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Vor 350 Jahren
Der niederländische Maler Frans Hals gestorben

Stolz, frei und wohlhabend: So sahen sich die Niederländer in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, ihrem "Goldenen Zeitalter". Und so ließen sie sich auch malen. In Haarlem aber gab der Maler Frans Hals die Menschen seiner Umgebung als das wieder, was sie tatsächlich waren: als lebendige Wesen, dem Augenblick verhaftet und vergänglich.

Von Martin Tschechne | 29.08.2016
    Das Gemälde von Franz Hals mit dem Porträt von Tieleman Roosterman rückt ein Angestellter des Londoner Auktionshauses Christie's am 12.4. zurecht. Am 8.7.1999 wird die berühmte Kunstsammlung der Brüder Albert und Nathaniel Rothschild versteigert.
    Das Gemälde von Franz Hals mit dem Porträt von Tieleman Roosterman kurz vor einer Auktion bei Christie's in London. (dpa - Fotoreport/ AFP / Sinead Lynch)
    Gerade eben muss jemand dem jungen Lautenspieler ein Kompliment zugeworfen haben. So ein Lächeln bleibt nicht länger auf den Lippen als den Hauch einer Sekunde. Und der Kaufmann: Welches Wort des Malers mag ihn wohl für diesen Moment aus seiner würdevollen Pose gelöst haben? So tief lässt sich doch sonst keiner in die Seele blicken, der sich zum Porträt in ein Atelier setzt.
    Was aus den Bildern ersichtlich wird: Dieser Frans Hals, geboren irgendwann nach 1580 in Antwerpen, Sohn eines Tuchhändlers und schon als Kind mit den Eltern aus dem Machtbereich der spanischen Krone in die protestantischen Niederlande entflohen, sein Leben lang Maler in Haarlem, gestorben dort vermutlich am 29. August 1666 – Frans Hals muss einer gewesen sein, der die Menschen seiner Zeit gemocht hat.
    Sein Lehrer war der Manierist Carel van Mander, doch der Schüler scheint sich schnell von den Konventionen des Zeitgeists frei gemacht zu haben. Der Kunsthistoriker Martin Warnke jedenfalls erkennt hinter den Portraits und Gruppenbildern des Holländers eine neue, sehr moderne Idee vom Menschen:
    "Goldenes Zeitalter" in den Niederlanden
    "Ist es eine Idee? Es ist ja eine Technik. Die Idee dahinter ist, dass der Mensch in Augenblicken lebt, nicht? Auch schnell, nicht als ewiges Denkmal genau, pingelig gemalt werden will und soll, sondern als momentanes, sozusagen vergängliches Wesen."
    Ein Widerspruch, scheinbar: Natürlich wollten die Auftraggeber des Künstlers ihr Dasein für die Nachwelt festhalten lassen. Dazu waren Maler ja da. Natürlich posierten sie und warfen sich in Schale, in feierlichem Schwarz mit weißem Spitzenkragen – denn: Hatten sich die Niederlande nicht gerade vom Joch der Spanier befreit? Erlebten sie nicht einen Aufschwung in Handel und Kultur, der als "Goldenes Zeitalter" in die Geschichte eingehen sollte? Ihr stolzes Selbstbewusstsein hatte gute Gründe.
    Eindruck von Flüchtigkeit, von Bewegung und Leben
    Frans Hals, Vater von 14 Kindern, gab den Bildnissen dennoch den Eindruck von Flüchtigkeit, von Bewegung – aber genau damit auch von Leben. In schnellen, herzhaften, doch virtuos gesetzten Pinselschlägen hielt er fest, was sein Auge traf: lebende Menschen, deren Gegenwart zu greifen ist. Sie feiern, sie musizieren, scherzen oder sinnieren. Und viele wenden sich dem Betrachter zu, offen und nahbar, als wollten sie im nächsten Moment ein Gespräch mit ihm beginnen.
    "Stilistisch hat es auch diese Offenheit zum Alltag hin, vielleicht. Zum Momentanen, das Augenblickliche, nicht? Dass man einen Mensch erwischt beim Lächeln. Lächelt die Mona Lisa vielleicht? Ein bisschen, zaghaft. Aber die lachen alle (lacht). Das ist diese Öffnung, das hat wahrscheinlich die offene Form, kann man bis hin zum Psychischen…, die sind breit (lacht). Breit im Gesicht.
    Auch Frans Hals hat eine Mona Lisa gemalt. Sie hieß Malle Babbe und war so etwas wie ein Faktotum. Vielleicht ein bisschen seltsam, die Eule auf ihrer Schulter deutet so etwas an – aber Teil einer Gemeinschaft, zu der auch der Maler selbst gehörte. Nur kurz schaut die Frau zur Seite, ein breites Lachen auf dem Gesicht. Jemand wird wohl einen Witz gerissen haben. Und gleich wird sie wieder einen tiefen Schluck aus dem Humpen nehmen.
    Zweihundert Jahre vor dem Impressionismus
    Für den Kunsthistoriker ist an solchen Bildern die Meisterschaft des Menschenmalers abzulesen, seine Neugier, sein Witz, seine souveräne Verachtung für die Feinmalerei mancher Zeitgenossen, die sich im akribisch ausgearbeiteten Detail verlieren und darüber den Augenblick des Lebens verpassen. Den Kollegen Anthonis van Dyck habe Frans Hals für seine schnelle Auffassungsgabe bewundert, räumt Martin Warnke ein, aber sonst lieber dem eigenen Auge vertraut.
    "Nein, in der Hinsicht ist er singulär. Also, ich wüsste keinen Vergleichbaren. Das ist diese barocke, malerische Tendenz, die die Form öffnet. Und nicht mehr so schließt, so kompakt und sachgerecht arbeitet. Sondern mehr vom Visuellen, vom Optischen, Momentanen ausgeht. Das ist barock. Aber in der Radikalität ist das nirgends sonst auffindbar.
    Ob Frans Hals in seinem Spiel mit Licht und Bewegung gar den Impressionismus vorweggenommen hat? Da winkt Warnke ab. Zweihundert Jahre sollte es dauern, bis ein Courbet, ein Monet oder Manet, ein Liebermann oder van Gogh vor seinen Bildern standen und staunten: über eine Malerei, die nicht dem Abbild verpflichtet war, sondern dem Leben selbst.