So sanft und poetisch hatte Jarman nicht immer geklungen. Seine künstlerische Stimme war eher schrill und pointiert, provozierend. Im Film "Jubilee" ließ er 1978 Queen Elisabeth die I. Punk-Britannia, den Verfall des modernen Englands kommentieren, und mit "Sebastian" einer homoerotischen sadomasochistischen Phantasie über den von Pfeilen durchbohrten christlichen Märtyrer provozierte er auf dem Filmfestival von Locarno handgreifliche Auseinandersetzungen. Jarman deutete Shakespeares "Sturm" neu und zog sich eine Weile ins Maleratelier zurück, bevor er 1986 mit "Caravaggio" eine Serie eleganter und stilistisch brillanter Filmbiografien berühmter Homosexueller begann, die seine internationale Anerkennung einleitete. Nach dem Malerkönig Carravaggio, der, wie Jarman demonstriert, das Filmlicht schon vorwegnahm, portraitierte er den schwulen König "Edward II" nach Philip Marlowes Stück und schließlich den grübelnden Philosophen "Wittgenstein" im gleichnamigen Film. Diese Filme sind nicht historiografisch. Es sind eher Filmessays und die Filmbilder Jarmans sind die eines Malers. Schließlich war er schon ein bekannter Künstler gewesen, der seine abstrakten Landschaftsbilder unter anderem in der Tate Gallery ausgestellt hatte, bevor er seine ersten Super-8-Kurzfilme drehte. Man spürt auch stets die Experimentierfreude und die Lust an der Provokation. Für Jarman unterschied sich seine Arbeitsmethode beim Malen und beim Filmemachen nicht.
Nicht einmal ein Dutzend abendfüllender Filme kam am Ende dabei heraus. Daneben viele Kurzfilme und Musikvideos für die Rockband The Smiths. Kaum einmal in der Filmgeschichte ist ein vergleichsweise schmales Werk derart einflussreich gewesen. Lange Zeit galt Jarman als einziger Avantgardistischer Filmemacher nach dem Ende des New British Cinema in den 70er Jahren. Auf die Entdeckung, dass er den HIV Virus in sich trug reagierte Jarman mit damals schockierender Offenheit. Und als er schwach wurde und dann blind machte er daraus 1993 einen Film. Einen Film dem jedes Bild ausgetrieben ist. 78 Minuten lang ist eine blaue Fläche zu sehen, manchmal ein ferner Schatten. "Blau" Wir hören Stimmen und Geräusche - ein Hörfilm und Jarmans Vermächtnis.
Derek Jarman geht als gereifter Künstler in seine letzte Lebenskrise und dokumentiert geistig wach und klug die Tragödie eines Malers und Filmemachers, vor dessen Augen die Welt verschwindet, wodurch er sie uns - die doch eigentlich zu sehen glauben - endlich sichtbar macht.