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Vor 75 Jahren
Die Ermordung des Fotografen Erich Salomon in Auschwitz

Der promovierte Jurist Erich Salomon war einer der wichtigsten Fotojournalisten seiner Zeit und prägt bis heute das Bild der politischen Welt zwischen den beiden Weltkriegen. Er verstand es, natürlich wirkende Aufnahmen zu machen - ein Novum in einer Zeit der gestellten Bilder.

Von Michael Langer | 07.07.2019
    Der französische Politiker Aristide Briand entdeckt den Fotograf Salomon bei einem Bankett im Jahr 1931 während bilateraler Verhandlungen (v. l. n. r. P.Reynaud, Briand, A.Champetiers de Ribes, E.Herriot u. L.Berard. Foto, 1931: Erich Salomon (1886–1944). |
    Der französische Politiker Aristide Briand entdeckt den Fotografen Salomon bei einem Bankett im Jahr 1931 (picture alliance / akg-images)
    Dr. Erich Salomon war ein außergewöhnlicher Fotograf, ein Pionier der Lichtbildnerei, einer, der für den Beruf, den er ausübte, die Bezeichnung "Bildjournalist" erst erfunden hatte. So berichtet es sein Sohn Peter Hunter:
    "1929 erfand die Londoner Zeitschrift Graphic den Ausdruck ‚Candid Camera‘, um seine Arbeitsweise zu beschreiben. Die Zeitungen feierten ihn als ‚Houdini der Photographie‘, als ‚Meister der Indiskretion‘. Ihm selbst war der Titel ‚Historiker mit der Kamera‘ am liebsten."
    Tatsächlich prägten und prägen Erich Salomons Photographien die Erinnerung an die politische und gesellschaftliche Welt zwischen den beiden Weltkriegen. Unvergesslich sind seine Fotos aus dem Reichstag, von den Versammlungen des Völkerbundes, von den zahlreichen internationalen Konferenzen jener Zeit: Genf, Paris, Berlin, Lugano, Rapallo, Den Haag waren einige Schauplätze, an denen er mit sicherem Gespür für geschichtsträchtige Augenblicke zugegen war.
    In diplomatischen Kreisen gab es das geflügelte Wort, man könne heutzutage Konferenzen ohne Minister, aber nicht ohne Dr. Salomon abhalten.
    Schnappschüsse als Novum
    "Bevor Salomon die Arena betrat, waren die Bilder solcher Ereignisse gestellt, ohne Leben. Der unterbezahlte Fotoreporter kam gewöhnlich mit Aufnahmen von starr blickenden Diplomaten zurück, die sich in Erwartung des Magnesiumblitzes krampfhaft um einen gelassenen Ausdruck bemühten. Hierzu standen Salomons Arbeiten in krassem Gegensatz: private Bilder, nicht gestellt; Schnappschüsse, die die ‚Mitwirkenden‘ überraschten, die hinter der offiziellen Maske den Menschen zeigten", erklärte Hunter.
    Dass ihm solche Aufnahmen gelangen, lag auch am technischen Fortschritt. Er benutzte neue, lichtstarke Kameras, die die meisten seiner Kollegen verschmähten.
    Zuerst arbeitete er mit der berühmten Ermanox, später griff er zur noch berühmteren Leica. Dabei war er ein schon älterer Quereinsteiger in diesem Metier.
    "Erich Salomon wurde 1886 als Kind einer wohlhabenden jüdischen Familie geboren, die zur Berliner Gesellschaft gehörte", sagte Hunter.
    Er studierte Jura, war Kriegsteilnehmer und geriet in jahrelange französische Gefangenschaft. Nach dem Ersten Weltkrieg war auch das Familienvermögen mit der Inflation perdú und Salomon gezwungen, sich auf neuen Wegen durchs Leben zu schlagen. Er wurde Teilhaber einer erfolglosen Klavierfabrik; er wurde Besitzer einer Verleihfirma für Elektroautos und Motorräder, für die er auf pfiffige Weise warb:
    "Ein Doktor der Rechte wird Sie im Beiwagen fahren, während er Ihnen Informationen vermittelt, wie sich die Umwandlung der Mark zum Goldwert verhält."
    Die Gefahr der Nazis zu spät erkannt
    Der Ullstein-Verlag war auf ihn aufmerksam geworden und gab ihm eine Stelle in der Werbeabteilung. Damals fing er an, sich der Fotografie zu widmen. Als er 1928 seine ersten Bilder verkauft hatte, wurde er schließlich mit 42 Jahren freier Fotograf.
    "Mit Frack und Linse durch Politik und Gesellschaft": Das war seine Losung, und überall fühlte der polyglotte Mann sich derart zu Hause, dass er unbemerkt seine grandiosen Aufnahmen schießen konnte - wenn es sein musste auch durch ein Loch im Hut, aus einem Armverband oder einem ausgehöhlten Buch heraus. Doch nicht nur auf den besagten Konferenzen war er zu Gange, sondern auch am Niederländischen Königshof, in der Londoner Gesellschaft, in Washington und Hollywood. Und nicht zuletzt gelangen ihm spektakuläre Bilder in den berühmten Konzertsälen der Welt, einzigartige Aufnahmen von Künstlern wie Arturo Toscanini, Bruno Walter und Pablo Casals.
    Zu spät erkannte der liberale Geist die Gefahr, die ihm durch die Nazidiktatur drohte. Am 7. Juli 1944 wurde er im KZ ermordet. Sein ältester Sohn, der Erich Salomons Werk vor der Vernichtung rettete, überlebte als Peter Hunter im englischen Exil:
    "Nachdem Hitler an die Macht gekommen war, zogen meine Eltern nach Holland, da meine Mutter in Rotterdam geboren war. Von dort aus wurden sie 1943 zusammen mit meinem einzigen Bruder deportiert und endeten 1944 in den Gaskammern von Auschwitz. Das Vermächtnis meines Vaters liegt in seiner Arbeit. Seine Ideale vermag man in ihr zu erkennen."