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Vor 150 starb der Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling ist noch immer ein großer Name. Er steht für eine Glanzzeit der klassischen deutschen Philosophie und für den "deutschen Idealismus". Fichte, Goethe, Hegel, Hölderlin sind nicht nur geistig, sondern körperlich nah. Der 1775 in Leonberg geborene Sohn eines schwäbischen Pfarrers teilt mit Hegel und Hölderlin schon als 15-jähriger das Tübinger Stift – an Schellings Begabung besteht früh kein Zweifel. Eine persönliche Begegnung mit Fichte regt Schelling zu ersten philosophischen Überlegungen an, zu der Frage, wie man Philosophie betreiben kann: "Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt" heißt eine seiner ersten, 1795 in Tübingen erschienenen Schriften. Dass man die Wahrheit hinter den Dingen erschauen muss und neue Modelle der Reflexion auszukundschaften sind, machen Schelling die Gespräche mit Hölderlin deutlich. Schließlich wird Goethe auf ihn aufmerksam als Leser von Schellings Buch "Von der Weltseele, eine Hypothese der höheren Physik zur Erklärung des allgemeinen Organismus", und der Weimarer stellt fest:

Von Christian Linder | 20.08.2004
    Er ist ein sehr klarer, energischer und nach der neuesten Mode organisierter Kopf; dabei habe ich keine Spur einer Sansculotten-Tournure an ihm entdecken können.

    Dank Goethes Zuspruch erhält Schelling seine erste Professur in Jena 1798. Fünf Jahre bleibt er dort; seine produktivste Lebenszeit. Er liest über Natur- und Transzendental-Philosophie und beginnt in Ansätzen eine Theorie der Kunst zu entwickeln. Die verloren gegangene Einheit zwischen Natur und Mensch zu rekonstruieren, erklärt er zum Ziel seiner Philosophie:

    Die Natur soll der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbare Natur sein.

    Aber er ahnt die Erkenntnisgrenzen:

    Der Idealist hat Recht, wenn er die Vernunft zum Selbstschöpfer von allem macht, denn dies ist in der Natur selbst gegründet – er hat die eigene Intention der Natur mit dem Menschen für sich, aber eben weil es die Intention der Natur ist, wird jeder Idealismus selbst wieder zum Schein.

    Was können wir wissen? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Die alten Fragen, und der Versuch, die alten Antworten über die bekannten Grenzen hinauszuführen. Während der Freund Hegel ein System entwickelt, um dem Weltgeist auf die Spur zu kommen und zu erahnen, wohin die Reise der Menschheit geht, führt Schelling sein Denken vor als, um mit einem Wort Franz Kafkas zu sprechen, "stehenden Sturmlauf". Er sucht Wege ins Offene, macht immer neue Anläufe, gerät ins Stocken, fängt wieder von vorne an. Er kündigt immer neue Denkprojekte an, um das "Besondere im schlechthin Allgemeinen" zu erkennen, um herauszubekommen:

    Wie muss eine Welt für ein moralisches, das heißt, aus Freiheit handelndes Wesen beschaffen sein.

    Aber viele dieser Gedankenprojekte bleiben Fragment. Das Fragmentarische von Schellings Philosophie, ausgedrückt in ständigen Briefen, Einleitungen, Aphorismen, auch Gedichten hat ihn früh in die Nähe der Romantiker geführt, in ihrem Kreis um Caroline Schlegel, die Frau August Wilhelm Schlegels, hielt sich Schelling gern auf und heiratete auch Caroline Schlegel 1803 nach deren Scheidung; ein Echo dieser Geschichte findet sich in Goethes "Wahlverwandtschaften". Es kam zu Zerwürfnissen, unter anderem mit Hegel, über den Schelling dann aber ein letztes Mal triumphierte, als er – nach Wanderjahren und Lehrtätigkeiten unter anderen in München und Erlangen - sehr spät, 1841, auf Hegels Lehrstuhl in Berlin berufen wurde. In seinen Vorlesungen saßen damals Sören Kierkegaard, Friedrich Engels und Bakunin, aber der klare Kopf, den Goethe einst gerühmt hatte, erging sich nun in Spekulationen, denen niemand mehr folgen wollte. Resigniert zog Schelling sich zurück. Ein Echo seiner Philosophie als Begründung der menschlichen Freiheit sowie der Einblicke in Natur und Geschichte hallt aber durch die Zeit: Karl Marx lobte vor allem Schellings "aufrichtige Jugendgedanken", und Philosophen wie Kierkegaard und Heidegger haben Ansätze in Schellings Denken aufgenommen und weiterentwickelt. Schelling selbst hatte sich gegen Ende seines Lebens fast völlig mit einem nur fragmentarischen Verstehen zufrieden gegeben:

    Seelenstärke ist nötig, den Zusammenhang der Bewegung vom Anfang bis zum Ende festzuhalten ... Gott selbst, (um uns auf schärfste auszudrücken), setzt im Akt seines ewigen Daseins das als wirklich geschehen (vergangen), was wir als geschehen darstellen. Von nichts reden die meisten mehr als von der Lebendigkeit Gottes, und doch scheint ihnen nichts unerwarteter als die Gott zugeschriebene wirkliche Lebendigkeit. Kein Leben ist ohne gleichzeitiges Sterben.

    Gestorben ist Friedrich Wilhelm Joseph Schelling knapp 80-jährig am 20. August 1854 während einer Kur im schweizerischen Bad Ragaz. Dort liegt er auch begraben.