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Von Thomas Mann verehrt

Zeit seines Lebens war der dänische Schriftsteller Herman Bang ein getriebener Mensch. Eine Welt unerfüllter Sehnsucht trieb ihn um. Viele seiner Figuren entnahm er dem eigenen Leben.

Von Peter Urban-Halle |
    Der dänische Schriftsteller Herman Bang gehört mit Hans Christian Andersen, Jens Peter Jacobsen und Tania Blixen zu den größten Autoren seines Landes. Thomas Mann hat ihn sehr verehrt. Bang wurde am 20. April 1857 in Asserballe auf der Insel Alsen geboren, sein Vater war dort Pfarrer. Über seine Kindheit schrieb er den autobiografischen Roman "Das weiße Haus", der kurz vor 1900 entstand und noch heute zu seinen meistgelesenen Büchern gehört. Im Mittelpunkt steht die geliebte Mutter und eine unbeschwerte, von Bang fast verklärte Zeit.

    "Kindheitstage, ich will euch zurückrufen, Zeiten ohne Neid, friedliche Zeiten, eurer möchte ich gedenken."

    Diese Kindheitstage waren nur noch Erinnerung, als die Insel Alsen und sein Geburtshaus nach Dänemarks Niederlage 1864 an Preußen fielen. Die Mutter verlor er mit 14, der Vater endete wenige Jahre später in geistiger Umnachtung. Es waren Verluste, die sein Leben prägten und zum Beweggrund seines Schreibens wurden. In Kopenhagen begann seine steile Karriere, zunächst als Journalist. Seine Reportagen machten Geschichte, durch seinen subjektiven, aber realistischen Stil hatten die Leser den Eindruck, am Ort des Geschehens selbst zu sein, sie wurden zu Teilnehmern des Geschilderten. Und er hatte eine Nase für die Dramen des Alltags, wozu er sich auch in Gegenden wagte, die in den bürgerlichen Zeitungen üblicherweise ignoriert wurden, die Vorstädte, die proletarischen Viertel.

    Man fragt sich, wie er dort eigentlich ankam, dieser Herman Bang, der sich nach dem letzten Schrei kleidete, in eine dicke Patschuli-Wolke hüllte und dessen Homosexualität ein offenes Geheimnis war. Er machte auf blasierten Dandy, er war ein Exzentriker, der sich gerne ins Gespräch brachte, und doch nichts sehnlicher wünschte, als beliebt und anerkannt zu sein.

    "Was für ein seltsames Missverständnis ist es doch, einem Dichter vorzuwerfen, dass seine Bücher Bekenntnisse sind. Als könnten seine Werke etwas anderes sein, und als müsste nicht jede Zeile, die er schreibt, Teil von einem Geständnis, Fragment von einem Bekenntnis werden."

    Tatsächlich sind viele seiner Figuren dem eigenen privaten und dem öffentlichen Leben entnommen. Schon in seinem schriftstellerischen Debüt, dem Roman "Hoffnungslose Geschlechter" von 1880, hat er uns in der Figur des geschminkten, "schmächtigen, bleichen" Schriftstellers Bernhard Hoff ein verschlüsseltes Selbstporträt geliefert, fast eine Karikatur. Der Roman machte Skandal und wurde wegen Pornografie beschlagnahmt. Auch seine weiteren Romane sind "Fragment von einem Bekenntnis". Ein Beispiel dafür und doch ein Sonderfall ist "Stuck" von 1887, der erste dänische Großstadtroman überhaupt, in dem er den Aufstieg Kopenhagens zu einer wirbeligen Metropole beschreibt. Auch hier steht der Wirklichkeit, die Bang aus Erinnerungen und Beobachtungen zusammensetzt, eine Welt unerfüllter Sehnsucht gegenüber, die ihn selbst umtrieb. Sie findet ihr Sinnbild in der melancholischen Frauenfigur Katinka Bai aus dem Roman "Am Wege", der kürzlich in den offiziellen dänischen Literaturkanon aufgenommen wurde. Wenn Katinka, die junge Frau eines mittelmäßigen Stationsvorstehers und eine Art Gegenstück zu Flauberts Emma Bovary, nachts nicht schlafen kann, dann geht sie auf den Bahnsteig:

    "Sie liebte es sehr, die Züge im Finstern kommen und gehen zu sehen. Der Laut, anfangs ganz in der Ferne, und dann das Dröhnen, wenn der Zug über die Flussbrücke rollte, und das große Licht, das immer näher kam, und endlich die schwere keuchende Masse, die sich aus der Nacht herauswand ... Wenn dann der Zug wieder fort und das Brausen erstorben war, lag alles wieder schweigend gleichsam doppelt still da."

    Zeit seines Lebens war Herman Bang ein getriebener Mensch, selbst im Sterben noch. Im Oktober 1911 machte er sich nämlich auf eine Vortragsreise rund um die Welt, er war ja ein begnadeter Vorleser seiner eigenen Werke, er inszenierte sie mit theatralischem Talent. Die Tour führte ihn über Russland bis nach China und Ceylon, dann nach Amerika. Nach drei Monaten hektischen Reisens fand man ihn bewusstlos in seinem Schlafwagenabteil im Pazifik-Express. Drei Tage später, am 29. Januar 1912, starb er im US-Bundesstaat Utah, vermutlich an den Folgen einer Gehirnblutung.