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Vor Cuxhaven auf Krabbenfang

Wer schon mal an der Nordsee war, der hat mit ziemlicher Sicherheit auch ein Krabbenbrot gegessen. Die kleinen, fingerlangen Krebse müssen aus dem Sand herausgefischt werden, danach werden sie direkt auf dem Kutter gekocht. Die nächtliche Fangreise dauert bis in die Morgenstunden.

Von Michael Weisfeld |
    Es ist kurz nach Mitternacht, als der Kutter aus dem Fischereihafen hinaustuckert in den weiten Mündungstrichter der Elbe. Ein kalter, böiger Nordwest kommt ihm entgegen. Aber die Fanggründe sind ja nicht weit.

    "Unser Fanggebiet ist, wir sagen das so: Vor der Haustür. Das ist die Flussmündung, die Wattengebiete im Fluss, ( ... ) eine Stunde Fahrtzeit, dann sind wir im Fanggebiet, wo wir die Netze dann auslegen können. "

    Reinhard Lanker, Mitte 50, Kapitän und Eigner des Kutters. Keine Elbseglermütze, kein gestreiftes Hemd, kein Vollbart. Dafür ein weiches, väterliches Gesicht überm dicken Sweatshirt. Er steuert die Schiffsmaschine, bedient das Echolot und wirft immer wieder einen Blick auf den Bildschirm für die Satelliten-Navigation. Fischwirtschaftsmeister ist seine korrekte Berufsbezeichnung.

    "Ja, das bin ich. Ich komme aus einer alten Fischerfamilie, ich bin in der vierten Generation, und mein Sohn, (..) der ist in der fünften Generation. (..) Der fährt bei mir. Mal sehen, was die Zukunft bringt, ob er sich selbstständig macht oder diesen Betrieb übernimmt. "

    Der Sohn macht gerade eine Urlaubsreise. Robert hilft aus, er ist Lehrling bei einem anderen Kutterkapitän. In seinem orangefarbenen Overall hantiert er auf dem Deck, das Lanker aus dem Fenster des erhöhten Ruderhauses gut im Blick hat.

    Die Lichter von Cuxhaven sind hinter uns im Dunst verschwunden, auch die der vorgelagerten Inseln Neuwerk und Scharhörn. Aber die Einsamkeit des Meeres finden wir nicht.

    Denn der Schiffsverkehr kennt keine Nachtruhe. Tanker ziehen vorüber, hinauf zum Hamburger Hafen, Containerschiffe kommen aus dem Nord-Ostseekanal. Von dem kleinen Kutter aus wirken sie wie hell erleuchtete Hochhäuser.

    Nummerierte Boyen begrenzen das Fahrwasser der Außenelbe. Wie Straßenlaternen stehen sie in langen Reihen. Der Leuchtturm auf dem Vogelsand blendet uns mit seinen grellen Signalen.
    Hier, unter dieser Schiffsautobahn, will Reinhard Lancker seine Beute jagen.

    Robert der Lehrling macht für den ersten Hol die Netze klar. Der Kapitän schwenkt sie nun mit den hydraulischen Winden rechts und links über Bord und lässt sie langsam in den Fluten versinken, etwa 20 Meter tief bis auf den sandigen Grund. Nur die daumendicken Drahtseile sind noch zu sehen, an denen der Kutter die Netze über den Meeresboden schleppt.

    " Wir ziehen die Netze, die mit einer Stange auseinander gehalten werden, (..) direkt übern Grund. (..) Vorm Netz läuft eine Rollerkette, (..) das scheucht die Krabben hoch, und die landen dann schließlich im Steert. (..) Steert ist das letzte Ende vom Netz, wo die Krabbe nicht mehr weiter kann und gefangen ist. "

    Einst wurden so nicht nur Krabben, sondern auch Plattfische gefangen: Seezungen und Schollen. Um sie aus dem Sand hochzuscheuchen, nutzten die Fischer Fanggeschirr, das den Meeresgrund regelrecht umpflügte.

    " Seezungen, das stirbt alles aus, fangen wir überhaupt nicht mehr. Aal hatten wir früher mal gehabt, den gibt's gar nicht mehr. Was ich früher am Tag gefangen hab, fang ich jetzt das ganze Jahr nicht mehr. (..) Es ist schon so, dass wir hier, wenn wir Fisch essen wollen als Fischer, dass wir den Fisch kaufen müssen. "

    Zu emsig und mit zuviel Technik sind die Fischer in den vergangenen Jahrzehnten ihrer Arbeit nachgegangen - heute gibt es allein den Hering noch in ausreichenden Mengen. Und Lankers Kollegen, die früher Kabeljau und Seezunge fingen, haben sich nun auch auf die Krabbe geworfen. Ihre Kutter sind größer, sodass sie sich auch im Winter weit in die Nordsee hinauswagen können. Während Lanker und sein kleiner Kahn Ruhe haben.

    " Die Krabbe zieht im Winter nach See hin, (..) da werden die Muttertiere dann auf See weggefangen, und die können nächstes Jahr dann nicht zur Küste hin zum Ablaichen, wenn wir sie fangen wollen, sind sie einfach nicht mehr da. "

    Inzwischen hat der Wind weiter aufgefrischt, Böen jagen über die See. Die Wellen gehen höher und kriegen "weiße Köppe", wie die Fischer sagen. Lanker macht sich Sorgen um seine Schleppnetze, die er nun seit fast zwei Stunden über den Grund zieht.

    " Das Schiff ist sehr in Bewegung, das Netz läuft nicht zügig übern Grund, es ruckt und liegt platt und nicht aufgebläht, fangbereit auf dem Grund. "

    Nun holt Lanker mit den Winden die Netze hoch und schwenkt sie übers Deck. Dann schaltet er den Autopilot ein, damit der Kutter auf dem eingeschlagenen Kurs gemächlich weitertuckert und steigt aufs Deck hinunter zu seinem Lehrling. Seinen wasserdichten Overall hat er schon vorher angezogen.

    Die beiden öffnen nun die Knoten, mit denen die Netze hinten verschlossen sind. Ein Schwall kleiner Meerestiere stürzt heraus. Nicht nur Krabben, sondern auch Schwimmkrebse, Seesterne und einige wenige Baby-Fische: Seezunge, Kabeljau und Wittling, allesamt nicht einmal fingerlang.

    Ein Förderband steigt wie eine Rolltreppe aus dem Gewimmel empor und holt den zappelnden Fang aus dem Becken. Die Krabben winken mit ihren langen, dünnen Beinen und Fühlern, als ob sie das Wasser und den Grund suchten. Panisch springen die kleinen Seezungen - und liegen dann wieder totenstill. Die kleinen Kabeljaus haben das Maul weit aufgerissen und rühren sich nicht. Das Förderband endet über einem Schüttelsieb. Die Krabben fallen hindurch in große Körbe. Krebse, Seesterne und Fische spült Robert, der Lehrling, mit einem Schlauch über Bord.

    "Die Plattfische, die haben eine gute Chance, zu überleben, nur die Rundfische, Kabeljau, die sind jetzt alle schon tot. "

    Lanker wirft eine Kelle Salz in jeden Krabbenkorb, dann schüttet der Lehrling die Tiere in einen Kessel, in dem schon das Nordseewasser brodelt. Mit einem Käscher rührt er um. Nach wenigen Minuten kippt er den Kessel aus: Grau waren sie im Leben, zartrosa schimmern die Krabben jetzt. Lancker füllt sie in Plastikkisten, Robert verstaut sie unter Deck.

    Kaum ist der letzte Handgriff getan, huscht Robert vom regenüberströmten Deck in die Messe und vor den Fernseher. Zwischendurch erzählt er mir aber doch, wie er zum Krabbenfang gekommen ist.

    "Ich hab ne Bäckerlehre angefangen, das wurd denn nichts, das klappte mit dem Aufstehen nicht, da hab ich da wieder aufgehört.
    Vonem Freund hab ich erfahren, dass sie einen Lehrling suchen, und da hab ich die Stelle gekriegt. Da war nicht viel bei, das ging von heute auf morgen. Der bequemste Job ist es nun nicht gerade. Aber es gibt auch noch schlimmere Jobs. Ich kann mir auch nicht vorstellen, jetzt noch an Land zu arbeiten. Von morgens um sieben bis nachmittags um vier. Das ist nicht ganz meine Welt, die geregelte Arbeitszeit. Das kann ich jetzt nicht mehr haben. "

    Inzwischen hat Reinhard Lancker den Kutter gewendet und die Netze wieder auf den Grund sinken lassen. Wieder schleppt er das Fanggeschirr zwei Stunden lang über den Sand, und holt es hoch. Wieder kocht und stapelt er mit dem Lehrling zusammen die Krabben. Die beiden kräftigen Gestalten in Orange hantieren an Deck mit der Routine von Schlafwandlern.

    Mit den Fängen der letzten Zeit ist Lanker nicht zufrieden. Die Elbe wird immer tiefer ausgebaggert, damit immer größere Schiffe den Hamburger Hafen erreichen. Dadurch wird der Gezeitenstrom in der Flussmündung immer schneller.

    " Das ist so gewollt. Der Strom soll ja reißen, der soll ja schleifen, (..) dass die Elbe sich selber schleift und sich selber tief hält. (..) Die Krabbe kann diesen Stress nicht ab und wird sich wohl verziehen. Die will auch mal bisschen ruhiges Wasser haben und nicht immer nur ( ... ) mit aller Kraft sich am Grund festhalten, um nicht weggespült zu werden. "

    Endlich geht die Morgensonne auf. Der Wind hat gedreht, er weht nun sanfter von Ost, der Himmel ist blank. Verbranntes Schweröl aus den Schiffsschornsteinen treibt in gelblich-braunen Schwaden über die See. Aber das Wasser ist klar und von zartem Grün.

    Nach wenigen Hols wendet sich der Kutter wieder dem Heimathafen zu. Die Inseln Scharhörn und Neuwerk tauchen aus dem Meer, dann die Silhouette von Cuxhaven mit Kränen und Appartement-Hochhäusern.

    Im Fischereihafen macht Lanker beim Schuppen eines Krabbenhändlers fest. Auf der Pier kippt er mit dem Lehrling die Krabben in den Container des Händlers. Ein paar Touristen stehen dabei.

    Im Schuppen des Händlers werden die frischen Krabben mit einem Konservierungsmittel besprüht. Denn sie gehen auf eine weite Reise. Mit Kühl-Lastwagen über die Meerenge von Gibraltar bis nach Tanger im Billiglohnland Marokko, wo Frauen die Krabben aus dem Panzer schälen. Dann kommen sie zurück. Aber nur wenige nach Deutschland. Die meisten werden in Belgien und Frankreich verzehrt.

    " Das ist wohl wahr. Der Franzose war ja schon immer ein Gourmet, und er liebt ja die Nordseekrabbe sehr, was ja für uns sehr schön ist, da ist der Absatz gesichert. "

    Und ein paar Kilo verkauft der Kapitän direkt und ungeschält:

    " Ich hab einen kleinen Verkaufswagen, der steht in der Saison an der Pier, direkt neben meinem Kutter, und da verkauf ich fangfrische Krabben an die Kurgäste.
    Frage: Hat die Krabbe Zukunft?
    Die Krabbe hat Zukunft! Das ist ja eine Delikatesse. Eine einzigartige Delikatesse, die nur an der Nordsee da ist. Die ist ja mit nix zu vergleichen an Shrimps und Kram. Die kann man ohne Sauce essen! "