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Vor 125 Jahren geboren
Lotte Cohn, berühmte Architektin im jungen Israel

Lotte Cohn gehörte zu den ersten Frauen, die in Preußen Architektur studieren durften. 1916 graduierte sie als Diplom-Ingenieurin. Nicht das einzige Neuland, das sie betrat: 1921 wanderte sie nach Palästina aus und wurde später eine gefragte Architektin im jungen Staat Israel.

Von Jochen Stöckmann |
    Photograph of Degania Alef; a kibbutz in Northern Israel. Dated 1912 WHA PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY !ACHTUNG AUFNAHMEDATUM GESCHÄTZT! Copyright: WHA UnitedArchivesWHA_055_0228 Photo of Degania Alef a Kibbutz in Northern Israel dated 1912 Wha PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Regard date estimated Copyright Wha UnitedArchivesWHA_055_0228
    Neue Bauformen für ein neues Leben: Lotte Cohn gehörte zu den ersten weiblichen Architekten in Preußen und wanderte 1921 nach Palästina aus (imago stock&people)
    "Lotte, die sehr beschäftigte Architektin Palästinas". Mit diesem Satz charakterisierte Else Lasker-Schüler 1937 in der Erzählung "Hebräerland" die Pionierin des neuen Bauens im künftigen Staat Israel: Lotte Cohn, geboren am 20. August 1893 in Berlin-Charlottenburg, war 1916 unter den ersten Frauen, die in Preußen als Architektin, als Diplom-Ingenieurin graduiert wurden. Neben der Technik interessierte sie sich früh für Ästhetik. Schon als Schülerin fiel Lotte dadurch auf:
    Antisemitische Anfeindungen
    "Dass sie in der Schule sehr gut war im Gedichte vortragen. Und anlässlich einer Königin-Luise-Feier habe die Lehrerin gesagt, man könne doch nicht so ein schwarzes Judenmädchen ein Gedicht auf 'unsere blonde Königin Luise' aufsagen lassen."
    Die Architekturhistorikerin Ines Sonder hat berufliche Karriere und Lebensweg von Lotte Cohn dokumentiert. Antisemitische Anwürfe musste auch ihr Vater, ein Arzt, erdulden: Wegen eines angeblichen Kunstfehlers diffamiert, verweigerte ihm die Justiz des Kaiserreichs jeglichen Schutz – nur weil er Jude war. Deshalb engagierte Bernhard Cohn sich für den Zionismus, für Auswanderung und Aufbau eines jüdischen Staats in Palästina. Und wie reagierte seine Tochter, mit acht Jahren als "Judenmädchen" geschmäht? Ines Sonder:
    "Sie verarbeitet das dann später als: das sei der erste Markstein auf dem Weg zum Zionismus gewesen."
    In welchem Stil soll sie in Palästina bauen?
    Bereits 1921 wandert Lotte Cohn zusammen mit zwei ihrer Schwestern nach Palästina aus. Angekommen in Tel Aviv, springen die Neuankömmlinge direkt aus dem Zug in den Wüstensand. Bahnsteige fehlen, ganze 240 Häuser hat die Stadt. Die Architektin ist gefragt – aber in welchem Stil soll sie bauen?
    "Flachdächer – die sind das Signum der Moderne. Und das war ja nun Eulen nach Athen tragen: Im Orient wird mit Flachdächern gebaut, weil man das Dach ganz anders benutzt. Dort werden Sämereien getrocknet, dort kann man im Sommer schlafen. In Europa hatten sie ja eher das Problem, dass das Flachdach im Winter den Schnee nicht trägt."
    In der Praxis sammelt die Diplom-Ingenieurin wertvolle Erfahrungen, die weit über das Entwerfen am Reißbrett hinausgehen. Bis 1929 arbeitet sie im Büro von Richard Kauffmann. Der bringt als Städtebauer beste Voraussetzungen mit für die Planung der neuartigen Genossenschaftssiedlungen.
    Neue Architektur für neue Gesellschaftsentwürfe
    In Nahalal, einem Musterprojekt, liegen alle Gemeinschaftseinrichtungen im Ortskern, um den sich kreisförmig wie Tortenstücke mit einheitlichen Grundrissen die Häuser der einzelnen Familien gruppieren. Zur Bedeutung dieser Pioniersiedlung schreibt der Architekturhistoriker Julius Posener:
    "Leute waren bereit, im neuen Lande ein gesellschaftliches Leben völlig neuer Art zu beginnen: in der Besitzlosigkeit des Kibbuz, in der Gemeinsamkeit der Genossenschaft – beides übrigens Ideen, die auf deutschem Boden entstanden waren."
    Mit der nach 1933 von den Nazis erzwungenen Emigration kamen auch Angehörige des arrivierten Mittelstands ins Land. Auf deren bürgerliche Lebensweise aber waren die von Lotte Cohn funktional reduzierten Wohnungsgrundrisse nicht zugeschnitten. So fehlten etwa Gesindekammern für das Personal. Ines Sonder:
    "Im neuen Judenstaat würde es keine Hausgehilfen mehr geben als Diener für eine Herrschaft. Wenn man etwas reicher war, hatte man ja auf jeden Fall Hausgehilfen und so weiter. In Palästina sollte das natürlich nicht sein."
    Das Hotel Käte Dan machte Cohn berühmt
    1932 erhielt Lotte Cohn ihren ersten größeren Auftrag, das Hotel "Käte Dan": eingerichtet nach europäischem Standard, jedes Zimmer mit Haustelefon. Kurz vor ihrem Tod im April 1983 erinnerte sich Lotte Cohn daran, dass dieses schlichte weiße Gebäude als Wahrzeichen Tel Avivs galt, es machte die Architektin berühmt – und verschaffte ihr Aufträge.
    "The Kaete Dan-Hotel, that was a very famous building in Tel Aviv. And so, by this, I got famous and I got other commissions."
    Other commissions, andere Aufträge – das war selbstironisches Understatement: Von 1929 bis 1968 führte Lotte Cohn ihr eigenes Büro, sie realisierte mehr als 100 meist größere Bauprojekte. Sie war nicht nur "die sehr beschäftigte", sie war die Architektin Israels.