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Vor 75 Jahren wurde der Regisseur und Schauspieler John Cassavetes geboren

I hate my life. Just don’t love you.

Von Nicole Maisch | 09.12.2004
    Das Ende einer Beziehung? Nicht bei John Cassavetes. Die Sätze leiten zwar das Ende seines Spielfilms "Faces" ein, aber sie bezeichnen nicht das Ende einer Ehe. Nach diesen Worten, die allein der totalen Erschöpfung zu verdanken sind, ziehen sich Mann und Frau, zwei Boxern gleich, für eine kurze Pause von ihrem immerwährenden Kampf in die Ecken zurück. Aber, daran lässt der Film keinen Zweifel, sobald die Kräfte wiederkehren, wird es weitergehen. So wie zuvor:

    Er: Well, I don’t have it anymore. What happened to us? Sie: I just don’t appeal to you. / Er: You appeal to me all right. When I come home, you appeal to me. When I’m at the office, you appeal to me! / Sie: "I’m not a sexmachine! Er: No, you want to go to the movies. / Sie: Because I'm bored!

    Eine typische Szene. Die Ehefrau verweigert sich dem Mann und ist gelangweilt, was sie ihm zum Vorwurf macht.
    Cassavetes hat das Zusammenleben der Geschlechter untersucht und dafür das Brennglas auf den amerikanischen Mittelstand gerichtet. Der diente dem Filmemacher als ideale Bühne, um das Verhältnis von Liebe und Macht und das Zusammenspiel von Individuum und Gesellschaft zu erkunden. An dieser Schnittstelle taucht in jedem seiner Werke die Frage nach dem eigenen Ich auf:

    Ich hab' Probleme, vor allem das Problem, ich selbst zu sein. Ich weiß nicht, was ich wirklich empfinde. So ist es.

    Gena Rowlands in "Minnie und Moskowitz". Nachdem der proletarisch-charmante Parkplatzwächter Seymour Moskowitz eineinhalb Filmstunden lang um ihre Liebe geworben hat, lässt Minnie, das Mädchen aus gutbürgerlichen Kreisen ihre Bedürfnisse, und somit die Liebe zu.
    Von den elf Filmen Cassavetes' ist dies der einzige mit Happy End. Vorher hatte der Regisseur, sehr viel typischer, von den "Ehemännern" erzählt, die vergeblich versuchen, ihre Lebenslügen zu ersäufen. Und danach von der "Frau unter Einfluss", die verrückt wird über ihr Bestreben, die perfekte Ehefrau und Mutter zu sein.

    Alle Figuren kämpfen darum, sich in den ihnen zugeschriebenen Rollen freier bewegen zu können. Und sie sehnen sich danach, um ihrer selbst willen geliebt zu werden. Bis auf "Minnie und Moskowitz" scheitern sie allesamt.

    Cassavetes, Sohn griechischer Einwanderer, wurde 1929 geboren und wuchs in Manhattan auf. Nach einer soliden Schauspielausbildung ging er 1953 nach Hollywood. Von der dortigen Arbeitsweise enttäuscht, inszenierte er schon vier Jahre später selbst. Bereits "Shadows", seine erste Regiearbeit, war ein Faustschlag gegen das klassische Erzählkino. Al Ruban, Kameramann und Produzent vieler Cassavetes-Filme:

    In John’s style of shooting the camera has to acomodate itself to the actor and not the other way round, which is more traditional.

    Dass sich die Kamera den Schauspielern anpasst und nicht umgekehrt, ist noch heute ungewöhnlich, Ende der 50er Jahre war es revolutionär. Für diesen Filmemacher aber war das freie Spiel das Wichtigste, seine Figuren sind ständig in Bewegung, halten Gefühle nie zurück und prallen stets ungeschützt aufeinander. Dieses extreme Agieren und die dokumentarische, oft sehr hektische Kamera liefern eine Überfülle an Sinnesdaten, die für die Rezeption nicht geordnet werden. Der Zuschauer wird so, ungeschützt durch filmische Konventionen, dem anstrengenden und sehr direkten Kino des John Cassavetes ausgesetzt.

    Der Außenseiter der Filmwelt nutzte das System Hollywood ab den 60er Jahren nur noch, um als Schauspieler das Geld zu verdienen, das er für seine freien Produktionen brauchte. Er war als Bösewicht gefragt und spielte unter anderem in Roman Polanskis "Rosemaries Baby".
    Seiner Arbeit als Regisseur galt Cassavetes' ganze Leidenschaft. Zum einen sind die Filme, in denen seine Frau und Schauspielerkollegin Gena Rowlands meist mitwirkte, eine kaum verhüllte Chronik der eigenen Ehe und zum anderen war sein Leben ein immerwährender work in progress: Die Dreharbeiten dauerten meist mehrere Monate, der Schnitt gar Jahre. John Cassavetes über die Entstehung von "Faces":

    And shot 6 months on that film. It became more than just a film, it became a way of life." "What happens is that every one that was in that film, there are over 300 people involved, can go on with the knowledge that it can be done, that people can go out with nothing and through their own will and through their determination make something that exists out of nothing.

    Die Arbeit am Film wurde zur Lebenshaltung. Über 300 Menschen waren an "Faces" beteiligt und alle haben die Erfahrung gemacht, dass sie allein durch ihren festen Willen aus dem Nichts etwas kreieren können.

    Mit Hilfe seiner Kunst machte Cassavetes auf sehr konsequente Art und Weise von der Freiheit Gebrauch, er selbst zu sein. Seine Filme offenbaren den Preis, den es kosten kann, wenn Menschen diesem Credo tatsächlich folgen. Cassavetes selbst war nikotin- und alkoholabhängig und starb 1989, 59-jährig an einer Leberzirrhose.