja eilt die Straße entlang. An den kleinen Elektroläden vorbei, den Stehcafes, den Sexshops. Die Mittzwanzigerin steuert auf eine schwere grüne Metalltür im Erdgeschoss eines Wohnblocks zu, drückt links auf eine unscheinbare Klingel.
Ola öffnet. Dunkle Haare, nach hinten zum Dutt gebunden, braune Augen, im rechten Nasenflügel funkelt ein kleiner Stecker. Kurze Begrüßung, die beiden Mittzwanzigerinnen kennen sich schon lange.
Anja stellt ihre Tasche in die Ecke, am großen Tisch sitzen schon Marta und Alina, blättern durch Papierstapel. Die sind nach Themengebieten aufgefächert: Zwischenberichte einer AIDS-Konferenz.
An den Wänden hängen Poster. In den Regalen: Bücher, hunderte von Studien: Gesundheitsberichte, Statistiken. Zu HIV, Geschlechtskrankheiten, Sexualaufklärung, Abtreibung. Vor dem Konferenztisch eine Pinnwand mit aktuellen Medien-Meldungen: "Gesundheitsminister gegen kostenfreie Abgabe von Verhütungsmitteln" steht da. Anja schüttelt den Kopf
" Ich studiere Geburtshilfe und ich bin erschrocken darüber, wie die jungen Hebammen ausgebildet werden. Die erfahren nichts über Verhütungsmethoden. Höchstens etwas über die natürliche Verhütung. Meine Arbeit hier ist eine Form des Protestes dagegen. "
Anjas Protest ist ihre Arbeit bei "Ponton". "Ponton" - das bedeutet soviel wie Rettungsring. Ein EU-finanziertes Projekt zur Sexualaufklärung. Ein Angebot für Teenager. Für Jugendgruppen und Schulen. In denen Aufklärung allzu selten auf dem Lehrplan steht...
" Bei uns kam ein Vertreter eines Slipeinlagen-Herstellers und sagte zu uns Mädchen: Ihr kriegt eure Tage. Und da nehmt ihr am besten unsere Produkte. Das war mir ein bisschen peinlich. "
Ola lächelt als sie das erzählt. Aufklärung vom Vertreter. Sexualkunde zum Selbstlesen. So war das, als sie zur Schule ging. Ola studiert Pädagogik, dann Gender Studies, macht schließlich ein Praktikum bei Ponton. Schnell merkt sie, dass sich in Sachen Sexualkunde in der Schule nicht viel geändert hat. Anatomie steht auf dem Lehrplan, nicht Aufklärung. Familien-Planung nicht Verhütung
" Es gibt Biologie-Unterricht, da werden Auszüge aus der Sexualkunde unterrichtet. Ein bisschen Anatomie, ein bisschen Physiologie. Biologie ist ein sehr breit angelegtes Fach. Da hängt vieles vom Lehrer ab: Wie viel möchte er über Verhütung erzählen. Oft erzählt er nur über natürliche Methoden, und sehr oft wird auch gar nichts erzählt. "
Glaubensfragen, Schamgefühle - all das reduziert oft die Sexualkunde im Unterricht auf das Unverfänglichste. Unnötigste. Ola und ihre Kolleginnen rufen die Schulen an, bieten kostenfreie Aufklärung an. Wenn die Direktoren zustimmen kommen zwei Ponton-Mitarbeiter in den Unterricht. Die Lehrer bleiben draußen, drinnen dürfen Schüler und Schülerinnen fragen, was sie auf dem Herzen haben. Mit Holzpenis und Kondomen üben.
" Am Anfang sind die Jugendlichen ein bisschen zurückhaltend, aber das ist verständlich, weil mit ihnen in der Schule nicht viel über das Thema gesprochen wird. Zuhause auch nicht. Wenn man dann ganz normal erzählt, dann sind sie begeistert. Wenn wir wieder kommen, sagen sie, da kommen die "Sex-Frauen". "
Ola geht ins Nebenzimmer, Dutzende Pakete in Packpapier stapeln sich an der Wand. Aufklärungsbroschüren, Kontakt-Flyer. Die Uhr auf dem kleinen Tisch ist stehen geblieben. Davor liegt eine alte Frauenzeitschrift. "Pani domu" heißt die: "Frau des Hauses"
Ola greift zu einem grünen Plastikhefter. Anfragen mal per Mail, mal per Fax. Vor allem männlichen Teenagern fehlen heute die Ansprechpartner", sagt Ola.
" Die Jungs haben viele Fragen zum Thema Selbstbefriedigung. Denn hier bei uns gibt es Lehrbücher, die vom Bildungsministerium zugelassen sind, da steht drin, dass Selbstbefriedigung zur Unfruchtbarkeit führt. "
Alina kommt herein, einen Ordner in der Hand. Mit Anfragen von Schulen.
" Die Direktoren haben Angst bekommen, sie sind vorsichtig geworden. Normalerweise finden sie es gut, was wir machen. Aber jetzt haben sie Angst um ihren Job, fürchten die Konsequenzen. An einer Schule, wurden nach der Ernennung des neuen Bildungsministers, unsere Besuche gestrichen. "
Ola nickt. Das Klima ändert sich. Langsam. Aber spürbar. Die Zeiten werden härter für die sexuellen Aufklärer in der 4. Republik. Vor einigen Wochen erst hat sie auf einer Konferenz einen Abgeordneten der Partei "Recht und Gerechtigkeit" getroffen. Es ging um das Thema "Meinungsfreiheit"
Der sagte auf der Konferenz: Wenn er wüsste, dass in seiner Heimatstadt so eine Organisation wie Ponton arbeitet und ein Direktor diesen Unterricht zulassen würde, dann würde er für dessen Entlassung sorgen. Für mich ist das eine Drohung. Aber wir haben keine Angst. Von einer Drohung bis zur Ausführung ist es ein weiter Weg.
Literatur
Daniel Odija, Das Sägewerk, Paul Zsolnay Verlag. Wien: 2006. Aus dem Polnischen von Martin Pollack