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Vor 165 Jahren eingeweiht
Die Semmeringbahn - weltweit erste Gebirgsbahn

Die Semmeringbahn wurde 1854 in Österreich als erste vollspurige Gebirgsbahn Europas in nur sechs Jahren fertiggestellt. Bei einer Steigung von 457 Metern galt sie als ein Wunderwerk der modernen Baukunst. Ihr Erbauer Carl von Ghega wurde für seine Leistung von Kaiser Franz Joseph I. zum Ritter geadelt.

Von Regina Kusch | 17.07.2019
    Zwischen Wäldern und Bergen fährt auf einem Viadukt ein Zug
    Personenzug auf dem Viadukt der Semmeringbahn (imago / Broker / Thomas Aichinger)
    "Der Zug fuhr flott. Rechter Hand war nur ein steiler Abhang zu sehen. Clayton beugte sich links ein klein wenig in den Wind, blickte über die Talsohle zu den Bergen, dann voraus, und sah, dass man in sanften Kurven an jenem Hange entlangfuhr. Die große schwere Maschine arbeitete heftig, die Luft schmeckte frisch, das war trotz des Rauches zu spüren, und der Lärm erzeugte jetzt kräftigen Widerhall."
    Heimito von Doderer verbrachte Zeit in der Region
    Der österreichische Schriftsteller Heimito von Doderer (u.a. "Die Strudelhofstiege", "Die Dämonen", "Die Merowinger oder Die totale Familie") in einer zeitgenössischen Aufnahme vor der Strudelhofstiege.
    Der österreichische Schriftsteller Heimito von Doderer (picture alliance / Imagno / Votava)
    Eine Fahrt durchs Gebirge mit der Semmeringbahn gehörte seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu den Vergnügungen, die sich die Wiener Oberschicht leistete, um den heißen Großstadtsommern zu entfliehen und in der kühlen Alpenluft wieder richtig durchzuatmen. Der österreichische Schriftsteller Heimito von Doderer verbrachte, wie viele Künstler im 20. Jahrhundert, häufig seine Ferien in der Semmering-Region. Die Zugfahrt durch die zerklüftete Berglandschaft beschrieb er in seinem Roman "Die Wasserfälle von Slunj" aus dem Blickwinkel eines jungen Ingenieurs.
    "Im Fahrtwind sich zurückwendend entdeckte Clayton, dass am Schlusse des Zuges eine zweite Lokomotive lief, die also schob, nicht zog. Ihr Rauchfang entließ eine donnernde Dampfsäule, deren Weiß von dunklen Kohlenschwaden getrübt war. Es war, als stiege man über eine gewundene Treppe zum Dach eines Gebäudes empor."
    Bahnverbindung von der Hauptstadt zum Hafen
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Blick auf den Grünen See in Österreich (Steiermark) (imago / blickwinkel)
    Aus wirtschaftlichen und militärischen Gründen brauchte die Habsburger Monarchie eine Bahnverbindung von der Hauptstadt zum einzigen österreichischen Hafen. Seit 1844 brachte die Südbahnlinie Händler, Soldaten und Urlauber von Wien bis nach Triest. Doch um die Semmeringer Passhöhe zu überqueren, mussten die Passagiere die Fahrt zwischen Gloggnitz in Niederösterreich und Mürzzuschlag in der Steiermark unterbrechen und 41 Kilometer in Pferdefuhrwerken zurücklegen.
    Die Lokomotiven scheiterten an dem Bergmassiv, in dem Höhenunterschiede von bis zu 900 Metern, Schluchten und Felswände zu überwinden waren. Kaiser Franz Joseph I., ein großer Eisenbahnfreund, beauftragte deshalb den Ingenieur und Mathematiker Carl von Ghega aus Venedig, das fehlende Teilstück zu bauen.
    Schwarzweißporträt von Kaiser Franz Josepf
    Kaiser Franz Joseph in einer Aufnahme von 1916 (imago/United Archives)
    "Letztendlich waren es 15 Tunnels und 16, teils zweistöckige Viadukte, sowie mehr als hundert kleinere Brücken, mit Hilfe derer ich eine Trasse für den Eisenbahnverkehr über diese Passlandschaft legen konnte. Leicht war dies bei Gott nicht. Ist doch die Semmeringbahn die erste Eisenbahnstrecke der Welt, die bis ins Hochgebirge führt."
    20.000 Männer und Frauen schufteten an der Trasse
    Die Gemeinde Semmering hat diese Audio-Tour entlang der Bahnlinie produziert, die die Baugeschichte aus der Sicht Carl von Ghegas erzählt.
    "Von 1848 bis 1854 haben wir die Semmeringbahn erbaut. Mit Spitzhacke und Schwarzpulver haben wir gearbeitet, denn Dynamit ist ja erst einige Jahre später erfunden worden.
    20.000 Männer und Frauen schufteten in einer Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme an der Trasse. Nach den Unruhen der 1848er-Revolution hatte man sie aus Wien in den Semmering geholt, wo sie unter miserablen hygienischen Bedingungen in Barackenlagern untergebracht waren. Sie sprengten knapp anderthalb Millionen Kubikmeter Felsen und rodeten ganze Berghänge. Gut 1.000 Arbeiter verloren durch Unfälle, vor allem aber durch Typhus- und Cholera-Epidemien ihr Leben."
    Um Natur und Technik harmonisch zu verbinden, ließ von Ghega seine Brückenkonstruktionen hauptsächlich aus Stein und Holz errichten. Sein berühmtestes Bauwerk, die "Kalte Rinne", ein 184 Meter langes, zweistöckiges Steinviadukt mit 15 Bögen, führt in 46 Metern Höhe über den oberen Adlitzgraben.
    Viele Luxushotels im Höhenluftkurort
    Im Mai 1854 inspizierten Kaiser Franz Joseph und seine Frau Elisabeth die Strecke, die zwei Monate später, am 17. Juli, für den Personenverkehr freigegeben wurde.
    Luftkurorte entstanden. Zahlreiche Villen und Luxushotels wurden errichtet, und die Region warb mit dem ersten Hallenbad Europas mit Panoramablick, dem "Lido Alpin".
    Nach dem Krieg verlor der Höhenluftkurort mehr und mehr an Attraktivität. Viele Luxushotels schlossen in den 1970er-Jahren. Man begann mit dem Bau einer Schnellstraße, über die sich in Ferienzeiten täglich bis zu 12.000 Autos in Richtung Süden schoben. Der Schriftsteller Heimito von Doderer allerdings bevorzugte weiterhin die historische Bahnstrecke, die heute zum UNESCO Weltkulturerbe gehört.