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Vorbote der gletscherfreien Alpen

Geologie. – An der Ostwand des Eiger im Berner Oberland ist am Donnerstag Abend das erste Stück einer Felsnase abgerutscht, die sich bereits seit Tagen bedrohlich senkt. Rund 400.000 Tonnen Gestein stürzten auf den Unteren Grindelwaldgletscher, gefährdet wurde niemand. Regionale Klimamodelle für den Alpenraum zeigen, dass die Gletscher sich bis zum Jahr 2100 weit gehend, wenn nicht komplett auflösen werden. Die Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich beleuchtet den Zusammenhang im Gespräch mit Gerd Pasch.

14.07.2006
    Pasch: Dagmar Röhrlich, was ist denn da passiert?

    Röhrlich: Es war schon beeindruckend, wie diese riesige Felsmasse auf den Unteren Grindelwaldgletscher gestürzt ist. Was passiert ist, ist eigentlich folgendes: Der Untere Grindelwaldgletscher zieht sich zurück, er wird immer kleiner, und dabei läßt der Druck, den er auf den Fels ausgeübt hat, den Fels des Eigers, immer weiter nach. Und dabei ist entscheidend, dass die Sommertemperaturen immer wärmer geworden sind in den letzten, ja, 150 Jahren, und vor allem der Supersommer 2003 hat dem Gletscher sehr stark zugesetzt. Wenn es im Sommer immer wärmer wird, dann taut der Permafrost im Fels auf, wir bekommen im Fels Feuchtigkeit, Wasser kann eindringen, gleichzeitig läßt halt der Druck von dem schwindenden Gletscher immer weiter nach. Dadurch entstehen dann regelrechte Wassersäulen im Fels, die einen immensen Druck ausüben, das sind viele 1000 Tonnen, die von innen nach außen drücken. Und weil der Gegendruck nicht mehr da ist, bilden sich riesige Klüfte. Und dann kommt es früher oder später zu solchen Felsstürzen. Wobei der Eiger besonders gefährlich ist, man weiß ja auch, die Eiger-Nordwand ist eine der gefährlichsten Kletterrouten der Welt, weil der Eiger aus einem sehr brüchigen Felsgestein besteht. Er besteht aus Kalkstein, der sehr leicht und bröselnd ist. Beispielsweise gibt es am Matterhorn auch schon große Risse, aber dieser Stein ist viel kompakter, da ist die Gefahr, dass etwas abbricht wie jetzt beim Eiger, viel geringer. Der Eiger ist sozusagen das Frühwarnsystem für das, was kommen wird.

    Pasch: Klimaveränderungen als Ursache für den zurückgehenden Gletscher und damit auch weitere Felsabstürze. Wie sind die Prognosen?

    Röhrlich: Ja, man sagt voraus, dass zum Ende des Jahrhunderts die Gletscher in den Alpen Vergangenheit sein werden. In den nächsten Jahrzehnten werden wir sehen, dass alle Gletscher, die kleiner als ein Kilometer sind, verschwunden sein werden. Beispielsweise auch der auf der Zugspitze, der ist sozusagen zum Tode verurteilt, den kann man sich jetzt noch einmal angucken. Die Ostalpen, Österreich, das wird alles gletscherfrei sein. Und die einzigen Gletscher, denen die Schweizer Forscher eine gewisse Zukunft geben, das sind die größten, zum Beispiel das Mer de Glace am Montblanc oder der Aletschgletscher im Wallis. Alle anderen werden verschwunden sein. Diese beiden besonders großen sind auch noch mehrere hundert Meter dick, während so der normale Gletscher so hoch ist wie ein fünf- oder zehnstöckiges Gebäude, da sieht man schon, dass das keine große Zukunft mehr haben wird.

    Pasch: Mit welchen Methoden erforschen denn die Wissenschaftler die Veränderungen in der Alpenregion?

    Röhrlich: Es gibt da viele Methoden. Beispielsweise ist dieser Abbruch mit Lasern beobachtet worden. Man hat Reflektoren aufgestellt, um zu beobachten, wie schnell sich das ganze bewegt. Diese ganze Felsnase ist quasi täglich um 60, 70 Zentimeter abgesackt, das sind schon ganz immense Beträge. Auch andere Gletscher werden vermessen, aus dem All heraus mit Satellitentechnik. Und es geht vor allen Dingen oft auch darum, dass jetzt Modellrechnungen angewandt werden. Wenn man die Zukunft modellieren will, nimmt man sich die Klimavorhersagen des IPCC, des International Panel for Climate Change, und schaut dann nach, wenn es um drei Grad wärmer wird, wenn es um fünf Grad wärmer wird, wie werden die Alpen darauf reagieren. Wobei die Leute nicht diese jährliche Erhebung nehmen, sondern sich auf den Sommer konzentrieren. Es ist wichtig, um wieviel die Temperatur im Sommer steigt, denn das ist der erste Faktor, der Hauptfaktor, der auf den Gletscher einwirkt.

    Pasch: Welche Folgen hat denn das Abschmelzen der Gletscher für die Alpenregion?

    Röhrlich: Das wird uns im Endeffekt alle treffen. Es ist jetzt schon so, dass einige Alpentäler im Sommer Wassermangel haben. Denn im Sommer sind es die Gletscher, die uns mit Wasser versorgen. Im Moment ist das im Wallis und im Tessin so. Es wird aber, je mehr die Gletscher verschwinden, um so mehr Alpentäler werden zunächst einmal Wasserknappheit kennenlernen, es werden zunächst einmal Bäche und Flüsse austrocknen, und irgendwann einmal wird es auch die großen Flüsse erreichen. Es ist wahrscheinlich nicht so, dass der Rhein dann im Sommer austrocknet und zu einem Rinnsal wird, aber wir werden das Fehlen des Gletscherwassers merken.