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Vorbereitungen für einen Wunsch-Heimkehrer

Wieder steht die Ski-Saison vor der Tür. Doch nicht nur Sonne und Schnee erwarten die Wintersportler im schweizerischen Gstaad oder Adelboden, sondern auch freilebende Raubkatzen – Luchse. Unliebsame Begegnungen auf der Piste wird dennoch wohl kaum geben, denn die Räuber mit den "Pinselohren" führen ein heimliches Dasein. Mindestens 100 Luchse leben heute wieder in der Gebirgsregion zwischen Genfer und Thuner See. Am vergangenen Wochenende erörterten in Arnsberg Experten aus ganz Europa anlässlich eines Luchs-Symposiums die Schweizer Ergebnisse sowie Projekte in Deutschland.

    Von Volker Mrasek

    Der Tagungsort lag nicht zufällig im Sauerland. Selbst hier - nur einen Katzensprung vom Ruhrgebiet entfernt - gibt es inzwischen Ideen, den Luchs wiederanzusiedeln. Im Harz ist man sogar schon zur Tat geschritten. Dort wurden insgesamt zwölf Luchse ausgesetzt. Doch die Projekte sind wissenschaftlich stark umstritten. In Arnsberg äußerten Experten zum Teil scharfe Kritik. So etwa Ulrich Wotschikowsky vom Verein für Arten-, Umwelt- und Naturschutz "VAUNA", der aus der Wildbiologischen Gesellschaft München hervorgegangen ist:

    Vor zwei Jahren sind jetzt Luchse im Harz angesiedelt worden, unter Missachtung so gut wie aller internationalen Empfehlungen. Und davon gibt es eine ganze Menge. Das Schlimmste ist, dass die Tiere, die dort ausgesetzt worden sind, Gehege-Tiere sind. Und sie haben nicht einmal einen Sender.

    Also weiß niemand, wie sich die Luchse in der Wildnis einrichten. Welche Reviere sie besetzt haben, wie sich die Population entwickelt. Ohne einen Halsband-Sender sind die Tiere auf ihren Streifzügen durch den Harz nicht verfolgbar. Und niemand weiß, ob sie überhaupt noch alle leben. Gehege-Luchse wurden auch im polnischen Kampinoski-Nationalpark in die Freiheit entlassen. Dort betreiben die Wildhüter allerdings "Telemetrie", das heißt sie empfangen laufend Signale von den Tieren und orten sie dadurch. Alle tragen Halsband-Sender. Das bewahrte die meisten vor dem sicheren Hungertod, wie jetzt in Arnsberg berichtet wurde. Die offenbar Wildnis-untüchtigen Katzen sind demnach wieder eingefangen worden - 13 Tiere immerhin. Die Telemetrie hatte gezeigt, dass sie sich nicht mehr vom Fleck rührten, also auch nicht mehr jagten. Deshalb, so der Schweizer Wildbiologe Andreas Ryser, ...

    kann man davon ausgehen, dass im Harz wahrscheinlich auch Tiere sterben, die man mit Hilfe von Halsbändern vielleicht wieder hätte fangen können.

    In der Schweiz wurden schon vor drei Jahrzehnten Luchse wiedereingebürgert. Seit 20 Jahren steht die Population im Nordwesten des Alpenlandes unter strenger wissenschaftlicher Beobachtung. Der Bestand wird heute auf bis zu 150 Tiere geschätzt. Sechs Luchse wurden im letzten Winter in die Ost-Schweiz umgesiedelt, drei weitere sollen bald folgen. Denn ohne fremde Hilfe breiten sich die Raubkatzen offenbar nicht weiter aus, sagt Ryser, der das Projekt leitet:

    Man hat dort auch festgestellt, dass offenbar bei der Abwanderung von Jungluchsen, die sich ein freies Revier suchen wollen - dass die Probleme haben eben mit gewissen Barrieren: Das Überqueren von entwaldeten Talböden zum Beispiel, wo vielleicht auch eine Straße, eine Autobahn, drin ist.

    Zum wissenschaftlichen Luchs-Management in der Schweiz gehört es deshalb nun, geeignete Lebensräume wieder zu vernetzen. Zum Beispiel dadurch, dass man sogenannte Grünbrücken für die Tiere über Straßen- oder Wasserwege baut. Das sei eigentlich das wichtigste Ergebnis der bisherigen Forschung am Luchs, meint Ryser. Wenn man überlebensfähige Bestände der Raubkatzen etablieren möchte, dann müsse man für sie Korridore schaffen zwischen den großen, noch existierenden Waldgebieten. Das sei schon aus genetischen Gründen zwingend, erläutert der Biologe und Mathias Herrmann vom "Öko-log"-Büro für Freilandforschung im brandenburgischen Parlow:

    Richtwerte besagen, dass unterhalb von etwa 50 Tieren ein hohes Risiko ist, dass Inzucht-Effekte eine Rolle spielen. Und es sollten mindestens 500 Tiere irgendwie in Verbindung stehen über einzelne wandernde Tiere, wenn man langfristig eine Population mit voller genetischer Vielfalt - das, was an für sich erforderlich ist - erhalten will.

    Deutschland sollte dem Schweizer Vorbild folgen und ebenfalls ein nationales Luchs-Konzept erarbeiten, rät Ulrich Wotschikowsky. Nur so lasse sich das nötige grüne Netzwerk für den Spätheimkehrer knüpfen:

    Wenn man sich auf der Karte umschaut, dann ist der Thüringer Wald strategisch am günstigsten. Vom Thüringer Wald könnten Luchse in den Frankenwald nach Bayern, in die Rhön und in den Spessart nach Bayern und Hessen weiterwandern. Sie könnten Kontakt in die Sächsische Schweiz und damit ins tschechische Erzgebirge kriegen. Und sie könnten über das Vogtland auch Kontakt bekommen zur Böhmerwald-Population und zur Bayerwald-Population.