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Von Rhetorik bis zum Protokoll

Jedes Jahr versuchen rund 1500 junge Deutsche das Auswahlverfahren des Auswärtigen Dienstes zu knacken, um die erste Hürde des Weges zum Diplomaten-Dasein zu nehmen. Darauf folgen 14 Monate straffes Programm.

Von Franziska Rattei |
    Um einen ovalen Tisch sitzen fünf junge Leute: drei Männer in dunklem Anzug, mit weißem Hemd und Krawatte, zwei Frauen in dunklem Kleid und Rock. Alle Anfang dreißig. Die fünf stützen sich mit den Ellbogen am Tisch auf, beugen sich über eine DIN A4 große Magnet-Tafel. Darauf aufgedruckt: ein ovaler Tisch mit 14 Sitz-Plätzen. Die Aufgabe: ein sogenanntes "Placement", eine Sitzordnung, entwickeln. Der deutsche Botschafter in Kingston, Jamaika, gibt sich die Ehre und lädt zu einem wichtigen Essen ein.

    Die fünf angehenden Attachés müssen entscheiden: welche Gäste haben ähnliche Interessen, über welche Themen könnten sie miteinanander sprechen, sprechen sie überhaupt dieselbe Sprache? Das Abendessen des Botschafters organisieren: solche Aufgaben könnten in Zukunft auf die jungen Diplomaten zukommen.

    Um für ihren zukünftigen Job gerüstet zu sein, durchläuft die 35-köpfige Attaché-Crew eine ausführliche Ausbildung. 14 Monate lang schult der der Auswärtige Dienst seine künftigen Diplomaten . Dabei stehen ganz unterschiedliche Fächer und Themenblöcke auf dem Stundenplan. Fünf Tage die Woche sitzen die Attachés in Seminaren zu Völkerrecht, Geschichte, Politik und Volkswirtschaftslehre. Sie bekommen Medien- und Rheotrik-Training.
    Der heutige Tag, an dem sich alles ums "Protokoll" dreht, ist eine Ausnahme.
    "Würde ich jetzt im Ausland ein Essen machen, würde ich da versuchen auch was mit deutschem Einschlag wenigstens anzubieten oder muss man da quasi eher auf die Essgewohnheiten der Leute vor Ort Rücksicht nehmen?""

    Vielleicht muss sich Yvonne Nasshoven, eine Attachée, solche Fragen während ihres ersten Postens auch stellen. Vor kurzem hat sie den Bescheid bekommen: ab Sommer wird sie in Afghanistan, in der deutschen Botschaft in Kabul arbeiten. Allerdings: "champagnerschwingende Empfänge" werden dort kaum auf der Tagesordnung stehen, meint sie:

    "Ich glaub, man sollte sich schon im Klaren darüber sein, dass es ein besonderer Posten ist. Also man kann abends eben mal nicht eben ins Theater oder ins Konzert gehen oder ähnliches. Das sind natürlich schon Dinge, auf die man sich einstellen muss."
    Yvonne Nasshoven ist 30 Jahre alt. Das, was sie in ihrem Leben bisher schon geschafft hat, könnte aber auch leicht 40 Jahre füllen. Studierte und bald promovierte Politikwissenschaftlerin, Verwaltungswissenschaftlerin, Historikerin. Berufserfahrungen als Forschungsassistentin. Stellvertretende Generalsekretärin und Geschäftsführerin eines transeuropäischen Forschungsnetzwerks.

    Ausbildungsleiterin Sabine Stöhr war selber einmal Attachée, später dann Diplomatin, unter anderem in Kiew und Wien. Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass die Bewerbungsvoraussetzungen für den höheren auswärtigen Dienst schon immer hoch waren, aber die Bewerber von heute unterscheiden sich von denen der letzten Jahrzehnte, sagt sie:

    "Ich glaube schon, dass die allgemeine Auslandserfahrung und die Auslandskompetenz der heutigen Bewerber und damit auch der heutigen Attachées zugenommen hat. Es ist auch viel üblicher, Praktika gemacht zu haben in den verschiedensten Bereichen, sich in unterschiedlichen Bereichen einmal umgesehen zu haben bevor man sich für den Beruf entscheidet."

    Jeder Attaché hat eine anderen Werdegang. Aber ein abgeschlossenes Hochstudium müssen sie alle vorweisen können. Dazu: sehr gute Fremdsprachen-Kenntnisse und viel Motivation für ihren Beruf. Denn: "Diplomat sein"ist anstrengend, sagt Ausbildungsleiterin Sabine Stöhr. Die häufigen Ortswechsel, sich immer wieder an eine neue Stadt, ein neues Land, neue Freunde und Kollegen gewöhnen - das ist Problem und Herausforderung zugleich:

    "Der Reiz des Berufes ist, dass man die Chance hat, alle drei Jahre umzuziehen und etwas Neues kennenzulernen. Darauf ist auch unser Auswahl-Verfahren im mündlichen Teil ausgelegt: zu testen: wollen die Leute das wirklich, wissen sie, worauf sie sich einlassen, überwiegt der Reiz die Schwierigkeiten? Und ich glaube, genau das ist es, was man mitbringen muss."

    Jedes Jahr bewerben sich rund 2000 junge Deutsche für die Ausbildung im höheren auswärtigen Dienst. Yvonne Nasshoven hat das lange Auswahlverfahren überstanden. Mit 34 anderen ist sie übrig geblieben und überzeugt, dass der Beruf und die Lebenseinstellung "Diplomatin sein" das Richtige für sie ist:

    "Es ist ja doch ein Prozess, der sich über einige Monate hinzieht. Und insofern, als die Zusage dann letzen Endes kam, habe ich mich drüber gefreut und war mir dann im Zuge der Monate auch darüber klar geworden, dass es das ist, was ich jetzt ausprobieren möchte."