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Vorbild Zwischeneiszeit?

Klimaforschung. - Die große Furcht der Menschen am Beginn dieser Klimaerwärmung ist das Abschmelzen der Polkappen. Wenn das dort gebundene Wasser in die Weltmeere gelangt, steigt der Spiegel um viele Meter an - zahllose Küstengebiete und Inseln wären dann tief im Wasser versunken. Mehrere Artikel in der aktuellen "Science" sprechen jetzt davon, dass diese Befürchtung bis zum Ende des Jahrhunderts teilweise Realität werden könnte.

Von Volker Mrasek | 24.03.2006
    Wenn die Vergangenheit als Modell für die Zukunft taugt, dann verheißen die neuen Klimastudien im Wissenschaftsmagazin Science nichts Gutes. Liegen ihre Autoren richtig, dann steuert die Erde heute auf einen Zustand zu, wie sie ihn schon einmal erlebte: vor rund 130.000 Jahren, auf dem Höhepunkt der letzten bedeutenden Zwischeneiszeit

    "Die Arktis war damals im Sommer viel wärmer als heute. In Grönland und in Nordkanada lagen die Temperaturen 3 bis 5 Grad höher, in Sibirien und Alaska nicht ganz so viel. Der kanadische Eisschild war komplett abgeschmolzen, der grönländische stark geschrumpft, und der Meeresspiegel lag vier bis sechs Meter höher als heute."

    So beschreibt die US-Meteorologin Bette Otto-Bliesner die Erde in der "Eem-Warmzeit", wie sie auch genannt wird. Die Fieber-Attacke dauerte rund 10.000 Jahre, und sie hatte einen natürlichen Auslöser. Die Umlaufbahn der Erde um die Sonne ändert sich periodisch unter dem Schwerkraft-Einfluss der anderen Planeten. Vor 130.000 Jahren sah der Erdorbit so aus, dass der nördliche Polarkreis mehr Sonne abbekam. Die Einstrahlungsrate war erhöht. Schon bald könnte der Globus wieder vom Fieber geschüttelt werden. Diesmal allerdings durch die Anhäufung von Treibhausgasen in der Außenluft. Und damit letztlich durch den Menschen. Denn auch Kohlendioxid und die anderen Klimagase sorgten dafür, dass die Temperaturen im arktischen Sommer über 0 Grad kletterten - und dann taue das Eis, so die Expertin vom Nationalen Zentrum für Atmosphärenforschung in den USA. Otto-Bliesner:

    "Wenn man im Klimamodell simuliert, was geschieht, wenn Kohlendioxid in der Atmosphäre weiter jedes Jahr um ein Prozent zunimmt, dann sieht man: Die Arktis wird Ende des Jahrhunderts sogar noch wärmer sein als damals im Eem."

    Otto-Bliesner und ihre Kollegen haben beides rekonstruiert und simuliert: Wie es damals in der Eem-Warmzeit war. Und was der Erde demnächst wieder blühen könnte. Dabei halfen ihnen nicht nur die üblichen Computermodelle, sondern auch sogenannte Klimaarchive. Zum Beispiel uralte, trockengefallene Korallenstöcke, aus denen sich ablesen lässt, zu welcher erdgeschichtlichen Zeit sie unter dem Meeresspiegel lagen. Zu den Autoren der neuen Studien zählt auch Jonathan Overpeck, Professor für Atmosphären- und Geowissenschaften an der Universität von Arizona in den USA. Wie sich jetzt zeige, sei die Vision von den abschmelzenden Polkappen doch nicht so abwegig, meint Overpeck:

    "Ich befürchte, dass die kritische Temperaturschwelle schon vor dem Jahr 2100 erreicht sein könnte - die Schwelle, bei der die großen Eisschilde der Erde unwiderruflich zu schmelzen beginnen. Denn man muss sich klar machen: Vor 130.000 Jahren erwärmte sich die Erde nur auf der Nordhalbkugel und nur im Sommer. Heute haben wir es mit einem globalen und ganzjährigen Phänomen zu tun. Auch auf der Südhalbkugel gehen die Temperaturen stellenweise dramatisch nach oben. Das bringt auch die Eisschilde der Antarktis in Gefahr."

    Im jüngsten Klimabericht der Vereinten Nationen ist noch von 88 Zentimetern die Rede. Höher könne der Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 eigentlich nicht steigen. Overpeck hält diese Zahl inzwischen für überholt:

    "Es gibt eine ganze Reihe neuer Studien, aus denen hervorgeht, dass die Eisschilde der Arktis und Antarktis längst nicht so stabil sind und sich schon jetzt schneller verändern, als man erwartet hatte. Der Meeresspiegel könnte in diesem Jahrhundert also viel stärker ansteigen als nach den bisherigen Prognosen. Wenn wir nicht zügig etwas gegen die Treibhausgas-Verschmutzung tun, wird die Erde bald wärmer sein als vor 130.000 Jahren. Dann droht erneut der Kollaps der großen Eisschilde."