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Von Transrapid und Fax

Der Transrapid ist ein Beispiel dafür, dass deutsche Ingenieure fortschrittliche Ideen haben, die aber in der praktischen Umsetzung oft scheitern. Zwar ist Deutschland in der Manetschwebebahn-Technik führend, dafür spielt es schon lange keine Rolle mehr in der Informations- und Kommunikationstechnologie oder der Unterhaltungsindustrie.

Von Klaus P. Weinert |
    Dass Deutschland nur mit Innovationen seinen Wohlstand retten kann, das unterstreicht der Bundespräsident mit dem Deutschen Zukunftspreis, der am kommenden Freitag in Berlin zum neunten Mal vergeben wird. Vier Teams sind als Endteilnehmer ausgewählt worden. Prämiert ist eine neue Entwicklung in der Diesel- und Benzineinspritztechnik für Kraftwagen, eine akustische Kamera, die Lärmquellen auch optisch aufnimmt und den genauen Ort des Lärms lokalisiert, ein neues Verfahren, um Pilze bei Pflanzen zu bekämpfen und ein neuer Röntgenstrahler, der Herzkranzgefäße besser abbilden kann.

    Über die Bedeutung des Deutschen Zukunftspreises meint Volker Wanduch, Leiter Technik und Wissenschaft, vom Verein Deutscher Ingenieure:

    " Auf jeden Fall hat dieser Innovationspreis des Bundespräsidenten eine positive Wirkung, weil er eine Vorbildfunktion hat. Er versucht der Gesellschaft Innovationen nahe zu bringen. Und es werden hier insbesondere Innovation prämiert, die noch nicht ganz eine Innovation sind, sondern eher eine Invention, also gerade das Erfinderstadium überschritten haben, aber deren Anwendung in den nächsten Jahren bevorsteht."

    Den Sieger des Deutschen Zukunftspreises bestimmt die Jury vor der Preisverleihung. Der Bundespräsident zeichnet dann Erfinder und Forscher aus, die nicht nachlassen in der Suche nach neuen Verfahren und Produkten. Das Ziel ist es insbesondere, die anwendungsbezogene Forschung in Deutschland zu stärken.

    Der Deutsche Zukunftspreis will auf den globalen Wettbewerb aufmerksam machen, der Deutschland dazu zwingt, seine Innovationsfähigkeit immer wieder unter Beweis zu stellen. Dass es Defizite in Deutschland gibt, zeigt das Beispiel Transrapid:

    " Es ist ein hervorragendes Produkt, das auch ökonomisch betrieben werden kann. Es hat auch viele Vorteile, die kurzen Fahrzeiten, der hohe Komfort."

    Rainer Schach zum Transrapid, Professor vom Kompetenzzentrum für Hochleistungsbahnen an der Technischen Universität in Dresden.

    Seit Januar 2004 fährt der Transrapid in China. Er verbindet den Long Yang Road Bahnhof mit dem internationalen Pudong Flughafen. Die Fahrzeit für die 30 Kilometer beträgt acht Minuten bei einer Geschwindigkeit von 430 Kilometern pro Stunde.

    Die Hochtechnologie des Transrapid ist weltweit anerkannt. Weitere Strecken in China, England und den USA werden derzeit geprüft. Professor Rainer Schach von der Technischen Universität Dresden:

    " Wir Deutschen sind aus meiner Sicht in vielen Fällen zu zögerlich. Wir wollen alles perfekt absichern. Wir stellen umfangreiche Berechnungen dar. Und diese Berechnungen, die sind oft mit Unsicherheiten verbunden, und dann hat man Schwierigkeiten so eine Technologie umzusetzen. Ich hatte vor kurzem ein Gespräch mit dem Kommander Wu, der die Anwendungsstrecke in Shanghai umgesetzt hat, und er hat gesagt, wenn wir die Strecke nicht wirtschaftlich betreiben können, dann arbeiten wir danach solange, bis sie wirtschaftlich betrieben werden kann. Diese Einstellung fehlt uns in Deutschland vollkommen."

    Es gibt Berechnungen für die Strecke zum Münchner Flughafen, dass diese sogar mit Gewinn betrieben werden kann. Zwischen Flugzeug, Eisenbahn und Auto ist der Transrapid ein neues Verkehrssystem, das vor allem für Strecken zwischen 100 und 800 Kilometern gut geeignet wäre und daher die Bahn, auch den ICE, und das Flugzeug auf diesen Strecken ergänzen oder sogar ersetzen könnte. Strecken bis 800 Kilometer sind mit dem Transrapid bequem in einem Tag zu bewältigen. Vorteil ist, dass für ihn - im Vergleich zum Flugzeug - vor allem die langen Ein- und Ausstiegzeiten wegfallen.

    Der Transrapid ist ein Beispiel dafür, dass deutsche Ingenieure fortschrittliche Ideen haben, die aber in der praktischen Umsetzung oft scheitern. Beim Transrapid vor allem aus ökonomischen Gründen, da Wirtschaftlichkeitsrechnungen zu unterschiedlichen Ergebnissen führten. Argumentiert man aber auf dieser Grundlage, dann würde es auch keinen Airbus geben, den die Regierungen viele Jahre massiv finanziell unterstützen mussten. Die Magnetschwebetechnik jedoch stammt aus den 30er Jahren und wartet immer noch auf einen Markt!

    Zwar ist Deutschland in der Manetschwebebahn-Technik führend, dafür spielen wir schon lange keine Rolle mehr in der Informations- und Kommunikationstechnologie. Jüngst hat sogar Siemens seine Handy-Sparte aufgegeben. Diesen Markt teilen sich im Wesentlichen die USA, aber auch kleine Länder wie Schweden und Finnland. Volker Wanduch, Leiter der Abteilung Technik und Wissenschaft beim Verein der Deutschen Ingenieure in Düsseldorf:

    " Bei der Informations- und Kommunikationstechnologie hatten wir früher die besten Entwicklungen in Deutschland, erinnert sei an das Telefax, aber auch den MP3-Player, der aber von ausländischen Firmen zur eigentlichen Innovation geführt wurde, zum erfolgreichen Produkt, leider nicht von deutschen Firmen. Hier liegt der größte Nachteil wohl in den Verhalten der Unternehmen, die damals in der informationstechnischen Branche tätig waren und die Zeichen der Zeit verschlafen haben."

    Siemens, so wird unterstrichen, hat vor allem die Klapphandys verschlafen und dadurch Marktanteile verloren. Die Produktion lohnt sich nicht mehr und Hersteller wie Nokia oder Ericsson können nun um die Kunden von Siemens konkurrieren. Deutschland hat offenbar vor allem im innovativen Konsumentenbereich Schwierigkeiten, marktfähige Produkte zu entwickeln, insbesondere auch in der Unterhaltungsbranche.

    So hat Deutschland in den 60er Jahren nicht erkannt, dass Filme - die in Deutschland wesentlich unter ästhetischen Gesichtspunkten betrachtet werden - auch ein Industriezweig werden könnten, mit dem man viel Geld verdienen kann. Die USA haben diese Chance damals in den Westernfilmen ergriffen und beherrschen heute den globalen Filmmarkt. Zum Teil sind aber auch asiatische Produktionen erfolgreich, wenn es um den Geschmack des Massenpublikums geht.

    Weltweit spielt die Unterhaltungsindustrie eine immer größere Rolle. Seit einigen Jahren erobern die Computer- und Videospiele mehr und mehr Anhänger. In diesem Bereich ist auch Phenomedia tätig aus Bochum - die Firma hat sich nach dem Börsengang am Neuen Markt und dem Niedergang dieses Börsensegments im Juli 2004 neu gegründet. Michael Zoll, Projekt- Manager, erklärt ein neues Spiel:

    " Es gab ja eine ganze Menge Science-Fiction-Filme, die jetzt rausgekommen sind. Jetzt gibt es auch eine Invasion der außerirdischen Moorhühner, und da geht es im klassischen Sinne darum, die Moorhühner vom Himmel zu holen, wie man das kennt und gewohnt ist. Aber man bekommt jetzt Konkurrenz von außerirdischen Moorhühnern, die nichts Besseres zu tun haben, unsere anderen Moorhühner weg zu beamen, und deshalb muss ich das verhindern und mich dementsprechend um die Moorhühner kümmern und um die Alienmoorhühner."

    Phenomedia produziert so genannte "casual games", das sind Spiele, die man einfach mal zwischendurch spielen kann. Sie dauern nur einige Minuten, im Gegensatz zu anderen Spielen, die auf verschiedenen Schwierigkeitsebenen manchmal sogar Stunden in Anspruch nehmen können. Weltweit hat Deutschland hinsichtlich der Abspielgeräte für Videospiele schon längst den Anschluss verpasst. Diese so genannten Konsolen werden von Microsoft aus den USA hergestellt, von Nintendo und Sony aus Japan.

    Diese Unternehmen entwickeln auch Videospiele. Dass dies ein gewinnbringender Markt ist, zeigt ein Spiel von Microsoft mit dem Namen "Halo 2", das im Dezember 2004 auf dem Markt kam und innerhalb eines Monats fünf Millionen mal verkauft wurde, so unterstreicht es eine Pressemitteilung von Microsoft. Das Spiel kostete rund 50 Dollar, Microsoft hat in einem Monat also 250 Millionen eingenommen. Mittlerweile gibt es weit über zehn Millionen Käufer.

    Dass Videospiele ein äußerst lukratives Geschäft sind , belegt das Engagement von Microsoft. Offenbar sieht der größte Softwarehersteller der Welt auch in dieser Branche einen Zukunftsmarkt mit hohen Gewinnmargen. Warum Deutschland den Anschluss verpasst hat, dazu Tom Putzki von Phenomedia, Leiter der Marketingkommunikation:

    " Zum einen ist die Investitionsbereitschaft in den USA, in England, Frankreich in den asiatischen Raum in das Thema Videospiele, Computerspiele, interactive Entertainment, um ein Vielfaches größer als in Deutschland. Das haben wir selber am eigenen Leibe erlebt, wenn man zur Banken geht und einen Kredit will, dann wird nach Sicherheiten, nach Grundstücke und Maschinen gefragt. Entschuldigung! - Unsere Sicherheit sind die Ideen, unsere Programmcodes, die wir auf CD-Rom Rohlingen anbieten. In anderen Ländern hat man das verstanden."

    Investoren und Banken in Deutschland haben offenbar immer noch große Probleme, die richtigen Instrumente zu finden, um nicht greifbare, virtuelle Werte besser einschätzen zu können. Immer häufiger sind Ideen, menschliche Kreativität, gerade im Unterhaltungsbereich ausschlaggebend, um den Erfolg zu prognostizieren. Zwar sind Prognosen mit Risiken verbunden, die in den USA durchaus akzeptiert werden. Investoren lassen sich dort auch nicht grundsätzlich abschrecken, wenn ein Projekt einmal floppte.

    Darüber hinaus hat Deutschland insbesondere im Videospielemarkt keine so genannten "Publisher". Das sind Vertriebsunternehmen, die global tätig sind. Die Großen der Branche beherrschen den Handel, wie "Electronic Arts" aus den USA; aber auch die Franzosen haben mit "Ubisoft" ein weltweit agierendes Unternehmen.

    Mit elektronischen Spielen wird in Deutschland laut der Unternehmensberatung BBE ein Umsatz von knapp 1,4 Milliarden Euro gemacht. Davon verbleiben nach Schätzungen nur 250 Millionen bei deutschen Produzenten. Warum Deutschland sich auf dem Spielemarkt schwer tut, dafür hat Tom Putzki von Phenomedia noch eine weitere Erklärung:

    " Zum anderen muss man ganz klar sagen, dass Deutschland zumindest in gewissen Köpfen noch ein eher spielefeindlich eingestellten Land ist. Das Freizeitbudget, das die Leute für die Freizeitgestaltung ausgeben, ist sicher nicht kleiner als in anderen Ländern. Aber es herrscht immer noch die Meinung vor: spielen, das ist eher etwas für Kinder, spielen ist eigentlich für Erwachsene Zeitverschwendung, ist keine sinnvolle Feizeitnutzung. Das ist Quatsch. Aber solange diese Meinung noch in den Köpfen vorherrscht, haben wir es natürlich auch schwerer. "

    Vor ein paar Wochen meldete Game Daily - eine Online-Zeitung für die professionelle Spieleindustrie -, dass die chinesische Regierung in den nächsten drei Jahren 1,3 Milliarden Dollar in die Entwicklung von Online-Spielen investieren will. Oft spielen mehrere Millionen Menschen - auch weltweit - ein Spiel, für das sie bis zu zehn Dollar oder auch mehr pro Monat zahlen. Die Einnahmen für den Anbieter erreichen dann schnell zweistellige Millionenbeträge.

    Heftige Kontroversen gibt es auch in der Biotechnologie, die häufig mit Experimenten an Menschen, Tieren oder Pflanzen in Verbindung gebracht wird, mit wie dem geklonten Schaf Dolly. Viele Bürger sehen eine Gefahr, dass diese Forschung den Menschen und der Umwelt mehr schadet als nützt. Volker Wanduch vom Verein Deutscher Ingenieure:

    " Bei der Biotechnologie ist es so, dass biotechnologische Forschung in der allgemeinen Diskussion immer zusammen mit der Stammzellenforschung gebraucht wird und nicht unterschieden wird zwischen Stammzellenforschung mit medizinischen Anwendungen oder den Agrarbereich oder Industriebereich. Für uns äußerst spannend ist der Industriebereich, weil wir können sehr viele chemische Verfahren und auch im Bereich der kunststofftechnischen Verfahren ablösen durch biotechnologische Verfahren, die dadurch wesentlich effizienter wären, viel umweltfreundlicher wären, wenn man dort die entsprechenden Forschungen zuließe."

    In der Regel werden für biotechnologische Verfahren immer neue Genehmigungen verlangt, gleichgültig, ob medizinische oder industrielle Forschung damit betrieben wird. Trotz mancher negativer Schlagzeilen und Entwicklungen hat Deutschland nach wie vor in der Biotechnologie aber gute Voraussetzungen, den Anschluss nicht zu verlieren.

    Die Firma Qiagen in Hilden bei Düsseldorf ist sogar weltweit führend in der Vorbereitung von Proben für die genetische Forschung. Jens Winter, Trainingsmanager und Biologe erläutert das Verfahren:

    " Sie befinden sich hier im Trainingslabor und was ich hier aufgebaut habe, ist ein typisches Qiagenprodukt in einer blauen Box mit verschiedenen Lösungen und einer Komponente: es ist eine Säule, in der sich eine Membran befindet. Und was sie dort machen: sie entnehmen Zellen. Aus diesen Zellen isolieren sie die Erbinformation, in diesem Fall nennt man das Molekül DNA. "

    Die Isolierung der Erbinformation eines Menschen - der DNA - ist zum Beispiel für Vaterschaftstest erforderlich oder um genetische Spuren bei Gewaltopfern zu analysieren, um später den Täter dingfest zu machen. Qiagen forscht und arbeitet überall dort, wo Biologen, Chemiker oder Mediziner Erbinformationen brauchen, um Stoffe zu analysieren, Diagnosen zu stellen oder auch Krankheiten zu erforschen.

    Der rasante Fortschritt in der Medizin und Biologie erfordert es, den Markt genau zu beobachten und rechtzeitig auf Neuerungen zu reagieren. Solveigh Mähler, Leiterin Investor Relations:

    " Wir verstehen uns als Werkzeughersteller, als Tools Provider, der seinen Kunden Werkzeuge in die Hand gibt, um Probleme möglichst einfach zu lösen. Als Werkzeughersteller muss man sehr, sehr früh am Markt sein, das heißt, man muss das Produkt am Markt haben, bevor der Kunde überhaupt merkt, dass er das spezifische Problem hat. Um dann sagen zu können: Wir haben genau das richtige Produkt für dein Problem und können es dir verkaufen. Das bedeutet für uns natürlich, dass wir mindestens für drei bis fünf Jahre im voraus denken und den Markt auch soweit in die Zukunft screenen müssen und ganz genau identifizieren müssen, was die Bedürfnisse der Zukunft unserer Kunden sein werden."

    Die Firma Qiagen hat weltweit Niederlassungen , um ihre Kunden vor Ort zu betreuen. Der Standort Deutschland bleibt für das Unternehmen aber nach wie vor wichtig, wie Solveigh Mähler unterstreicht:

    " Deutschland ist für uns doch sehr, sehr wichtig. Zum einen, weil wir hier unsere Wurzeln haben, wir kommen von der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität als ein "Spin-off". Deutschland ist für uns schon ein Innovationspool. Wir arbeiten gerade in Deutschland mit sehr, sehr vielen Universitäten zusammen. Wir rekrutieren hier auch eine ganze Reihe unserer wissenschaftlichen Mitarbeiter und haben von daher, auch wenn wir global orientiert sind, hier doch so etwas wie unsere innovative Heimat."

    Noch werden in Deutschland hochwertige Produkte hergestellt, wie auch die Exportstatistik ausweist. Kraftfahrzeuge, Maschinen und chemische Produkte, die viel Know-how erfordern, sind auf den Weltmärkten nach wie vor konkurrenzfähig. Professor Thomas Gries von der Universität Paderborn, der sich mit internationalem Wachstum beschäftigt:

    " Der Exportüberschuss, den wir haben, ist zurückzuführen auf hocheffiziente Unternehmen, die wir haben und zwar von großen zu den Mittelständlern bis zu den kleinen - unsere Unternehmen sind wirklich gut. Die Unternehmen, die Erfolg haben, haben einzigartige Produkte, sind teilweise Weltmarktmonopolisten. Sie sind auch gut, indem sie die globalen Möglichkeiten der Produktion nutzen, die Wertschöpfungskette ist global. Deshalb sind wir erfolgreich im Export. Das hilft nur zum Teil den Menschen in Deutschland selber, die sind zum Teil an diesen Prozessen nicht mehr beteiligt."

    Gerade deswegen ist der Deutsche Zukunftspreis so wichtig. Wir brauchen Arbeitsplätze mit hoher Qualität. Denn einfache Tätigkeiten stehen in direkter Konkurrenz zu den Arbeitskräften in Osteuropa oder Asien. Geringere Löhne zu zahlen - wie häufig vorgeschlagen - kann langfristig keine Lösung sein. Arbeitsplätze zu schaffen, um unseren Wohlstand zu sichern, das ist nicht die Aufgabe eines Billiglohnsektors, sondern vor allem eine Frage des deutschen Forschungs- und Innovationsniveaus. Professor Thomas Gries:

    " Wenn wir vergleichen, wie viel Ressourcen, wie viel Geld bei unseren direkten Wettbewerbern.. den Amerikaner, ausgegeben wird für Forschung, Entwicklung, Bildung, Ausbildung, dann müssten wir, um auf die gleichen Pro-Kopf-Ausgaben zu kommen pro Jahr zwischen 40 und 70 Milliarden Euro mehr ausgeben. Das ist eine Dimension, die deutlich macht, dass dies jenseits ist aller Diskussion, die wir in der Öffentlichkeit hören. Wenn ich einen internationalen Gast habe, aus den nordamerikanischen Bereich, und wir gehen durch die Universität und man sieht Hörsäle, wo bis zu 800 Studenten reinpassen, dann fragt der Kollege, ob wir hier Kino machen. Das heißt die Betreuungsverhältnisse in USA sind deutlich besser als bei uns. Die Zahlen, die ich eben genannt habe, diese 40 bis 70 Milliarden betreffen ausschließlich die öffentlichen Ausgaben. Die Vorstellung, die Amerikaner sind besser ausgestattet, weil das privat erhobene Gelder sind, ist nicht richtig, es geht hier um die öffentlichen Ausgaben."

    Dass Deutschland weltweit immer noch konkurrenzfähig ist, das haben wir vor allem der traditionellen Stärke Deutschlands im Werkzeug- und Maschinenbau zu verdanken. Noch immer gibt es Firmen, die oft unscheinbar in Industriegebieten ihre Niederlassungen haben und an denen man achtlos vorbeifährt, die aber Produkte in die ganze Welt verkaufen.

    Die Firma Centa in dem kleinen Ort Haan bei Wuppertal ist ein mittelständisches Familien-Unternehmen, das im Segment der Antriebswellen und Kupplungen für Bagger, Bahnen oder Windräder Weltmarktführer ist.

    Centa hat Niederlassungen in den USA, Australien oder Singapur und zahlreiche Kooperationspartner weltweit. Der Erfolg liegt wie bei vielen mittelständischen Unternehmen darin, dass sie sich den globalen Herausforderungen anpassen und Produkte herstellen, die nicht einfach nachzubauen sind. Bernd Kirschey, Familienmitglied und einer der Geschäftsführer:

    " Zunächst versuchen wir in den Märkten präsent zu sein, das heißt, den Markt vor Ort erschließen. Dadurch festigen wir schon eine Position, wo ein Angreifer - in Anführungszeichen - schon etwas schwerer tut. Dann ist in unserer speziellen Branche es so, dass wir mehr von Beratung und Know-how leben als nur von Massenfertigung, und die Firmen im Ausland heute in der Regel diese Beratungsintensität nicht abdecken können."

    In Zukunft ist damit zu rechnen, dass das Ausland auch im Know-how weiter aufholt. Darauf müssen sich die Unternehmen einstellen, auch mit Produktionsstätten vor Ort., damit sie rasch beraten können. Das ist wichtig, um die Bedürfnisse der Kunden zügig in Produkte umzusetzen, aber auch um Kostenunterschiede auszugleichen. Um den Erfolg zu sichern, sind Bedingungen in Deutschland erforderlich, auf die Mittelständler immer wieder hinweisen. Bernd Kirschey:

    " Was möchten wir als Firma haben, um am Standort weiter gut zu existieren? Das sind zum einen stabile Rahmenbedingungen, wobei aus Sicht eines Mittelständlers man sagen muss: möglichst wenig Eingriffe staatlicherseits, ums sich frei entfalten zu können und eben auch Langfristigkeit, damit man weiß: eine Entscheidung, die wir heute treffen für eine Investition, wird nicht morgen aufgrund steuerlicher oder anderer Rahmenbedingungen rückwirkend rückfällig, wirtschaftlich falsch. Dann ganz wichtig: Wir leben von unserer Innovationen und die können nur daher kommen, dass wir entsprechend qualifizierte Mitarbeiter haben. Daher steht für uns das Thema Ausbildung, Ausbildungsberuf und Studium ganz oben an."

    Auch gewerblichen Schulen müssen sich den neuen Anforderungen angleichen wie auch die allgemeinbildenden Schulen bis zur zehnten Klasse. So entspricht die Schulausbildung häufig nicht mehr den Erfordernissen der heutigen Zeit. Ebenso mangelt es daran, den Stoff in Mathematik, Chemie, Deutsch oder Englisch anders zu vermitteln als noch vor 20 oder 30 Jahren.

    Für Deutschland bedeutet dies, größeres Augenmerk auf Schulen und Universitäten zu legen, so wie es uns Staaten wie Schweden, Finnland, aber auch Kanada vormachen. Rund 40 Prozent Hochschulabsolventen eines Jahrgangs gibt es in diesen Ländern, in Deutschland nur 23 Prozent. Das meldete im Frühjahr die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit, die OECD, in Paris . Diesen Weg müssen wir auch gehen, sagt Thomas Gries von der Universität Paderborn. Er verwirft darüber hinaus das Argument, dass wir kein Geld hätten für mehr Investitionen in Bildung:

    " Die Argumentation ist nicht richtig. Wenn Sie gucken, was für Haushaltsvolumen wir ausgeben. Da ist jede Menge Geld da. Es ist eine Frage der Priorität. Wenn ich zu meinem Arbeitsplatz fahre, fahre ich durch drei Dörfer, und diese drei Dörfer haben in drei Jahren mindestens drei Verkehrskreisel bekommen. Ein Verkehrskreisel kostet 350.000 Euro. Für diesen Kreisel können sie zehn Jahre an der Grundschule des jeweiligen Dorfes einen weiteren Lehrer einstellen, und dann hätten wir finnische Verhältnisse. Und da muss die Regel gelten: Jeder Euro, der ausgegeben wird, sollte ausgegeben werden als erste Priorität im Bildung-, Forschungs- und Innovationsbereich, zweite Priorität Bildungs-, Forschungs- und Innovationsbereich. Und wenn dann noch etwas übrig bleibt, dann kann ich auch Kreisel bauen oder kann andere Dinge machen."