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Vor 1925 Jahren verschüttet der Vesuv-Ausbruch Pompeji

Es traf die Menschen vollkommen unvorbereitet. In den Tagen zuvor hatte es zwar schon kleinere Erdstöße gegeben, aber niemand dachte sich etwas dabei. Der letzte Ausbruch des Vesuv lag tausend Jahre zurück, in den Luxusvillen von Pompeji und Herculaneum freute man sich am Dolce Vita. Bis zum 24. August 79 nach Christus, als morgens um zehn eine ungeheure Detonation den Golf von Neapel erschütterte.

Von Irene Meichsner | 24.08.2004
    Die Spitze des Berges war weggesprengt, aus dem Krater schossen Lavafontänen, im Umkreis von mindestens 70 Kilometern prasselte ein glühend heißer Gesteinsregen nieder. Die Menschen wurden erschlagen, erstickten an giftigen Gasen. Den Bewohnern von Herculaneum, die sich in den Bootshäusern am Hafen verkrochen hatten, blieb nicht einmal mehr Zeit, die Hände schützend vor das Gesicht zu halten. Alberto Incoronato, Geologe aus Neapel, hat erst vor drei Jahren 80 dieser Leichen ausgegraben:

    Alle Befunde sprechen dafür, dass diese Körper etwa einer Temperatur von 500 Grad ausgesetzt gewesen sind.

    Rund zehn Milliarden Tonnen Gestein hatte der Vesuv in den Himmel geschleudert. Pompeji und Herculaneum, zwei blühende römische Siedlungen, in denen die Reichen und Mächtigen ihren Sommer verbrachten, wurden unter einer meterdicken Asche- und Gesteinsschicht begraben.

    Die Ruhe, die dort heute herrscht, ist trügerisch. Der Vesuv ist eine Zeitbombe. Früher oder später wird sich wieder so viel Druck aufstauen, dass das Magma aus dem Erdinneren gegen den Kraterboden drängt und die ganze Bergspitze wegfliegt wie der Korken einer Sektflasche. Franco Barberi, langjähriger Vorsitzender der Gruppe "Vulkanische Risiken" im italienischen Ministerium für den zivilen Bevölkerungsschutz, hat den Ablauf im Computer rekonstruiert.

    Zu einem bestimmten Augenblick wird dieser Ausbruchsrauchpilz so überladen mit glühenden Steinen, Magma und Asche sein, dass die ausströmenden Vulkangase es nicht mehr schaffen, die Brocken in der Schwebe zu halten. So wird all das aufgrund der Schwerkraft in den Vulkanschlund zurückkollabieren. Und wenn dieser Explosionspilz kollabiert, dann kommt es zu den so genannten "Feuerwalzen". Das sind glühende Wolken mit eingeschlossenen Lavabrocken, die die Abhänge des Vulkans mit 150 Kilometern pro Stunde Geschwindigkeit herabrasen werden und die wirklich alles, was sich ihnen entgegenstellt, zerstören.

    Als Archäologen in Pompeji und Herculaneum zu graben begannen, stießen sie auf Zeugnisse römischer Hochkultur: prächtige Häuser und Tempel, kostbare Bäder und Wandmalereien. Die Fundstätten am Vesuv wurden zum Ziel für Bildungsreisende aus ganz Europa. Manche hätten sich auch ein wenig an der schlummernden Gefahr delektiert - meint der italienische Schriftsteller Luciano di Crescenzo.

    Hier muss man nun wirklich in die griechische Mythologie herabsteigen. Und da regiert ein Prinzip: Jeder schöne Gegenstand ist auch gefährlich. Das Schöne und die Gefahr reisen immer Arm in Arm. Auf der anderen Seite verdankt Neapel dem Vesuv aber auch seinen Ruf in der Welt.

    1631, beim letzten größeren Ausbruch, kamen rund 4000 Menschen ums Leben. Heute hat allein Neapel über 600.000 Einwohner. Die Hoffnung, sie rechtzeitig warnen zu können, beruht auf einem Netz von Mess-Stationen, dass rund um die Uhr selbst millimetergroße Bodenbewegungen erfasst. Jeder Neapolitaner kennt die Geschichte vom großen Ausbruch. Trotzdem sind die Hänge des Vesuv inzwischen mit Häusern gepflastert. Di Crescenzo, selber ein waschechter Neapolitaner, hat nicht allzu viel Verständnis für die Sorglosigkeit seiner Mitbürger.

    Er denkt einfach nicht daran. Da tritt der Fatalismus des Neapolitaners ein, er sagt: "Va bo". Wenn es denn passieren muss, dann soll es geschehen. Aber er denkt nicht daran.

    Francesco Santoiani, der Zivilschutzbeauftragte von Torre del Greco, einer belebten Kleinstadt vor den Toren von Neapel, fürchtet vor allem die Panik, die ausbrechen wird, wenn der Vesuv eines Tages aus seinem Tiefschlaf erwacht.

    Nirgendwo auf dem Erdball findet sich ein zweiter Vulkan, der von 620.000 Menschen bevölkert wird. Und die überhaupt nicht begreifen, dass sie auf einem Meer von Lava leben.