"Meine liebste Beschäftigung aber nach wie vor ist es, das herrliche Licht mir in die Augen fließen zu lassen."
Das Licht, von dem August Macke schreibt, entdeckte der Maler auf seiner Reise in den Maghreb und Paul Klee, der ihn begleitet, notiert begeistert:
"Die Farbe hat mich."
Das Licht über dem Mittelmeer, die Farbe im strahlend blauen Himmel, die leuchtenden Fassaden der Häuser:
Es hat den kleinen Fischerort vor den Toren der Hauptstadt Tunis zu einer großen Karriere verholfen, die noch immer nicht zu Ende ist: Hunderte von Touristen werden täglich am Busparkplatz vor dem Ortseingang ausgeladen. In den engen Gassen wartet an jeder Ecke eine Postkarten-Idylle auf sie: strahlendweiße Häuser, hellblaue Fenster, die alten Türen mit Messing beschlagen. In den schmiedeeisernen Balkonen hängen Geranienkästen: An keinem Ort des Maghreb zeigt sich der Orient so beschaulich und aufgeräumt. Ein Straßenbild wie aus einem Disney-Themenpark. Nur das statt Merchandising echtes Messinggeschirr und echte Keramik als Souvenirs verkauft werden.
Nach hundert Metern hält der Reiseleiter einen vergilbten Druck in die Höhe: August Mackes "Blick auf eine Moschee". Seit der Maler und seine beiden Kollegen Paul Klee und Louis Moilliet im Frühjahr 1914 gar nicht genug vom Mittelmeer-Licht bekommen konnten und ein Aquarell nach dem anderen malten, hat sich wenig verändert: Die strahlend weiße Treppe führt noch immer zum "Café des Nattes". Nur der Maultierkarren fehlt. Aber das Minarett der Moschee ragt noch immer leicht schief in den azurblauen Himmel.
Neben dem viereckigen Gebetsturm liegt das Mausoleum eines "Marabou", eines Wunderheiligen, dem das Städtchen seinen Namen verdankt. Einmal soll Sidi Bou einem christlichen Seefahrer eine Schnur als Talisman geschenkt haben. Als sein Schiff in Seenot geriet und kenterte, teilte er die Schnur mit seinen Reisegefährten und alle überlebten:
Eine andere Geschichte spielt während der Kreuzzüge: 1270 landete Ludwig der Fromme von Frankreich mit einem Kreuzfahrerheer in der Bucht von Tunis. Kurz danach starb er an der Ruhr, aber eine Legende behauptet, dass er sich in Wahrheit in eine Berber-Prinzessin verliebte, zum Islam bekehrte und sich fortan Sidi Bou Said nannte.
Auch Mustafa, der Hausmeister der Moschee, kennt die Geschichte. Nein das Mausoleum darf er nicht aufschließen, aber er hat Fotos dabei vom letzten "Moussem" vom letzten Fest zu Ehren des Heiligen, mit Mustafa als trommelnden und tanzenden Derwisch:
"Zum Fest des Heiligen kommen seine Anhänger, die Derwische, von überall her. Wir trommeln, wir fallen in Trance. Dann sind wir komplett schmerzunempfindlich."
Was genau dann passiert? Das könne er erst nach einem Bakschisch erzählen. Einem ziemlich hohen Bakschisch. Den ungebotenen Dinar-Schein weist er zurück:
"Das würde ja noch nicht einmal für eine Packung Zigaretten und einen Kaffee reichen."
Und mit einem Mal hat es Mustafa sehr eilig, denn gerade kommt ein japanisches Ehepaar die Stufen zur Moschee herauf und schaut sich neugierig um.
Wer mehr über die Bräuche und die Musik der Derwische von Sidi Bou Said erfahren will, muss dem Wegweiser zum "Centre des Musiques Arabes" folgen. Das Institut residiert in einem Traum aus 1001 Nacht, dem "Palais Erlanger" , benannt nach Baron Rudolph Erlanger, einem französischen Aristokraten mit deutschen Wurzeln, der hier bis zu seinem Tod 1932 lebte.
Erlanger war für die Karriere Sidi Bou Saids genauso wichtig war wie der Sufi-Heilige. Der Baron war ein großer Musik-Mäzen. Er förderte vor allem die traditionelle arabische Musik und ließ an die 900 alte Melodien notieren. Das Palais hier war also nicht nur Wohnhaus, sondern auch Forschungsstätte, an der ständig geforscht wurde.
Heute verwaltet der Musikwissenschaftler Mourad Sakli das Erbe des kunstsinnigen Barons. Sein Institut verfügt über eine der weltgrößten Sammlungen arabischer Musik. Die ehemaligen Wohnräume des Barons sind heute Museum: Der Salon mit den niedrigen Sitzkissen, die Ölgemälde mit orientalischen Genre-Szenen, das türkische Bad, dass sich Erlanger nach alten Plänen einbauen ließ: Alles sieht so aus, als hätte der Hausherr seinen Palast gerade mal eben für einen Spaziergang im Park verlassen.
Zur Ironie der Geschichte gehört, dass der große Förderer einheimischer Kultur den Bauplatz für seinen Palast dem großen Ausverkauf des tunesischen Staates im 19. Jahrhunderts verdankte. Denn Rudolphs Vater, ein Bankier verdiente sein Vermögen mit Krediten an den bankrotten Landesherrn, den Bey von Tunis.
"Und als dem Bey von Tunis das Geld ausging, hat er seinen französischen Gläubigern Immobilien überlassen."
Am Ende erklärte Frankreich das zahlungsunfähige Tunesien zur quasi- Kolonie und Rudolph bekam von seinem Vater ein paar tausend Quadratmeter in SidiBouSaid geschenkt. Der malerische Ort wurde seine zweite Heimat.
Erlanger war sehr wichtig für den Ort, nicht nur weil ein Viertel der Bevölkerung für ihn als Hausangestellte, Gärtner und Köche arbeitete. Er setzte auch eine Verordnung durch, nach der alle Häuser in den typischen Weiß- und Blautönen gestrichen werden mussten, die bis heute Sidi Bou Said prägen.
Auf dem Kopfsteinpflaster vor dem "Cafe´ des Nattes" wissen die wenigsten Touristen, dass sie die Weiß-Blauidylle dem Spleen eines französischen Bankierssohns zu verdanken haben. Selten findet eine Reisegruppe den Weg zu seiner Villa. Die Zeit reicht gerade mal für einen kurzen Rundgang und einer kurzen Rast im berühmtesten Cafe´ von Sidi Bou Said.
Rasch ein Foto von der weißen Treppe vor dem "Cafe´ des Nattes" und einem alten Mann beim "Schischa"-Wasserpfeiferauchen unter den Kaffeehausarkaden, ein Pfefferminztee im Stehen, und dann drängt der Reiseleiter auch schon zum Aufbruch.
Monze Ben Said räumt die halbleeren Gläser weg, zählt zufrieden die Dinarscheine und erinnert sich an die alten Zeiten.
"Das Café gehört seit 250 Jahren unserer Familie. Und viele berühmte Stars waren schon hier."
Natürlich präsentiert auch Monze Ben Said dem Besucher eine vergilbte Macke-Postkarte, aber viel mehr als der deutsche Maler hat ihn eine andere Berühmtheit beeindruckt:
"Viele Filme wurden hier gedreht. Aber am besten kann ich mich noch an den Dreh zu dem Spielfilm 'Angelique und der Sultan' in den 60er Jahren erinnern. In dem Film wird Angelique von Piraten gefangen und als Sklavin in den Orient verkauft. Und hier im Café wurden die Harems-Szenen gedreht."
Nachdem die Hauptdarstellerin Michèle Mercier den letzten Film über die Abenteuer der schönen, aber armen Marquise Angelique abgedreht hatte, ging es mit ihrer schauspielerischen Karriere bergab. Aber ins "Cafe´ des Nattes" kamen immer mehr Touristen auf der Suche nach der Original-Kulisse.
Das schönste Licht gibt es in Sidi Bou Said kurz vor Sonnenuntergang, wenn die Dämmerung alles in sattes Orange taucht. Im "Café des Nattes" sitzen ein paar Liebespaare. Eine Schischa kostet hier zwar doppelt soviel wie in Tunis, aber dafür ist die Aussicht spektakulär: Weit reicht der Blick über das Meer bis nach Tunis, wo jetzt die ersten Großstadtlichter funkeln.
Die Gassen am Fuß der Treppe liegen jetzt verlassen da. Und mit einem Mal versteht man, was die Maler, reichen Müßiggänger und Filmcrews hier suchten und fanden, gefunden haben: Das ideale Bild des Orients, wie er vermutlich nie existiert hat.
Das Licht, von dem August Macke schreibt, entdeckte der Maler auf seiner Reise in den Maghreb und Paul Klee, der ihn begleitet, notiert begeistert:
"Die Farbe hat mich."
Das Licht über dem Mittelmeer, die Farbe im strahlend blauen Himmel, die leuchtenden Fassaden der Häuser:
Es hat den kleinen Fischerort vor den Toren der Hauptstadt Tunis zu einer großen Karriere verholfen, die noch immer nicht zu Ende ist: Hunderte von Touristen werden täglich am Busparkplatz vor dem Ortseingang ausgeladen. In den engen Gassen wartet an jeder Ecke eine Postkarten-Idylle auf sie: strahlendweiße Häuser, hellblaue Fenster, die alten Türen mit Messing beschlagen. In den schmiedeeisernen Balkonen hängen Geranienkästen: An keinem Ort des Maghreb zeigt sich der Orient so beschaulich und aufgeräumt. Ein Straßenbild wie aus einem Disney-Themenpark. Nur das statt Merchandising echtes Messinggeschirr und echte Keramik als Souvenirs verkauft werden.
Nach hundert Metern hält der Reiseleiter einen vergilbten Druck in die Höhe: August Mackes "Blick auf eine Moschee". Seit der Maler und seine beiden Kollegen Paul Klee und Louis Moilliet im Frühjahr 1914 gar nicht genug vom Mittelmeer-Licht bekommen konnten und ein Aquarell nach dem anderen malten, hat sich wenig verändert: Die strahlend weiße Treppe führt noch immer zum "Café des Nattes". Nur der Maultierkarren fehlt. Aber das Minarett der Moschee ragt noch immer leicht schief in den azurblauen Himmel.
Neben dem viereckigen Gebetsturm liegt das Mausoleum eines "Marabou", eines Wunderheiligen, dem das Städtchen seinen Namen verdankt. Einmal soll Sidi Bou einem christlichen Seefahrer eine Schnur als Talisman geschenkt haben. Als sein Schiff in Seenot geriet und kenterte, teilte er die Schnur mit seinen Reisegefährten und alle überlebten:
Eine andere Geschichte spielt während der Kreuzzüge: 1270 landete Ludwig der Fromme von Frankreich mit einem Kreuzfahrerheer in der Bucht von Tunis. Kurz danach starb er an der Ruhr, aber eine Legende behauptet, dass er sich in Wahrheit in eine Berber-Prinzessin verliebte, zum Islam bekehrte und sich fortan Sidi Bou Said nannte.
Auch Mustafa, der Hausmeister der Moschee, kennt die Geschichte. Nein das Mausoleum darf er nicht aufschließen, aber er hat Fotos dabei vom letzten "Moussem" vom letzten Fest zu Ehren des Heiligen, mit Mustafa als trommelnden und tanzenden Derwisch:
"Zum Fest des Heiligen kommen seine Anhänger, die Derwische, von überall her. Wir trommeln, wir fallen in Trance. Dann sind wir komplett schmerzunempfindlich."
Was genau dann passiert? Das könne er erst nach einem Bakschisch erzählen. Einem ziemlich hohen Bakschisch. Den ungebotenen Dinar-Schein weist er zurück:
"Das würde ja noch nicht einmal für eine Packung Zigaretten und einen Kaffee reichen."
Und mit einem Mal hat es Mustafa sehr eilig, denn gerade kommt ein japanisches Ehepaar die Stufen zur Moschee herauf und schaut sich neugierig um.
Wer mehr über die Bräuche und die Musik der Derwische von Sidi Bou Said erfahren will, muss dem Wegweiser zum "Centre des Musiques Arabes" folgen. Das Institut residiert in einem Traum aus 1001 Nacht, dem "Palais Erlanger" , benannt nach Baron Rudolph Erlanger, einem französischen Aristokraten mit deutschen Wurzeln, der hier bis zu seinem Tod 1932 lebte.
Erlanger war für die Karriere Sidi Bou Saids genauso wichtig war wie der Sufi-Heilige. Der Baron war ein großer Musik-Mäzen. Er förderte vor allem die traditionelle arabische Musik und ließ an die 900 alte Melodien notieren. Das Palais hier war also nicht nur Wohnhaus, sondern auch Forschungsstätte, an der ständig geforscht wurde.
Heute verwaltet der Musikwissenschaftler Mourad Sakli das Erbe des kunstsinnigen Barons. Sein Institut verfügt über eine der weltgrößten Sammlungen arabischer Musik. Die ehemaligen Wohnräume des Barons sind heute Museum: Der Salon mit den niedrigen Sitzkissen, die Ölgemälde mit orientalischen Genre-Szenen, das türkische Bad, dass sich Erlanger nach alten Plänen einbauen ließ: Alles sieht so aus, als hätte der Hausherr seinen Palast gerade mal eben für einen Spaziergang im Park verlassen.
Zur Ironie der Geschichte gehört, dass der große Förderer einheimischer Kultur den Bauplatz für seinen Palast dem großen Ausverkauf des tunesischen Staates im 19. Jahrhunderts verdankte. Denn Rudolphs Vater, ein Bankier verdiente sein Vermögen mit Krediten an den bankrotten Landesherrn, den Bey von Tunis.
"Und als dem Bey von Tunis das Geld ausging, hat er seinen französischen Gläubigern Immobilien überlassen."
Am Ende erklärte Frankreich das zahlungsunfähige Tunesien zur quasi- Kolonie und Rudolph bekam von seinem Vater ein paar tausend Quadratmeter in SidiBouSaid geschenkt. Der malerische Ort wurde seine zweite Heimat.
Erlanger war sehr wichtig für den Ort, nicht nur weil ein Viertel der Bevölkerung für ihn als Hausangestellte, Gärtner und Köche arbeitete. Er setzte auch eine Verordnung durch, nach der alle Häuser in den typischen Weiß- und Blautönen gestrichen werden mussten, die bis heute Sidi Bou Said prägen.
Auf dem Kopfsteinpflaster vor dem "Cafe´ des Nattes" wissen die wenigsten Touristen, dass sie die Weiß-Blauidylle dem Spleen eines französischen Bankierssohns zu verdanken haben. Selten findet eine Reisegruppe den Weg zu seiner Villa. Die Zeit reicht gerade mal für einen kurzen Rundgang und einer kurzen Rast im berühmtesten Cafe´ von Sidi Bou Said.
Rasch ein Foto von der weißen Treppe vor dem "Cafe´ des Nattes" und einem alten Mann beim "Schischa"-Wasserpfeiferauchen unter den Kaffeehausarkaden, ein Pfefferminztee im Stehen, und dann drängt der Reiseleiter auch schon zum Aufbruch.
Monze Ben Said räumt die halbleeren Gläser weg, zählt zufrieden die Dinarscheine und erinnert sich an die alten Zeiten.
"Das Café gehört seit 250 Jahren unserer Familie. Und viele berühmte Stars waren schon hier."
Natürlich präsentiert auch Monze Ben Said dem Besucher eine vergilbte Macke-Postkarte, aber viel mehr als der deutsche Maler hat ihn eine andere Berühmtheit beeindruckt:
"Viele Filme wurden hier gedreht. Aber am besten kann ich mich noch an den Dreh zu dem Spielfilm 'Angelique und der Sultan' in den 60er Jahren erinnern. In dem Film wird Angelique von Piraten gefangen und als Sklavin in den Orient verkauft. Und hier im Café wurden die Harems-Szenen gedreht."
Nachdem die Hauptdarstellerin Michèle Mercier den letzten Film über die Abenteuer der schönen, aber armen Marquise Angelique abgedreht hatte, ging es mit ihrer schauspielerischen Karriere bergab. Aber ins "Cafe´ des Nattes" kamen immer mehr Touristen auf der Suche nach der Original-Kulisse.
Das schönste Licht gibt es in Sidi Bou Said kurz vor Sonnenuntergang, wenn die Dämmerung alles in sattes Orange taucht. Im "Café des Nattes" sitzen ein paar Liebespaare. Eine Schischa kostet hier zwar doppelt soviel wie in Tunis, aber dafür ist die Aussicht spektakulär: Weit reicht der Blick über das Meer bis nach Tunis, wo jetzt die ersten Großstadtlichter funkeln.
Die Gassen am Fuß der Treppe liegen jetzt verlassen da. Und mit einem Mal versteht man, was die Maler, reichen Müßiggänger und Filmcrews hier suchten und fanden, gefunden haben: Das ideale Bild des Orients, wie er vermutlich nie existiert hat.