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Vorbild der deutschen Piratenpartei

Stattliche 8,9 Prozent holte die Piratenpartei bei den Wahlen in Berlin. Auch in anderen europäischen Ländern scheinen sich die Internet-Freibeuter als Größe zu etablieren. Ihren ersten Erfolg feierten die Piraten in Schweden: 2009 zogen sie hier überraschend ins Europaparlament ein. Als Protestpartei, genau wie ihr deutsches Pendant. Inzwischen aber ist es ruhiger um die Partei geworden.

Von Agnes Bührig | 20.09.2011
    Die schwedischen Piraten, zu Beginn ihrer parlamentarischen Karriere: 2009 demonstrieren sie zusammen mit Schwedens aufgebrachter Netzgemeinde gegen das sogenannte FRA-Gesetz, das gerade in Kraft getreten ist. FRA steht für den schwedischen Nachrichtendienst. Das Gesetz erlaubt seiner Abteilung für Kommunikationsaufklärung, auf E-Mails und Telefongespräche zuzugreifen, die über digitale Kabelverbindungen ins Ausland laufen. Ein Sympathisant der Piratenpartei erklärt am Rande der Proteste, warum das Gesetz die Netzaktivisten ins Mark trifft:

    "Das Internet bedeutet alles für mich – Leben, Mut und Herz. Das analoge Denken hat ausgedient. Denn jetzt haben wir den freien Austausch der Gedanken."

    35.000 neue Mitglieder zählte die Piratenpartei damals, im Frühjahr 2009. Denn auf wütende Proteste der Web-Gemeinde war auch das harte Urteil gegen die Betreiber der Internet-Tauschbörse "The Pirate Bay" gestoßen: In Stockholm wurden vier Schweden zu jeweils einem Jahr Haft und einer Strafzahlung in Höhe von insgesamt umgerechnet 2,7 Millionen Euro verurteilt. Über ihre Internetseite hatten sich Nutzer vernetzt und urheberrechtliches geschütztes Material wie Filme ausgetauscht - ohne dafür zu zahlen. Der Mitgliederansturm bei der Piratenpartei war daraufhin enorm, erinnert sich Anna Troberg, heute Vorsitzende der Partei:

    "Wir bekamen neue Mitglieder, weil die Menschen über die Entwicklung erbost waren und etwas tun wollten. Das war aktives Handeln. Wir wussten schon damals, dass wir nicht so viele bleiben würden. Auf einen solchen Anstrum in so kurzer Zeit war unsere Organisation damals nicht vorbereitet."

    Über sieben Prozent der schwedischen Wählerstimmen erhält die Partei bei der Europawahl im Juni 2009, drei Jahre nach ihrer Gründung. Mit einem Mal können die Mitglieder der Parteispitze von ihrem politischen Engagement leben. Allerdings prophezeihen Experten wie der Wahlforscher Tommy Möller von der Universität Stockholm schon damals, es werde schwer, sich als feste Größe in der Parteienlandschaft zu etablieren:

    "Die schwedische Politik kreist traditionell um Verteilungsfragen. Fragen der persönlichen Unverletzlichkeit sind ein brennendes Thema, aber sie sind noch weit von der politischen Agenda entfernt. Das gute Abschneiden bei der Europawahl war in gewisser Weise eine Ausnahme. Die Wahlbeteiligung ist gering und die Sympathie liegt bei neuen Parteien, die das Establishment herausfordern. In den Reichstag zu kommen ist viel schwieriger."

    In der Tat herrschte bald Flaute in der schwedischen Piratenbucht. Bei der Reichstagswahl 2010 kam die Partei auf gerade einmal 0,6 Prozent der Stimmen. Das Thema Urheberrecht im Internet spielte im Wahlkampf keine Rolle. In der öffentlichen Debatte tauchen die Piraten seitdem nur noch sporadisch auf. Etwa, als sich Wikileaks-Gründer Julian Assange im vergangenen Jahr in Schweden nach einer neuen Heimstatt für seine sensiblen Daten umsieht.

    Mittlerweile sind in mehr als 40 Ländern weltweit vergleichbare Bewegungen entstanden – wie die deutsche Piratenpartei. Doch anders als in Schweden haben die Berliner Piraten ein breiteres thematisches Spektrum und wollen auch in Fragen der Bildungs- und Familienpolitik mitmischen. Anna Troberg, die Vorsitzende der schwedischen Piratenpartei, freut sich über das deutsche Wahlergebnis. Obwohl ihre Partei seit 2009 Tausende Mitglieder verloren hat, sieht die Chefin genügend Gründe, dass es sie weiterhin geben muss:

    "Parteimitglieder sind gut, aber am wichtigsten sind Aktivisten. Wir haben heute mehr Aktive als früher, das bedeutet mehr aktive Mitglieder als in vergangenen Zeiten. Und unsere Fragestellungen sind immer noch aktuell. Das FRA-Gesetz ist immer noch in Kraft. Wir werden gebraucht!"