Es ist gar nicht so leicht, das wahre Gesicht Schillers in den Blick zu bekommen. Geflügelte Worte verstellen uns die Sicht: Von "der Axt im Haus, die den Zimmermann erspart" bis zum "Starken, der am mächtigsten allein" ist, sind wir randvoll mit Schiller-Zitaten. Und die Kinderreime unseres poetischen Mindestverständnisses aus den Grundschuljahren verfolgen uns wie ein weißes Rauschen seit jenen 200 Jahren, die seit Schillers Tod vergangen sind.. Selbst in unfreiwillig komischer Rezitation:
"Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn - So nehmet auch mich zum Genossen an: Ich sei, gewährt mir die Bitte, In eurem Bunde der dritte!"
Erst musste man ihn von derart falschem Pathos befreien, dann vom gipsglatten Marmor einer schulklassikerartigen nationalen Bildungspaste. Und jetzt? Immer noch schwelgen die Jubiläumsbiographen. Der eine, Rüdiger Safranski, schwärmt vom Meister im Schattenreich des unvergesslichen goldenen Zeitalters des deutschen Geistes, von Wunderjahren, die einem helfen, den Sinn für die wirklich wichtigen, für die geistvollen Dinge des Lebens zu bewahren. Die andere, Sigrid Damm, eine einfühlsame Nachempfinderin, bekennt, ja haucht ebenso elegisch wie nichtssagend:
"Ich lese Schiller. lese. lese. Der Dramatiker. der Lyriker. Erzähler [...] Vieles lese ich zum ersten Mal. Eine Wanderung durch seine Texte. Räume öffnen sich. Landschaften tun sich auf. Der Horizont der Gedanken dehnt sich [...]."
Tonlagen des Gedenkjahres 2005. Sind wir ihm, Schiller, wirklich gewachsen? Können wir seine Gedankenschärfe, die Wucht seiner Dialoge, in denen sich die Figuren argumentativ die Zähne ins Fleisch schlagen, wirklich noch ertragen in der derzeitigen Phase der neuen Harmlosigkeit? Dabei bedeutete die "Kunst Schiller zu sprechen", an der so viele immer wieder scheitern, den lohnenden Versuch seine sich stets erneuernde Bedeutung zu verstehen, ihm auf der entscheidenden Ebene, der der S p r a c h e näherzukommen. Gleich, ob wir uns in seine Affektwelten hineinzuversetzen suchen und den Don Carlos an der Schauspielschule Wort für Wort durchdeklinieren:
" O – o, der Einfall war kind- – Äh, äh, ja… o, o, o der, o der Einfall war… ja, ja, sie dürfen da geben. Seien sie noch einmal jung."
Oder ob wir kollektiv mit Schiller ausrasten:
"Mir ekelt vor diesem ganzen Jahrhundert und seinem Gequatsche. Schreie. Dieses schlappe Kastratenjahrhundert. Soll ich meinen Willen schnüren im Gesetze? Dieses Gesetz hat noch keinen großen Mann gemacht. Aber die Freiheit brütet Kolosse aus. Stell mich vor ein Heer – Kerle wie ich – und ich sage dir, aus Deutschland soll eine Republik werden, gegen die Rom und Sparta Nonnenklöster waren. " (Die Räuber, Residentheater)
Wir lernen sprechen, fühlen, leiden in allen Tonlagen, immer mit Verve, nicht immer "echt".
"Man reiße mich von hier aufs Blutgerüst!
Ein Augenblick, gelebt im Paradiese,
wird nicht zu teuer mit dem Tod gebüßt.
Ein Augenblick – da darf nun wirklich ein kleiner Bibber rein, wenn er echt ist." (Don Carlos)
Mit Schiller erreichen wir einen Grad der Exaltiertheit, der uns sonst längst abhanden gekommen ist, Zonen des Pathos, die zur Terra incognita unserer Normalwelt geworden sind.
"Rettung von Tyrannenketten.
Großmut auch dem Bösewicht.
Hoffnung auf den Sterbebetten.
Gnade auf dem Hochgericht.
Auch die Toten sollen leben.
Brüder, trinkt und stimmet ein:
Allen Sündern soll vergeben
Und die Hölle nicht mehr sein.
Eine heitre Abschiedsstunde
Süßen Schlaf im Leichentuch.
Brüder, einen sanften Spruch
Aus des Totenrichters Munde."
(Lied an die Freude, virtuos rezitiert)
Vom hymnischen Exzess bis zur Atemwende eines stillen Verhauchens der Sprache, vom Urschrei bis zum Spiel: alles ist da. Man muss es nur hören wie einst der große deutsch-jüdische Theaterregisseur Fritz Kortner:
"– Mit muss er, damit der Richter der Welt nur gegen den Schuldigen rase.
– Jetzt.
– Ferdinand, es ist dein Vater!"
– Ja, das war dramatisch."
Nicht wir erinnern uns an Schiller. Er erinnert uns an ein Etwas in uns, eine Qualität des Authentischen, des Dramatischen, des "Hier und Jetzt" und Dialoggefühls, nach dem wir uns halbbewusst auch heute noch sehnen. Und er erinnert uns an einen unerledigten Auftrag in Sachen Aufklärung, sich des "eigenen Verstandes", wie er sagt, mit K ü h n h e i t zu bedienen.
"Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn - So nehmet auch mich zum Genossen an: Ich sei, gewährt mir die Bitte, In eurem Bunde der dritte!"
Erst musste man ihn von derart falschem Pathos befreien, dann vom gipsglatten Marmor einer schulklassikerartigen nationalen Bildungspaste. Und jetzt? Immer noch schwelgen die Jubiläumsbiographen. Der eine, Rüdiger Safranski, schwärmt vom Meister im Schattenreich des unvergesslichen goldenen Zeitalters des deutschen Geistes, von Wunderjahren, die einem helfen, den Sinn für die wirklich wichtigen, für die geistvollen Dinge des Lebens zu bewahren. Die andere, Sigrid Damm, eine einfühlsame Nachempfinderin, bekennt, ja haucht ebenso elegisch wie nichtssagend:
"Ich lese Schiller. lese. lese. Der Dramatiker. der Lyriker. Erzähler [...] Vieles lese ich zum ersten Mal. Eine Wanderung durch seine Texte. Räume öffnen sich. Landschaften tun sich auf. Der Horizont der Gedanken dehnt sich [...]."
Tonlagen des Gedenkjahres 2005. Sind wir ihm, Schiller, wirklich gewachsen? Können wir seine Gedankenschärfe, die Wucht seiner Dialoge, in denen sich die Figuren argumentativ die Zähne ins Fleisch schlagen, wirklich noch ertragen in der derzeitigen Phase der neuen Harmlosigkeit? Dabei bedeutete die "Kunst Schiller zu sprechen", an der so viele immer wieder scheitern, den lohnenden Versuch seine sich stets erneuernde Bedeutung zu verstehen, ihm auf der entscheidenden Ebene, der der S p r a c h e näherzukommen. Gleich, ob wir uns in seine Affektwelten hineinzuversetzen suchen und den Don Carlos an der Schauspielschule Wort für Wort durchdeklinieren:
" O – o, der Einfall war kind- – Äh, äh, ja… o, o, o der, o der Einfall war… ja, ja, sie dürfen da geben. Seien sie noch einmal jung."
Oder ob wir kollektiv mit Schiller ausrasten:
"Mir ekelt vor diesem ganzen Jahrhundert und seinem Gequatsche. Schreie. Dieses schlappe Kastratenjahrhundert. Soll ich meinen Willen schnüren im Gesetze? Dieses Gesetz hat noch keinen großen Mann gemacht. Aber die Freiheit brütet Kolosse aus. Stell mich vor ein Heer – Kerle wie ich – und ich sage dir, aus Deutschland soll eine Republik werden, gegen die Rom und Sparta Nonnenklöster waren. " (Die Räuber, Residentheater)
Wir lernen sprechen, fühlen, leiden in allen Tonlagen, immer mit Verve, nicht immer "echt".
"Man reiße mich von hier aufs Blutgerüst!
Ein Augenblick, gelebt im Paradiese,
wird nicht zu teuer mit dem Tod gebüßt.
Ein Augenblick – da darf nun wirklich ein kleiner Bibber rein, wenn er echt ist." (Don Carlos)
Mit Schiller erreichen wir einen Grad der Exaltiertheit, der uns sonst längst abhanden gekommen ist, Zonen des Pathos, die zur Terra incognita unserer Normalwelt geworden sind.
"Rettung von Tyrannenketten.
Großmut auch dem Bösewicht.
Hoffnung auf den Sterbebetten.
Gnade auf dem Hochgericht.
Auch die Toten sollen leben.
Brüder, trinkt und stimmet ein:
Allen Sündern soll vergeben
Und die Hölle nicht mehr sein.
Eine heitre Abschiedsstunde
Süßen Schlaf im Leichentuch.
Brüder, einen sanften Spruch
Aus des Totenrichters Munde."
(Lied an die Freude, virtuos rezitiert)
Vom hymnischen Exzess bis zur Atemwende eines stillen Verhauchens der Sprache, vom Urschrei bis zum Spiel: alles ist da. Man muss es nur hören wie einst der große deutsch-jüdische Theaterregisseur Fritz Kortner:
"– Mit muss er, damit der Richter der Welt nur gegen den Schuldigen rase.
– Jetzt.
– Ferdinand, es ist dein Vater!"
– Ja, das war dramatisch."
Nicht wir erinnern uns an Schiller. Er erinnert uns an ein Etwas in uns, eine Qualität des Authentischen, des Dramatischen, des "Hier und Jetzt" und Dialoggefühls, nach dem wir uns halbbewusst auch heute noch sehnen. Und er erinnert uns an einen unerledigten Auftrag in Sachen Aufklärung, sich des "eigenen Verstandes", wie er sagt, mit K ü h n h e i t zu bedienen.