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Vor dem ersten Silvester-Prozess
Zwischen Wunsch, Wirklichkeit und Wirkung

Am 24. Februar werden die ersten Fälle aus der Silvesternacht vor dem Kölner Amtsgericht verhandelt, in beiden Fällen geht es um Diebstahl-Delikte. Doch bereits vor dem Auftakt hat eine Diskussion um die Rolle der Justiz begonnen. Denn nicht nur Bürgern gehen die Urteile nicht weit genug.

Von Moritz Küpper | 18.02.2016
    Polizisten stehen am Abend mit dem Rücken zur Kamera vor dem Kölner Hauptbahnhof.
    Polizisten vor dem Kölner Hauptbahnhof. Nach den sexuellen Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht hat die Polizei ihre Präsenz verstärkt. (dpa / Maja Hitij)
    Die Liveübertragung der Diskussionsveranstaltung des "Deutschlandfunks", zusammen mit dem "Kölner Stadtanzeiger", an Aschermittwoch vergangene Woche war bereits vorbei. Thema: "Nach Silvester und Karneval: Wie es um die Sicherheit in unseren Städten steht". Nun durften die Zuschauer Fragen stellen – und es entspannte sich eine eindrückliche Diskussion:
    "Mein Name ist Gunnar Harms und ich komme aus Leverkusen."
    Einige Stuhlreihen vom Podium entfernt spricht Harms über einen Vorwurf, der seit einiger Zeit kursiert – der jedoch durch die Vorfälle in der Kölner Silvesternacht und deren Aufarbeitung nun wieder in den Fokus rückt:
    "Das eigentliche Problem, speziell hier in Köln, ist nach meiner Wahrnehmung, auch nach der Presse, die Justiz."
    Harms Tenor: Die Urteile der Kölner Richter, vor allem im Bereich der Diebstahl-Delikte, seien zu lasch, die Täter würden die Härte des Rechtsstaates nicht spüren, mitunter die Polizeibeamten verhöhnen. Ganz folgen wollte Kölns neuer Polizeipräsident Jürgen Mathies, dessen Behörde ja mit Staatsanwaltschaft die Ermittlungen führt, dem nicht:
    "So pauschal kann ich das nicht und möchte ich das auch nicht stehen lassen, auch wenn ich durchaus sage: Jawohl, die Polizisten in Köln sind manchmal frustriert, wenn sie eben Täter fassen und sie sind anschließend wieder da."
    Auch aus der Politik kommen Vorwürfe
    Doch nicht nur aus der Bevölkerung, von der Polizei, sondern auch aus der Politik sah sich die Kölner Justiz Vorwürfen ausgesetzt – auch wenn erst Zurückhaltung geübt wurde:
    "Niemand von uns hier und ich auch erst recht nicht, will die richterliche Unabhängigkeit einschränken."
    Peter Biesenbach ist CDU-Landtagsabgeordneter, Vorsitzender des Parlamentarischen Untersuchungsausschuss für die Vorfälle in der Silvesternacht – und selbst Rechtsanwalt:
    "Das bedingt aber nicht, dass wir uns nicht auch fragen können: Ist ein Urteil verständlich?"
    Seine Antwort: Mitunter nein. Als Rechtsanwalt im oberbergischen Kreis habe er gelernt,
    "dass man Mandanten, wenn es um die Bestrafung geht, immer nur empfehlen kann, im Zweifel robbt zur Not zu Fuß in den Gerichtsbezirk Köln, da kommt ihr günstiger weg, als in Wuppertal beispielsweise."
    Gerade Kölner Jugendrichter stünden im Verdacht, besonders milde zu urteilen, den Strafrahmen nicht voll auszuschöpfen, so Biesenbach. Aber:
    "Es könnte sein, dass die jetzt aufgewacht sind. Wir haben jetzt ein erstes Urteil eines Kölner Jugendrichters, wo ein Heranwachsender, bei dem einige Taten anhängig waren. Der stand jetzt plötzlich wegen des Diebstahls von Socken vor dem Richter. Und der hat nach der Silvesternacht gesagt, jetzt setze ich das Signal und hat ihn für den Diebstahl von Socken sechs Monate ohne Bewährung gegeben."
    "In den Medien wurde hier kolportiert, dass es sich um einen Diebstahl handelte, von 2,99 Euro. Das ist aber mitnichten der Fall."
    Unterschlagene Punkte in der Diskussion
    Wolfgang Schorn ist Sprecher des Amtsgerichts Köln. Er kennt den Vorwurf der laschen Justiz sowie die neuere Lesart, dass nun härter durchgegriffen werde.
    Allerdings, so Schorn, werden häufig Punkte unterschlagen: So handele es sich bei dem "Sockenurteil" nicht um einen einfachen Diebstahl, sondern es kam ein räuberisches Element hinzu:
    "Hier hat jemand nach Entdeckung erhebliche Gewalt angewendet, um die Beute zu verteidigen. Wir haben hier durch die Gewaltanwendung einen wesentlich höheren Strafrahmen und das ist das, was häufig in der Öffentlichkeit dann übersehen wurde."
    Gleiches gilt auch in die andere Richtung, wenn Urteile milder ausfallen: Anfang Januar, unmittelbar nach den Vorfällen in der Silvesternacht, kam es in Köln zu einem sogenannten Antänzer-Prozess. Vor Gericht standen zwei jugendliche Täter, die auch im Verdacht stehen, an den Silvester-Vorfällen beteiligt gewesen zu sein.
    In diesem Fall ging es jedoch um einen Handy-Diebstahl an anderer Stelle. Die beiden marokkanischen Asylbewerber wurden zu einem Jugendarrest von einer Woche verurteilt, da diese jedoch mit der Verkündung des Urteils abgesessen war, kamen sie umgehend frei:
    "Wenn in der Öffentlichkeit dadurch der Eindruck entsteht, dass das keine Strafe gewesen ist, ist das definitiv falsch",
    sagt Gerichtssprecher Schorn. Auch der Kölner Strafrechtler Nikolaos Gazeas sieht dies ähnlich, er sagt aber auch:
    "Ich kenne Kölner Strafrichter, die Urteile ihrer eigenen Kollegen für wenig nachvollziehbar und der Bevölkerung nur schwer vermittelbar halten."
    Ein schmaler Grat
    Es ist mitunter ein schmaler Grat, zwischen öffentlichem Wunsch und gesetzlicher Wirklichkeit, vor allem für Polizisten. Jede Entscheidung sei ein Einzelfall, es gelte Punkte wie das Alter oder auch Vorstrafen zu berücksichtigen, heißt es bei Gericht. Das wird auch der kommenden Woche zu sehen sein, wenn die ersten beiden Prozesse zu Diebstahl-Delikten aus der Silvesternacht vor dem Amtsgericht Köln verhandelt werden. Handy-Diebstahl, unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln. -das sind die Vorwürfe. Das mediale Interesse, so Gerichtssprecher Schorn, sei enorm:
    "Man will eben jetzt auch sehen: Was passiert mit den Tätern, die erwischt wurden."
    Er warnt aber zugleich vor Pauschalisierungen:
    "Es ist nicht davon auszugehen, dass man das, was an Bildern produziert wurde, insbesondere die Problematik mit sexuellen Übergriffen nun bei jedem Taschendiebstahl, der hier angeklagt ist, mit reininterpretieren kann."
    Dennoch: Bei allem richterlichen Spielraum erscheint für den Kölner Strafverteidiger Gazeas klar: Sollte der Diebstahl nachgewiesen werden können,
    "dass dieses Urteil nicht zu eine Geldstrafe zu 30 Tagessätzen lauten wird. Sondern, dass dieses Urteil schärfer ausfällt. Und das ist auch legitim."
    Objektivität nicht immer einfach
    Und heißt: Natürlich hat die große öffentliche Aufmerksamkeit einen Einfluss – auch wenn Justitia, die altrömische Göttin der Gerechtigkeit, neben dem Schwert für die Strafe, der Waage für Ausgewogenheit auch eine Augenbinde trägt – um ein Höchstmaß an Objektivität zu gewährleisten. Doch das, ist nicht immer einfach.