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Von Stephen King bis Jussi Adler-Olsen - neues von den Giganten des Genres

Die Krimi-Kolumne diesmal nur mit den Erfolgreichsten ihrer Zunft. Den perfekten, den meistverkauften, den dicksten, und natürlich, ja: den besten Krimis dieses Winters, des kommenden Frühlings, des ganzen letzten Jahres und der ganzen Welt.

Von Andreas Ammer | 20.03.2012
    Irgendwo in der Kälte von Maine weiß ein unermesslich reicher Schriftsteller, wie man das macht: die Welt zu verbessern. Man muss einfach die Vergangenheit korrigieren. Dass die Vergangenheit das Schlimmste in so manchem Leben ist, weiß auch der derzeit erfolgreichste Verfasser von Spannungsliteratur in Deutschland, der in Dänemark das Leben genießt.

    Die Krimi-Kolumne, heute - abgesehen von unserem Rezensenten - nur mit den Erfolgreichsten ihrer Zunft. Die perfekten, die meistverkauften, die dicksten, und natürlich, ja: den besten Krimis dieses Winters, des kommenden Frühlings, des ganzen letzten Jahres und der ganzen Welt.

    Wow! Das alles in ein paar Minuten?

    Ich sag nur: Stephen King.

    Darauf sagt unser Rezensent: Puh, was für ein dickes Buch. Angesichts von über 1000 Seiten, "Der Anschlag", Wort für Wort und Seite für Seite übersetzt von Wulf Bergner, erschienen bei Heyne .

    Nicht nur vom Umfang her will dieses Buch ein großes Buch sein. Schon seit fast 40 Jahren trägt sich Stephen King mit dem Gedanken, einen Zeitreiseroman über das Jahr 1963 und den Anschlag auf John F. Kennedy zu schreiben.

    Im nächsten Jahr jährt sich der der Kennedy-Mord zum 50. Mal und, laut Groß-Autor Stephen King ist damit endlich genug Zeit vergangen, um einen ordentlichen Roman darüber zu schreiben. Schon 1973 hat er selbst - damals noch als unbekannter Highschool-Lehrer - versucht, dieses Amerikanische Ur-Ereignis zu beschreiben. Er kam nicht über Seite 14 hinaus.

    1973 tat King stattdessen etwas sinnvolleres: Er veröffentlichte seinen Debutroman: "Carrie". Ein Welterfolg, dem vierzig weitere folgen sollten. King schrieb mit "Es" eines der gruseligsten Bücher der Welt und mit der Vorlage zu "Shining", einem Klassiker des Horrorfilms, gelang es ihm sogar als Dirigent des Geister-Orchesters aufzutreten.

    King war nach eigenen Angaben zeitweise so alkohol- und kokainsüchtig, dass er sich nicht mehr erinnern kann, alle seine Bücher wirklich geschrieben zu haben. Trotzdem hat "der King" und Meister seitdem über eine halbe Milliarde Bücher in alle Welt verkauft. Nur den großen amerikanischen Roman, das ernst zu nehmende Werk, das hat er bisher nicht veröffentlicht. - Wollte er auch nie.

    "Der Anschlag", auf amerikanisch "eleven twentytwo sixtythree", ist zwar nur das viertdickste Buch, das Stephen King je veröffentlicht hat. Und es ist auch "nur" ein Zeitreiseroman. Aber es ist künstlerisch trotzdem sein ambitioniertestes Werk. Kann das gut gehen?

    Das Kennedy-Attentat ist eines der mythischen Ereignisse der amerikanischen Geschichte. So wie jeder Deutsche weiß, dass die Weltgeschichte weniger fatal verlaufen wäre, wenn eines der Attentate auf Hitler geglückt wäre, so ist jeder Amerikaner der Meinung, dass man sich Vieles erspart hätte, wenn am 22.11.63 das Attentat auf John F. Kennedy misslungen wäre.
    Die Welt verbessern! - Genau dies versucht nun Stephen King: Im Hinterhof eines heruntergekommenen Diners im Jahr 2011 findet sich in der Vorratskammer eine Tür, durch die man ohne große Umstände in das Jahr 1958 gelangt. Jene Zeit als Amerika noch gut war. Fünf Jahre hätte man da Zeit, so denkt sich der King, den Mord an Kennedy zu verhindern. Wäre dann alles gut, Mr. King?

    Zeitreisen sind - behauptet Stephen King zu recht - ein recht kompliziertes Genre, an dem schon größere Schriftsteller als er - gibt es die ? - größere Schriftsteller als er gescheitert sind. Sein Held Jake soll das Kennedy Attentat verhindern. Stephen King selbst beklagt, dass dieses Ereignis für viele heute 30-jährige nicht so präsent ist wie Nine Eleven. Dabei war das Attentat eigentlich nur ein Zufall. Stephen King will in seinem neuen Roman die Frage beantworten: Was wäre anders gelaufen, wenn es dieses Ereignis nicht gegeben hätte. Keine sonderlich neue Idee, denn dahinter steckt: Kann man die Vergangenheit verändern? Die Antwort, die Stephen King in seinem Wälzer gibt - und darin erweist er sich als wirklich großer Autor - ist verblüffend und originell. Sie lautet: Ja. klar, aber!

    Die Antwort, die unser Rezensent auf die Frage gibt, ob "Der Anschlag" von Stephen King, erschienen im Heyne Verlag ein gutes Buch oder gar ein guter Krimi sei, ist hingegen wenig originell und voraussagbar. Sie lautet: Ja, Klar, Aber! Klar! Schreiben kann King so gut wie kaum einer derzeit. Andererseits: "Der Anschlag" ist etwas zu sehr auf Wirkung hin geschrieben, um wirklich ein großer Roman zu sein. Erfahrungsgemäß gelingt es einem über die Maßen erfolgreichen Spannungsautor eher selten, im Alter wirklich große Literatur zu produzieren. Trotzdem ein gutes Buch. Etwas dick vielleicht. Und damit zum einzigen in einer kapitalistischen Gesellschaft wahrhaft zählenden Qualitätsmerkmal: der Quantität.

    Jussi Adler-Olsen ist mit seinem Gesamtwerk noch nicht ganz in der Kapitalerwerbsklasse eines Stephen King angelangt und ist doch der derzeit meistverkaufte Spannungsautor in Deutschland. Dabei beruht seine Bekanntheit im Grunde nur auf einer Verwechslung.

    Wir schreiben das Jahr 2009. Seit Jahren besetzen die 3 Krimis von Stieg Larsson, die im Deutschen die Titel "Verblendung", "Verdammnis" und "Vergebung" tragen, die Bestsellerlisten und die Hirne von Krimilesern. Etwa zu dieser Zeit wünscht sich fast jeder deutsche Verleger einen skandinavischen Autor, der eine Romantrilogie, - sagen wir - mit den Titeln "Erbarmen", "Schändung" und "Erlösung" geschrieben hat. Die Lektoren durchkämmen die ausgelutschte nordeuropäische Kriminalliteratur. Umsonst. Nur dtv wird fündig. Vom Namen her erinnert dieser gewisse Olsen doch an Larsson. Man macht sich ans Werk.

    Man übersetzt einen Krimi des hierzulande völlig unbekannten Dänischen Autors Adler Olson, der eigentlich "Kvinden i buret", also "Frau im Käfig" heißt, mit "Erbarmen" und versieht ihn - alter Trick -mit einem Titelbild, das sich eng an Stieg Larsson anlehnt. Trotz mäßig origineller, typisch skandinavischer Handlung gelangt das Buch auf Platz 2 der deutschen Bestsellerliste. Den zweiten Band, "Fasandræberne", eigentlich "Fasanenmörder", auf deutsch "Schändung" genannt, gelingt sogar der Sprung an die Spitze. Seitdem ist Adler Olson der erfolgreichste dänische Autor.
    Band 3 der Reihe hieß im Original "Flaskepost fra P", also "Flaschenpost von P", wird im deutschen "Erlösung" genannt und gehört zu den zehn am meisten verkauften Büchern des letzten Jahres in Deutschland.

    Und weil bei Stieg Larsson nach drei Romanen Schluss war, macht der Verlag dtv jetzt auch bei Adler Olson eine Pause und veröffentlicht statt dem vierten Band der auf zehn Bände angelegten Reihe um Kommissar Carl Mörk vom Sonderdezernat Q, das literarische Debüt von Adler-Olsen. Es heißt so wie im dänischen Original "Das Alphabethaus", wurde übersetzt von Hannes Thiess und Maieke Heimburger. Es ist im ersten Teil kaum ein Krimi eher ein Kriegsdrama und kommt ganz ohne Kommissare aus.

    Ein erstaunliches, ein recht gutes Buch, staunt verblüfft unser Rezensent, der zugleich gesteht, nie ein großer Fan von Adler-Olsens "Schändungen" und "Erlösungen" gewesen zu sein. Noch erstaunlicher ist, dass auch dieses Buch an der Spitze der Bestsellerliste liegt. Denn es ist wirklich harter Stoff. "Das Alphabethaus", ein bedrückender historischer Psychothriller, das ambitionierte Erstlingswerk des Psychiatersohnes Adler-Olsen. Die erfolgreichen Kommissar Mörk-Romane erschienen erst danach.

    "Das Alphabethhaus" besteht aus zwei großen Teilen. Der erste spielt im Jahr 1944 und hinter den deutschen Verteidigungslinien. Dort werden 2 britische Elitepiloten abgeschossen. Ihnen gelingt es, sich in einen Lazarettzug zu retten, der psychisch Erkrankte SS-Offiziere in ein spezielles SS-Irrenhaus bringt, in dem die Hälfte der Patienten simuliert um den Schrecken des Krieges zu entgehen. Einem der beiden Helden, Bryan, gelingt die Flucht aus diesem Horrorhaus. Der andere, James, bleibt bis Kriegsende. Unter echten und simulierenden SS-Geisteskranken. Danach ist er verschollen. Erst zur Olympiade 1972 kehrt Bryan als Sportarzt nach Deutschland zurück. Er begibt sich in Deutschland auf die Suche nach seinem alten Kumpan James. Zitat (S. 271):

    "Er registrierte die vielen jungen Menschen, die fröhlich und ausgelassen in den Straßencafés saßen und diese Sprache so fließend und natürlich sprachen, ganz ohne all die hasserfüllten und drohenden Untertöne. Aber als er die zahllosen alten Männer und Frauen bemerkte, sah er in ihren Gesichtern das Kainsmal der Vergangenheit. Und da wusste er, dass er wieder in Feindesland war."

    Dieses wahrhaft beängstigende, mit Deutschland abrechnende Buch, in dem der Weltkrieg auf einer persönlichen Ebene bis ins Jahr 1972 mit unverminderter Gewalt fortgesetzt wird, und in dem die Deutschen beileibe nicht besonders gut wegkommen, steht an der Spitze der deutschen Bestsellerliste!

    Manchmal sind Irrtümer etwas schönes, urteilt unser Rezensent über "Das Alphabethaus" von Jussi Adler-Olsen, erschienen bei dtv.

    Wem ein überbordender Zeitreiseroman und ein gigantomanischer Roman über Psychiatrie in Zeiten des Krieges zu wenig von jener spielerisch, souveränen Art der Kriminalschriftstellerei bieten, die hier in der Krimikolumne so gerne gelobt wird, der spare sein Geld, denn es kommt zu einer ungewohnten Konzentration von lang erwarteten Krimi-Neuerscheinungen.

    Beispielsweise bei Hofmann und Campe endlich der vierte Roman "Finsterau" von Andrea Maria Schenkel. Erster Satz:

    "Roswitha Haimerl stand da, den Mantel zugeköpft, die Tasche unterm Arm."

    Jetzt schon eine Empfehlung.

    Und im Aufbau-Verlag "Die Nacht des Zorns", der noch sehnsüchtiger erwartete neue Adamsberg-Krimi der besten französischen Krimiautorin: Fred Vargas. Erster Satz:

    "Eine Spur kleiner Brotkrumen lief von der Küche zum Zimmer bis auf die sauberen Laken, in denen die alte Frau ruhte, tot und mit offenem Mund."

    Dieser Satz spricht in seiner Größe für sich.

    Wer aber bis zum Erscheinen dieser beiden Meisterwerke weder den Zeitreiseroman von Stephen King noch den Nazi-Rache-Thriller von Adler-Olsen lesen will, der beherzige den immer gleichen Ratschlag, der die Krimikolumne beschließt.

    Besprochene Bücher:

    - Stephen King, Der Anschlag, Heyne
    - Jussi Adler Olsen, Das Alphabethaus, dtv premium
    - Andrea Maria Schenkel, Finsterau, Hoffmann und Campe
    - Fred Vargas, Die Nacht des Zorns, Aufbau-Verlag