Samstag, 11. Mai 2024

Archiv


Vorboten der Geburt

Medizin. - Die Wehen kurz vor der Geburt lassen sich bislang nicht von den so genannten Trainingswehen unterscheiden, die bereits viele Wochen vor dem Geburtstermin auftreten können. Fast jede zehnte Schwangeren muss deshalb für Tage oder gar Wochen in die Klinik, weil eine Frühgeburt befürchtet werden muss. Wissenschaftler der Universitäten Hannover und Heidelberg arbeiten jetzt an einem Analysegerät, das echte von falschen Wehen unterscheiden soll.

Von Michael Engel | 13.06.2007
    Das wäre fürs Erste geschafft: Das Baby ist da.

    " Es war wie verhext. Ich hatte zuhause ziemlich starke Wehen. Und als wir ins Krankenhaus kamen, wie weggeblasen, nichts, keine einzige Wehe. Und dann sind wir wieder nach Hause gefahren, dann ging's erneut los, wieder sehr starke Wehen, und trotzdem hat es noch ganze zwei Tage gedauert, bis das Kind endlich da war. Es war sehr anstrengend. "

    Diese Mutter ist kein Einzelfall. Wehen sind eben nicht gleich Wehen. Es gibt zwar eine gängige Methode, Wehen zu messen - die Tokometrie - doch kann dieses Verfahren nicht sagen, ob eine Geburt tatsächlich bevorsteht. Neben den Geburtswehen kennen Gynäkologen wie Dr. Holger Maul von der Universitätsfrauenklinik Heidelberg nämlich noch die so genannten Trainingswehen, die sich genauso anfühlen können:

    " Die Gebärmutter ist ein Muskel, und dieser Muskel muss trainieren für das, was kommt, indem glatte Muskelzellen miteinander verbunden sind, und diese Verbindungen sind zu Beginn der Schwangerschaft sehr schwach ausgeprägt, das heißt, Erregungen, die in einzelnen Muskelzellen der Gebärmutter entstehen, werden nur sehr schlecht auf die gesamte Gebärmutter weiter geleitet. Und je weiter die Patientin in der Schwangerschaft kommt, desto besser werden die Verbindungen zwischen den einzelnen Muskelfasern ausgebildet, die dann zu einer effektiven, auch mechanisch wirksamen Kontraktion der Gebärmutter führen. "

    Normalerweise werden "Trainingswehen" durch Hormone wie das Progesteron aus der Plazenta unterdrückt. Wenn das unzureichend geschieht, dann haben nicht nur die Frauen, sondern auch die Ärzte ein Problem. Weil sie Trainingswehen von echten Wehen nicht unterscheiden können, müssen Sie mit einer Frühgeburt rechnen und sie zur Beobachtung in die Klinik überweisen. Holger Maul:

    " Wenn Sie bedenken, dass manche Patienten zum Teil über Wochen in Kliniken verbringen, Bettruhe halten, natürlich als schwangere Frau ohnehin thrombose- und emboliegefährdet sind, also nicht unerhebliche Risiken eingehen, dann, denke ich, macht es dringend Sinn, das wir uns hier Gedanken dazu machen, wie wir hier genauer und treffsicher Wehen diagnostizieren können und zielgerichtet therapieren können. "

    Deshalb hat der Gynäkologe einen neuartigen Wehenschreiber entwickelt, das so genannte "uterine EMG". EMG steht für Elektromyographie. Gemessen werden die elektrischen Impulse aus der Gebärmutter mit zwei Elektroden, die auf dem Bauch der Schwangeren haften. Trainingswehen haben eine kleinere Frequenz, auch die Intensität ist geringer. Doch wie lassen sich die elektrische Signale aus dem Inneren der Gebärmutter beurteilen? Denn es gibt es viele Störsignale - Atmung, Herzschlag - die das Ganze überlagern. Hilfe kam aus dem Institut für Dynamik und Schwingungen der Universität Hannover: Ingenieur Lars Reicke entwickelte ein Programm, dass die Wehensignale gezielt herausfiltert:

    " Die Signale müssen ja vom Muskel über das Gewebe und die Haut auf die Oberflächenelektroden übertragen werden. Und je nach Länge des Übertragungsweges und auch nach der Struktur des Übertragungsweges kann es dabei zu Verfälschungen kommen. Und diese Verzerrungen müssen natürlich möglichst ausgeblendet werden. Dort schlagen wir ein Verfahren vor, was so ein bisschen aus der Stochastik kommt, dass wir diese Messfehler reduzieren können. "

    Die Signale werden in Einzelwellen zerlegt, deren Muster miteinander verglichen und nach Charaktereigenschaften sortiert. Bislang sind die Messwerte von rund 300 schwangeren Frauen ausgewertet worden: Die Forscher verknüpften die Messwerte mit dem Verlauf der Schwangerschaft bis zur Geburt. Nach dieser Phase, die quasi einer Justierung des Gerätes entspricht - soll es jetzt in die Anwendung gehen. Holger Maul:

    " Man muss dazu sagen, das Gerät ist auf keinen Fall marktreif. Das ist ein reines Forschungsinstrument derzeit, mit dem wir unsere Experimente gemacht haben. Und wir sind noch ein ganzes Stück davon entfernt, hier wirklich einen klinischen Einsatz - flächendeckenden klinischen Einsatz - in die Tat umzusetzen. "

    Wenn eine Schwangere Trainingswehen hat, muss sie weder ins Krankenhaus noch medikamentös behandelt werden. Das "uterine EMG" könnte nach Ansicht des Experten bis zu 80 Prozent der Klinikaufenthalte einsparen.