"Seit sechs Uhr fünfundvierzig haben wir diese Attacke, und wir haben viele Verletzte. Fünfundzwanzig sind zum Krankenhaus gebracht, aber vier sind schon tot."
Was da eine Augenzeugin über Telefon einem deutschen Radiosender zu erzählen hatte, ging deutlich hinaus über das Maß an schlechten Nachrichten, an das Europas Öffentlichkeit sich im jugoslawischen Krieg schon gewöhnt hatte. Die Frau berichtete aus Dubrovnik, der vielzitierten "Perle der Adria", einer prunkvollen Festungsstadt mit ihren Renaissance- und Barockpalästen, malerisch ins Meer hinausgebaut und seit 1979 Weltkulturerbe.
19 Menschen sterben
650 Mörsergranaten gingen am 6. Dezember 1991 auf die historische Altstadt von Dubrovnik nieder, sogar Lenkraketen setzte die Jugoslawische Volksarmee ein. Mehr als die Hälfte der Häuser erlitt Schäden, ein Prozent brannte ganz nieder. Militärisches Objekt war Dubrovnik keines. Statt Soldaten hielten sich unbewaffnete Beobachter der Europäischen Union in der Stadt auf.
"Sie konnten bestätigen - und haben das dann vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag auch wiederholt getan -, dass sich im historischen Zentrum der Stadt überhaupt keine kroatische Armee befand. Auf den Wehrmauern der Altstadt wehten die blauen Fahnen der Vereinten Nationen als Zeichen dafür, dass dies ein geschütztes Objekt der UNESCO war", erzählt der Historiker Jakša Raguž, der den Angriff als 18-Jähriger miterlebt hat und heute beim Institut für kroatische Geschichte in Zagreb über die Ereignisse jener Jahre forscht:
"An diesem Tag sind in Dubrovnik 19 Menschen ums Leben gekommen. Unter ihnen war kein einziger kroatischer Soldat. Alle waren Zivilisten. Sie starben in der Altstadt und ihrer Umgebung."
Unter ihnen Feuerwehrleute, die den Brand in einem mit Flüchtlingen besetzten Hotel löschen wollten. Nicht nur an wirksamer Verteidigung, selbst an elementarem Schutz fehlte es der Zivilbevölkerung. Noch am Tag vor dem Angriff hatte die kroatische Regierung mit den Generälen der Volksarmee ein Abkommen ausgehandelt, und am Abend des 5. Dezember ging deshalb auch niemand in einen Schutzraum. Man legte sich beruhigt schlafen. Eine fatale Entscheidung.
Jakša Raguž: "In der Altstadt von Dubrovnik gibt es keine Betondächer. Die Dächer sind aus Ziegel und Holz, sodass viele Leute im Vertrauen auf den Friedensschluss in ihren Häusern verbrannt sind."
Die Motive des Angriffs bleiben im Dunkeln
Seit einem halben Jahr schon herrschte Krieg. Ende Juni hatten Kroatien und Slowenien, zwei Teilrepubliken des Bundesstaates Jugoslawien, einseitig ihre Unabhängigkeit erklärt. In Kroatien, wo eine starke Minderheit von Serben für den Verbleib bei Jugoslawien eintrat, entwickelte sich daraus ein Krieg. Statt abzuziehen, wie die kroatische Regierung in Zagreb es verlangte, blieb die "Volksarmee" des Bundesstaates auf kroatischem Territorium und hielt dort die Gebiete besetzt, in denen Serben lebten. Dubrovnik gehörte nicht dazu. Die prächtige Hafenstadt war zu neun Zehnteln von Kroaten bewohnt. Und einen ernsthaften Versuch, Dubrovnik zu erobern, unternahmen die Angreifer auch gar nicht. Raguž hat eine andere Erklärung:
"Sie sind nach dem Prinzip der Vergeltung vorgegangen. Schon vorher hatte die Jugoslawische Volksarmee angekündigt, dass für jede Niederlage, für jedes verlorene Objekt ein für Kroatien - im strategischen oder in irgendeinem anderen Sinne - wichtiges Objekt angegriffen würde."
Über die Motive des Angriffs brachten auch Prozesse vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal keine Klarheit. Von einem ethnischen Konflikt mit den wenigen hier ansässigen Serben, die Standarderklärung für die Kriege jener Jahre, konnte in Dubrovnik jedenfalls keine Rede sein, so Jakša Raguž:
"Man muss sogar sagen, dass bei den Angriffen viele Dubrovniker Serben umgekommen sind. Die erste zivile Tote war eine Serbin, die von einem Projektil eines Minenwerfers getroffen wurde."
"Man muss sogar sagen, dass bei den Angriffen viele Dubrovniker Serben umgekommen sind. Die erste zivile Tote war eine Serbin, die von einem Projektil eines Minenwerfers getroffen wurde."
Europa wacht auf
In Europa herrschte über den Charakter des Krieges Verwirrung. Ging es noch um den Erhalt des Bundesstaates Jugoslawien, oder ging es schon darum, wo künftig die Grenze zwischen den Nachfolgestaaten Serbien und Kroatien verlaufen sollte? Dass es um Integration ging, um die Wiederherstellung der Föderation, konnte nach dem Angriff auf Dubrovnik niemand mehr glauben.
Der berühmte Chemiker Linus Pauling, damals schon über neunzig, mobilisierte nicht weniger als 104 andere Nobelpreisträger für einen Protestaufruf. Nur wenige Tage nach dem Angriff auf Dubrovnik setzte sich in der Europäischen Gemeinschaft Deutschland mit dem Vorhaben durch, Kroatiens Unabhängigkeit nun völkerrechtlich anzuerkennen. Politisch waren die Lenkraketen nach hinten losgegangen.