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Vor Brexit-Abstimmung
Wirtschaftsverbände warnen vor No-Deal-Szenario

Politische Beobachter in London halten es für unwahrscheinlich, dass das britische Unterhaus heute für den Brexit-Deal stimmt - obwohl die EU per Brief noch einmal versucht hatte, den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Eine Trennung ohne Abkommen würde die Wirtschaft aber vermutlich hart treffen.

Von Jörg Münchenberg | 15.01.2019
    Britische und EU-Flaggen vor dem House of Parliament in London
    Brexit-Hardliner lehnen den Backstop ab (AFP)
    Bis tief in die Nacht hat die britische Premierministerin gekämpft und argumentiert. Um vielleicht doch noch ein politisches Wunder zu schaffen: eine parlamentarische Mehrheit für den Ausstiegsvertrag Großbritanniens aus der EU. Was jedoch nahezu alle politischen Beobachter in London für die finale Abstimmung heute für unmöglich halten. Doch schon am Abend hatte Theresa May im Unterhaus leidenschaftlich für den ausgehandelten Deal geworben – es sei eine historische Abstimmung und es gehe um das Wohl des Landes:
    "When the history books are written, people will look at the decision of this House tomorrow. And ask: did we deliver on the country’s vote to leave the European Union?"
    Immerhin konnte die Premierministerin auch etwas vorweisen: die EU-Spitzen hatten gestern in einem Brief noch einmal bekräftigt, dass der ausgehandelte Backstop, also die künftige Garantie für eine offene Grenze zwischen Irland und Nordirland, nur eine Zwischenlösung darstelle bis zu einem fertigen Handelsabkommen. Zudem sei die Zusage rechtlich bindend. Darüber hinaus gehende Hoffnungen, so May seien jedoch völlig weltfremd:
    "Was auch immer sie sich für ein Handelsabkommen wünschen – das norwegische Modell, das kanadische oder eine andere Variation – immer ist ein Austrittsabkommen notwendig inklusive Backstop. Daran wird sich nichts ändern, egal wie das Parlament entscheidet"
    Brexit-Hardliner lehnen Backstop ab
    Doch gerade für die Brexit-Hardliner ist der Backstop schlicht inakzeptabel, könnte er doch Großbritannien auch langfristig an die EU binden. Und auch die erfolgte Schützenhilfe per Brief aus Brüssel sei letztlich nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben sei, ätzte gestern der Chef der Labour Party und Oppositionsführer, Jeremy Corbyn:
    "Der heutige Brief ist nicht mehr als eine Wiederholung, was wir schon vor einem Monat bekommen haben. Die versprochene Rechtssicherheit ist darin nicht enthalten. Das sind nur warme Worte und Hoffnungen".
    Noch schwerer aus Sicht von May wiegt die Tatsache, dass dies auch der stellvertretende Vorsitzende der nordirischen DUP, Niggel Dodds, so sieht. Immerhin sichern die zehn Stimmen der DUP den Konservativen die Mehrheit im Parlament. Am Ende wird heute aber zunächst entscheidend sein, wie deutlich die Abstimmungsniederlage für May ausfällt.
    Proben beispielsweise nur 50 Tories den Aufstand, könnte May noch einmal mit der EU über weitere Zugeständnisse verhandeln und dann erneut abstimmen lassen. Verweigern ihr aber deutlich mehr Abgeordnete aus den eigenen Reihen die Gefolgschaft, wird es politisch eng für sie. Und vieles scheint dann möglich unter Führung des Parlaments: Neuwahlen, ein zweites Referendum, Forderungen nach Neuverhandlungen oder auch die Scheidung am 29. März ganz ohne Vertrag. Was manche, wie der Konservative Crispin Blunt, weiterhin für die beste Option halten:
    "All dieser Unsinn, wie schwierig das alles werden wird, das Gerede von einem wirtschaftlichen Armageddon. Die Wahrheit ist aber: Großbritannien wird dann in einer viel besseren Verhandlungsposition und auch finanziell besser gestellt sein".
    Britische Wirtschaftsverbände warnen vor No-Deal-Brexit
    Was die britischen Wirtschaftsverbände ganz anders beurteilen. Bei einem harten Brexit drohen Zölle und damit höhere Kosten und Preise, ellenlange Staus am Fährhafen Dover, massive Einbrüche in der Autoindustrie, die schon jetzt leidet und tausendfacher Jobverlust. Oder, wie es der größte britische Wirtschaftsverband CBI beschreibt: Der Schaden bei einem No-Deal-Brexit wäre "schwerwiegend, umfassend und dauerhaft".