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Vor 50 Jahren
Als der portugiesische Diktator Salazar vom Stuhl fiel

40 Jahre lang regierte der portugiesische Diktator António Oliveira de Salazar sein Land, von 1928 und 1968. Sein Ende kam auf überraschende und kuriose Weise.

Von Tilo Wagner | 03.08.2018
    Der portugiesische Politiker António de Oliveira Salazar an seinem Schreibtisch. Von 1932 bis 1968 bekleidete er das Amt des Ministerpräsidenten und baute ein diktatorisches Regierungssystem auf.
    Der portugiesische Politiker António de Oliveira Salazar an seinem Schreibtisch. (picture alliance/ dpa)
    Die letzten eineinhalb Jahre seines Lebens verbrachte Portugals Autokrat António de Oliveira Salazar abgeschottet von der Außenwelt in der offiziellen Residenz des Regierungschefs in Lissabon. Er empfing den Staatspräsidenten und richtete sich in Fernseh- und Rundfunkansprachen an das portugiesische Volk. Doch sein Leben glich einer bizarren Inszenierung. Sein ehemaliger Außenminister Alberto Franco Nogueira schrieb später in einer Salazar-Biographie:
    "Weiß Salazar, dass er nicht mehr Regierungschef ist? Ist er sich bewusst, dass er von seinen Ämtern enthoben und durch Marcelo Caetano ersetzt wurde?"
    40 Jahre lang hatte Salazar Portugal regiert. Unter seiner Führung wurde 1933 der "Estado Novo" gegründet – ein autoritäres, konservatives, nationalistisches Regime.
    Die entscheidende Wendung für Salazar
    Salazar hatte bis dahin alle politischen Krisen überlebt: Ende der 40er-Jahre einen Machtkampf innerhalb des Regimes und in den 60er-Jahren den Krieg gegen die Unabhängigkeitsbewegungen in den portugiesischen Kolonien.
    Doch am 3. August 1968 nahm das Schicksal Salazars eine entscheidende Wendung. Und schuld daran war nicht ein politisches Ereignis, sondern ein wackeliger Stuhl:
    "Salazar verbrachte damals seine Ferien nicht mehr in seiner Geburtsstadt im Landesinneren, sondern in einer alten Festungsanlage am Meer, etwas außerhalb von Lissabon. Er saß auf einer Art Regiestuhl, und dieser Stuhl brach dann aus nicht bekannten Gründen unter ihm zusammen", - der Historiker und anerkannte Salazar-Biograph Filipe Ribeiro de Meneses.
    "Salazar stürzte und schlug mit dem Hinterkopf auf den harten Steinboden der Festungsanlage. Zu Beginn sah alles normal aus, er stand auf und fühlte sich gut. Doch nach ein paar Tagen verschlimmerte sich sein Zustand."
    Das Land verpasste den Anschluss an die Moderne
    Zunächst führte der damals 79-jährige Autokrat seine Regierungsgeschäfte scheinbar unbeeindruckt fort. Doch nach einem Schwächeanfall Anfang September entdeckten Ärzte bei einer ersten Operation ein Blutgerinnsel. Der kritische Zustand Salazars war der Öffentlichkeit zunächst verschwiegen worden, doch nach und nach sickerten nun die ersten Informationen durch:
    "Für sehr viele war es ein großer Schock, denn sie wussten nicht, was es hieß, ohne Salazar zu leben. Es herrschte das Gefühl, das ein enormer und unberechenbarer Wandel bevorstehen würde."
    Salazar war 1928 von einer Militärdiktatur beauftragt worden, die großen Finanzprobleme Portugals in den Griff zu bekommen. Er tat das mit Erfolg und baute anschließend die ehemalige Republik zu einem autoritären Staat aus. Im katholischen, konservativen, ländlichen Portugal fand er seine Bezugspunkte – und deshalb verpasste das Land auch den Anschluss an die Moderne. Noch in den 60er-Jahren konnte fast ein Drittel der Bevölkerung nicht lesen und schreiben. Die überwiegend kommunistische Opposition wurde von der Geheimpolizei PIDE systematisch verfolgt. Die 68er-Bewegung, die Europa so tief greifend veränderte, fand in Portugal nur sehr geringen Widerhall. Die Portugiesen schienen insgesamt nicht vorbereitet, die gesundheitliche Schwäche ihres autoritären Herrschers zu nutzen, um einen politischen Wandel zu erzwingen.
    Ein amerikanischer Gehirnspezialist untersuchte Salazar Mitte September 1968 in einem Lissabonner Krankenhaus. Die Diagnose: Salazars politische Laufbahn würde definitiv ein Ende finden müssen.
    "Es gab keine Revolte im Volk oder im Militär. Das Regime hatte eine Verfassung und einen gesetzlich festen Rahmen. Es war aber bisher von der Person Salazar vollkommen abhängig gewesen. Und jetzt musste das Regime zeigen, dass es sich an die neue Wirklichkeit anzupassen wusste."
    Niemand traute sich, dem Diktator die Wahrheit zu sagen
    Am 27. September 1968 übernahm Salazars Vertrauter Marcelo Caetano die Führung des Landes. Insbesondere die jungen Offiziere, die in Afrika kämpften, erwarteten, dass sich unter seiner Führung das Regime öffnen und eine Lösung für den kräfteaufreibenden Kolonialkrieg finden würde. Doch diese Hoffnungen zerschlugen sich bald. Kriegsende und Demokratie kamen erst nach dem Militärputsch und der Nelkenrevolution im April 1974.
    António de Oliveira Salazar erfuhr von den Veränderungen in seinem Land nur noch ganz wenig. Seine politischen Weggefährten trauten sich nicht, dem menschenscheuen Diktator, der zeitlebens nur für sein Amt gelebt hatte, mitzuteilen, dass er entmachtet worden war. Am 27. Juli 1970 starb Salazar an den Folgen einer Nierenentzündung in Lissabon.