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Von Zauberern und Hexen

Mit der Uraufführung eines Musiktheaterstücks um die Figur des "Prospero" aus Shakespeares "Sturm" feierte das Nürnberger Opernhaus jetzt seinen 100. Geburtstag. Der poetische Zauberer Prospero und sein Luftgeist Ariel haben bereits Komponisten wie Mathew Lock und Henry Purcell, Sibelius oder Hans Werner Henze inspiriert. Für die Nürnberger Aufführung arbeitete der Berliner Autor Friedrich Christian Delius als Librettist mit dem bei Rom lebenden Komponisten Luca Lombardi zusammen.

Von Frieder Reininghaus |
    Es handelt sich, von Anfang bis Ende, um eine streng aus Shakespeares Text abgeleitete Arbeit für das Musiktheater. Auf weitem hochgewölbtem Plateau, unter einer zartfarbenen Wolkenfahne schält sich im ersten Licht die Titelfigur aus einem unendlich langen dunklen Mantel: Prospero. Ein Cellist war vorne rechts auf der Bühne in Stellung gegangen und gesellte ihm, ohne sonderlich ans große Publikum zu appellieren, Klangfiguren zu. Sie spielen gedächtnismotivisch auf die Melancholie des in Mailand von der Macht verdrängten Herzogs an. Zugleich stehen sie für die ungebrochene Energie des Vaters, den es mit der Tochter Miranda auf jenes Eiland verschlug, das und dessen Bewohner er sich fraglos zu Untertanen machte.
    Unter dem, was Prospero auf der einsamen Insel antraf, war Ariel, ein Irrwisch aus der Tiefe des mythologischen Raums. Er befreite ihn aus misslicher Zwangslage und machte sich den Wind- und Wettergeist dadurch ergeben - jene Luftgestalt, die der Prophet Jesaja einst in die Welt setzte, indem er ihn aus den rauchenden Trümmern des von den Babyloniern zerstörten salomonischen Tempels wispeln und entfahren ließ.* Der Komponist Luca Lombardi löst diese "überpersönliche Persönlichkeit" in ein englisch singendes) Damen-Quartett auf, dem er noch eine auf der Bühne agierende Soloflöte zugesellte - und alle miteinander mit einem wohlklingend hinausschweifenden Tongeflecht versah.
    Entsprechend der Vorgabe der Partitur ließen der Ausstatter Tobias Dinslage und die Regisseurin Andrea Raabe den von Prospero als Übel- und Wohltäter instrumentalisierten Ariel als vervierfachte Sturmfigur per Video durchs Bild schießen. Überhaupt hielten sie sich treu ans Werk, verdoppelten und verdreifachten Text und musikalische Gesten schlicht, versahen die Sänger mit bunten Kostümen, ließen sie zum Teil als Clowns schminken und sorgten durch mancherlei Anspielungen auf frühere Theaterbräuche für einen freundlich-unverbindlichen Theaterabend.

    Der Komponist ließ im Vorfeld der Nürnberger Uraufführung verkünden, dass - wie bereits seine beiden vorangegangenen Opern** - auch sein drittes großes Bühnenwerk virulente Fragen der Macht verhandeln werde. Geliefert hat er mit der Hilfe von Friedrich Christian Delius eine konventionell gewobene Literaturoper: Shakespeares Prospero, der seine alten Gegner durch Zauber in seine Macht bringt, seine Tochter mit dem Sohn des Erzfeindes zusammenführt und schließlich sogar dem verbrecherischen Bruder verzeiht - dieser altersmild frühneuzeitliche Autokrat wird zu keiner Figur der Gegenwart, die über Macht, ihren Verlust und den Wiedergewinn von Contenance auf der Höhe der Zeit reflektiert und singt. Delius und Lombardi haben das "Sturm"-Material weit unter den längst vorgezeichneten Möglichkeiten der modernen Anverwandlung verschleudert und keine "Ariel-Maschine" in Gang gesetzt***. Die Schöpfer der neuen Prospero-Oper haben es dem konservativsten Block der Geschmacksträgerschicht von Oper heute recht machen wollen.

    Von daher auch der mitunter allzu einfach gestrickte Historismus der Musik, in dem wohl vernehmliche Sekund-Fortschreitungen mit zarten Terz-Schichtungen wechseln, gelegentlich dann noch so etwas wie früher 12-Ton-Gestus oder der rhythmische Impetus des Weillschen "Kanonen-Songs" anklopft.

    Luca Lombardi ist, wie seine neueste Buchpublikation unter Beweis zu stellen trachtet, ein reflektierender Komponist. So ist davon auszugehen, dass die aufgewandten Mittel wie die beabsichtigten Wirkungen seines "Prospero" wohl kalkuliert sind und nicht irgendwie unterliefen. In der Befähigung zum rationalen Umgang mit den verschiedensten Zonen historischer Musik unterscheidet sich der Römer Lombardi von der gleichfalls gegenwärtig erfolgreichen finnisch-französischen Komponistin Kaija Saariaho - im Resultat des servierten großen gemischten Salats freilich nur wenig. Beide haben zu viel süßliche Sauce drangegossen.