Freitag, 19. April 2024

Archiv

Vor 100 Jahren
Das Ende des Ersten Weltkrieges

Am 11. November 1918 endete der Erste Weltkrieg. Im Wald von Compiègne unterzeichnete der Leiter der deutschen Delegation den Waffenstillstandsvertrag. Die harten Bedingungen sollten verhindern, dass Deutschland den Kampf fortsetzen konnte. In der deutschen Öffentlichkeit sorgten sie für Empörung.

Von Volker Ullrich | 11.11.2018
    In einem Eisenbahnwaggon im Wald von Compiègne nahe Paris treffen die deutsche Delegation unter Führung des Reichstagsabgeordneten Matthias Erzberger (M) und der französische General und Oberbefehlshaber der Alliierten, Ferdinand Forch (r, stehend) zusammen.
    In einem Eisenbahnwaggon im Wald von Compiègne trafen sich die deutsche Delegation unter Führung des Reichstagsabgeordneten Matthias Erzberger (M) und der französische General und Oberbefehlshaber der Alliierten, Ferdinand Forch (r, stehend) (picture alliance/akg-images)
    Am 11. November 1918, um 11 Uhr, schwiegen an der Westfront die Waffen. Über die von Granattrichtern übersäten Schlachtfelder senkte sich eine unheimliche Ruhe.
    "Als das Feuer eingestellt wurde, war es so leise, dass ich glaubte, ich hätte plötzlich meine Fähigkeit zu hören verloren",
    schrieb Hauptmann Harry S. Truman, der spätere US-Präsident, in einem Brief an seine Frau. Der entscheidende Anstoß zur Beendigung des Krieges war von der deutschen Obersten Heeresleitung unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff ausgegangen. Ende September 1918 hatten die beiden Feldherren einsehen müssen, dass der Krieg verloren war. Nun drängten sie auf den sofortigen Abschluss eines Waffenstillstands. Um die Glaubwürdigkeit der deutschen Position zu stärken, sollte gleichzeitig eine Regierung auf parlamentarischer Grundlage gebildet werden – unter Beteiligung der Parteien der sogenannten Reichstagsmehrheit: SPD, katholisches Zentrum und linksliberale Fortschrittpartei.
    Die Oberste Heeresleitung wollte Verantwortung abwälzen
    Am 3. Oktober wandte sich der neue Reichskanzler Prinz Max von Baden an den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson mit der Bitte, Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen in die Wege zu leiten. Die Nachricht traf die deutsche Öffentlichkeit wie ein Schock.
    "Der schwärzeste Tag des Weltkrieges (...) Der Krieg ist für uns verloren nach unserem eigenen Eingeständnis (...) Eine neue Epoche der Geschichte hebt an zu unseren Ungunsten",
    notierte der Diplomat Harry Graf Kessler in sein Tagebuch. Nach langem Hin und Her erklärte die amerikanische Regierung am 5. November die Bereitschaft der Alliierten, einen Waffenstillstand abzuschließen. Der französische Marschall Ferdinand Foch, Oberbefehlshaber der alliierten Truppen, wurde ermächtigt, Vertreter der deutschen Regierung in seinem Hauptquartier bei Compiègne zu empfangen. Die deutsche Delegation leitete Matthias Erzberger, ein führendes Mitglied der Zentrumspartei und Staatssekretär in der Regierung des Prinzen Max. Die Oberste Heeresleitung hatte ihm bewusst den Vortritt gelassen. Ihre Absicht war, die Verantwortung für die Niederlage von der militärischen Führung auf die zivile Reichsleitung abzuwälzen.
    "Mir konnte es nur lieb sein, wenn bei diesen unglückseligen Verhandlungen, von denen nichts Gutes zu erwarten war, das Heer und die Heeresleitung so unbelastet wie möglich blieben",
    erinnerte sich Wilhelm Groener, der Nachfolger des am 26. Oktober entlassenen Ludendorff. Am frühen Morgen des 8. November traf die deutsche Delegation im Wald von Compiègne ein. Um 10 Uhr wurde sie von Marschall Foch in seinem Salonwagen kühl begrüßt. Anschließend verlas General Maxime Weygand, die Waffenstillstandsbedingungen. Die Hauptpunkte lauteten: Rückgabe von Elsass-Lothringen an Frankreich; rasche Räumung aller besetzten Gebiete in Belgien und Frankreich einschließlich des linken Rheinufers; Schaffung einer neutralen Zone mit drei Brückenköpfen auf dem rechten Rheinufer; Ablieferung einer großen Menge von Kriegsmaterial und Verkehrmitteln; Auslieferung der Schlacht- und U-Bootflotte; sofortige Freilassung aller Kriegsgefangenen; schließlich auch Annullierung des Separatfriedensvertrages mit Sowjetrussland.
    Der 11. November als Symbol nationaler Demütigung
    "Während der Verlesung saß Marschall Foch mit steinerner Ruhe am Tisch, manchmal zupfte er energisch an seinem Schnurrbart",
    beobachtete Erzberger. Noch während der Beratungen in Compiègne hatte die vom Kieler Matrosenaufstand ausgehende revolutionäre Bewegung Berlin erreicht. Am 9. November verkündete Prinz Max die Abdankung Wilhelms II. und übertrug die Reichskanzlerschaft auf den SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert. Der ermächtigte einen Tag später die deutsche Delegation, den Waffenstillstand abzuschließen. Gegen 5 Uhr am Morgen des 11. November wurde das Abkommen unterzeichnet; wenige Stunden später trat es in Kraft.
    Auf Seiten der Alliierten nahm der 11. November als Tag des Sieges künftig einen herausragenden Platz in der kollektiven Erinnerung ein. In Deutschland dagegen galt er als ein Symbol nationaler Demütigung. Am 21. Juni 1940, nach dem Sieg der Wehrmacht über Frankreich, erlebte die Zeremonie im Wald von Compiègne eine gespenstische Wiederholung, diesmal mit vertauschten Rollen. Hitler ließ Fochs Wagen heranschaffen und zwang die Vertreter Frankreichs, darin die Kapitulationsurkunde zu unterzeichnen. In einem Rundfunkkommentar hieß es:
    "In uns allen ist in den letzten Tagen die ganze Schmach der Erniedrigung vom November 1918 noch einmal lebendig geworden (...) Das deutsche Volk dankt es seinem Führer, dass er diese Schmach nun ausgelöscht hat."