Literatur, die an private Lebensgeschichten vorangegangener Generationen vor dem Hintergrund der jeweiligen Zeitgeschichte zu erinnern versucht, ist gegenwärtig in Mode. Meist befassen sich diese Bücher mit der Zeit des Nationalsozialismus und verwandeln Geschichte in Familiengeschichte. "Meines Vaters Land", "In den Augen meines Großvaters", "Mein Kriegsvater" und so weiter lauten bekannte Titel.
Bemerkenswert ist diese literarische Erscheinung in einer Zeit, in der die historische Forschung über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts nahezu keine Lücke mehr gelassen hat, die Zeitgenossen also alles über die politischen, kulturellen, ökonomischen Verhältnisse, in denen Eltern und Großeltern lebten und handelten, wissen oder nachlesen können. Doch offenbar löste die längst nicht mehr zu leugnende Erkenntnis, dass die Spuren der Verbrechen bis in die eigenen vier Wände reichen, eine neue Welle der Familienliteratur aus. Dabei versuchen die einen, sich offen mit der Verantwortung der Vorfahren für Krieg und Völkermord auseinanderzusetzen, und reflektieren die Folgen für ihre eigene Biographie. Andere setzen die Nachkriegstradition des Verleugnens und Entschuldens auf neue Weise fort.
Birgit Rabischs Buch handelt von der Vorgeschichte des Nationalsozialismus, vom 1. Weltkrieg, der Weimarer Republik und ihren erklärten Feinden, die sich später in der NSDAP wieder fanden. Das Buch gibt in der Ankündigung vor, dramatische Ereignisse im Leben ihrer Großmutter Rosa zu 'rekonstruieren’, jener Rosa Klapproth, die in die politischen Machenschaften der Schwarzen Reichswehr verwickelt war und als Schwarze Rosa zum rechten Gegenbild von Rosa Luxemburg stilisiert wurde. Das Material dieser so bezeichneten "Rekonstruktion" gleicht dem vieler ähnlicher Bücher: Es besteht im wesentlichen aus den Arbeiten von Historikern – in diesem Fall über die Weimarer Republik, über die illegale Schwarze Reichswehr und deren Fememorde. Die Großmutter selbst, bei der die Autorin aufwuchs, hat über sich nie etwas erzählt, Verwandte, die diese Lücke füllen könnten, gibt es offenbar nicht. Der Ausgangspunkt der Recherche der Enkelin ist ein Schuhkarton, nach dem Tod der Großmutter geöffnet, in dem sich ein Artikel Carl von Ossietzkys aus der Weltbühne vom 27. Dezember 1927 fand. Darin geht es um die Verurteilung des Oberleutnants a.D. Paul Schulz zum Tode wegen der Anstiftung zu den Fememorden. Von der Mutter erfuhr die Autorin nicht mehr, als dass Großmutter Rosa mit diesem Schulz einmal verlobt war. Das ist nicht viel und hätte kaum zu einer Biographie gereicht, wenn die Autorin nicht zum Trick der Fiktion gegriffen hätte. In Gestalt eines Romans lässt sie fortan ihrer Einbildungskraft freien Lauf. Dass die Phantasie der Wirklichkeit gelegentlich näher kommt als die Forschung professioneller Historiker, ist kaum zu bestreiten, doch setzt Geschichte als Erzählung eine reflektierte Distanz zum Gegenstand und zu den beschriebenen Personen voraus.
Nun gibt es gelungene Beispiele für die Verwandlung geschichtlicher Stoffe in die Form des Romans. Jüngstes Exempel ist die gerade erst ins Deutsche übersetzte 'Suite francaise’ der im Konzentrationslager ermordeten Irene Nemirovsky, in der sie detailreich von den Reaktionen verschiedener französischer Klassen und Milieus auf die deutsche Besatzung erzählt. Dazu bedarf es allerdings genauer Milieustudien, eines erzählerischen Konzepts und nicht zuletzt eines literarischen Talents.
Birgit Rabisch jedoch vermischt journalistische Recherche, historische Lektüre und das Bedürfnis, über die vertraute-fremde Großmutter alles erfahren zu wollen, und wagt sich damit an einen Familienroman, der dem Leser suggeriert, er sei in jeder Lebenslage dabei:
" Als dem Weber Christoph Klapproth aus Mägdesprung im Harz am 19. April 1899 von seiner Frau Erna das vierte Kind geboren wurde, verkündete die Hebamme ihm die Botschaft mit den Worten: "Na, Christoph, ein neues Maul zu stopfen." "
So beginnt der Roman der Enkelin, und in diesem Stil geht es auch weiter. Die arme Webersfamilie lässt sich vom ältesten Sohn überreden, 1910 nach Posen zu ziehen, wo sie Unterstützung von deutschnationalen Kreisen bekommt und einen kleine Landwirtschaft betreiben kann. Man wollte Deutsche in diesen Teil Preußens locken, wo mehrheitlich Polen und Kaschuben wohnten. Nach dem verlorenen 1. Weltkrieg gaben dann die Siegermächte das Gebiet an Polen, und die Klapproths, so erzählt es jedenfalls die Autorin, seien von ihren polnischen Nachbarn vertrieben worden. Schemenhaft, gelegentlich ein wenig platt, deutet die Autorin die Ressentiments und den Hass in kleinen Szenen zwischen Schulfreundinnen, Schülern und Lehrer, in ersten Liebschaften an. Großmutter Rosa lässt sie zudem durch einen deutschen Pfarrerssohn vergewaltigen – einen Sozialdemokraten und Nietzsche-Leser, der das junge ungebildete Mädchen zunächst durch seine Belesenheit beeindruckt hatte. In Pommern eröffnete die Familie Klapproth eine Kneipe und dort lernte Rosa - in der Phantasie der Autorin - den Oberleutnant a.D. Paul Schulz durch ihren Bruder Erich kennen, der sich längst in reaktionären nationalistischen Kreisen des durch die Niederlage gedemütigten Militärs bewegte. Schulz, das ist historisch verbürgt, war einer der Köpfe der paramilitärischen Schwarzen Reichswehr, und durch diese Liaison lässt Birgit Rabisch ihre Großmutter in die große Politik eintreten. Rosa und Paul teilen kleinbürgerliche Ressentiments, den Hass auf 'die Polacken’ und bald darauf auch auf 'die Juden’, und - so phantasiert die Autorin weiter - sie teilen bald das Bett. Der Versuch, mit Hilfe der literarischen Fiktion Mentalitäten aus nächster Nähe zu beleuchten, die sozialpsychologische Grundierung politischer Optionen verstehbar zu machen, gleitet in erotischen Kitsch ab:
" Er spürte, dass Rosa nicht zu den Frauen gehörte, die man im Sturmangriff erobern konnte. Das machte sie für ihn umso reizvoller. Wie im Militärischen liebte er die schwierigen Aufgaben, die Diplomatie, Geduld, Phantasie und Fingerspitzengefühl erforderten. Vor allem seine Fingerspitzen schickte er an die vorderste Front. Sie streichelten ausgiebig Rosas Nacken, bis ihr ganzer Körper von wohltuenden Gänsehautschauern überzogen wurde. Zum Schluss küsste er sie kurz und zart auf den Mund, rückte wieder von ihr weg und sprach mit ihr über den Vertrag von Rapallo. "
Was weiß der Leser, wenn er das weiß? Zunehmend erweckt die Geschichte Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit, und man fragt sich, ob nicht die Autorin weniger vom Interesse an Aufklärung über das Verhältnis zwischen einer besonderen Lebensgeschichte und der Zeitgeschichte als vom Wunsch getrieben wird, der verständlicherweise geliebten Großmutter eine Biographie anzudichten, in der deren Entscheidungen den Eindruck erwecken, es habe keine Alternative gegeben.
Rosa bricht abrupt mit ihrem Verlobten, erfindet die Enkelin, weil sie den geliebten Mann des Verrats überführt und ihre hehren Ideale von Treue und Kameradschaft verletzt sieht.
Rosa Klapproth war tatsächlich schwanger von Paul Schulz und heiratete einen anderen, der fortan als Vater ihres Sohnes Heinrich galt. Die Autorin will, dass ihre Großmutter über die Taten der Fememörder, zu denen auch ihr Bruder Erich gehörte, wenig wusste und sich wenig Gedanken machte. Erst im Zuge der späteren Prozesse bekam sie in den Augen ihrer Enkelin erste Zweifel an den Darstellungen ihres Ex-Verlobten über die angeblichen Verräter, die im Interesse des Vaterlandes hinterrücks liquidiert werden mussten.
Birgit Rabisch versucht nicht, das muss man ihrem Buch zugute halten, die Geschichte der Schwarzen Reichswehr und ihre Rolle bei der Vorbereitung der nationalsozialistischen Herrschaft in irgendeiner Weise zu beschönigen, die Problematik ihres Buches liegt eher in der distanzlosen Erfindung einer Biographie, einer Erfindung, die am Ende mehr über die Empfindungen der Enkelin preisgibt, als über die Lebensgeschichte der Großmutter.
Birgit Rabisch: Die schwarze Rosa
Eine Frau in der Weimarer Republik
Verlag zu Klampen, Springe 2005, 190 Seiten, 19,80 Euro
Bemerkenswert ist diese literarische Erscheinung in einer Zeit, in der die historische Forschung über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts nahezu keine Lücke mehr gelassen hat, die Zeitgenossen also alles über die politischen, kulturellen, ökonomischen Verhältnisse, in denen Eltern und Großeltern lebten und handelten, wissen oder nachlesen können. Doch offenbar löste die längst nicht mehr zu leugnende Erkenntnis, dass die Spuren der Verbrechen bis in die eigenen vier Wände reichen, eine neue Welle der Familienliteratur aus. Dabei versuchen die einen, sich offen mit der Verantwortung der Vorfahren für Krieg und Völkermord auseinanderzusetzen, und reflektieren die Folgen für ihre eigene Biographie. Andere setzen die Nachkriegstradition des Verleugnens und Entschuldens auf neue Weise fort.
Birgit Rabischs Buch handelt von der Vorgeschichte des Nationalsozialismus, vom 1. Weltkrieg, der Weimarer Republik und ihren erklärten Feinden, die sich später in der NSDAP wieder fanden. Das Buch gibt in der Ankündigung vor, dramatische Ereignisse im Leben ihrer Großmutter Rosa zu 'rekonstruieren’, jener Rosa Klapproth, die in die politischen Machenschaften der Schwarzen Reichswehr verwickelt war und als Schwarze Rosa zum rechten Gegenbild von Rosa Luxemburg stilisiert wurde. Das Material dieser so bezeichneten "Rekonstruktion" gleicht dem vieler ähnlicher Bücher: Es besteht im wesentlichen aus den Arbeiten von Historikern – in diesem Fall über die Weimarer Republik, über die illegale Schwarze Reichswehr und deren Fememorde. Die Großmutter selbst, bei der die Autorin aufwuchs, hat über sich nie etwas erzählt, Verwandte, die diese Lücke füllen könnten, gibt es offenbar nicht. Der Ausgangspunkt der Recherche der Enkelin ist ein Schuhkarton, nach dem Tod der Großmutter geöffnet, in dem sich ein Artikel Carl von Ossietzkys aus der Weltbühne vom 27. Dezember 1927 fand. Darin geht es um die Verurteilung des Oberleutnants a.D. Paul Schulz zum Tode wegen der Anstiftung zu den Fememorden. Von der Mutter erfuhr die Autorin nicht mehr, als dass Großmutter Rosa mit diesem Schulz einmal verlobt war. Das ist nicht viel und hätte kaum zu einer Biographie gereicht, wenn die Autorin nicht zum Trick der Fiktion gegriffen hätte. In Gestalt eines Romans lässt sie fortan ihrer Einbildungskraft freien Lauf. Dass die Phantasie der Wirklichkeit gelegentlich näher kommt als die Forschung professioneller Historiker, ist kaum zu bestreiten, doch setzt Geschichte als Erzählung eine reflektierte Distanz zum Gegenstand und zu den beschriebenen Personen voraus.
Nun gibt es gelungene Beispiele für die Verwandlung geschichtlicher Stoffe in die Form des Romans. Jüngstes Exempel ist die gerade erst ins Deutsche übersetzte 'Suite francaise’ der im Konzentrationslager ermordeten Irene Nemirovsky, in der sie detailreich von den Reaktionen verschiedener französischer Klassen und Milieus auf die deutsche Besatzung erzählt. Dazu bedarf es allerdings genauer Milieustudien, eines erzählerischen Konzepts und nicht zuletzt eines literarischen Talents.
Birgit Rabisch jedoch vermischt journalistische Recherche, historische Lektüre und das Bedürfnis, über die vertraute-fremde Großmutter alles erfahren zu wollen, und wagt sich damit an einen Familienroman, der dem Leser suggeriert, er sei in jeder Lebenslage dabei:
" Als dem Weber Christoph Klapproth aus Mägdesprung im Harz am 19. April 1899 von seiner Frau Erna das vierte Kind geboren wurde, verkündete die Hebamme ihm die Botschaft mit den Worten: "Na, Christoph, ein neues Maul zu stopfen." "
So beginnt der Roman der Enkelin, und in diesem Stil geht es auch weiter. Die arme Webersfamilie lässt sich vom ältesten Sohn überreden, 1910 nach Posen zu ziehen, wo sie Unterstützung von deutschnationalen Kreisen bekommt und einen kleine Landwirtschaft betreiben kann. Man wollte Deutsche in diesen Teil Preußens locken, wo mehrheitlich Polen und Kaschuben wohnten. Nach dem verlorenen 1. Weltkrieg gaben dann die Siegermächte das Gebiet an Polen, und die Klapproths, so erzählt es jedenfalls die Autorin, seien von ihren polnischen Nachbarn vertrieben worden. Schemenhaft, gelegentlich ein wenig platt, deutet die Autorin die Ressentiments und den Hass in kleinen Szenen zwischen Schulfreundinnen, Schülern und Lehrer, in ersten Liebschaften an. Großmutter Rosa lässt sie zudem durch einen deutschen Pfarrerssohn vergewaltigen – einen Sozialdemokraten und Nietzsche-Leser, der das junge ungebildete Mädchen zunächst durch seine Belesenheit beeindruckt hatte. In Pommern eröffnete die Familie Klapproth eine Kneipe und dort lernte Rosa - in der Phantasie der Autorin - den Oberleutnant a.D. Paul Schulz durch ihren Bruder Erich kennen, der sich längst in reaktionären nationalistischen Kreisen des durch die Niederlage gedemütigten Militärs bewegte. Schulz, das ist historisch verbürgt, war einer der Köpfe der paramilitärischen Schwarzen Reichswehr, und durch diese Liaison lässt Birgit Rabisch ihre Großmutter in die große Politik eintreten. Rosa und Paul teilen kleinbürgerliche Ressentiments, den Hass auf 'die Polacken’ und bald darauf auch auf 'die Juden’, und - so phantasiert die Autorin weiter - sie teilen bald das Bett. Der Versuch, mit Hilfe der literarischen Fiktion Mentalitäten aus nächster Nähe zu beleuchten, die sozialpsychologische Grundierung politischer Optionen verstehbar zu machen, gleitet in erotischen Kitsch ab:
" Er spürte, dass Rosa nicht zu den Frauen gehörte, die man im Sturmangriff erobern konnte. Das machte sie für ihn umso reizvoller. Wie im Militärischen liebte er die schwierigen Aufgaben, die Diplomatie, Geduld, Phantasie und Fingerspitzengefühl erforderten. Vor allem seine Fingerspitzen schickte er an die vorderste Front. Sie streichelten ausgiebig Rosas Nacken, bis ihr ganzer Körper von wohltuenden Gänsehautschauern überzogen wurde. Zum Schluss küsste er sie kurz und zart auf den Mund, rückte wieder von ihr weg und sprach mit ihr über den Vertrag von Rapallo. "
Was weiß der Leser, wenn er das weiß? Zunehmend erweckt die Geschichte Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit, und man fragt sich, ob nicht die Autorin weniger vom Interesse an Aufklärung über das Verhältnis zwischen einer besonderen Lebensgeschichte und der Zeitgeschichte als vom Wunsch getrieben wird, der verständlicherweise geliebten Großmutter eine Biographie anzudichten, in der deren Entscheidungen den Eindruck erwecken, es habe keine Alternative gegeben.
Rosa bricht abrupt mit ihrem Verlobten, erfindet die Enkelin, weil sie den geliebten Mann des Verrats überführt und ihre hehren Ideale von Treue und Kameradschaft verletzt sieht.
Rosa Klapproth war tatsächlich schwanger von Paul Schulz und heiratete einen anderen, der fortan als Vater ihres Sohnes Heinrich galt. Die Autorin will, dass ihre Großmutter über die Taten der Fememörder, zu denen auch ihr Bruder Erich gehörte, wenig wusste und sich wenig Gedanken machte. Erst im Zuge der späteren Prozesse bekam sie in den Augen ihrer Enkelin erste Zweifel an den Darstellungen ihres Ex-Verlobten über die angeblichen Verräter, die im Interesse des Vaterlandes hinterrücks liquidiert werden mussten.
Birgit Rabisch versucht nicht, das muss man ihrem Buch zugute halten, die Geschichte der Schwarzen Reichswehr und ihre Rolle bei der Vorbereitung der nationalsozialistischen Herrschaft in irgendeiner Weise zu beschönigen, die Problematik ihres Buches liegt eher in der distanzlosen Erfindung einer Biographie, einer Erfindung, die am Ende mehr über die Empfindungen der Enkelin preisgibt, als über die Lebensgeschichte der Großmutter.
Birgit Rabisch: Die schwarze Rosa
Eine Frau in der Weimarer Republik
Verlag zu Klampen, Springe 2005, 190 Seiten, 19,80 Euro