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Vor den Toren der EU: Zyprische Grenzgänger

Schätzungsweise 20.000 Zyperntürken passieren die täglich die grüne Linie zwischen dem türkischen und griechischen Teil Zypern. Die Republik Zypern hat großen Bedarf an Arbeitern, die Wirtschaft blüht. Aber auch der türkisch-zyprische Nordteil der Insel profitiert von der Grenzöffnung - nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht. Silke Oekonomopulos berichtet.

    Routiniert steckt Hüssein seinen Ausweis zurück in die Tasche. Mit einem Dutzend anderer Arbeiter schlendert er nachmittags um halb vier über die Grenze - sein blaues halb-offenes Hemd ist staubig, der 46-jährige Familienvater arbeitet im Straßenbau. Hüssein ist einer von schätzungsweise 20 Tausend Zyperntürken, die täglich die "Grüne Linie" passieren. Seit mehr als drei Jahren fährt er morgens an diesen Checkpoint und läuft dann zu Fuß durch die UN-Pufferzone in den griechischen Süden.

    "6 Monate nach der Öffnung der Grenze habe ich angefangen in der Republik Zypern zu arbeiten. Davor habe ich in einer anderen Region im Norden gearbeitet, als Busfahrer, naja... das hat sich nicht gelohnt. Ich konnte nichts sparen. Aber jetzt bin ich sehr zufrieden. "

    160 zyprische Pfund bringt Hüssein pro Woche nach Hause, für Festtage legt seine Gewerkschaft noch etwas drauf - so kommt er monatlich auf 700 Pfund netto, umgerechnet rund 1200 Euro. In der Türkischen Republik Nordzypern würde ihm ein vergleichbarer Job nur ein Drittel seines Lohns einbringen. Heute gehört Hüssein dort zu den Gutverdienern.

    Mit seinen Arbeitsbedingungen ist auch Vedachakér zufrieden. Der 26-Jährige verdient sich sein Leben seit einem Jahr als Lkw-Fahrer im Süden der Insel.

    Drüben ist es besser als hier, ich arbeite weniger und bekomme mehr Geld, erklärt Vedachaker. Sein Arbeitstag beginnt um 5 Uhr morgens mit der einstündigen Fahrt zum Checkpoint, dort wird er jenseits der Pufferzone von seinem Meister abgeholt. Die Republik Zypern hat großen Bedarf an Arbeitern, die Wirtschaft blüht. Aber auch der türkisch-zyprische Nordteil der Insel profitiert von der Grenzöffnung - nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sagt Vedachaker.

    "In ihren Köpfen hat sich etwas geändert, die Art zu denken hat sich geändert. Früher gab es mehr Leute, die rückwärtsgewandt dachten. Jetzt ist es sehr einfach... fahr auf die andere Seite und schau dich um und komm wieder zurück - dann kannst du vergleichen. Das einfachste Beispiel ist das Gesundheitssystem. Hier bei uns machen die Ärzte im Krankenhaus nicht ihre Arbeit, für einen Zusatzverdienst schicken sie die Patienten in ihre eigene Praxis. "

    Wer im Norden wohnt, aber im Süden arbeitet, ist dort auch sozialversichert. Jeder Zyperntürke kann sich außerdem inzwischen einen Ausweis der Republik Zypern erstellen lassen - die zyprische Regierung betrachtet den von der Türkei besetzten Norden als Teil des eigenen Territoriums, seine Bewohner als Mitbürger. Genau so, erzählt Vedachaker, werde auch er am Arbeitsplatz behandelt.

    "Bisher hat nur ein einziger Zyperngrieche gewalttätig reagiert, als er erfahren hat, dass ich aus dem Norden komme. Aber ich habe schon mit vielen Leuten zusammengearbeitet, mein Chef hat uns auf eine Hochzeit eingeladen. Das einzige Hindernis für uns ist die Grenze - sowohl die griechische als auch die türkische Polizei. Bald bin ich auf der anderen Seite wieder auf einer Hochzeit eingeladen, da werde ich hingehen."

    Was im Alltagsleben ohne Probleme klappt, gestaltet sich schwierig im großen Ganzen: Seitdem sich die Zyperntürken vor vier einhalb Jahren in einem Referendum für die Wiedervereinigung aussprachen, die Zyperngriechen aber "Oxi" - Nein, sagten, steht es schlecht um das gemeinsame Leben. Eine neue Perspektive gibt es nicht und auch die Arbeiter glauben nicht an eine schnelle Lösung in naher Zukunft.

    Das ist nicht möglich, sagt der Bauarbeiter Hassan, aber wir wünschen es uns von ganzem Herzen. Und dabei geht es ihm nicht allein um die wirtschaftliche Perspektive, die eine Vollmitgliedschaft der EU mit sich bringen würde.

    "Ob in der EU oder nicht, das macht doch keinen Unterschied. Auch wenn du in der EU bist, findest du das Geld nicht auf der Strasse."

    Wie die anderen Grenzgänger hat auch Hassan für heute seinen Arbeitsplatz in der EU hinter sich gelassen. Um fünf Uhr nachmittags ist die Terrasse des kleinen Grenzcafés wieder leer. Zwei Rentner vertreiben sich die Zeit auf einer Bank bei einer Runde Tavla. Morgen stehen hier wieder tausende Arbeiter Schlange - an der Außengrenze der europäischen Union.