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Von wegen Urlaub!

Laut einer Umfrage sind zwei Drittel aller Angestellten freiwillig auch im Urlaub für Kollegen und Kunden erreichbar. Der Arbeitspsychologe Michael Kastner führt das auf den wachsenden Konkurrenzdruck und die Angst um den Arbeitsplatzverlust zurück. Auch die fortschreitende Technik spiele in diesem Zusammenhang eine Rolle: In Zeiten von Blackberry oder Handy sei die permanente Erreichbarkeit eine regelrechte Sucht geworden, so Kastner.

Moderation: Lothar Guckeisen |
    Lothar Guckeisen: Endlich Urlaub. So denken zurzeit ganz viele Arbeitnehmer. Doch längst nicht alle können diese Zeit so genießen, wie sie es eigentlich verdient haben. Laut einer weltweiten Online-Umfrage des Karriereportals "Monster" sagen zwei Drittel aller Angestellten "auch im Urlaub bin ich für Kollegen oder Kunden erreichbar". Und jeder Vierte hört regelmäßig seine Mailbox ab und kontrolliert seine E-Mails. Also es wird nur bedingt abgeschaltet, die Seele baumelt sozusagen nur auf Halbmast. Professor Michael Kastner, Arbeitspsychologe an der Uni Dortmund, was sagen Sie denn zu diesem Umfrageergebnis?

    Michael Kastner: Na ja, die erscheinen plausibel. Ähnliche Erfahrungen machen wir auch und das hat halt viele Gründe. Einer der Gründe liegt sicherlich darin, dass generell der Konkurrenzdruck gestiegen ist durch die Globalisierung. Die Leute haben mehr Ängste, sie haben Angst um Arbeitsplatzverlust, es ist auch ein bisschen Angst vor Kontrollverlust dabei. Es könnte sich ja etwas ereignen in meiner Abwesenheit, das mir nicht gefällt. Und dann spielt natürlich die Technik eine große Rolle. Also dadurch, dass man Blackberry hat oder sein Handy, sich einklinken kann im Internet, versucht man das oft zu nutzen. Und das ist ja teilweise eine regelrechte Sucht geworden, dass manche Leute überhaupt nicht mehr ohne ihr Handy oder ohne ihr Internet auskommen können.

    Guckeisen: Herr Kastner, Sie befassen sich ja wissenschaftlich mit Arbeitsprozessen und den Konsequenzen für die Gesundheit, sind sozusagen Experte. Aber Sie sind gleichzeitig, zumindest was das Gespräch hier anbelangt, auch Betroffener. Denn Sie sind ja, man hört es ein bisschen auch an der Leitung, zurzeit selbst im Urlaub. Und zwar in Frankreich an der Côte d'Azur. Warum lassen Sie sich denn von uns jetzt stören, statt am Strand zu liegen und die Arbeit einfach zu vergessen?

    Kastner: Na ja, ich gehöre halt zu den Berufen, die relativ abhängig sind von dem Verbreitungsgrad. Also wenn Medien anfragen, versucht man natürlich, diese Medien auch zu nutzen, um in seinem missionarischen Eifer seine Botschaften zu verbreiten. Aber ansonsten hat man so schon die Order, möglichst mir alle möglichen Arbeiten vom Hals zu halten. Insofern ...

    Guckeisen: Aber Sie stehen in Kontakt zu Ihrem Büro, das schon.

    Kastner: Ich stehe in Kontakt zu meinem Büro, einmal am Tag oder einmal alle zwei Tage rufen die an, ob es irgendwas Besonderes gibt. Und ansonsten versuchen sie aber, soweit das überhaupt möglich ist, alles von mir fernzuhalten.

    Guckeisen: Ist das denn ein allgemeiner Trend der modernen Arbeitswelt? Also immer verfügbar zu sein, dass das auch noch zunehmen wird in Zukunft?

    Kastner: Ja, ich glaube schon, es ist ein allgemeiner Trend. Und zwar hat das Ganze sicherlich eine individuelle und eine kollektive Seite. Also individuell haben wir das Problem, dass die Leute in diesem Druck immer weniger entspannen. Sie müssen ja bedenken, im Moment sind nur noch 60 Prozent aller Arbeitsverhältnisse normale, was wir unter Normalität verstehen. Und 40 Prozent schon Patchwork, prekär oder was auch immer. Und das kippt bald ins Gegenteil um. Also, die Frage der Sicherheit des Arbeitsplatzes usw. ist halt wirklich ein Problem. Und aus Firmensicht sehe ich einen ganz gefährlichen Trend. Es fällt uns ja immer schwerer, gute hochqualifizierte Mitarbeiter zu finden und zu binden. Also auf der einen Seite werden Leute entlassen, denken Sie mal an Siemens, 17.000 Leute wollen die entlassen, aber gleichzeitig können sie 2000 Ingenieurstellen nicht besetzen. Und wenn man jetzt die guten Leute, die man wirklich braucht, finden und binden will, muss man natürlich dafür sorgen, dass die auch ihre Work-Life-Balance, wie wir das immer nennen, auf die Reihe kriegen, damit die eben langfristig hochleistungsfähig, fit, gesund und munter sind.

    Guckeisen: Das heißt also, es wäre falsch, wenn der Chef sagen würde "ist doch gut, der ist im Urlaub erreichbar, der ist besonders motiviert". Das ist also kein Aushängeschild im Grunde.

    Kastner: Nein, also wir raten dringend davon ab. Weil wir sagen, die beste Erholungsmöglichkeit haben Sie eigentlich, wenn Sie vollkommen abschalten können. Also im Idealfall. Allerdings wäre ideal völlig ohne Uhr leben, nur nach Tageslicht, und möglichst überhaupt keine Anforderungen haben, sodass dann der ganze Organismus sich zurückstellen kann, den Akku aufladen kann. Das sehen Sie an dem schönen Beispiel des Bluthochdrucks. Solange man noch einen labilen hat, senkt er sich sofort, wenn man so entspannt. Aber es besteht immer die Gefahr, dass er sich stabilisiert und man überhaupt nicht mehr loslässt. Und das sind eben so langfristige unangenehme Folgen.

    Guckeisen: Ein Ergebnis dieser Umfrage ist auch, das noch mal eine Zahl zu vermitteln, 17 Prozent sagen "ich habe eigentlich nie Urlaub, ich bin immer bei der Arbeit". Sind das die Leute, bei denen der Burn-out unmittelbar oder auch langfristig einfach vorprogrammiert ist?

    Kastner: Ja, da muss man aufpassen. Also, es gibt die soziale Wünschbarkeit. Das heißt, bei solchen Umfragen antworten Ihnen viele Leute natürlich auch so, wie Sie glauben, dass das erwünscht sei. Auf der anderen Seite gibt es natürlich immer mehr Fälle, wo die Leute aufgrund auch ihres Anspruches, ihres Gehaltsanspruches usw. sich keinen Urlaub mehr gönnen. Und drittens müssen Sie aber auch bedenken, wir Deutschen und Mitteleuropäer haben ja im Weltvergleich durchaus sehr viel Urlaub. Also, da muss man schon genauer hingucken, was wie viel ist. Die Amerikaner machen grundsätzlich viel weniger und dann sähen die Verhältnisse natürlich auch wieder ganz anders aus.

    Guckeisen: Kommen wir noch mal auf die grundsätzliche Entwicklung zu sprechen, der technische Wandel. Sie haben ja angedeutet, das wird wahrscheinlich noch zunehmen, dass man immer verfügbar sein muss. Die Frage ist natürlich umgekehrt auch immer, solche technischen Entwicklungen haben ja immer Kulturpessimisten auf den Plan gerufen, warnende Stimmen, die gesagt haben "das kann so nicht weitergehen, das hat Konsequenzen". Kann es denn sein, dass die junge Generation viel selbstverständlicher mit dieser Situation umgehen lernt?

    Kastner: Das ist sicherlich bedingt der Fall. Die Jungen wachsen natürlich ganz anders rein und erleben das durchaus nicht so stressend wie die Alten, wobei wir natürlich auch das Altenproblem haben, wenn Sie an die Arbeitszeit bis 67 denken, die sich dann auch daran gewöhnen müssen. Das Problem scheint mir zu sein, dass sich immer mehr eine Kluft auftut zwischen ökonomischen Interessen und menschlichen Gesundheitsinteressen. Ich sage mal ein Beispiel: Ich werde oft gefragt, was ich von Desk-Sharing halte, also man arbeitet nur noch zwei Tage in der Firma, den Rest zu Hause, und wenn man in die Firma kommt, leiht man sich einen Schreibtisch, mietet den. Und dann sage ich immer, das ist ökonomisch natürlich günstig, aber psychologisch nicht so toll, weil der Mensch braucht eigentlich, so ist er nun mal halt gebaut qua Evolution, seine Höhle, jetzt mal als Bild, als Metapher, wo er sich zu Hause fühlen kann und wirklich einigermaßen gedeihlich die meiste wache Zeit seines Lebens verbringen kann. Und wir haben das auch in anderen Bereichen. Wenn Sie die ganzen Produktionssysteme sehen. Zum Beispiel das Toyota-Produktionssystem. Das normiert menschliches Verhalten in ein Prokrustesbett und sorgt dafür, dass Sie sich zum Beispiel nur in einer bestimmten Weise bewegen können. Wenn Sie jetzt aber sagen, aus Gesundheitsgründen sollte man auch mal eine Treppe laufen oder was auch immer, dann widerspricht das natürlich schon wieder der ökonomischen Effektivität. Und dieser Trend setzt sich glaube ich fort.

    Guckeisen: Umso wichtiger wäre es ja eigentlich, dann im Urlaub abzuschalten. Das gelingt immer weniger Arbeitnehmern, so hat es eine Online-Umfrage jetzt bestätigt. Noch ganz kurz die Frage: Was glauben Sie denn, wer da ganz besonders agil ist im Urlaub, welche Nation in Europa?

    Kastner: Na ja, das wird sich nicht viel tun. Das scheint mir weniger eine nationale Frage zu sein, als eine Branchenfrage. Also, bestimmte Branchen, wo man relativ festangestellt ist oder beamtet ist, ist es weniger tückisch, aber in besonders hektischen Branchen, das sind zweifellos die IT-Branche, auch die Beraterbranche, wird das sehr viel stärker der Fall sein, weil natürlich auch die Kunden viel anspruchsvoller werden und erwarten, dass man eben permanent für sie zur Verfügung steht.

    Guckeisen: Ja, ich darf es Ihnen noch verraten. Die Online-Umfrage hat es nämlich rausbekommen. Die Deutschen sind es übrigens nicht, die ganze vorne liegen, sondern die Franzosen. Da machen Sie gerade Urlaub. Zeigen Sie ihnen mal, wie man richtig Urlaub macht.

    Kastner: Ich werde mir Mühe geben.

    Guckeisen: Das war Professor Michael Kastner, Arbeitspsychologe an der Uni Dortmund in "Campus & Karriere". Danke.