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Vor 50 Jahren starb der Dirigent Wilhelm Furtwängler

Am Ende überwachte ihn die GeStaPo. In seiner Jugend hatte Wilhelm Furtwängler in denselben Münchner Kreisen verkehrt wie der Hitler-Attentäter Graf Stauffenberg. Nur mit einem Trick konnte der Dirigent seinen Häschern in die Schweiz entwischen. Der Reichs-Rüstungsminister hatte ihm geraten, dort das Kriegsende abzuwarten. Vor 1945 hatte er es immer abgelehnt, aus Deutschland zu emigrieren.

Von Georg-Friedrich Kühn | 30.11.2004
    Umstritten war er und umschwärmt. "Des Teufels Dirigent" nannten ihn die einen, den Wahrer deutscher Kultur die anderen. Er wusste die Machtmittel des NS-Staats zu nutzen und er musste sie erleiden. Dabei – Dirigent wollte er ursprünglich gar nicht werden. Er fühlte sich als Komponist. Erst als es mit der Komponisten-Karriere nicht klappte, lernte er Dirigieren. Das Komponieren blieb Kraft- und Ruhe-Zentrum seines Lebens. Berliner Studenten erläuterte er den feinen Unterschied des schaffenden und nachschaffenden Künstlers bei einem Colloquium so:

    Ein Dirigent, der nicht gut begleitet, kann nie ein symphonisches Werk ausgezeichnet dirigieren. Ein Dirigent, der nicht gut begleitet, ist einfach kein Dirigent - ist nur eine halbe Sache. Das Dirigieren muss ja auch eine Kunst sein…

    Geboren wird Wilhelm Furtwängler 1886 in Berlin. Der Vater, Archäologe, zieht bald mit der Familie um nach München.

    Nach den dirigentischen Galeerenjahren in Breslau, Zürich, Straßburg, Lübeck, Mannheim, Frankfurt entdeckt ihn Richard Strauss. Er holt den 34-Jährigen an die Staatsoper Berlin. Und bald schon wird mit dem Tod Arthur Nikischs der Chefposten frei bei Berlins Philharmonikern und am Leipziger Gewandhaus. Furtwängler erklimmt beide Stühle, tauscht bald Leipzig gegen Wien. Und auch New York lässt bitten.

    Sinnlich-hypnotisierend ist er in seiner Wirkung am Pult – und auch bei Frauen. Eigenbrötlerisch kann er sein bis zum Jähzorn, dickköpfig, aber auch scheu, die Einsamkeit suchend beim Wandern und Skilaufen in den Bergen. Nicht zimperlich ist er beim Verdrängen von Kollegen. Den "Primadonnerich" nennen ihn bissig die einen, "Fu" oder "Herr Doktor" ehrfürchtig die anderen. Für Hitler und Goebbels ist er die Inkarnation des Pultgenies.

    Alles erlauben darf er sich dennoch nicht. Als er Hindemiths Mathis der Maler aufführen will und auch noch öffentlich Front macht gegen die NS-Kulturpolitik, die den Komponisten als "entartet" verdammt, bekommt er die "Instrumente" gezeigt. Furtwängler verzichtet auf seine offiziellen Ämter, lässt sich gleichwohl als "Staatsrat" weiter hofieren und bekränzt die Nürnberger Parteitage mit Meistersinger-Galas.

    Nicht verhindern kann er das "Wunder Karajan". Goering will als oberster Dienstherr der Staatsoper eine Alternative zu ihm etablieren, lanciert nach einer "Tristan"-Aufführung eine Hymne auf den jungen Nachwuchsdirigenten und Parteigenossen. Für Furtwängler ist der "Herr Ka", wie er ihn nennt, aber fortan ein rotes Tuch. Der stromlinienförmig gestylte Klangstil Karajans ist ihm verhasst wie der seines älteren Rivalen Toscanini. Bei einer Festrede 1949 in Salzburg klagt er seherisch:

    Wenn die Dirigenten nur ihre gewohnten Paradestücke herunterrasseln, wird das ganze Musikleben entweiht und herabgewürdigt zu einer Schau.
    Aber Furtwängler spürt auch: das bildungsbürgerliche Publikum, für das er seine Kunst zelebrieren will, schwindet. Zuletzt räumt er für den "hungrigen" Herrn "Ka" in Berlin immer öfter das Podium. Ihn bedrückt eine für 1955 geplante Tournee mit den Philharmonikern in die USA. Er hat Angst vor Fragen dort und vor Demonstrationen. Und er sorgt sich um sein Gehör. Immer mehr versagt es ihm den Dienst.

    Wilhelm Furtwängler hat eine verschworene Fan-Gemeinde bis heute. Er war ein Meister des musikalischen Augenblicks und der zum Bersten gespannten Bögen. Jede Aufführung war für ihn ein durchlebter Schöpfungsakt. Idealist, Fantast, Utopist, der er war, glaubte er in einer politisierten Welt an die Reinheit der Kunst, an ihre Autonomie. Er starb am 30. November 1954. Das offizielle Bonn hielt sich bedeckt bei seinem Tode.