Archiv


Vor 65 Jahren startete das erste Düsenflugzeug in Rostock

Die wichtigste für mich und für die Entwicklung der Fliegerei in der ganzen Welt ist und bleibt der Bau meiner Düsenflugzeuge und Düsentriebwerke!

Von Frank Grotelüschen |
    Der deutsche Flugzeugbauer Ernst Heinkel hat so manches Patent entwickelt. Seine bedeutendste Tat aber ist zweifelsohne die Mitarbeit am Düsentriebwerk. Das nämlich sollte die zivile wie auch die militärische Luftfahrt grundlegend umkrempeln.

    Damit habe ich im Jahre 36 angefangen - aus der Erkenntnis, dass die normalen deutschen Flugmotoren hoffnungslos hinter den ausländischen herhinkten und auch keine Chance hatten, sie einzuholen.

    Damals treiben Propeller die Maschinen an. Deren Entwicklung aber stagniert in den dreißiger Jahren. Mittlerweile drehen sich die Propeller so schnell, dass ihre Spitzen fast Schallgeschwindigkeit erreichen. Deshalb staut sich die Luft vor den Propellerenden extrem stark, und stärkere Motoren bringen keinen Gewinn mehr.

    Doch in England hat der Ingenieur Frank Whittle eine revolutionäre Idee: Ein Aggregat saugt Luft an, verdichtet sie mittels eines Kompressors und lenkt sie in eine Verbrennungskammer. Dort wird Flüssigtreibstoff entzündet. Die explosionsartig entstehenden Verbrennungsgase jagen mit hoher Geschwindigkeit durch eine Düse nach hinten. Rückstoßturbine, so nennt Whittle seine Idee. Patentieren lässt er sie sich bereits im Jahre 1930.

    In Deutschland hat - ohne von dem englischen Patent das Geringste zu ahnen - der junge Ingenieur Hans von Ohain dieselbe Idee. Ende 1934 meldete er sein Patent an und baut eine kleine Demonstrationsmaschine. Die Tests laufen viel versprechend, und von Ohain wendet sich an Ernst Heinkel. Der nämlich war für seinen unbedingten Ehrgeiz bekannt, die schnellsten Flugzeuge der Welt bauen zu wollen.

    1936 tritt Ohain eine Stelle in den Heinkelwerken in Rostock-Marienehe an. Seine Aufgabe: Bau eines Strahltriebwerks für ein eigens entwickeltes Versuchsflugzeug von Ernst Heinkel, die He 178.

    Den Schritt habe ich damals auf meine eigene Initiative und ohne Wissen des Luftfahrtministeriums getan. In einer durch Palisadenzäune von der Umwelt vollkommen abgeschlossenen kleinen Baracke sind die ersten Düsentriebwerke der Welt entstanden.

    Von Ohain und Heinkel entscheiden sich statt für Benzin für Wasserstoff als Treibstoff. Das soll ihnen den entscheidenden Vorsprung vor Frank Whittle bringen, der in England an einem Prototypen bastelt. Am 27. August 1939 ist es soweit. Um vier Uhr morgens klettert Testpilot Erich Warsitz in die Kanzel der He 178.

    Die Maschine wurde zum Start geschleppt. Ich gab den Monteuren das Zeichen, die Kanzel zu schließen. Nach einer Startstrecke von ca. 300 Metern holte ich rasch Fahrt auf. Ich konnte sie wunderbar mit den Bremsen in Richtung halten und dann hob sie ab. Immer wieder versuchte ich das Fahrwerk einzufahren, aber da stimmte etwas nicht. Die Hauptsache war, sie flog. 660 km/h zeigte mein Fahrtmesser an und schneller sollte ich auf keinen Fall fliegen. Ich war jetzt sechs Minuten in der Luft und mußte zur Landung ansetzen. Ganz gehorsam reagierte die Turbine auf meinen Gashebel. Ohne einen Sprung zu machen setzte die Maschine glatt auf, rollte genau in Landerichtung aus, und unmittelbar vor Dr. Heinkel und seiner Gruppe brachte ich sie zum Stehen.

    Der Erstflug ist ein Erfolg. Doch die Herrschaften vom Reichsluftfahrtministerium zeigen Heinkel die kalte Schulter - allen voran Fliegergeneral Ernst Udet.

    Als Udet das Flugzeug in der Luft sah, schrie er: 'Der Vogel soll wieder
    herunterkommen; so lange kann der doch gar nicht fliegen!'. Die Bedeutung der neuen Entwicklung wurde einfach noch nicht begriffen.


    An der Entwicklung des Strahltriebwerks sind die Nazis vorerst nicht interessiert. Man ist sich sowieso sicher, den gerade begonnenen Krieg innerhalb eines Jahres zu gewinnen.

    Knapp zwei Jahre später, im Mai 1941, bringen die Engländer ihren ersten Düsenflieger in die Luft. In den 2. Weltkrieg können die Turbinenjets nicht mehr entscheidend eingreifen. Zwar schicken die Nazis im Sommer 1944 noch den Düsenjäger Messerschmitt Me 262 ins Gefecht. Er ist rund 200 km/h schneller als die alliierten Jäger. Doch Triebwerkausfälle und Fahrwerkprobleme verhindern den militärischen Erfolg.

    Im Juli 1949 startet mit der englischen Comet das erste Düsenverkehrsflugzeug zum Erstflug. Drei Jahre später nimmt sie den Liniendienst auf. Der Jet verkürzt die Flugzeiten erheblich. Von London aus wird Kopenhagen in zwei, Kairo in fünf Stunden erreicht. Und in den USA startet die Boeing 707 am 15. Juni 1954 zu ihrem ersten Probeflug. Das Zeitalter der Jets ist endgültig angebrochen.