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Von Waschzubern, Wasserratten und Warmduschern

Bei Urlaubsreisenden steht das Wasser weit vorn in der Gunst. Rechnet man die häuslichen Badelandschaften dazu, ist der Mensch ins nasse Element förmlich hineingewachsen. Und das in einem Maße, wie es früher undenkbar war. Wie es dazu kam, zeigt eine Ausstellung in Berlin.

Von Christian Forberg |
    Vor mehr als 200 Jahren rechnete der Enzyklopädist Johann Georg Krünitz scharf mit seinen Mitbürgern ab: Vollends verzärtelt seien sie; verächtlich werde über jeden geredet, der "gesund, stark und dauerhaft" sei und auch noch so ausschaue – "vierschrötig".

    Was wir heute verächtlich mit dem Begriff "Warmduscher" abtun, war gegen Ende des 18. Jahrhunderts Programm geworden: John Locke, Jean-Jacques Rousseau und andere Aufklärer hatten den theoretischen Boden für einen neuen, naturnahen Menschen gelegt. Kopf und Körper sollten angestrengt, belastbar werden. Die Praxis folgte: Der wasserscheue Europäer fand allmählich zurück ins nasse Element. Wenngleich – völlig weg davon war er nie:

    "Man denkt ja immer, dass das Baden so nach der mittelalterlichen Zeit, im 17. Jahrhundert gar nicht mehr existiert habe. Das ist natürlich nicht richtig","

    sagt Ursula Quecke. Die Kunsthistorikerin gehört zum Team namens BALNEA der Uni Stuttgart, das historische Bäder sammelt und vom Werkstattleiter Martin Hechinger als Schnittmodell anfertigen lässt. Auch die Kunsthistorikerin Susanne Grötz gehört zum Team und bekräftigt die Kontinuität des Badens:

    ""Das Baden im heißen Wasser oder im Heilwasser, das war immer irgendwie angeraten - oder es auch zu trinken. Zeitweise hat man nur die Trinkkuren gemacht, um den Kontakt mit dem Wasser zu vermeiden, weil man Angst hatte vor dem Wasser, das in die Haut eindringt. Und gerade im 17. Jahrhundert gab es immer Menschen, die gebadet haben. Aber wirkliche, öffentliche Bäder gab es in der Zeit nicht."
    Zu tief saß die Angst, die das lustvolle Baden des Mittelalters vertrieben hatte: Weiblein und Männlein saßen gemeinsam bei Schmaus und Trank im Waschzuber, bis Söldner aus Amerika die Syphilis einschleppten und die Furcht vor göttlichem Zorn über die Unmoral das fröhliche Treiben beendete. Nicht aber beim Adel. Der ließ sich in barocker Architektur Bäder bauen, die aber eher an intime orientalische Hamams erinnerten als an gewaltige römische Thermen, sagt Susanne Grötz:

    "Das Einzige, was man vielleicht nennen könnte, war Sebastiano Serlio, der einen Badepavillon errichtet. Aber auch der ist weit entfernt von der Vorstellung der Therme. Da gibt es nur ein kleines Tauchbecken. Ansonsten sind da Ruheräume, Leseräume, Aufenthaltsräume. Aber nicht so, wie man sich Thermen vorstellt – mit Schwimmen. Mit Schwimmen hatte das alles überhaupt gar nichts zu tun. Das erste Schwimmbad ist in München in der Badenburg zu sehen, was Max Emmanuel hat bauen lassen. Und dort hat er auch nicht selbst gebadet, sondern er lief oben auf einer Balustrade herum und hat den Damen zugesehen, wie sie unten im Wasser planschten."

    Das war gegen 1722. 40 Jahre später schwamm auf der Seine in Paris ein Schiff – ein Badeschiff. Allerdings darf man es sich nicht so vorstellen wie das neuzeitliche, das in Berlin als Badebecken im Schiff auf der Spree herumschwimmt, oder als Plattform, um in den Fluss zu springen. Damals habe es sogar verschärfte Polizeiordnungen gegen das Baden in Flüssen gegeben, sagt Ursula Quecke:

    "Einmal die Moral – ganz vorne: Dass man da nackig rumläuft, das ist nicht gut angesehen. Zum Zweiten die Gefahrenverhütung, weil wenige Menschen haben das Schwimmen beherrscht zu dieser Zeit, es gab viele Badeunfälle."

    Zudem hatte das Badeschiff auch eine ganz andere Funktion: Es war, wie das Modell verdeutlicht, ein schwimmendes Wannenbad und diente also der Hygiene. Wesentlich war,

    "dass man das Wasser aus der Seine hinaufpumpte und in einem großen Kessel aufbereitete und dann in einzelnen kleinen Badekabinen sich baden lassen konnte, auch Massagen bekam, man wurde zur Ader gelassen – also alle Elemente, die ein Bader in der Zeit anbot, wurden dort auch verrichtet."

    Auch in Paris und folgend in Frankfurt am Main, Berlin oder wo sonst noch Badeschiffe fuhren und begüterte Bürger sich pflegen lassen konnten, war man noch um einiges vom kühlen Nass entfernt. Das führten maßgeblich die Engländer ein: Das Baden im Meer als Therapie. Mann oder Frau bestiegen dazu ein "bathing machine", wie es als Modell nachgebildet ist. Es ist eine Holzkabine auf einem Karren, der per Pferdekraft ins Meer geschoben wurde. Der Badende stieg an einem Seil und versteckt unter einer Falthaube ins Wasser, tauchte mehrmals ein und – shocking! - das war’s dann. Einer der Fans sei Lichtenberg gewesen, sagt Ursula Quecke:

    "Er beschreibt das sehr eindringlich, diese Form des Abtauchens. Er sagt: Es ist wie Feuern im ersten Glied. Einmal, zweimal, dreimal auf die Knie fallen, und dann denkt man wieder an die Rückreise. Also es hat mit Lust, mit freiem Baden, wie wir uns das vorstellen – man rennt begeistert ins Meer – hat das nichts zu tun. Das Meer war angstbesetzt. Man ist nicht so in die Fluten gesprungen, wie wir das heute tun. Überhaupt nicht."

    All das war den Begüterten vorbehalten. Die Ärmeren waren nicht vorgesehen oder wurden verdrängt: Wenn ein Armenbad den mondänen Kurbetrieb störte, wurde es kurzerhand geschlossen und bestenfalls an anderer Stelle wieder aufgebaut. Dennoch, sagt Susanne Grötz: Die Möglichkeiten, Körperpflege zu betreiben - und das kontinuierlich und für jedermann erschwinglich -, seien angesichts der wuchernden Industriestädte viel zu gering gewesen. Aber es gab Reformer wie Oscar Lassar, der forderte:

    "Jedem Deutschen ein Bad pro Woche - das war um 1883 noch eine unerfüllte Forderung, war alles andere als selbstverständlich. Viele Menschen haben, wie wir heute sagen, im Substandard gewohnt. Die hatten in sehr kleinen Wohnungen mit vielen Personen auch noch ihre Wäsche waschen müssen; es war alles feucht,"

    wodurch sich Krankheiten schneller ausbreiten und - wie in Hamburg – sogar Epidemie-Charakter annehmen konnten. Auf der Berliner Hygieneausstellung 1883 stellte Lassar eine Volksbrause vor: Eine kleine Blechbaracke mit je fünf Duschen für Frauen und Männer – getrennt, klar. Für einen Groschen konnte man warm duschen und bekam noch Seife und Handtuch dazu.

    "Das hatte einen Riesen-Run, hat großen Erfolg gehabt: Um 1900 sind sehr viele öffentliche Bäder und Wasch- und Badeanstalten entstanden."

    Vielen dieser historischen Stadtbädern geht es allerdings nicht gut. Einige wurden geschlossen, um andere ringen Bürgerinitiativen und Künstler: Oft geht es um ihre beeindruckende Architektur, manchmal auch um ihre Funktion als Schwimmhalle, als Ort des Schwimmenlernens.

    "Es gibt es in großen Städten schon, dass immer weniger Jugendliche wirklich schwimmen können, was früher in den 60er/70er Jahren, in unserer Jugend selbstverständlich war, dass man Schwimmkurse belegte, schwimmen lernte, ist heute schon wieder rückläufig."

    Da helfen auch viele der neuen Spaßbäder wenig, die zwar architektonisch oft gut gestaltet sind, aber mit ihren Planschbecken und Rutschbahnen, Saunen und Gaststätten eher an die multifunktionalen antiken Thermen erinnern. Vielleicht sind wir in diesem Punkt hinter die Ambitionen der Aufklärer zurückgefallen. Aber vom Wasser bekommt uns niemand mehr weg.


    Die Ausstellung BALNEA im Berliner Architekturmuseum am Schinkelplatz ist bis 30. August geöffnet.

    Der Begleitband "BALNEA. Architekturgeschichte des Bades" (Autorinnen: Susanne Grötz, Ursula Quecke) erschien bereits 2006 im Jonas-Verlag, Marburg.