Manfred von Richthofen: Nun, es waren großartige Spiele am Ort der olympischen Geburt, und ich glaube, dass die Aktiven auch größtenteils mit großer Freude an diesen Spielen teilgenommen haben. Sie sind halt dann enttäuscht, wenn ihre Erwartungen nicht in Erfüllung gingen.
Fischer-Solms: Und die Stimmung?
von Richthofen: Die Stimmung, meine ich, war gut, wenn man auch festgestellt hat - und viele haben das auch beanstandet -, dass bei bestimmten Sportarten die Tribünen nicht so gefüllt waren wie in anderen olympischen Städten. Zu beanstanden gibt es eigentlich nur, dass Gefühle jetzt durchgebrochen sind bei den Griechen, die vielleicht nicht unbedingt notwendig waren, der Öffentlichkeit so deutlich zu zeigen - nämlich ihre Verbindung zu den gedopten Sportlern.
Fischer-Solms: Die Welt, auch die politische, scheint ja, wenn Olympische Spiele stattfinden, für zwei Wochen inne zu halten. Alles schaut dann nach Olympia. Worin liegt eigentlich die Faszination nach wie vor der Olympischen Spiele für Sie?
von Richthofen: Die Faszination liegt natürlich in dem Treffen aller Nationen an dem Ort des olympischen Geschehens. Und ich glaube auch, dass weitgehend die Friedlichkeit beeindruckt in einer Welt, die man ja weiß Gott nicht friedlich nennen kann, auch wenn es die eine oder andere Missstimmung wieder gab zwischen Iran und Israel - etwas, wo man wohl Schwierigkeiten hat, über die Hürden zu springen und den olympischen Gedanken in den Vordergrund zu stellen. Aber hier ist der politische Einfluss eben so stark, dass auch der olympische Geist da nicht weiter hilft. Nein, es hat eine Faszination, dass sich die Nationen aller Welt friedlich treffen.
Fischer-Solms: Herr von Richthofen, wie wichtig sind Sportmedaillen für ein Land, für einen Staat?
von Richthofen: Sie sind außerordentlich wichtig, und hauptsächlich die so genannten noch unterentwickelten Länder legen ganz großen Wert auf Sportmedaillen, weil sie sich natürlich in der Öffentlichkeit, in der breiten Weltöffentlichkeit, dadurch präsentieren können als ein erfolgreiches Land. Wenn Sie daran denken, dass die kommunistischen Staaten ja mit diesen Medaillen auch Politik gemacht haben, wenn man also weiß, wie die staatliche Vorbereitung in kommunistischen, aber auch in anderen totalitären Staaten durchgeführt worden ist - denken Sie nur auch an die NS-Zeit -, dann wollte man mit den Medaillen, mit dem Spitzensport, mit den herausragenden Athletinnen und Athleten, Politik machen und die ganze Welt auf sich aufmerksam machen: Welch tüchtige Menschen habe ich, welche erfolgreichen Menschen, und zu welchen ungeheuren Leistungen sind unsere Bürger fähig. Dieses ist ein erklärtes Ziel. Ich meine, bei einem friedlichen Miteinander, das wir nunmehr haben, zählt aber dennoch auch der Erfolg. Denn es will niemand Letzter sein, und es will jeder sich in dem Medaillensegen sonnen - die Politik ganz, ganz vorne, und zwar auch in den so genannten kapitalistischen Staaten.
Fischer-Solms: Sie wollen also sagen, Olympiamedaillen sagen schon etwas aus über die Leistungsfähigkeit eines politischen Systems?
von Richthofen: Zumindest meint man es, und die meisten Bürger registrieren dieses auch als ein solches. Es wird immer gesagt: Ihr seid eben tüchtig, weil Ihr viele Medaillen errungen habt. Oder wir kriegen ja auch jetzt die eine oder andere Zuschrift und den Anruf: Was seid Ihr eigentlich für Flaschen, dass Ihr in bestimmten Sportarten so schlecht abschneidet? Auch das meinen unsere Bürger, und das sollte man also auch deutlich machen. Alleine die Reaktion auf die Nichtanerkennung der Medaillen der Vielseitigkeits-Reiterinnen und Reiter zeigt ja schon, wie unsere Mitbürger an diesen Medaillen hängen, welchen Wert sie denen zumessen, und ich finde das an und für sich auch ein gutes Zeichen.
Fischer-Solms: Aber wie sieht das der Präsident des Deutschen Sportbundes persönlich? Teilen Sie die Kritik an dem unbefriedigenden Medaillenaufkommen der deutschen Olympiamannschaft?
von Richthofen: Ja. Wir haben doch zu registrieren, dass wir in einigen Sportarten ganz hervorragend abgeschnitten haben, zum Teil entgegen der Prognose der Experten - das freut mich immer besonders: Wenn ich zum Beispiel an Judo denke, unsere Judokas haben großartig abgeschnitten. Wenn ich an die Reiter denke, waren alle Experten der Meinung, es würde sehr gut laufen. Wenn ich an die Wassersportarten denke, denen man ja ein sehr gutes Abschneiden zugebilligt hat, dann muss man schon sehr stark differenzieren - Kanu außerordentlich erfolgreich, Rudern hielt noch gut mit, Segeln totaler Ausfall, Schwimmen hat größte Schwierigkeiten gehabt in Athen - also ich glaube schon, dass wir auch sehr eng verbunden sind mit dem Ergebnis. Und der Ruf: "Nun strengt Euch mal in bestimmten Sportarten stärker an" wird nach den Spielen lauter als vor den Spielen.
Fischer-Solms: Die Schwimmfunktionäre haben sich ja auch schon über Sie beklagt, über Ihre Kritik aus der Etappe heraus.
von Richthofen: Auch das kann mich überhaupt nicht stören, und ich wiederhole das alles gerne, auch bei der Auswertung. Ich glaube, man muss auch mit Kritik leben können, wenn es nicht so klappte. Aber sie haben ja erfreulicherweise eine ganze Reihe von Gegenbeweisen: Wenn ich an meine Sportart Hockey denke, dann hat also kein Mensch darauf getippt, dass die Frauen-Nationalmannschaft eine Medaillenchance hätte. Und dennoch ist der große Einsatz dieser Mannschaft belohnt worden mit der Goldmedaille. Daran sieht man, dass - auch bei dem einen oder anderen technischen Mangel, den man gegenüber dem Endspielgegner hatte - der Kampf und der Einsatz und der Wille eben doch entscheidend sind. Ich denke nur an Rehagels großartige griechische Mannschaft bei der Fußball-Europameisterschaft, das war in etwa ein Spiegelbild.
Fischer-Solms: Hatten Sie die Hoffnung bzw. die Auffassung der Experten vom Bundesvorstand Leistungssport geteilt, dass Deutschland auch bei diesen Spielen wieder in der Nationenwertung Rang drei würde einnehmen können?
von Richthofen: Das ganze Präsidium des Deutschen Sportbundes hat sich gefügt der Auffassung des Bundesvorstandes Leistungssport, wo ja unsere Experten sitzen, das muss man einmal mehr sagen, nämlich die der Profis und der Amateure, die sich mit dem Spitzensport beschäftigen. Sie haben gesagt, es muss das Ziel dritter Platz vorgegeben werden, und dieses Ziel sei auch zu erreichen. Es gab daran sicher die eine oder andere Kritik und das eine oder andere Fragezeichen, aber ich finde es gut, dass man sich der Meinung der Experten anschließt. Heute weiß man, dass sie einige Fehlrechnungen aufgemacht hatten. Und das betrifft in erster Linie auch wiederum China, das betrifft Japan, es betrifft das Abschneiden von Australien, es betrifft letzthin auch das Abschneiden von Russland. All dieses hat man so nicht eingeschätzt, und man hat natürlich einigen Sportarten von uns, so zum Beispiel den Schwimmern, ungleich mehr zugetraut.
Fischer-Solms: Auch vor den heutigen letzten Medaillenentscheidungen ist klar, USA und China sind die führenden Sportnationen derzeit, dahinter überraschend stark Australien, Japan, auch Frankreich. Würden Sie Deutschland unter 'ferner liefen' bezeichnen?
von Richthofen: Nein, das in keinem Fall. Und Sie wissen ja, dass die Ergebnisse in der Spitze auch teilweise ganz knapp waren. Ich ziehe also meinen Hut vor all denjenigen, die persönliche Bestleistungen erbracht haben und hauptsächlich vor denen, die in den Endkämpfen waren. Aber es gibt einige, die in den Vorrunden ausgeschieden sind, wo man sich schon fragen muss: Hat man da richtig nominiert oder hat man die Athleten nicht so vorbereitet, wie es nötig gewesen wäre? Es ist eigentlich alles nach exzellenten Plänen vor den Spielen geschehen, und an der finanziellen Unterstützung und auch den Trainingslagern kann es in keinem Fall liegen. Dennoch kann man methodisch von Seiten der Trainerschaft Fehler gemacht haben. Das muss man jetzt genau analysieren. Einige Hinweise gibt es. Und ich sage wiederum voller Respekt: Mir hat am besten die Aussage des Trainers von Franziska van Almsick gefallen, Herrn Warnatsch, der meint, dass entscheidende Fehler in der Trainerschaft geschehen sind. Jetzt gelte es im einzelnen, dieses noch zu klären, aber er könne sich da schon festlegen. Und über eine solche Selbstkritik ist man froh und dankbar, denn das ist die Basis, um das nächste Mal alles besser zu machen.
Fischer-Solms: Also, unter dem Strich ist festzustellen: Das Abschneiden der deutschen Mannschaft ist für Sie schon enttäuschend. Es sind also Konsequenzen zu ziehen, welche?
von Richthofen: Ich muss noch einmal richtig stellen: Das Abschneiden der Mannschaft ist teilweise hervorragend und teilweise enttäuschend. Konsequenzen sind zu ziehen, nachdem die Analysen vorliegen - dass man das Ziel in Zukunft wohl verändern muss. Wir müssen mit Abstand die beste Nation in Europa darstellen. Ich glaube, dass wir auf absehbare Zeit keine Möglichkeit haben, an die Leistungen der Vereinigten Staaten heranzukommen und auch nicht an China. Wir werden schon große Schwierigkeiten haben mit Australien, aber wir müssen in Europa die Nummer Eins sein.
Fischer-Solms: Vor Russland?
von Richthofen: Russland hat sich ja sehr stark verändert durch den Zerfall der UdSSR und ist eben wirklich mit der alten sowjetischen Mannschaft nicht zu vergleichen. Insofern sage ich: Wir müssen die stärkste Mannschaft in Europa sein. Das ist auch ein einleuchtendes Ziel für die Aktiven, meine ich. Und wir haben natürlich eine gründliche Analyse durchzuführen, dieses sagte ich schon, und die besteht natürlich darin, zu überprüfen, ob so viele Bundesstützpunkte nötig sind. Sind solche gewaltigen Kaderzahlen nötig? Ist es nicht an der Zeit, vielleicht die Kaderzahlen zu reduzieren? Ist es noch vertretbar, dass wir in Sportarten, die nicht dicht besiedelt sind, nicht zu einer Konzentration kommen? Müssen wir nicht eine noch intensivere Nachwuchsarbeit in Bezug auf die Eliteschulen betreiben? Ich glaube, dass einmal mehr der Nachweis erbracht worden ist, dass eine ganze Reihe von Eliteschülern, speziell in den neuen Bundesländern, jetzt die Medaillen eingefahren haben. Es sind ja nicht mehr die alten Kader, die wir noch übernehmen konnten aus dem System der DDR. Und da gibt es einen gewaltigen Nachholbedarf noch in den westlichen Ländern. Einiges, was sich da 'Eliteschulen' nennt oder wo die Kultusminister sich mit diesem Begriff schmücken, sind keine vergleichbaren Eliteschulen zu denen, die wir teilweise jetzt in den neuen Ländern, teilweise auch schon in Baden-Württemberg, in Bayern und in Hessen haben. Hier muss ein Umdenken stattfinden. Wir werden nur durch diese systematische Talentförderung in den Eliteschulen in Zukunft weiterkommen.
Fischer-Solms: Aber die Spitzensport-Förderung in Deutschland ist ja zerfleddert. Wir haben den Deutschen Sportbund, wir haben das Nationale Olympische Komitee, wir haben die Landesleistungs-Sportausschüsse, wir haben die Stiftung Deutsche Sporthilfe usw., usw.. Wie kann und wie soll denn eine Konzentration der Kräfte aussehen?
von Richthofen: Nun, da spreche ich eben nicht nur über den Leistungssport, der natürlich ein wichtiger Bereich ist, aber es ist an der Zeit, dass wir eine neue Dachorganisation des deutschen Sports schaffen. Und diese neue Dachorganisation muss auch sicherstellen, dass das Nationale Olympische Komitee, das niemand beschneiden oder verändern oder auslöschen will, vernünftig in diese Organisation eingebettet wird. Es kann nur eine Leistungssport-Förderung geben, also einen Zuständigkeitsbereich für Leistungssport, einen für Breitensport, einen für Jugendsport, einen für Frauensport. Wir brauchen nichts nebeneinander - wir können übrigens auch viel Geld dadurch sparen -, sondern wir brauchen eine Konzentration auch in der Verwaltung. Was wir nicht ändern können, Herr Fischer-Solms, möchte ich auch ganz deutlich sagen, ist der föderalistische Aufbau der Bundesrepublik. Wir werden also weiter mit den Sportministern der Länder und mit den Landessportbünden in Bezug auf die Nachwuchsförderung intensiv umgehen müssen.
Fischer-Solms: Aber Sie können das Nationale Olympische Komitee NOK auch nicht zu einer Fusion zwingen.
von Richthofen: Wir können überhaupt niemanden zwingen, sondern wir müssen demokratisch verfahren und zu Abstimmungen kommen. Aber weshalb sollen wir eigentlich nicht eine Organisation zustande bringen wie zum Beispiel die Schweiz, wie zum Beispiel Holland, wie zum Beispiel Frankreich zustande gebracht haben, übrigens mit großem Erfolg sowohl im Bereich des Spitzen- wie des Breitensports. Also, wir werden einen neuen Anlauf unternehmen, und ich habe überhaupt keine Scheu, der Öffentlichkeit diejenigen aufzuzeigen, die sich gegen eine solche Konzentration nunmehr massiv wenden, und zwar aus egoistischen oder verbandspolitischen Gründen. Ich habe in der Zeit äußerster Sparsamkeit und teilweise mangelnder Effektivität in der Förderung kein Verständnis mehr für solche Spielchen.
Fischer-Solms: .Mitte der 90er Jahre war der von Ihnen initiierte Versuch einer solchen Konzentration fehlgeschlagen. Das NOK hatte sich dagegen gewehrt. Jetzt scheint es aber so, dass unter dem Druck der Ereignisse offenbar die Bereitschaft einer solchen Konzentration größer ist, oder?
von Richthofen: Ja, die Bereitschaft ist größer. Sie ist aus den unterschiedlichsten Gründen größer. Sie ist natürlich auch größer, weil die finanzielle Situation sich nicht mehr vergleichen lässt mit der vor neun Jahren. Man war da finanziell ungleich besser gestellt. Wenn Sie zum Beispiel an die berechtigte Sorge der Deutschen Sporthilfe denken, nämlich an die Vermarktung des Sports, so müssen wir natürlich eine Vermarktungseinrichtung haben. Wir brauchen nicht drei, vier, fünf, wir müssen eine Vermarktungseinrichtung haben, die sowohl für den Spitzensport wie für den Breitensport zuständig ist. Daran hat Herr Grüschow auch Interesse. Ich unterstütze ihn dabei . . .
Fischer-Solms: . . . den Vorsitzenden der Stiftung Deutsche Sporthilfe.
von Richthofen: Und dazu kommt, dass man natürlich vor neun Jahren auch noch Angst hatte, dass der gerade neu gewählte Präsident des Deutschen Sportbundes Richthofen diese Vereinigung eigentlich nur durchführt, um sich noch stärker in Position zu bringen. Dieses Argument zieht heute nicht mehr. Ich höre in zwei Jahren auf. Was ich jetzt tun kann, ist, diese Vereinigung, diese Neuorganisation zustande zu bringen, und dann trete ich ab und hoffe, dass man eine gute Nachfolgerin oder einen guten Nachfolger findet, der dieses wichtige Schiff des deutschen Sports gut lenkt.
Fischer-Solms: Das heißt also, für diese neue Konzentration im deutschen Sport würde der DSB, würde der DSB-Präsident die Initiative bzw. die Meinungsführerschaft übernehmen?
von Richthofen: Das bietet sich auch an, weil wir die größte Organisation des Sports sind. Wir haben eben nicht nur den olympischen Bereich, wir haben hauptsächlich den großen wachsenden nichtolympischen Bereich mit zu beachten. Wir haben die Landessportbünde als einen ganz wichtigen Partner mit in unserer Organisation. Wir haben Anschlussorganisationen wie kirchliche Einrichtungen, die bei uns mittun, die wir nicht missen wollen. Alle diejenigen gehören dazu. Ich sage denjenigen jetzt schon den Kampf an, die an eine Spaltung des Sports nur zugunsten weniger Leistungssportler denken.
Fischer-Solms: Haben Sie den Bundesinnenminister auf Ihrer Seite? In den vergangenen Jahren hatte man zunehmend das Gefühl, dass Herr Schily weniger an die subsidiäre Seite der Politik gegenüber dem Sport denkt, sondern dass er selbst die Initiative übernimmt, wie zum Beispiel geschehen bei der deutschen Olympiabewerbung für Leipzig.
von Richthofen: Der Bundesinnenminister wird immer eine separate Auffassung haben, denn er vertritt ja die Auffassung der Bundesregierung. Und das ist nicht immer unbedingt die Auffassung des Sports. Insofern werden wir uns auf einen gemeinsamen Weg immer einigen müssen, was in der Vergangenheit größtenteils auch geschah. Ich weiß jetzt nicht, wie er zu diesen einzelnen Fragen steht. Ich bin aber der Meinung, dass er für fortschrittliche Überlegungen immer ein offenes Ohr hat. Insofern glaube ich, dass er das wohlwollend begleiten kann. Mehr kann er als Minister auch nicht tun, denn dieses ist eine Entscheidung, die alleine der Sport zu treffen hat.
Fischer-Solms: Herr von Richthofen, in Athen hat es so viele Dopingfälle gegeben wie nie zuvor. Ist das ein Schaden für den Sport oder ist es eher ein Erfolg des Sports?
von Richthofen: Nun, ich würde sagen, nach den großen Anstrengungen des IOC in Bezug auf einen dopingfreien Sport ist es eigentlich ein Alarmzeichen, müsste ein Alarmzeichen sein, dass wir so viel akute Dopingfälle in Athen aufdecken konnten. Das sind vorwiegend Untersuchungen im Wettkampfprozess gewesen. Mir geht es ja in erster Linie darum, auch im Trainingsprozess systematische Kontrollen durchzuführen. Und, Herr Fischer-Solms, ich muss dieses so deutlich sagen: Bei einigen Athletinnen und Athleten, die an den Start gehen, zweifle ich wirklich nach wie vor, ob im Trainingsprozess alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Und würde man sich annähernd eine solche Mühe geben wie in der Bundesrepublik Deutschland und übrigens in vielen anderen Ländern - ich denke an die skandinavischen Länder hauptsächlich auch -, nämlich den Trainingsprozess zu durchleuchten und ständig zu kontrollieren, dann würden wir nicht vor den Problemen stehen, mit denen jetzt das IOC sich auseinandersetzen muss, nämlich Aktiven Medaillen wieder abzuerkennen.
Fischer-Solms: Dieses Dilemma haben in Athen deutsche Athleten, Trainer, aber auch Funktionäre ausgesprochen. Sie haben mit dem Finger auf andere gewiesen, was ein bisschen Bauchschmerzen bereitet im Fall von einigen Funktionären wie zum Beispiel von Dr. Bernd Schubert. Der Cheftrainer der deutschen Leichtathleten war letzter Cheftrainer der DDR und darf laut Urteil des Landgerichts Heidelberg als 'anerkannter Fachdoper’ bezeichnet werden. Eine deutsch-deutsche Peinlichkeit?
von Richthofen: Ich verstehe die Reaktion einiger Athletinnen und Athleten, die ja erlebt haben, dass sie regelmäßig Untersuchungen erleben und ertragen müssen. Ich habe Birgit Fischer gesagt, als sie mir sagte: Ich bin in den letzten Monaten acht oder zehn mal untersucht worden. Tja, das Losverfahren traf sie halt immer. Ich habe gesagt: Frau Fischer, Sie können doch wirklich froh sein, Sie gehen bestens durchleuchtet an den Start. Und wenn man sie jetzt als eine vorbildliche Sportlerin erlebt, die wieder eine Goldmedaille geholt hat, kann sie eigentlich voller Stolz sagen: Ich bin wirklich sauber und in jeder Beziehung ein Vorbild. Und dieses, meine ich, können einige, die in Athen an den Start gingen, nicht tun.
Fischer-Solms: Nach wie vor werden Rechnungen aufgemacht, die so aussehen, dass in Ostdeutschland etwa ein Drittel der Bevölkerung von Gesamtdeutschland lebt, dort aber über die Hälfte der Medaillen für Deutschland geholt werden.
von Richthofen: Manche Rechnungen sind auch ein bisschen böswillig, manches mag berechtigt sein.
Fischer-Solms: Kann man es auf die provokante Formel bringen: In den neuen Ländern sind die Ringer und die Boxer, die 'Proletensportarten’ erfolgreich, und im Westen die kapitalistischen wie die Dressurreiter?
von Richthofen: Überhaupt nicht! Sie müssen daran denken, dass eine Reihe von Sportarten zum Ärger vieler in der damaligen DDR nicht gefördert wurden. Dabei denke ich eben an das Reiten, ich denke zum Beispiel an Hockey, ich denke zum Beispiel an Tennis, alles Sportarten, wo die neuen Länder einen Nachholbedarf haben. Und insofern können Sie nicht verlangen, dass von heute zu morgen da Spitzenleistungen sichtbar werden. In der Zwischenzeit verändert sich die Landschaft sehr, und ich kann also nur sagen, wenn ich an die Ruderinnen hauptsächlich und an die Kanuten denke aus Ostdeutschland, wo ständen wir ohne ihre Spitzenleistung?
Fischer-Solms: Abschließende Frage, Herr von Richthofen: Wir haben zwei Wochen lang die Faszination Olympia erlebt, die wir gerne wieder in Deutschland erlebt hätten. 2012 wird das mit Leipzig nicht der Fall sein. Es gibt starke Befürworter von Berlin, einen neuen Anlauf zu nehmen. Der Regierende Bürgermeister sagt das, auch der Bundesinnenminister hat dafür eine gewisse Sympathie. Wie sehen Sie das?
von Richthofen: Das NOK hat einen Beschluss gefasst vor Athen, dass wir in absehbarer Zeit entscheiden werden, ob wir uns für Winterspiele oder für Sommerspiele bewerben. Dieses hängt natürlich auch davon ab, wie die Entscheidung im nächsten Jahr für die übernächsten Olympischen Spiele 2012 ausfällt. Wenn also der große Favorit Paris den Zuschlag bekommt, hat es wenig Sinn, sich für die Sommerspiele, ob Berlin oder Hamburg, zu bewerben. Wenn diese nach Übersee vergeben wird, sind die Aussichten anders. Dennoch gibt es viele bei uns, die meinen, dass Winterspiele sehr viel aussichtsreicher wären, so man sich bewirbt. Und Bayern und Sachsen bieten hervorragende Voraussetzungen, auch mit ihren Athletinnen und Athleten, die Spiele in Deutschland durchzuführen. Warten wir das ab.
Fischer-Solms: Herr von Richthofen, vielen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen und uns allen einen schönen Tag und heute Abend dann eine wunderschöne Abschiedsfeier dieser Spiele in Athen.
Fischer-Solms: Und die Stimmung?
von Richthofen: Die Stimmung, meine ich, war gut, wenn man auch festgestellt hat - und viele haben das auch beanstandet -, dass bei bestimmten Sportarten die Tribünen nicht so gefüllt waren wie in anderen olympischen Städten. Zu beanstanden gibt es eigentlich nur, dass Gefühle jetzt durchgebrochen sind bei den Griechen, die vielleicht nicht unbedingt notwendig waren, der Öffentlichkeit so deutlich zu zeigen - nämlich ihre Verbindung zu den gedopten Sportlern.
Fischer-Solms: Die Welt, auch die politische, scheint ja, wenn Olympische Spiele stattfinden, für zwei Wochen inne zu halten. Alles schaut dann nach Olympia. Worin liegt eigentlich die Faszination nach wie vor der Olympischen Spiele für Sie?
von Richthofen: Die Faszination liegt natürlich in dem Treffen aller Nationen an dem Ort des olympischen Geschehens. Und ich glaube auch, dass weitgehend die Friedlichkeit beeindruckt in einer Welt, die man ja weiß Gott nicht friedlich nennen kann, auch wenn es die eine oder andere Missstimmung wieder gab zwischen Iran und Israel - etwas, wo man wohl Schwierigkeiten hat, über die Hürden zu springen und den olympischen Gedanken in den Vordergrund zu stellen. Aber hier ist der politische Einfluss eben so stark, dass auch der olympische Geist da nicht weiter hilft. Nein, es hat eine Faszination, dass sich die Nationen aller Welt friedlich treffen.
Fischer-Solms: Herr von Richthofen, wie wichtig sind Sportmedaillen für ein Land, für einen Staat?
von Richthofen: Sie sind außerordentlich wichtig, und hauptsächlich die so genannten noch unterentwickelten Länder legen ganz großen Wert auf Sportmedaillen, weil sie sich natürlich in der Öffentlichkeit, in der breiten Weltöffentlichkeit, dadurch präsentieren können als ein erfolgreiches Land. Wenn Sie daran denken, dass die kommunistischen Staaten ja mit diesen Medaillen auch Politik gemacht haben, wenn man also weiß, wie die staatliche Vorbereitung in kommunistischen, aber auch in anderen totalitären Staaten durchgeführt worden ist - denken Sie nur auch an die NS-Zeit -, dann wollte man mit den Medaillen, mit dem Spitzensport, mit den herausragenden Athletinnen und Athleten, Politik machen und die ganze Welt auf sich aufmerksam machen: Welch tüchtige Menschen habe ich, welche erfolgreichen Menschen, und zu welchen ungeheuren Leistungen sind unsere Bürger fähig. Dieses ist ein erklärtes Ziel. Ich meine, bei einem friedlichen Miteinander, das wir nunmehr haben, zählt aber dennoch auch der Erfolg. Denn es will niemand Letzter sein, und es will jeder sich in dem Medaillensegen sonnen - die Politik ganz, ganz vorne, und zwar auch in den so genannten kapitalistischen Staaten.
Fischer-Solms: Sie wollen also sagen, Olympiamedaillen sagen schon etwas aus über die Leistungsfähigkeit eines politischen Systems?
von Richthofen: Zumindest meint man es, und die meisten Bürger registrieren dieses auch als ein solches. Es wird immer gesagt: Ihr seid eben tüchtig, weil Ihr viele Medaillen errungen habt. Oder wir kriegen ja auch jetzt die eine oder andere Zuschrift und den Anruf: Was seid Ihr eigentlich für Flaschen, dass Ihr in bestimmten Sportarten so schlecht abschneidet? Auch das meinen unsere Bürger, und das sollte man also auch deutlich machen. Alleine die Reaktion auf die Nichtanerkennung der Medaillen der Vielseitigkeits-Reiterinnen und Reiter zeigt ja schon, wie unsere Mitbürger an diesen Medaillen hängen, welchen Wert sie denen zumessen, und ich finde das an und für sich auch ein gutes Zeichen.
Fischer-Solms: Aber wie sieht das der Präsident des Deutschen Sportbundes persönlich? Teilen Sie die Kritik an dem unbefriedigenden Medaillenaufkommen der deutschen Olympiamannschaft?
von Richthofen: Ja. Wir haben doch zu registrieren, dass wir in einigen Sportarten ganz hervorragend abgeschnitten haben, zum Teil entgegen der Prognose der Experten - das freut mich immer besonders: Wenn ich zum Beispiel an Judo denke, unsere Judokas haben großartig abgeschnitten. Wenn ich an die Reiter denke, waren alle Experten der Meinung, es würde sehr gut laufen. Wenn ich an die Wassersportarten denke, denen man ja ein sehr gutes Abschneiden zugebilligt hat, dann muss man schon sehr stark differenzieren - Kanu außerordentlich erfolgreich, Rudern hielt noch gut mit, Segeln totaler Ausfall, Schwimmen hat größte Schwierigkeiten gehabt in Athen - also ich glaube schon, dass wir auch sehr eng verbunden sind mit dem Ergebnis. Und der Ruf: "Nun strengt Euch mal in bestimmten Sportarten stärker an" wird nach den Spielen lauter als vor den Spielen.
Fischer-Solms: Die Schwimmfunktionäre haben sich ja auch schon über Sie beklagt, über Ihre Kritik aus der Etappe heraus.
von Richthofen: Auch das kann mich überhaupt nicht stören, und ich wiederhole das alles gerne, auch bei der Auswertung. Ich glaube, man muss auch mit Kritik leben können, wenn es nicht so klappte. Aber sie haben ja erfreulicherweise eine ganze Reihe von Gegenbeweisen: Wenn ich an meine Sportart Hockey denke, dann hat also kein Mensch darauf getippt, dass die Frauen-Nationalmannschaft eine Medaillenchance hätte. Und dennoch ist der große Einsatz dieser Mannschaft belohnt worden mit der Goldmedaille. Daran sieht man, dass - auch bei dem einen oder anderen technischen Mangel, den man gegenüber dem Endspielgegner hatte - der Kampf und der Einsatz und der Wille eben doch entscheidend sind. Ich denke nur an Rehagels großartige griechische Mannschaft bei der Fußball-Europameisterschaft, das war in etwa ein Spiegelbild.
Fischer-Solms: Hatten Sie die Hoffnung bzw. die Auffassung der Experten vom Bundesvorstand Leistungssport geteilt, dass Deutschland auch bei diesen Spielen wieder in der Nationenwertung Rang drei würde einnehmen können?
von Richthofen: Das ganze Präsidium des Deutschen Sportbundes hat sich gefügt der Auffassung des Bundesvorstandes Leistungssport, wo ja unsere Experten sitzen, das muss man einmal mehr sagen, nämlich die der Profis und der Amateure, die sich mit dem Spitzensport beschäftigen. Sie haben gesagt, es muss das Ziel dritter Platz vorgegeben werden, und dieses Ziel sei auch zu erreichen. Es gab daran sicher die eine oder andere Kritik und das eine oder andere Fragezeichen, aber ich finde es gut, dass man sich der Meinung der Experten anschließt. Heute weiß man, dass sie einige Fehlrechnungen aufgemacht hatten. Und das betrifft in erster Linie auch wiederum China, das betrifft Japan, es betrifft das Abschneiden von Australien, es betrifft letzthin auch das Abschneiden von Russland. All dieses hat man so nicht eingeschätzt, und man hat natürlich einigen Sportarten von uns, so zum Beispiel den Schwimmern, ungleich mehr zugetraut.
Fischer-Solms: Auch vor den heutigen letzten Medaillenentscheidungen ist klar, USA und China sind die führenden Sportnationen derzeit, dahinter überraschend stark Australien, Japan, auch Frankreich. Würden Sie Deutschland unter 'ferner liefen' bezeichnen?
von Richthofen: Nein, das in keinem Fall. Und Sie wissen ja, dass die Ergebnisse in der Spitze auch teilweise ganz knapp waren. Ich ziehe also meinen Hut vor all denjenigen, die persönliche Bestleistungen erbracht haben und hauptsächlich vor denen, die in den Endkämpfen waren. Aber es gibt einige, die in den Vorrunden ausgeschieden sind, wo man sich schon fragen muss: Hat man da richtig nominiert oder hat man die Athleten nicht so vorbereitet, wie es nötig gewesen wäre? Es ist eigentlich alles nach exzellenten Plänen vor den Spielen geschehen, und an der finanziellen Unterstützung und auch den Trainingslagern kann es in keinem Fall liegen. Dennoch kann man methodisch von Seiten der Trainerschaft Fehler gemacht haben. Das muss man jetzt genau analysieren. Einige Hinweise gibt es. Und ich sage wiederum voller Respekt: Mir hat am besten die Aussage des Trainers von Franziska van Almsick gefallen, Herrn Warnatsch, der meint, dass entscheidende Fehler in der Trainerschaft geschehen sind. Jetzt gelte es im einzelnen, dieses noch zu klären, aber er könne sich da schon festlegen. Und über eine solche Selbstkritik ist man froh und dankbar, denn das ist die Basis, um das nächste Mal alles besser zu machen.
Fischer-Solms: Also, unter dem Strich ist festzustellen: Das Abschneiden der deutschen Mannschaft ist für Sie schon enttäuschend. Es sind also Konsequenzen zu ziehen, welche?
von Richthofen: Ich muss noch einmal richtig stellen: Das Abschneiden der Mannschaft ist teilweise hervorragend und teilweise enttäuschend. Konsequenzen sind zu ziehen, nachdem die Analysen vorliegen - dass man das Ziel in Zukunft wohl verändern muss. Wir müssen mit Abstand die beste Nation in Europa darstellen. Ich glaube, dass wir auf absehbare Zeit keine Möglichkeit haben, an die Leistungen der Vereinigten Staaten heranzukommen und auch nicht an China. Wir werden schon große Schwierigkeiten haben mit Australien, aber wir müssen in Europa die Nummer Eins sein.
Fischer-Solms: Vor Russland?
von Richthofen: Russland hat sich ja sehr stark verändert durch den Zerfall der UdSSR und ist eben wirklich mit der alten sowjetischen Mannschaft nicht zu vergleichen. Insofern sage ich: Wir müssen die stärkste Mannschaft in Europa sein. Das ist auch ein einleuchtendes Ziel für die Aktiven, meine ich. Und wir haben natürlich eine gründliche Analyse durchzuführen, dieses sagte ich schon, und die besteht natürlich darin, zu überprüfen, ob so viele Bundesstützpunkte nötig sind. Sind solche gewaltigen Kaderzahlen nötig? Ist es nicht an der Zeit, vielleicht die Kaderzahlen zu reduzieren? Ist es noch vertretbar, dass wir in Sportarten, die nicht dicht besiedelt sind, nicht zu einer Konzentration kommen? Müssen wir nicht eine noch intensivere Nachwuchsarbeit in Bezug auf die Eliteschulen betreiben? Ich glaube, dass einmal mehr der Nachweis erbracht worden ist, dass eine ganze Reihe von Eliteschülern, speziell in den neuen Bundesländern, jetzt die Medaillen eingefahren haben. Es sind ja nicht mehr die alten Kader, die wir noch übernehmen konnten aus dem System der DDR. Und da gibt es einen gewaltigen Nachholbedarf noch in den westlichen Ländern. Einiges, was sich da 'Eliteschulen' nennt oder wo die Kultusminister sich mit diesem Begriff schmücken, sind keine vergleichbaren Eliteschulen zu denen, die wir teilweise jetzt in den neuen Ländern, teilweise auch schon in Baden-Württemberg, in Bayern und in Hessen haben. Hier muss ein Umdenken stattfinden. Wir werden nur durch diese systematische Talentförderung in den Eliteschulen in Zukunft weiterkommen.
Fischer-Solms: Aber die Spitzensport-Förderung in Deutschland ist ja zerfleddert. Wir haben den Deutschen Sportbund, wir haben das Nationale Olympische Komitee, wir haben die Landesleistungs-Sportausschüsse, wir haben die Stiftung Deutsche Sporthilfe usw., usw.. Wie kann und wie soll denn eine Konzentration der Kräfte aussehen?
von Richthofen: Nun, da spreche ich eben nicht nur über den Leistungssport, der natürlich ein wichtiger Bereich ist, aber es ist an der Zeit, dass wir eine neue Dachorganisation des deutschen Sports schaffen. Und diese neue Dachorganisation muss auch sicherstellen, dass das Nationale Olympische Komitee, das niemand beschneiden oder verändern oder auslöschen will, vernünftig in diese Organisation eingebettet wird. Es kann nur eine Leistungssport-Förderung geben, also einen Zuständigkeitsbereich für Leistungssport, einen für Breitensport, einen für Jugendsport, einen für Frauensport. Wir brauchen nichts nebeneinander - wir können übrigens auch viel Geld dadurch sparen -, sondern wir brauchen eine Konzentration auch in der Verwaltung. Was wir nicht ändern können, Herr Fischer-Solms, möchte ich auch ganz deutlich sagen, ist der föderalistische Aufbau der Bundesrepublik. Wir werden also weiter mit den Sportministern der Länder und mit den Landessportbünden in Bezug auf die Nachwuchsförderung intensiv umgehen müssen.
Fischer-Solms: Aber Sie können das Nationale Olympische Komitee NOK auch nicht zu einer Fusion zwingen.
von Richthofen: Wir können überhaupt niemanden zwingen, sondern wir müssen demokratisch verfahren und zu Abstimmungen kommen. Aber weshalb sollen wir eigentlich nicht eine Organisation zustande bringen wie zum Beispiel die Schweiz, wie zum Beispiel Holland, wie zum Beispiel Frankreich zustande gebracht haben, übrigens mit großem Erfolg sowohl im Bereich des Spitzen- wie des Breitensports. Also, wir werden einen neuen Anlauf unternehmen, und ich habe überhaupt keine Scheu, der Öffentlichkeit diejenigen aufzuzeigen, die sich gegen eine solche Konzentration nunmehr massiv wenden, und zwar aus egoistischen oder verbandspolitischen Gründen. Ich habe in der Zeit äußerster Sparsamkeit und teilweise mangelnder Effektivität in der Förderung kein Verständnis mehr für solche Spielchen.
Fischer-Solms: .Mitte der 90er Jahre war der von Ihnen initiierte Versuch einer solchen Konzentration fehlgeschlagen. Das NOK hatte sich dagegen gewehrt. Jetzt scheint es aber so, dass unter dem Druck der Ereignisse offenbar die Bereitschaft einer solchen Konzentration größer ist, oder?
von Richthofen: Ja, die Bereitschaft ist größer. Sie ist aus den unterschiedlichsten Gründen größer. Sie ist natürlich auch größer, weil die finanzielle Situation sich nicht mehr vergleichen lässt mit der vor neun Jahren. Man war da finanziell ungleich besser gestellt. Wenn Sie zum Beispiel an die berechtigte Sorge der Deutschen Sporthilfe denken, nämlich an die Vermarktung des Sports, so müssen wir natürlich eine Vermarktungseinrichtung haben. Wir brauchen nicht drei, vier, fünf, wir müssen eine Vermarktungseinrichtung haben, die sowohl für den Spitzensport wie für den Breitensport zuständig ist. Daran hat Herr Grüschow auch Interesse. Ich unterstütze ihn dabei . . .
Fischer-Solms: . . . den Vorsitzenden der Stiftung Deutsche Sporthilfe.
von Richthofen: Und dazu kommt, dass man natürlich vor neun Jahren auch noch Angst hatte, dass der gerade neu gewählte Präsident des Deutschen Sportbundes Richthofen diese Vereinigung eigentlich nur durchführt, um sich noch stärker in Position zu bringen. Dieses Argument zieht heute nicht mehr. Ich höre in zwei Jahren auf. Was ich jetzt tun kann, ist, diese Vereinigung, diese Neuorganisation zustande zu bringen, und dann trete ich ab und hoffe, dass man eine gute Nachfolgerin oder einen guten Nachfolger findet, der dieses wichtige Schiff des deutschen Sports gut lenkt.
Fischer-Solms: Das heißt also, für diese neue Konzentration im deutschen Sport würde der DSB, würde der DSB-Präsident die Initiative bzw. die Meinungsführerschaft übernehmen?
von Richthofen: Das bietet sich auch an, weil wir die größte Organisation des Sports sind. Wir haben eben nicht nur den olympischen Bereich, wir haben hauptsächlich den großen wachsenden nichtolympischen Bereich mit zu beachten. Wir haben die Landessportbünde als einen ganz wichtigen Partner mit in unserer Organisation. Wir haben Anschlussorganisationen wie kirchliche Einrichtungen, die bei uns mittun, die wir nicht missen wollen. Alle diejenigen gehören dazu. Ich sage denjenigen jetzt schon den Kampf an, die an eine Spaltung des Sports nur zugunsten weniger Leistungssportler denken.
Fischer-Solms: Haben Sie den Bundesinnenminister auf Ihrer Seite? In den vergangenen Jahren hatte man zunehmend das Gefühl, dass Herr Schily weniger an die subsidiäre Seite der Politik gegenüber dem Sport denkt, sondern dass er selbst die Initiative übernimmt, wie zum Beispiel geschehen bei der deutschen Olympiabewerbung für Leipzig.
von Richthofen: Der Bundesinnenminister wird immer eine separate Auffassung haben, denn er vertritt ja die Auffassung der Bundesregierung. Und das ist nicht immer unbedingt die Auffassung des Sports. Insofern werden wir uns auf einen gemeinsamen Weg immer einigen müssen, was in der Vergangenheit größtenteils auch geschah. Ich weiß jetzt nicht, wie er zu diesen einzelnen Fragen steht. Ich bin aber der Meinung, dass er für fortschrittliche Überlegungen immer ein offenes Ohr hat. Insofern glaube ich, dass er das wohlwollend begleiten kann. Mehr kann er als Minister auch nicht tun, denn dieses ist eine Entscheidung, die alleine der Sport zu treffen hat.
Fischer-Solms: Herr von Richthofen, in Athen hat es so viele Dopingfälle gegeben wie nie zuvor. Ist das ein Schaden für den Sport oder ist es eher ein Erfolg des Sports?
von Richthofen: Nun, ich würde sagen, nach den großen Anstrengungen des IOC in Bezug auf einen dopingfreien Sport ist es eigentlich ein Alarmzeichen, müsste ein Alarmzeichen sein, dass wir so viel akute Dopingfälle in Athen aufdecken konnten. Das sind vorwiegend Untersuchungen im Wettkampfprozess gewesen. Mir geht es ja in erster Linie darum, auch im Trainingsprozess systematische Kontrollen durchzuführen. Und, Herr Fischer-Solms, ich muss dieses so deutlich sagen: Bei einigen Athletinnen und Athleten, die an den Start gehen, zweifle ich wirklich nach wie vor, ob im Trainingsprozess alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Und würde man sich annähernd eine solche Mühe geben wie in der Bundesrepublik Deutschland und übrigens in vielen anderen Ländern - ich denke an die skandinavischen Länder hauptsächlich auch -, nämlich den Trainingsprozess zu durchleuchten und ständig zu kontrollieren, dann würden wir nicht vor den Problemen stehen, mit denen jetzt das IOC sich auseinandersetzen muss, nämlich Aktiven Medaillen wieder abzuerkennen.
Fischer-Solms: Dieses Dilemma haben in Athen deutsche Athleten, Trainer, aber auch Funktionäre ausgesprochen. Sie haben mit dem Finger auf andere gewiesen, was ein bisschen Bauchschmerzen bereitet im Fall von einigen Funktionären wie zum Beispiel von Dr. Bernd Schubert. Der Cheftrainer der deutschen Leichtathleten war letzter Cheftrainer der DDR und darf laut Urteil des Landgerichts Heidelberg als 'anerkannter Fachdoper’ bezeichnet werden. Eine deutsch-deutsche Peinlichkeit?
von Richthofen: Ich verstehe die Reaktion einiger Athletinnen und Athleten, die ja erlebt haben, dass sie regelmäßig Untersuchungen erleben und ertragen müssen. Ich habe Birgit Fischer gesagt, als sie mir sagte: Ich bin in den letzten Monaten acht oder zehn mal untersucht worden. Tja, das Losverfahren traf sie halt immer. Ich habe gesagt: Frau Fischer, Sie können doch wirklich froh sein, Sie gehen bestens durchleuchtet an den Start. Und wenn man sie jetzt als eine vorbildliche Sportlerin erlebt, die wieder eine Goldmedaille geholt hat, kann sie eigentlich voller Stolz sagen: Ich bin wirklich sauber und in jeder Beziehung ein Vorbild. Und dieses, meine ich, können einige, die in Athen an den Start gingen, nicht tun.
Fischer-Solms: Nach wie vor werden Rechnungen aufgemacht, die so aussehen, dass in Ostdeutschland etwa ein Drittel der Bevölkerung von Gesamtdeutschland lebt, dort aber über die Hälfte der Medaillen für Deutschland geholt werden.
von Richthofen: Manche Rechnungen sind auch ein bisschen böswillig, manches mag berechtigt sein.
Fischer-Solms: Kann man es auf die provokante Formel bringen: In den neuen Ländern sind die Ringer und die Boxer, die 'Proletensportarten’ erfolgreich, und im Westen die kapitalistischen wie die Dressurreiter?
von Richthofen: Überhaupt nicht! Sie müssen daran denken, dass eine Reihe von Sportarten zum Ärger vieler in der damaligen DDR nicht gefördert wurden. Dabei denke ich eben an das Reiten, ich denke zum Beispiel an Hockey, ich denke zum Beispiel an Tennis, alles Sportarten, wo die neuen Länder einen Nachholbedarf haben. Und insofern können Sie nicht verlangen, dass von heute zu morgen da Spitzenleistungen sichtbar werden. In der Zwischenzeit verändert sich die Landschaft sehr, und ich kann also nur sagen, wenn ich an die Ruderinnen hauptsächlich und an die Kanuten denke aus Ostdeutschland, wo ständen wir ohne ihre Spitzenleistung?
Fischer-Solms: Abschließende Frage, Herr von Richthofen: Wir haben zwei Wochen lang die Faszination Olympia erlebt, die wir gerne wieder in Deutschland erlebt hätten. 2012 wird das mit Leipzig nicht der Fall sein. Es gibt starke Befürworter von Berlin, einen neuen Anlauf zu nehmen. Der Regierende Bürgermeister sagt das, auch der Bundesinnenminister hat dafür eine gewisse Sympathie. Wie sehen Sie das?
von Richthofen: Das NOK hat einen Beschluss gefasst vor Athen, dass wir in absehbarer Zeit entscheiden werden, ob wir uns für Winterspiele oder für Sommerspiele bewerben. Dieses hängt natürlich auch davon ab, wie die Entscheidung im nächsten Jahr für die übernächsten Olympischen Spiele 2012 ausfällt. Wenn also der große Favorit Paris den Zuschlag bekommt, hat es wenig Sinn, sich für die Sommerspiele, ob Berlin oder Hamburg, zu bewerben. Wenn diese nach Übersee vergeben wird, sind die Aussichten anders. Dennoch gibt es viele bei uns, die meinen, dass Winterspiele sehr viel aussichtsreicher wären, so man sich bewirbt. Und Bayern und Sachsen bieten hervorragende Voraussetzungen, auch mit ihren Athletinnen und Athleten, die Spiele in Deutschland durchzuführen. Warten wir das ab.
Fischer-Solms: Herr von Richthofen, vielen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen und uns allen einen schönen Tag und heute Abend dann eine wunderschöne Abschiedsfeier dieser Spiele in Athen.