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Von Roosevelt bis Bush

Anlass zur kritischen Auseinandersetzung mit den USA in Gegenwart und Geschichte gibt es genug. Und so befasst sich der Historiker Klaus Schwabe in seinem neuen Buch "Weltmacht und Weltordnung" mit der Außenpolitik von 1898 bis heute. Er liefert die historischen Zusammenhänge, die zur Beurteilung amerikanischer Außenpolitik jenseits der Tagespolitik notwendig sind. Hans-Peter Riese hat das Buch gelesen.

    Man würde sich wünschen, dass dieses Buch auf den Tischen der mit Außenpolitik, zumal der mit amerikanischer Außenpolitik befassten Redakteure läge - und auch gelesen würde. Das Urteil über den amerikanischen Präsidenten George W. Bush, der zum alleinigen Verantwortlichen des Irak-Krieges erklärt und zum Buh-Mann stilisiert worden ist, würde sich dann vielleicht nicht generell korrigieren, aber doch differenzierter ausfallen. Amerikanische Außenpolitik, auch wenn sie, wie im Falle Irak, zu einem Krieg führt, ist niemals die einsame Entscheidung des Mannes im Oval Office in Washington, mag er nun Roosevelt heißen und Demokrat sein oder George W. Bush und Republikaner. Der eine führte sein Land in den zweiten Weltkrieg gegen eine skeptische Bevölkerung, der andere begann den Irak-Krieg mit einer überwältigenden Zustimmung des Kongresses und der amerikanischen Öffentlichkeit. Man kann also einen Satz, schon auf den ersten Seiten des Buches von Klaus Schwabe gar nicht genug unterstreichen:

    "Die entscheidende Vorgabe für die amerikanische Außenpolitik ist der demokratisch-pluralistische Grundcharakter der Vereinigten Staaten."

    Wie die USA in einem Jahrhundert, dem 20. im wesentlichen, zur Weltmacht aufgestiegen sind, das beschreibt Schwabe an den historisch herausragenden Ereignissen, beginnend mit dem amerikanisch-mexikanischen Krieg um die Südprovinzen Texas, Neu Mexiko und Kalifornien über die beiden Weltkrieg, bis schließlich zum Vietnam-Desaster und dem Kalten Krieg.

    Man muss weit zurückgehen in dieser Geschichte, um die Wurzeln des oft widersprüchlichen außenpolitischen Handelns der USA freizulegen. War die so genannte Monroe-Doktrin gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch begrenzt für den so genannten Hinterhof der USA, also Lateinamerika bestimmt, so schuf erst Theodore Roosevelt einen als global zu verstehenden Anspruch der USA gegenüber anderen Staaten. Der Roosevelt-Zusatz zur Monroe-Doktrin wurde am 6. Dezember 1904 in einer Rede des Präsidenten vor dem Kongress formuliert.

    "Brutales Unrecht oder die Machtlosigkeit (einer Republik), die zu einer allgemeinen Auflösung der zivilisatorischen Bedingungen einer Gesellschaft führen, können schließlich die Intervention einer zivilisierten Nation erfordern, und in der westlichen Hemisphäre kann Amerika vor dieser Pflicht die Augen nicht verschließen."

    Noch alle späteren Präsidenten der Vereinigten Staaten haben sich auf diesen Zusatz berufen, wenn sie es für unausweichlich hielten, außerhalb der Grenzen des eigenen Landes militärisch zu intervenieren. Als der Vater einer moralisch legitimierten Außenpolitik der USA gilt der Präsident, der seine Nation in den Ersten Weltkrieg führen musste. Von ihm stammt die Idee eines "Friedens ohne Sieg" und, in der Gestalt des Völkerbundes, einer Außenpolitik als Weltinnenpolitik. Sie sollte auf einer Gleichberechtigung aller Nationen, ohne Ansehen ihrer militärischen Macht und Größe beruhen. Schwabe fasst die von Wilson seiner Nation hinterlassenen Grundsätze so zusammen:

    "Zum einen die Überzeugung, dass die USA im Zeitalter globaler Verflechtung gar keine andere Wahl hätten, als sich aktiv an der Gestaltung der internationalen Beziehungen zu beteiligen; zum anderen das Vertrauen, dass das Vorbild und der Einfluss der amerikanischen Weltmacht Demokratie und Menschenrechten in aller Welt zum Sieg verhelfen und damit die Voraussetzungen für den Erfolg einer dauerhaften weltweiten Friedensordnung schaffen würden, da demokratisch konstituierte Staaten per se keine imperialistischen oder kriegerischen Absichten hegen könnten."

    Wilson wird von Schwabe zu recht als der größte außenpolitische Visionär unter den amerikanischen Präsidenten geschildert. Er ist aber auch das herausragende Beispiel dafür, wie die amerikanische Innenpolitik selbst die größten Visionen zunichte machen konnte. Wilson scheiterte in der historischen Auseinandersetzung mit den isolationistisch und egoistisch gesinnten Abgeordneten des Kongresses und einer kriegsmüden und sich nach einem neuen Rückzug Amerikas aus den internationalen Händeln sehnenden Öffentlichkeit.

    Die Tragik für Präsident Franklin D. Roosevelt am Ende des Zweiten Weltkrieges liegt in seiner Fehleinschätzung des sowjetischen Diktators Stalin und der weiteren Entwicklung in Europa. Schwabe arbeitet sehr genau und mit zahlreichen Fakten aus den inzwischen frei gegeben Akten Roosevelts Friedensplan heraus, der dem seines Vorbildes Wilson gleicht. Übrig geblieben ist schließlich nur die Gründung der Vereinten Nationen, die Roosevelt aber selber nicht mehr erleben sollte. Da waren die außenpolitischen Machtmenschen Churchill und Stalin aus anderem Holz geschnitzt und hatten keinerlei Illusionen, was die amerikanischen Visionen anlangte.

    Churchill hatte in den Konferenzen von Teheran bis Potsdam immer wieder versucht, den amerikanischen Präsidenten (nach Roosevelt den pragmatischen Truman) auf eine realistische Linie festzulegen, was die faktische Teilung Europas infolge der militärischen Lage angeht. Schon als Premierminister abgewählt, hielt er am 5. März 1946 in den USA eine Rede, in der er das Verschwinden der
    mittel-ost-europäischen Staaten hinter einem "Eisernen Vorhang" voraussagte. Er sollte entgegen den idealistischen Erwartungen der Amerikaner leider nur allzu Recht behalten.

    "Von Stettin an der Ostsee bis Triest an der Adria hat sich ein 'Eiserner Vorhang' über den Kontinent hinabgesenkt. Hinter dieser Linie liegen all die Hauptstädte des alten Zentral- und Osteuropa. (...) Und sie alle unterliegen nicht nur sowjetischem Einfluss, sondern in hohem und teils zunehmendem Maße der Kontrolle Moskaus. Das ist sicherlich nicht das befreite Europa, das wir aufbauen wollten."

    Die drei gefährlichsten Krisen der Nachkriegszeit, die beiden Berlin-Krisen und die Kuba-Krise zeigten, dass es den USA nun in erster Linie um das strategische Gleichgewicht mit der Sowjetunion ging und sie nur dafür bereit waren, Krieg zu führen. Am nächsten kam die Welt einem solchen Krieg in der Kuba-Krise, in der die Sowjetunion schließlich nachgab. Aber in den Berlin-Krisen erwies sich, dass die USA, wie Kennedy es ausdrückte, nicht bereit waren, für die Wiedervereinigungsträume der Deutschen einen einzigen GI zu riskieren. Sehr wohl aber sahen die USA in Berlin ein Symbol ihrer eigenen Nachkriegsrechte. Wie geschickt dies nach außen verkauf" wurde, zeigt die berühmte Rede John F. Kennedys in Berlin.

    "2000 years ago the proudest boast was: Civis Romanus sum. Today in the world of freedom the proudest boast is: Ich bin ein Berliner!"

    Schwabe wagt sich als Historiker weit in die Gegenwart, wenn er seine Untersuchung bis in die Präsidentschaft von George W. Bush führt. Immerhin ist es hilfreich und interessant, dass Schwabe auch an die kontroverse Politik des jungen Bush die Grundlinien amerikanischer Außenpolitik anlegt. Er kommt zu folgendem Urteil:

    "Der heutige amerikanische Präsident fällt in seiner idealistisch-missionarischen Zielsetzung nicht aus dem traditionellen Rahmen amerikanischer Weltpolitik heraus, auch nicht in seinem Bemühen, neue Nationen zu erschaffen, wohl aber in der Wahl der Mittel, die er für diese Zwecke einsetzen möchte."

    Klaus Schwabes Buch ist vor allem in diesen Zeiten sich abkühlender Beziehungen zwischen Europa und den USA, der Neuorientierung der Weltpolitik durch die Verschiebung der Machtzentren nach Asien und die wirtschaftliche Globalisierung von unschätzbarem Wert. Er liefert die historischen Parameter, die zur Beurteilung amerikanischer Außenpolitik jenseits tagespolitischer Aufgeregtheiten notwendig sind. Dagegen wiegen die Einwände im Detail nicht sonderlich schwer. Dass der Autor aus seinen politischen Vorlieben keinen Hehl macht, sei ihm als Zeithistoriker gestattet. So liest man leicht amüsiert, dass die Politik von Bush-Vater, vor allem in der Phase der Wiedervereinigung als "brillant" geschildert wird. Schwerer wiegt schon der Einwand, dass Schwabe sich über Motive und Handlungshintergründe der außenpolitischen Partner - oder Gegner - der USA weniger Gedanken macht. Das fällt auf in der Passage über die KSZE, die einen großen Einfluss auf die Entwicklung in Osteuropa und der UdSSR hatte, also für die amerikanische Außenpolitik von großer Bedeutung war. Ebenso zurückhaltend ist Schwabe in der Beschreibung der Motive der Staaten des Nahen Ostens oder der aufkommenden Weltmächte China und Indien.

    Aber das sind Petitessen, die von der enormen Leistung nicht ablenken dürfen, die Motive und die politischen Parameter der amerikanischen Außenpolitik in einem Jahrhundert dargestellt zu haben. Wie gesagt, man würde sich wünschen, dass dieses Buch zur Pflichtlektüre in deutschen Redaktionsstuben würde.

    Klaus Schwabe: Weltmacht und Weltordnung. Amerikanische Außenpolitik von 1898 bis zur Gegenwart. Eine Jahrhundertgeschichte.
    Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn, 2006
    560 Seiten
    44,90 Euro