Archiv


Von Trabern und Wetten

Im Berliner Stadtteil Mariendorf werden seit 1913 Trabrennen gefahren. Zum beliebten Ausflugsziel wurde sie während der deutschen Teilung, häufig kamen Tausende Zuschauer zu den Rennen. Der Andrang ist heute deutlich geringer, knapp 300 Besucher zählen die Veranstalter jeden Sonntag. Ein Besuch lohnt sich trotzdem noch.

Von Andreas Audretsch |
    Die Trabrennbahn Mariendorf hat wie jeden Sonntag zum Wettkampf geladen. Auf dem großen Oval steuern die neun Fahrer ihre Pferde auf das Startauto zu. Ein blauer Geländewagen mit großen eisernen Flügeln, die die Startlinie markieren.

    "Drehen sie jetzt bitte ein, der Start ist frei."

    Die Pferde sammeln sich hinter dem Startwagen. Der zieht das Tempo an, klappt die Flügel ein und schickt die Pferde im fliegenden Start auf die Runde.

    Im Stall, direkt neben der Bahn bereitet der Mariendorfer Cheftrainer Thomas Heinzig sein Pferd Kilarni vor. Im dritten Rennen soll der schwarze Hengst sein Können beweisen. Kein Sieger-Pferd, meint Heinzig, aber unter die ersten fünf sollte er laufen.

    Die Konkurrenz ist groß geworden in den vergangenen Jahrzehnten. Die Pferde werden immer perfekter für das Traben gezüchtet und zu immer schnelleren Zeiten getrieben, nicht ohne Folgen. Peter Kweet hat seine ersten Rennen in Mariendorf in den 50er-Jahren gefahren, bis heute ist er so oft wie möglich im Stall dabei.

    "Wir hatten früher Pferde, die sich sieben, acht Jahre gehalten haben. Das waren Stars und das Publikum kannte diese Pferde. Die Zeit ist schnelllebiger geworden. Die Pferde sind zwar heute viel, viel schneller, aber sie verbrauchen sich auch schneller. Das heißt, sie reichen mit ihrer Kraft nur ein, zwei Jahre und dadurch haben wir diese Stars nicht mehr."

    Die Begeisterung der Berliner für ihre Trabrennbahn und die Pferde hat nachgelassen. In Zeiten des Kalten Kriegs ist die Bahn im Berliner Westen eine der größten Attraktionen der eingeschlossenen Stadt. Mit dem Fall der Mauern kommen Anfang der 90er-Jahre wirtschaftliche Probleme. Teile des Geländes werden verkauft, die Bahn steht vor dem Aus. Der Tiefpunkt ist circa 2008 erreicht, sagt die Geschäftsführung, seitdem hat sich die wirtschaftliche Lage der Bahn stabilisiert. Trotzdem klingt Wehmut mit, wenn Peter Kweet von früher erzählt.

    "Wir haben wunderschöne Zeiten gehabt, im Moment ist es natürlich etwas zurückgegangen. Aber wir haben tolle Renntage hier gehabt mit 20-, 25.000 Zuschauern und dadurch, dass das Angebot im Umland sehr, sehr groß geworden ist, das heißt Wasserfahrten und Spreewald, sind natürlich auch viele Leute weggebrochen."

    Das Rennen steht an. Kilarni ist fertig eingespannt, Thomas Heinzig hat den Helm aufgesetzt und lenkt den Sulky, den kleinen zweirädrigen Wagen hinter dem Traber, die staubige Piste zur Bahn hinauf.

    Auf der anderen Seite der Bahn steht die große Haupttribüne. Darunter, im Erdgeschoss treffen sich die Stammgäste zum Bier und zum Wetten. Die große Bar, die Traber-Tränke, hat geschlossen, das Geschäft spielt sich heute direkt vor den Wettschaltern ab. An rustikalen Holztischen sitzen ältere Herren, rauchen, fachsimpeln, füllen Wettscheine aus und verfolgen die Rennen auf den alten Fernsehern über den Tischen.
    Viele kommen seit Jahrzehnten hierher, zu den Zockern der ersten Stunde gehört Pferde-Peter, wie er sich selber nennt. Der 74-Jährige wettet seit den 70er-Jahren in Mariendorf.

    "Ich hab schon gewonnen, mindestens, ja wenn ich die Gewinnsummen zusammenzähle in 46 Jahren, dann habe ich weit über 100.000 gewonnen. Aber auf der anderen Seite habe ich auch mindestens 350.000 verloren. Minimum, wirklich Minimum."

    Dass immer alles mit rechten Dingen zugeht, bezweifelt der Rentner. Wo es um Geld geht, gibt's Betrug, sagt er und in den 46 Jahren hat er viel erlebt. Er konzentriert sich auf den Wettschein, das nächste Rennen steht an.

    "Fahren sie bitte die Parade."

    Die Fahrer lenken ihre Pferde der Reihe nach an der Haupttribüne vorbei, geben den Zuschauern und den Wettern die Möglichkeit sich vom Zustand der Tiere zu überzeugen. Auch Cheftrainer Thomas Heinzig reiht sich in die Parade ein.

    Pferde-Peter verfolgt die Parade, macht Kreuze auf seinem Wettschein.
    Im dritten Stock, über der Haupttribüne haben sich Gisela Volkmer und Marlies Woy einen der besten Plätze gesichert. Hier, vom Restaurant aus, lässt sich die ganze Bahn überblicken. Die weißen Tischdeckchen, die vergoldeten Stühle und der blaue Teppichboden sorgen für einen etwas in die Jahre gekommenen Schick. Vor allem ältere Ehepaare und Frauen genießen hier den Sonntagskaffee und wetten auf die Traber.
    Gisela Volkmer und Marlies Woy sind Freundinnen und kommen fast jeden Sonntag. Sie wetten nur ganz kleine Summen, mal einen Euro, mal zwei, wenn trotzdem ein guter Gewinn dabei herauskommt, umso besser, meint Gisela Volkmer.

    "Volkmer: "Ja, ein bisschen Geld wollen wir natürlich auch verdienen."
    Woy: "Aber überwiegend natürlich Spaß."
    Volkmer: "Aber überwiegend ist das natürlich Vergnügen. So'n bisschen der Kitzel, sodass man hier mitmacht so, darum geht's eigentlich. Sagen wir mal so, reich werden wir hier nicht. Eher arm als reich.""

    Die Parade ist gefahren. In seinem Startauto macht sich Detlef Werk bereit. Mit einem Knopfdruck öffnet er die großen Flügel und sperrt damit die Bahn.

    "Ich gucke jetzt, ob alle Pferde in der Nähe sind. Hab hier neun Teilnehmer, und die neun muss ich auch sehen. So und bei Startfrei fahren wir jetzt los. Kommen sie näher, bitte."

    Während ein Kollege das Auto lenkt, blickt Detlef Werk nach hinten. Mit einem Hebel beschleunigt er das Auto langsam, beobachtet wie die Pferde sich nähern. Die neun Fahrer reihen sich den Flügeln entlang auf, auch Thomas Heinzig hat mit Kilarni seine Position gefunden. Mit knapp 60 km/h traben die Pferde nur Zentimeter hinter den eisernen Flügeln, einige haben Schaum vor dem Maul. Dann klappt Detlef Werk die Flügel nach vorne, gibt Gas und zieht davon – das Rennen ist gestartet.

    Ulla Behrend ist die Pflegerin von Kilarni. Sie steht am Rand der Bahn und beobachtet das Rennen. Neben dem schwarzen Hengst läuft noch ein zweites ihrer Pferde mit. Noch liegen sie nicht schlecht, das schlimmste wäre wenn eines der Pferde in den Galopp fällt, wenn es "anspringt", wie es in der Traber-Szene heißt.

    "Jetzt wird einer nach außen gesteuert und könnte angreifen. Wartet aber noch einen Moment, bis sie aus dem Bogen raus sind. Springt jetzt leider an, ganz schlecht. Ist somit raus aus dem Rennen. Unser anderer ist vierter."

    Kilarni hält sich auf einem guten vierten Platz. Pferde-Peter ist an die Bahn hinaus gelaufen, beobachtet nervös wie die Pferde an der Tribüne vorbei ziehen.

    "Jetzt ist meiner vorne, glaub ich. Moment! Huia, Huia, ich hab ... meiner ist vorne, oder guck ich verkehrt? Ich hab verkehrt geguckt ..."

    Die beiden Freundinnen im Restaurant über der Tribüne haben ihre Kaffeetassen abgestellt und beobachten das Rennen aus der Vogelperspektive. Während Marlies Woy wild mit ihrem Fächer wedelt, feuert Gisela Volkmer ihre Favoriten mit Worten an.

    "Die Fünf, die Fünf ist vorbei, fahr doch ... na ja also nu. Die fünf, also nun fahr doch. Ja ne, ne kann er nicht, schafft er nicht."

    " ... das wird ganz eng dahinten. Lindis Child MS ganz vorne, das wird ganz eng, Kampf bis auf die Linie, Unvisible ist vorbei auf der Linie."

    Thomas Heinzig hat mit Kilarni den vierten Platz gehalten. Auf der Piste hinunter zu den Stallungen steigt er ab, geht neben dem Wagen her. Sein Anzug, das Gesicht und die Brille sind mit Schlamm bespritzt, aber er ist zufrieden mit dem Rennen.

    "Unterwegs war das Rennen sehr ruhig und zum Schluss auf den letzen 500 Metern sehr schnell, da kann er dann nicht. Er hat nicht so eine hohe Grundschnelligkeit, aber für seine Verhältnisse ging er sehr vernünftig mit, wir konnten Anschluss halten an die ersten drei und mit dem vierten Platz bin ich voll auf zufrieden heute."

    Ein großer Sieger wird Kilarni wohl nicht mehr, aber für heute hat er gute Arbeit geleistet. Für Pferde-Peter war das Rennen weniger erfolgreich. Sein Tipp war einfach zu riskant, meint er, aber ohne Risiko keine Gewinne. Auch Marlies Woy und Gisela Volkmer haben nichts gewonnen, aber sie hatten ihren Spaß und einen kleinen Nervenkitzel zum Sonntagskaffee.