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Vor 75 Jahren wurde das "Museum of Modern Art" in New York eröffnet

Auch das berühmte "Museum of Modern Art" hat einmal klein angefangen: Gründerinnen waren drei kunstsinnige New Yorkerinnen, Lillie P. Bliss, Mary Quinn und Abby Aldrich, die Ehefrau von John D. Rockefeller Jr. Die drei Mäzeninnen träumten von einem völlig neuen Ausstellungskonzept: ein im besten Sinne demokratisches Museum für moderne Kunst. Der Traum wurde wahr, dank der visionären Kraft jenes Mannes, der 1929 zum Gründungsdirektor berufen wurde: Alfred H. Barr Jr.

Von Rainer B. Schossig | 08.11.2004
    Am 8. November 1929, wenige Tage nach dem großen Börsenkrach, eröffnete er in einer Zimmerflucht im 12. Stock des Heckscher Buildings an der Fifth Avenue das "Museum of Modern Art" mit einer Schau von Werken Cézannes und Gauguins, Seurats und van Goghs. Barr, 1902 in Detroit geboren, war ein kühl kalkulierender Mann mit zierlicher Statur und tadellosen Manieren, der Zeit seines Lebens an Magenschmerzen und Schlaflosigkeit litt. Doch der Princeton- und Harvard-Absolvent peitschte die Sache der Moderne voran, weitsichtig und rebellisch:

    Fremdartigkeit und scheinbare Hässlichkeit – dies ist etwas, dem ich mein Leben völlig widmen könnte – ohne jede Einschränkung,

    schrieb Barr anlässlich seiner Berufung als Direktor des MoMA. Und er fuhr fort:

    Es geht mir um eine Synthese der wichtigsten Künste seit dem Mittelalter, die immer als Belege einer Zivilisationsperiode galten: Architektur, Bildhauerei, Malerei, Freskenmalerei und Buchillustration; immer waren angewandte Kunst und alle Handwerke als Kunstformen mit eingeschlossen.

    Mit seinem Konzept, die Werke in einer Abfolge weiß gestrichener Kojen auszustellen, um eine geordnete wie auch dramaturgisch spannende "Geschichte" entstehen zu lassen, hat Barr den "White Cube", ein Modell für das moderne Museum schlechthin erfunden. Das MoMA aber machte er zu einer weltweit einmaligen Sammlung mit mehr als 100.000 Gemälden, Skulpturen, Zeichnungen und Druckgrafiken, Fotografien, Architekturmodellen und Designobjekten. Dazu mehr als 19.000 Filme und eine Museumsbibliothek von 140.000 Büchern. Das "Herzstück" des MoMA, das "Department for Painting and Sculpture", eine der größten Sammlungen Moderner Kunst des 20. Jahrhunderts, umfasst heute über 3200 Meisterwerke – vom späten 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Von europäischen Meistern wie Cézanne und Picasso, Léger, Malewitsch, Mondrian und Miró bis zu Dalí, Marcel Duchamp und Meret Oppenheim.

    Glenn Lowry, der amtierende Direktor des Hauses, zur Bedeutung dieser Sammlung:

    Das MoMA ist sehr stolz darauf, derart epochale Werke zu besitzen: Mit van Goghs "Sternennacht", Picassos "Desmoiselles d’Avignon" Matisse’s "Tanz" und Arbeiten von Jackson Pollock. Wir haben die Aufgabe, einen Dialog über diese Werke zu ermöglichen.

    Seit 1929 unterhält das MoMA traditionell gute Beziehungen mit verwandten Institutionen in Europa, vor allem in Deutschland. Unmittelbar vor der Gründung reiste Alfred H. Barr ans Dessauer Bauhaus; er besuchte diverse Architekten, private Sammler und Museen in ganz Deutschland. In Berlin besichtigte er damals die Nationalgalerie, die seinerzeit umfassendste Sammlung neuer deutscher Kunst, im ehemaligen Kronprinzenpalais Unter den Linden. Sie prägte Barr’s Vision eines neuen Museums der Moderne als multidisziplinäres Haus. Glenn Lowry weiß, dass das MoMA auch künftig lebendig bleiben muss:

    Das MoMA von heute ist immer noch sehr jung, eine Institution, basierend auf der Geschichte, die aber immer noch neue Wege beschreitet. Weshalb wir uns vor einigen Jahren schon mit dem P.S.1., einem Zentrum für Gegenwartskunst zusammengetan haben. Also, das MoMA ist in Bewegung, damit gibt es diesen Geist der der späten 20er Jahre noch.

    Auch herbe Kritik blieb dem Supermuseum nicht erspart, gar von einem "MoMA-Komplott" war die Rede. Es feiere die US-Kunststars der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts allzu ungebührlich, verzerre den Blick auf die europäische Kunst und sei im Grunde eine "Unfehlbarkeits-Erklärung" der amerikanischen Kunst. Dennoch: das "Museum of Modern Art" spiegelt auf unvergleichliche Weise die Aufbruchstimmung, mit der die Kunst des 20. Jahrhunderts die Grenzen zwischen Fachgebieten, Denkrichtungen und Ausdrucksformen sprengte. Seine Sammlung zeugt nicht zuletzt davon, dass die aus der alten Welt kommende, zum Teil aus Europa vertriebene Moderne in der Neuen Welt eine neue Heimat fand.