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Von Zwergen und Riesen

Biologie. - Die Feinheiten der vielfältigen Realität fehlen dem 2001 entzifferten menschlichen Modell-Genom. Ein Beispiel dafür ist die Körpergröße. Gleich drei Forscherteams aus England, Island und den USA gingen jetzt den genetischen Gründen für lange Latten und Sitzriesen genauer nach.

Von Michael Gessat |
    Leonid Stadnik lebt in der Ukraine, bringt es auf mittlerweile 2,59 Meter und ist damit laut "Guinness Buch der Rekorde" momentan der größte Mann der Welt. Er leidet an Akromegalie, einer Überproduktion von Wachstumshormonen. Wie groß Menschen werden, kann mit individuellen Krankheiten, aber auch mit individuellen Lebensumständen zu tun haben. Aber hauptsächlich sind die Gene verantwortlich, sagt Timothy Frayling von der Peninsula Medical School in Exeter:

    "Wenn sie eine Population untersuchen und die Körpergrößen messen, dann sind jedenfalls zu einem bestimmten Zeitpunkt die Größenunterschiede zu 80 bis 90 Prozent genetisch bedingt, und nur zu zehn bis 20 Prozent durch Umwelteinflüsse oder Ernährung. Wir wissen das durch den Vergleich von Zwillingen: Bei eineiigen gibt es eine viel stärkere Größenübereinstimmung als bei zweieiigen. Mit etwas Statistik können wir so die Erblichkeit der Körpergröße errechnen, und heraus kommt eben 80 bis 90 Prozent."

    Ein Merkmal mit hoher Erblichkeit und hoher Stabilität, dazu unmittelbar sichtbar und mit minimalem Aufwand zu messen: Ein geradezu ideales Objekt für genetische Untersuchungen also. Dass die Körpergröße von einer ganzen Reihe von Genen abhängt, das war bekannt. Aber bei deren Identifikation tat man sich lange Zeit schwer: Den Forschern fehlten schlichtweg die Mittel, kleinste genetische Variationen bei einer großen Anzahl von Versuchspersonen miteinander zu vergleichen.

    "Es gibt vier Buchstaben im Erbgut, im DNS-Code: A,C,G und T. Die meisten Menschen sind da auf den meisten Positionen identisch, aber alle paar hundert Buchstaben unterscheiden sie sich. Solche minimalen Varianten werden "Single Nucleotide Polymorphisms" oder kurz "Snips" genannt. Seit kurzem gibt es nun eine neue Technologie, wir verwenden eine Art DNS-Chip. Damit können wir die DNS-Probe einer Testperson auf gleich 500.000 dieser "Snips", dieser minimalen Gencode-Abweichungen hin überprüfen. Und abschließend vergleichen wir mit statistischen Verfahren, wie die gefundenen Varianten in der gesamten Testpopulation verteilt sind, von den kleinen Menschen bis hin zu den großen Menschen."

    Mit den Daten von insgesamt rund 60.000 Testpersonen konnten die Forscherteams gut vier Dutzend DNS-Varianten identifizieren, die zur Körpergröße beitragen. Und zwar – auch dies zeigte die statistische Auswertung - indem sich ihr Effekt addiert. Manche bewirken mehr, manche weniger: Insgesamt lassen sich mit den jetzt aufgespürten Genen fünf bis sechs Zentimeter Größenunterschied eindeutig erklären. Da fehlt noch eine Menge, sagt auch der Leiter der amerikanischen Studie, Joel Hirschhorn vom Broad Institute of MIT and Harvard in Cambridge:

    "Weil die Auswirkung jeder einzelnen Genvariante so gering ist, brauchen wir sehr große Probandenzahlen. Wir müssen also noch viel mehr Leute untersuchen und all unsere Daten zusammenfassen, dann werden wir wahrscheinlich noch mehr davon entdecken. Außerdem: Unsere jetzige Testmethode funktioniert nur bei den Varianten gut, die einigermaßen häufig, etwa bei einem Prozent der Bevölkerung vorkommen. Wenn sich die Technologie noch weiterentwickelt und wir dann, statt DNS-Chips zu benutzen, das Genom einer großen Anzahl von Personen komplett entschlüsseln und vergleichen können, finden wir bestimmt noch mehr."

    Das Identifizieren von Genen oder Genvarianten ist eine Sache, zu verstehen, wie sie sich dann auf der Ebene der Proteine, der Zellen und der Organe auswirken, eine andere. Die jetzigen Studien liefern die ersten Hinweise, wo man mit den weiteren Nachforschungen anfangen kann.