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Von Schreiblust erfüllt

Jedes neue Buch von Stefan Zweig ging schon am ersten Verkaufstag 20.000 Mal über den Ladentisch. Er erreichte Auflagen in Millionenhöhe. In den 20er und 30er Jahren war er weltweit der meist übersetzte Autor und ein international gefeierter Star.

Von Maike Albath | 28.11.2006
    "Nach längerem Zögern erklärte sich Dr. B. schließlich zu einem Match bereit, doch nicht ohne ausdrücklich gebeten zu haben, die anderen Herren nochmals zu warnen, sie möchten keineswegs auf sein Können übertriebene Hoffnungen setzen. 'Denn', fügte er mit einem versonnenen Lächeln hinzu, 'ich weiß wahrhaftig nicht, ob ich fähig bin, eine Schachpartie nach allen Regeln richtig zu spielen.'"

    Dem bescheidenen Helden in Stefan Zweigs "Schachnovelle" gelingt das Unerhörte: Er schlägt den Schachweltmeister Czentovic, einen kalten Taktiker und primitiven Spieler. Doch die Revanche wird Dr. B. zum Verhängnis. Im Gefängnis erlittene seelische Verletzungen setzen ihn außer Gefecht. Man las Zweigs Novelle, die 1941 im brasilianischen Exil entstand, als Deutung der Zeitverhältnisse. Das kosmopolitische Europa, das der weltberühmte Schriftsteller wie kaum ein anderer verkörperte, war im Untergang begriffen. Der distinguierte Wiener Jude, Sohn eines Fabrikanten und engagierter Pazifist, war durch sein Vermögen privilegiert. Er lebte mit seiner zweiten Frau Lotte unbehelligt in Petropolis bei Rio de Janeiro. Von seinem einstigen Tatendrang war allerdings nur noch wenig übrig. 30 Jahre zuvor hatte er seine Schreiblust kaum kontrollieren können. 1903 an einen Freund:

    "Lieber Victor,
    Wunder ereignen sich, ich arbeite wie ein wildes Tier. Ich war in Paris etc., nun bin ich auf einer entzückenden kleinen Insel in der Bretagne und arbeite in einer kleinen Laube wie ein Narr, insofern ich nicht esse oder - erschrick nicht - nicht bade. Oh jerum; jerum! Weiblichkeit gibt es hier nur in unschönen Exemplaren, von Menschen nur Maler, außerdem viel Kühe, Schafe, Katzen, Kaninchen. 20 Druckseiten meiner Dissertation habe ich in einer Woche vollendet, 40 Druckseiten meiner Novelle, 10 Druckseiten Lyrik übersetzt. Hoho, mein Lieber!"

    Am 28. November 1881 in Wien geboren, hatte Stefan Zweig nach einer großbürgerlichen Kindheit schon als Student erste Erfolge gefeiert. Seinen Gedichten und Übersetzungen folgen Theaterstücke und Feuilletons über seine Reisen nach Indien und Amerika. 1912 sucht die Lehrerin und Mutter zweier Töchter, Friderike von Winternitz, die Bekanntschaft des weltläufigen Schriftstellers mit dem sorgfältig gestutzten Schnurrbart. Trotz etlicher Nebenbeziehungen Zweigs entwickelt sich eine beständige Bindung. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, ist Zweig nach kurzzeitigem Enthusiasmus überzeugter Kriegsgegner. Vier Jahre später hält er hellsichtig fest:

    "Es gibt Augenblicke, da ich mich frage, ob es sich lohnt, die nächsten zwanzig Jahre zu erleben. Ich bin niedergeschmettert durch das Doppelgewicht des Hasses, dem Hass gegen Deutschland, den Verursacher des Krieges, und dem Hass gegen die Juden in Österreich als Kriegsgewinnler. Das Leben dort wird unerträglich für all jene, die keine Ehrgeizlinge und keine Gewaltmenschen sind: Menschen meines Schlages wird man vernichten."

    Noch gibt sich Zweig nicht geschlagen. Inzwischen hat er ein elegantes Anwesen am Kapuzinerberg in Salzburg erworben, das zu einem Knotenpunkt europäischer Geistesbeziehungen wird. Zweig geht auf Vortragsreisen, seine Biografien und Novellen finden reißenden Absatz. Er schreibt schnell und viel, sein Stil ist mitunter pompös, aber er hat großes Gespür für Geschichten. Als 1934 sein Haus nach Waffen durchsucht wird, siedelt er entsetzt nach London über. Die Ehe mit Friderike ist längst zerrüttet, und Zweig heiratet seine Sekretärin Lotte, mit der er sechs Jahre später über New York nach Brasilien emigriert. Unermüdlich hilft er mittellosen Kollegen und bemüht sich, in seiner Arbeit Ruhe zu finden, aber die politische Weltlage und das Gefühl, alt und nutzlos zu sein, lassen ihn innerlich zerbrechen. Am 22. Februar 1942 schluckt Stefan Zweig gemeinsam mit seiner Frau eine tödliche Dosis Gift. Sein letzter Brief gilt Friderike.

    "Ich bin mir sicher, dass Du einmal bessere Zeiten erleben wirst und dafür Verständnis hast, dass ich mit meiner 'schwarzen Leber' nicht länger auszuharren vermochte. Ich schreibe Dir diese Zeilen in meinen letzten Stunden, und Du kannst Dir nicht vorstellen, wie erleichtert ich mich seit diesem Entschluss fühle."