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Vor 25 Jahren starb der Journalist und Schriftsteller Joseph Kessel

Der Schriftsteller und Journalist Joseph Kessel hatte einen deutsch klingenden Namen, aber in Deutschland ist er quasi ein Unbekannter. Dennoch kennen wir seine Stoffe recht gut, da einige seiner Romane Vorlagen zu Kinofilmen wurden. "Belle de Jour" ist davon zweifellos der berühmteste, mit Catherine Deneuve in Szene gesetzt und mit Nuancen aufgeladen von Luis Bunuel.

Von Joachim Johannsen | 23.07.2004
    Kessel schrieb diese Hurenphantasie sehr früh, in den 20er Jahren, die auch in Paris die Roaring Twenties waren. Ein Paar der Bourgeoisie fährt in der Kutsche durch einen noblen Park. Der Mann ist im siebten Himmel.

    - Tu veux que je te dise un secret Séverine? Je t'aime chaque jour d'avantage.
    - Moi aussi Pierre. Je n'ai que toi au monde.
    - Je veux que tout soit parfait. J'ai pour toi une immense tendresse.
    - Je ne sais pas m'en servir, de ta tendresse


    Die Frau nutzt das Liebesgeständnis, um den Mann vor den Kopf zu stoßen. Kessel und Bunuel schaffen es, innerhalb weniger Sekunden die Idylle in den Alptraum umschlagen zu lassen. Man hört Peitschenschläge, dann Schreie der Frau:

    - ça suffit comme ça. Elle est à vous maintenant.
    - Pierre je t'aime...


    Der Ehemann überlässt seine Frau den Trieben der peitschenden Kutscher. Der schroffe Umschlag der Stimmungen und Ereignisse war nicht nur ein Kennzeichen der Zeit zwischen den Kriegen sondern auch ein Motiv der Kesselschen Biografie.

    Der 1898 in Argentinien geborene Jude wuchs in Russland auf. Als er zur Volljährigkeit die französische Staatsbürgerschaft beantragt, hatte er bereits einiges hinter sich. Er stand auf den Brettern des Pariser Théâtre Odéon, schrieb für eine Pariser Tageszeitung, kämpfte als Freiwilliger für Frankreich im Ersten Weltkrieg, wurde Pilot. Mit Orden hoch dekoriert, empfing er seinen französischen Pass.

    Offizielle Photos in Biographien zeigen Joseph Kessel oft in der grünen Operettenuniform der Académie Française. Diese Bilder vom beschaulichen Leben am Literatenschreibtisch, von hochgestochenen Diskursen mit den Confrères unter der akademischen Kuppel sind nicht repräsentativ. Als Joseph Kessel nach dem Ersten Weltkrieg wieder Journalist wurde und für den Figaro schrieb, kam die Unruhe wieder, die Neugier.

    Zu seinen vier Berufen - Reporter, Flieger, Reisender, Kriegsheld - kam dann noch einer hinzu. Joseph Kessel beschloss, Romancier zu werden. Ähnlich wie André Malraux gehört er zu den Autoren der Literatur der Aktion. Das war eine internationale Zwischenkriegserscheinung, diese direkte Umsetzung von Vita activa in bedruckte Buchseiten. Auch der Schweizer Blaise Cendrars und der Amerikaner Ernest Hemingway legen davon Zeugnis ab. Also kein Großereignis ohne den Star-Reporter Joseph Kessel. Er kümmert sich um den Fortschritt der Luftpost, zusammen mit einem Flieger namens Antoine Saint-Exupéry. Er ist der erste Besucher des neu gegründeten Staates Israel; in Deutschland trifft er einen Provinzpolitiker namens Adolf Hitler, "ein Mann wie jeder andere," notiert er, "trist und ziemlich vulgär". Im Zweiten Weltkrieg geht Kessel in die Résistance, das war er sich als Franzose und Jude schuldig. Da ist er nicht mehr privilegierter Augenzeuge sondern Partei. "Die Armee der Schatten", der Résistance-Roman, wurde verfilmt mit Simone Signoret und Lino Ventura.

    Nach dem Zweiten Krieg, Kessel ist nun über 50, liefert er nicht mehr ganz so viele Reiseberichte, er bombardiert die Welt mit Romanen, die eigentlich auch Reiseberichte sind. Alain Delon, persönlicher Freund des Autors, produzierte kürzlich - 25 Jahre nach dessen Tod - die Romanverfilmung "Der Löwe", die Geschichte einer Tier-Mensch-Symbiose, mit seiner Tochter in der (menschlichen) Hauptrolle.

    Kessels Stil ist melodramatisch, sein Thema ist das besondere Individuum, das seinen Leidenschaften ausgeliefert ist oder sozialen Konflikten. Die lyrischen Partien werden selten durch lapidare Berichte unterbrochen, auf Nuancen verzichtet er durchgehend. Joseph Kessel lieferte den Stoff, aus dem damals die Bestseller waren. Die altehrwürdige Académie Française nahm ihn 1962 in ihre Reihen auf. Diese hohe Auszeichnung galt sicher seinem einzigen und größten Kunstwerk, das sein Leben war. Akademie-Kollege François Mauriac meinte, Kessel gehöre zu jenen Wesen, denen jeder Exzess verziehen würde, er könne das Universum gewinnen, ohne seine Seele zu verlieren.