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Vor 50 Jahren endet der zweite sowjetische Schriftstellerkongress

Zwanzig Jahre waren seit dem I. Kongress der Sowjetschriftsteller vergangen. 1934 waren die Prinzipien des Sozialistischen Realismus als der einzigen möglichen "Grundmethode der sowjetischen Literatur und Kunst" festgezurrt worden. Beim II. Kongress im Dezember 1954 sollten die Literaten erneut auf die Linie der Partei eingeschworen werden.

Von Gregor Ziolkowski | 26.12.2004
    Die Stärke unserer Literatur liegt darin, dass sie (…) bestrebt ist, den Willen, die Hoffnungen und Erwartungen des großen Lenin, den Willen der kommunistischen Partei (...) auszudrücken. (...) Die sowjetische Literatur (...) ist eine starke Waffe unserer Gesellschaft im Kampf für das kommunistische Wohl des ganzen Volkes.

    Das forderte die Eröffnungsrednerin Olga Forsch. 1953 war Stalin gestorben. Die wenigen Monate, die der Machtkampf im Kreml um seine Nachfolge dauerte, hatten ausgereicht, um die Hoffnungen von Schriftstellern, Künstlern und Intellektuellen zu schüren, das Regime werde seine harten politischen und ideologischen Zwingen für die Literatur und die Kunst lockern. Schon einmal waren diese Hoffnungen enttäuscht worden, als mit dem Sieg über den großen äußeren Feind im Zweiten Weltkrieg eben jene Lockerung nach innen erwartet worden war. Damals zeigten sich Stalin und sein Kulturfunktionär Schdanow unerbittlich. Die Folgen waren verheerend, sie bestanden in einer schönfärberischen, konfliktlosen und entseelten Literatur, deren Autoren vor allem eines fürchteten: anzuecken und abgestraft zu werden. Jetzt, da Stalin tot war, musste etwas geschehen. Der Schriftsteller Wladimir Pomeranzew schimpfte in einem aufrüttelnden Artikel über seine Kollegen:

    Niederschmetternd ist es, wie sehr sich ihre zähflüssigen Bücher ähneln! In ihnen ist alles stereotyp: die Helden, die Thematik, der Anfang, das Ende. (…) Überall die gleichen Trivialitäten.

    Die Dichterin Olga Berggolz pochte auf das Recht, Gefühle, Stimmungen, Menschlichkeit in der Lyrik zu reflektieren. Und Ilja Ehrenburg, dessen Kurzroman "Tauwetter" zum Symbol und Namensgeber für die Hoffnungen jener Epoche wurde, appellierte an den Eigensinn der Schriftsteller:

    Der Schriftsteller ist kein Apparat, der mechanisch die Ereignisse registriert. (...) Der Schriftsteller schreibt ein Buch nicht deswegen, weil er schreiben kann, nicht deswegen, weil er Mitglied des Verbandes der Sowjetschriftsteller ist. (..) Der Schriftsteller schreibt ein Buch nicht deswegen, weil er fürs Leben verdienen muss. Der Schriftsteller schreibt ein Buch deswegen, weil er die Notwendigkeit spürt, den Menschen etwas Eigenes zu sagen, weil er an seinem Buch "erkrankt" ist, weil er solche Menschen, solche Dinge, solche Gefühle erblickt hat, die er nicht fähig ist, nicht zu beschreiben.

    Dieses Einfordern des Rechtes auf Individualität und Kreativität, ohne die keine Kunst existieren kann, verstörte die Machthaber zutiefst. Es hatte sich gezeigt, dass die politische Indienstnahme der Literatur zu erbärmlichen Resultaten führte. Wollte man an die große Tradition der russischen Literatur anknüpfen, hätte man den Forderungen nach künstlerischer Freiheit nachgeben müssen. Der II. Kongress der sowjetischen Schriftsteller 1954 war die Antwort auf solche Forderungen: eine Absage an die künstlerische Freiheit, ein Umkehrbefehl zu den alten stalinistischen Normen, die der I. Kongress zwanzig Jahre zuvor in die Formel vom Sozialistischen Realismus gekleidet hatte. Vorbereitet von zahlreichen regionalen und lokalen Schriftstellertreffen, auf denen die Kritiker jener Normen systematisch attackiert wurden, war der Sowjet-Kongress der genau einstudierte Höhepunkt eines Rituals. Und die Grußbotschaft, die das Zentralkomitee der KPdSU dem Kongress sandte, ließ an Deutlichkeit kaum etwas zu wünschen übrig:

    Unsere Schriftsteller sind berufen, die sowjetischen Menschen im Geiste der Ideen des Kommunismus und der kommunistischen Moral zu erziehen.

    Die Ruhe, die man mit solchen Botschaften erzielte, war nicht von langer Dauer. Kaum vier Jahre später erfuhr die Welt, welche Literatur auch unter solchen Bedingungen entstehen kann. Da veröffentlichte Boris Pasternak den Roman "Doktor Schiwago" in Italien und erhielt den Literatur-Nobelpreis für sein Buch, das in der Sowjetunion nicht publiziert wurde. Der Eklat war perfekt, und dieses Mal spielte er sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit ab.