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"Vorbeben"

In seinem Buch "Vorbeben" beschäftigt sich "Financial Times Deutschland"-Kolumnist Wolfgang Münchau mit den Ursachen der US-Finanzkrise. Die Immobilien- und Krediteuphorie nach dem 11. September entfaltet sich demnach auf der Wirtschaftsbühne wie ein klassisches griechisches Drama - Protagonist und Antagonist eingeschlossen - bis zum ökonomischen Kollaps. Eva Bahner hat das Buch gelesen.

    "Von außen betrachtet sah diese Krise zunächst aus wie ein lokales Ereignis in der amerikanischen Provinz. Doch das sollte sich als Trugschluss erweisen. Was in einem kleinen Teil des Kreditmarktes seinen Anfang nahm, griff innerhalb weniger Wochen wie ein Virus auf andere Länder über, auch auf Deutschland."

    Für Wolfgang Münchau ist die Finanzkrise ein Drama in fünf Akten. In dieser Form beschreibt er in seinem Buch "Vorbeben" die Ereignisse, die Banken seit einem Jahr ins Schleudern bringen und bereits viele Länder an den Rand einer Rezession getrieben haben. Der erste Akt beginnt mit dem auf Pump finanzierten Häuserboom in den USA angeheizt durch niedrige Zinsen der amerikanischen Notenbank. Geld leihen war in diesen goldenen Jahren nach den Terror-Anschlägen des 11. September attraktiv in den Vereinigten Staaten, und die Nachfrage nach Hypotheken groß.

    "In unserem zweiten Akt trat ein neuer Akteur auf, der Kreditmarkt, der sich als einer der Bösewichte unseres Dramas entpuppen sollte."

    Zum einen vergaben die Banken damals vermehrt sogenannte Subprime- Hypotheken, Immobiliendarlehen also für Kunden mit niedriger Kreditwürdigkeit. Zum anderen machten Gläubiger bereits seit den 90er Jahren verstärkt vom Instrument der Verbriefung Gebrauch. Das heißt, Banken müssen Kredite nicht bis zum Ende der Tilgung in ihren Bilanzen behalten, sondern können sich der Ausfallrisiken entledigen, indem sie die Kredite in fest verzinslichen Wertpapieren verpacken und auf den Finanzmarkt schleusen und zwar so, dass die Bonität der Wertpapiere größer ist als die der zugrunde liegenden Kredite.

    Was der Alchemie nie gelungen ist – die Produktion von Gold aus billigen Rohstoffen – scheint in den Kreditmärkten mühelos verwirklicht worden zu sein. Der Preis dieser sprudelnden Goldquelle ist nämlich das Risiko, und das Risiko ist lange versteckt, bis zu dem Moment, in dem es wie ein Monster auf der Bildfläche erscheint und allseitige Panik auslöst.

    "Diese Instrumente in diesen Finanzmärkten, Kreditmärkten waren in Deutschland überhaupt nicht bekannt, selbst in den Finanzzeitungen wurde über diese Instrumente und diese Märkte nie geschrieben. Die Kreditmärkte sind sehr kompliziert, es sind Profi-Märkte. Und es war mir ein Anliegen, zu erklären, wie diese komplizierten Instrumente mit Namen wie CDO, CDS, Mortgage-Backed Securities funktionieren, so dass man überhaupt ein Verständnis entwickeln konnte, warum es zu einer Blase und später zu einem Knall der Blase kommen konnte."

    Mit modernen Massenvernichtungswaffen vergleicht Münchau die Kreditmärkte und ihr Instrumentarium, warnt vor der enormen Zerstörungskraft. Gleichzeitig bekennt der ehemalige Chefredakteur der Financial Times Deutschland aber im zweiten Kapitel seines Buches, ein großer Anhänger des modernen Finanzsystems zu sein. Mehr Regulierung oder gar eine Rückkehr zu einem paternalistischen Bankensystem lehnt Münchau ab.

    "Eine Rating-Agentur ist im Finanzmarkt ähnlich wie die Stiftung Warentest im Produktmarkt."

    Die Rating-Agenturen spielten eine zentrale Rolle beim Handel mit verbrieften Wertpapieren. Finanzmathematiker wurden immer findiger, die Produkte immer komplizierter und den Banken und selbst den Bankenaufsehern blieb nichts anderes übrig, als dem Urteil der Rating-Agenturen blind zu vertrauen.

    So entstand ein Zockermarkt auf der Grundlage fauler Kredite, bis klar war, dass diese niemals zurückgezahlt würden. Käufer blieben aus, und langsam kam zutage, wer sich mit diesen hochriskanten Wertpapieren eingedeckt hatte, nicht nur Hedgefonds und große Investmentbanken, sondern auch deutsche Kleinbanken wie die IKB und die SachsenLB. Einige gerieten an den Rand des Abgrunds, so dass die Zentralbanken eingreifen mussten: im September vergangenen Jahres die britische Northern Rock, im März die Investmentbank Bear Stearns und nun der kalifornische Hypothekenanbieter IndyMac. Der Staat als Retter in der Not? Für Münchau, ein Tabu-Bruch.

    "Auf keinen Fall darf eine Zentralbank insolvente Finanzinstitutionen unterstützen. Die Spekulanten sind die Gewinner. Wenn ihre riskante Wette aufgeht, behalten sie den Gewinn. Wenn nicht, greift ihnen die Zentralbank oder die Regierung unter die Arme. Der Dumme in dem Spiel ist der Steuerzahler."

    Wer trägt nun die Verantwortung für die Finanzkrise? Alan Greenspan, der nur zu gerne als Sündenbock herangezogen wird, weil er mit seiner Politik der niedrigen Zinsen jahrelang die Märkte aufgebläht hat? Die Ratingagenturen, die viel zu großzügig Gütesiegel verteilt haben? Die Banken, die zu blauäugig waren und zu risikofreudig ? In seinem Buch bleibt der Direktor des Brüssler Informationsdienstes "Eurointelligence.com" den Lesern eine Antwort schuldig.

    "Eine Kreditmarktkrise, die zu solch hohen Volumina führt in einer Grundstücksblase, die dermaßen stark ist wie wir es in der Vergangenheit noch nicht gehabt haben, kann nicht passieren, nur weil ein paar Akteure sich daneben benehmen oder weil hier in der Regulierung einer mal ein Auge zugedrückt hat. Das sind Probleme, das gebe ich auch zu, wir müssen auch an die Regulierung der Banken noch mal ran, dass wir hier nicht falsche Anreize setzen, und an das Geschäftsmodell der Rating-Agenturen, dass sie sich nämlich von den Kunden bezahlen lassen, die sie bewerten, beinhaltet einige Interessenskonflikte. Ich glaube einfach nicht, dass die Marktakteure ausschlaggebend sind, ich glaube, dass es eine Frage der Wirtschaftspolitik über lange Jahre ist, zu niedrige Zinsen einerseits, aber auch dass wir erlaubt haben, globale Ungleichgewichte in einer Größenordnung aufbauen zu lassen, die wir bisher nicht kannten."

    In einer volkswirtschaftlichen Betrachtung verlässt Münchau in seinem Buch die Finanz- und Kreditmärkte, sucht die Ursachen vielmehr in den globalen Ungleichgewichten,...

    "...den hohen Finanzflüssen zwischen Asien, Europa und den USA, dem extrem hohen Leistungsbilanzdefizit der Amerikaner. Diese Ungleichgewichte in Verbindung mit einer lockeren Geldpolitik über sehr lange Zeit hier ein ökonomisches Umfeld geschaffen wurde, dass extrem viel Geld durch das Finanzsystem gejagt hatte und dieses Geld ist in die Märkte geflossen hat diese Märkte aufgebläht."

    Das Szenario für Pessimisten, das Münchau am Ende seines Buches zeichnet, trifft verblüffend genau den derzeitigen Zustand der Weltwirtschaft. Ein Inflationsschock, verbunden mit einer steigenden Nachfrage nach Öl. Energie- und Lebensmittelpreise auf Rekordniveau.

    Und welche Erschütterungen sind noch von den Kreditmärkten zu erwarten? War das vergangene Jahr tatsächlich nur das "Vorbeben", wie der Titel des Buches suggeriert, oder haben die Banken das Schlimmste hinter sich? Die genaue Antwort kennt keiner, auch nicht der Autor:

    "Sicherlich war die Sub-Prime Krise ein großer Teil dieser Erschütterung. Wir müssen uns nur vor Augen halten, dieser Kreditmarkt ist nicht nur ein Hypothekenmarkt. Es sind nicht nur Hypotheken verbrieft wurden, gestückelt worden und in Einzelteilen weiterverkauft worden. Das Gleiche ist mit Autokrediten passiert, das Gleiche ist mit Kreditkarten passiert und das Gleiche ist auch mit Unternehmenskrediten passiert. Und eine Menge der Schulden hängen noch in den Portfolios der Banken drin. Man sollte sich da nicht täuschen, da kommen weitere Belastungen auf uns zu."

    Auch Wolfgang Münchau kann nicht hell sehen, überzeugt aber in seinem Buch durch eine scharfe Analyse der vergangenen Geschehnisse, die er für jeden verständlich darzulegen weiß. Komplizierte Fachausdrücke werden zudem im Glossar und Abkürzungsverzeichnis nochmals gesondert erklärt. Wer genau wissen will, wie ein Leerverkauf funktioniert und welche Rolle Freddie Mac und Fannie Mae auf dem amerikanischen Hypothekenmarkt spielen, wird in grau unterlegten Textboxen fündig, die sich aber auch leicht überspringen lassen. Um Lehren aus der Kreditkrise ziehen zu können, war es zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses Ende vergangenen Jahres sicherlich zu früh. Dennoch: "Was die globale Finanzkrise für uns bedeutet und wie wir uns retten können" – zumindest dem ersten Teil des Untertitels wird Münchau gerecht. Die Handlungsempfehlungen für Privatanleger hingegen reichen zur Rettung nicht aus. Aber ein Rat, den er gibt, der von Warren Buffet stammt, einem der erfolgreichsten Investoren aller Zeiten, passt wohl auf keine Krise besser als auf die Kreditkrise: Investiere nur in Wertpapiere, die du komplett verstehst.