Archiv

Vor 50 Jahren: Bitte um Vergebung
Briefwechsel polnischer und deutscher katholischer Bischöfe

Als vor 50 Jahren, am 18. November 1965, polnische Bischöfe ihren Brief an die deutsche Bischofskonferenz adressierten, schlug das ein wie eine Bombe. Die Polen baten 20 Jahre nach Kriegsende die deutsche Seite um Vergebung. Die Antwort der deutschen Bischöfe fiel äußerst zurückhaltend aus. Dennoch war dieser Briefwechsel ein Markstein im Aussöhnungsprozess zwischen Deutschen und Polen, wie eine Ausstellung in Breslau und Berlin nun zeigt.

Von Carsten Dippel |
    Deutsche und polnische Fahne auf dem Rasen
    Der Brief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder löste ein regelrechtes Beben aus. (picture alliance / ZB / Patrick Pleul)
    Nur 20 Jahre nach Kriegsende und dem unermesslichen Leid, das Polen durch Deutsche erfahren haben, löst der Brief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder ein regelrechtes Beben aus. Mit dem entscheidenden Satz: "Wir vergeben und bitten um Vergebung" streckt ausgerechnet die polnische Seite der deutschen die Hand zur Versöhnung aus. Der mehrseitige Brief betont dabei, in den 1000 Jahren deutsch-polnischer Nachbarschaftsgeschichte habe es auch positive Phasen gegeben. Polen habe schließlich einen entscheidenden Impuls aus dem Westen erhalten: nämlich die Christianisierung. Der Versöhnungsbrief spricht auch das Leid der deutschen Vertriebenen an. Mit ihrer Versöhnungsgeste gehen die polnischen Bischöfe unter Federführung Erzbischofs Boleslaw Kominek ausgesprochen weit. Für viele Gläubige in Polen zu weit. Die Deutschen um Vergebung bitten? Das schien zu viel verlangt. Für die kommunistische Führung, die den Schulterschluss mit der Sowjetunion suchte und vor dem deutschen Revanchismus warnte, war es ein offener Affront, so der Journalist Thomas Kycia, der sich in seiner Arbeit intensiv mit den deutsch-polnischen Beziehungen beschäftigt:
    "Der Brief der polnischen Bischöfe von 1965 war für damalige Zeit eine Bombe, ein Draufhauen auf den Tisch: Wir wollen uns versöhnen mit unseren deutschen Amtsbrüdern und mit dem deutschen Volke! Die polnischen Bischöfe haben mit einer Weitsicht für damalige Verhältnisse vorausgeahnt, dass das gute Verhältnis zwischen Deutschen und Polen mit der Grund oder das Fundament dafür sei, dass Europa vereinigt und eins sein kann und dass Polen wieder im Westen angebracht ist, da wo es immer war, in der westlichen Zivilisation."
    Im Vorfeld dieses bahnbrechenden Briefes gab es erste Schritte der Annäherung. So hatten 1963 während des Zweiten Vatikanischen Konzils deutsche und polnische Bischöfe gemeinsam Papst Paul VI. darum gebeten, den in Auschwitz ermordeten Franziskaner-Pater Maximilian Kolbe selig zu sprechen. Wenige Monate vor dem Brief startete zudem die Aktion Sühnezeichen Ost ihre erste Fahrradwallfahrt nach Auschwitz. Für die polnischen Bischöfe waren das Signale der Hoffnung, eine Ermutigung, trotz der politisch angespannten Großwetterlage ihren Vorstoß zu wagen. Jörg Lüer, stellvertretender Vorsitzender der Maximilian Kolbe Stiftung:
    "Der polnische Brief war ein atemberaubendes Geschenk an die deutsche Seite. Ist ein Hinauswachsen über die historische Situation und auch über einen Großteil der mentalen Disposition der polnischen Katholiken und auch der polnischen Bischöfe."
    Ein Dokument, das enorme politische Brisanz in sich barg. Mit ihm verband sich der Wunsch nach einer Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, für die polnischen Bischöfe ein entscheidender Punkt für eine wirkliche Aussöhnung. Zugleich richteten sie ihren Blick nach Westen: Polen müsse in den Schoß eines freien Europas zurückkehren. Der kommunistischen Führung unter Wladislaw Gomulka musste das ein Dorn im Auge sein. Sie reagierte mit einer massiven antikirchlichen Kampagne.
    "Die polnischen Machthaber hat eigentlich die ganze Erzählweise des Briefes gestört. Die polnischen Bischöfe haben gewagt, zum ersten Mal zu erwähnen, dass auch die Polen Deutschen Leid angetan haben. Sie haben erwähnt, dass die Kirche und die Christenheit an sich eine große zivilisatorische Rolle gespielt hat in der Geschichte Polens. Und sie haben das Monopol der Kommunisten durchbrochen und gesagt, wir müssen uns mit dem deutschen Volke versöhnen. Sehr interessant ist, dass in dem Brief in keinem Moment das Wort DDR fällt. Die polnischen Bischöfe haben sozusagen allgemeindeutsch gedacht. Denn Versöhnung geht nur mit dem ganzen Volke."
    Am 5. Dezember 1965 antworteten die deutschen Bischöfe auf das polnische Schreiben. Doch diese Antwort fiel äußerst nüchtern und distanziert aus. Vor allem aber zur Frage, ob die Grenze anerkannt werden soll, schwiegen die deutschen Bischöfe. Das wäre, fürchtete die Bischofskonferenz, ihren Gläubigen nur schwer zu vermitteln. Die polnischen Bischöfe waren vom deutschen Antwortbrief bitter enttäuscht. Und die vielen Kritiker in Polen fühlten sich bestätigt.
    "Bis heute überrascht mich die kühle und kühne Antwort der deutschen Bischöfe. Die polnischen Bischöfe haben in einem kommunistischen System, in dem sie dauerhaft unterdrückt wurden, sich gewagt, metapolitisch zu denken. Außerhalb des kommunistischen Systems etwas zu erwähnen, was für damalige Verhältnisse absoluter Tabubruch war: dass Polen und Deutsche tatsächlich versöhnt sein können."
    Als Reaktion auf die deutsche Antwort, aus Enttäuschung und unter dem Eindruck der antikirchlichen Kampagne des Regimes nahmen die polnischen Bischöfe in einem Hirtenbrief vom 10. Februar 1966 wichtige Formulierungen ihres ursprünglichen Briefes wieder zurück. Doch trotz dieser massiven Enttäuschung: Im Rückblick, so Jörg Lüer, der die Ausstellung gemeinsam mit polnischen Kollegen kuratiert hat, war dieser Briefwechsel dennoch wichtig. So starteten katholische Laien in Deutschland private Versöhnungsinitiativen – nicht zuletzt aus Scham über die Haltung der eigenen Bischöfe. Kleine Schritte, die allmählich ein Klima der Veränderung schufen.
    "Es zeigt uns den dialektischen Charakter von Versöhnungsprozessen. Der entscheidende Punkt der deutschen Antwort ist meines Erachtens, man hat den Gesprächsfaden aufgenommen und ist nie aus dieser Beziehung mehr rausgegangen. Wenn wir dann die folgenden Begegnungen sehen von Kardinal Döpfner und Kardinal Wyschinski, sehen wir auch, dass sie sich über diese Enttäuschung austauschen. Und das ist, glaube ich, der eigentliche Beziehungswert. Auch die Frustration, der gegenseitige Ärger, dieses Ungenügen wird thematisiert und daraus wächst dann perspektivisch noch viel mehr."
    Die gemeinsame deutsch-polnische Ausstellung rückt dieses Schlüsseldokument des Versöhnungsprozesses in den Mittelpunkt. Anhand einer Vielzahl von Fotos, Dokumenten, Geschichten von Menschen und Initiativen erzählt sie dabei auch von den Mühen und Widersprüchen des Versöhnungsweges. Sie versteht sich zugleich auch als ein Teil jenes Versöhnungsprozesses, über den sie berichtet. Jörg Lüer:
    "Dahinter steht das strikte Bemühen zu vermeiden, diese Geschichte einfach nur als eine abgeschlossene Erfolgsgeschichte zu erzählen, die vorbei wäre. Denn unserer Erfahrung nach ist noch viel zu tun. Wenngleich die heroische Phase der Versöhnung sicherlich 89/90/91 vorbeigegangen ist, wir haben Grundlagen geklärt, auf denen wir jetzt bauen können, so bleibt doch in einem breiteren kulturellen Sinne der Heilung des Gedächtnisses, der Dekontaminierung des historischen Geländes noch vieles vor uns. Wir würden uns allen keinen Gefallen tun, wenn wir diese Herausforderungen unterschätzen. Es ist nicht mehr die direkte persönliche Wunde, mit der wir zutun haben, aber gewisse Verletzungen tradieren sich. Gewisse Denkweisen, Muster, Prägungen sind nach wie vor da. Und da geht es gar nicht in erster Linie um die Frage von Schuld, sondern um die Frage eines verantwortlichen Umgangs mit den historisch-kulturellen Bedingungen, unter denen wir, ob wir das nun wollen oder nicht, erst einmal leben. Und das zielt am Ende des Tages auf die Schaffung einer Kultur des Zuhörens, einer Kultur des Dialogs."