Gewaltige Kräne drehen sich über der tief in das Granitgestein gesprengten Baugrube. Unten verlegen Arbeiter die Eisenarmierungen der Betonfundamente. Meterdicke Rohrleitungen für den Kühlwasserzufluss werden verschraubt. Käthe Sarparanta von der finnischen Betreibergesellschaft TVO führt Besucher aus aller Welt über die Baustelle:
" Dieses weiße Gebäude hier ist der Wetterschutz für das künftige Reaktorgebäude. Darin wird die Hülle gefertigt. Linkerhand entstehen die Anlagen zur Lagerung des Brennstoffs, das Zwischenlager für den Atommüll sowie die Einrichtungen für die Dieselaggregate, die den Reaktor im Notfall kühlen sollen."
"Ihre Sicherheit liegt uns am Herzen!" Im Besucherzentrum der Atomanlage lässt sich Olkiluoto 3 in allerhand bunten Schaubildern bestaunen. Größer, sparsamer und vor allem sicherer als die vorherigen Baureihen sollen die Reaktoren der dritten Generation sein, rühmt sich der Hersteller AREVA. Der deutsche Siemens-Konzern ist mit seiner Kernkraft-Sparte an dem französischen Unternehmen beteiligt.
Eine doppelte Reaktorhülle aus Stahlbeton, vierfach angelegte Notstromdiesel zur Kühlung und ein Keramikbecken, das bei einer Kernschmelze den strahlenden Ausfluss auffangen soll. Im Animationsfilm der Werbestrategen wirkt sogar der Totalausfall aller Sicherheitssysteme noch irgendwie beherrschbar.
Olkiluoto 3 ist der erste Neubau eines Kernreaktors in einem westlichen Industrieland seit der Katastrophe von Tschernobyl vor 20 Jahren. Die Industrie setzt größte Hoffnungen in das Projekt. Das finnische Vorbild soll das weltweite Geschäft mit den Kernreaktoren wieder anschieben und damit das Überleben der Branche sichern.
Finnland bezieht rund 12 Prozent seines Stroms aus Russland. Die Energieabhängigkeit vom großen unberechenbaren Nachbarn im Osten müsse reduziert werden, sagen Politiker in Helsinki. Der frühere sozialdemokratische Regierungschef Paavo Lipponen pries die Energiepolitik seines Landes bei der Grundsteinlegung in Olkiluoto vor einem Jahr als ein Modell für ganz Europa. Und Lipponen kann sich auf Umfragen berufen, wonach sich die Mehrheit der Finnen den Fortbestand der bestehenden und sogar den Bau weiterer Anlagen wünscht.
Bislang gibt es vier Atomkraftwerke, die das Fünf-Millionen-Volk mit Strom versorgen: Die veralteten Siedewasserreaktoren Olkiluoto 1 und 2 aus den achtziger Jahren wurden modernisiert und nachgerüstet. Zwei weitere Meiler laufen im Küstenstädtchen Loviisa östlich von Helsinki. Wenn Olkiluoto 3 ans Netz geht, wird sich der Anteil des Atomstroms um zehn auf dann rund 35 Prozent steigern. Zusätzliche Energie, die dringend gebraucht wird, wie TVO-Projektleiter Martin Landtman vorrechnet.
" In Finnland steigt der Strombedarf um ein bis zwei Prozentpunkte pro Jahr. Und das wird nach Ansicht aller Experten so weiter gehen. Die energieintensive Papier- und Metallindustrie ist auf stabile und günstige Preise angewiesen, um weiter wachsen zu können. Gleichzeitig will dieses Land nicht länger von Stromimporten aus dem Ausland abhängig sein."
Die finnischen Zellstoff-Fabriken, Aluminiumwerke und Stahlhütten verschlingen so viel Energie, dass der Stromverbrauch pro Kopf etwa doppelt so hoch ist wie in Deutschland. Auch der finnische Normalverbraucher neigt im Winter kaum zum sparsamen Gebrauch von Saunen, Wäschetrocknern und elektrischen Heizungen.
Die Atomlobby beruft sich auch auf den Klimaschutz. In der Tat wird Finnland die Vorgaben des internationalen Kyoto-Abkommens zur Begrenzung der Treibhausgase nur dann einhalten können, wenn die veralteten, mit Importkohle befeuerten Kraftwerke möglichst bald durch emissionsfreie Anlagen ersetzt werden.
Im Wettstreit der beiden Standorte Loviisa und Olkiluoto hatte letzterer den Zuschlag erhalten, weil sich die Bewohner der Region auch mit dem Bau eines Endlagers in unmittelbarer Nähe der Atomanlage abfinden wollen. Ab 2020 sollen die eingekapselten Abfälle aller finnischen Kernkraftwerke 500 Meter tief im Granitgestein begraben werden. TVO-Manager Landtman schwärmt von der angeblich konfliktfreien Debatte in Finnland und preist das entspannte Verhältnis seiner Landsleute zur Kernenergie:
" Im europäischen Vergleich sind wir keine nukleare Gesellschaft, aber wir haben sehr gute Erfahrungen mit der Kernkraft gemacht. Unsere Reaktoren laufen seit 25 Jahren zuverlässig und ohne Probleme. Die Leute vertrauen der Technologie, den staatlichen Kontrollen und auch dem Verantwortungsgefühl der Betreiber."
Harri Lammi, Energieexperte von Greenpeace, zeigt sich unbeeindruckt. Die Umweltorganisation bemängelt, dass der Bauantrag für den neuen Meiler viel zu schnell genehmigt worden sei. Vor dem entscheidenden Votum des finnischen Parlaments im Mai 2002 habe es unentwegte Lobbyarbeit, aber keine gründliche Einschätzung der Risiken und Kosten gegeben. Und auch die immer neuen Hiobsbotschaften von der Baustelle ließen nichts Gutes ahnen, meint Lammi.
" Die Aufsichtsbehörden weisen in ihren Berichten zahlreiche Verstöße gegen die Sicherheitsbestimmungen nach. Da wurde falsch gemischter Beton aufgetragen, um die Grundplatte abzudichten. Es gab Probleme bei der Fertigstellung der wichtigsten Komponenten. Subunternehmen kamen zum Einsatz, die nicht die geringste Erfahrung mit den besonderen Anforderungen eines solchen Projekts haben. Auf diese Weise können sich Konstruktionsfehler einschleichen, die dann Jahre später zum Störfall führen. Was das bedeutet, haben wir im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark erlebt."
Viele Abgeordnete stimmten dem Bau des Meilers nur deshalb zu, weil ihnen gleichzeitig auch Investitionen in erneuerbare Energiequellen versprochen worden waren. Die aber ließen noch immer auf sich warten, klagt Grünen-Chefin Tarja Cronberg und verweist auf die deutschen und die schwedischen Nachbarn, die etwa den Bau von Windkraftwerken kräftig fördern. Aus Protest gegen den Kraftwerksbau verließen die Grünen die "Regenbogen-Koalition" unter Paavo Lipponen. Doch Cronberg kann sich durchaus die Rückkehr ihrer Partei an die Macht vorstellen, sollte sich bei den Wahlen im März 2007 die Gelegenheit dazu ergeben.
" Wir können in einer Regierung mitarbeiten, die den Schwerpunkt auf erneuerbare Energien und die damit verbundenen Beschäftigungseffekte setzt. Die Kernkraftfrage ist an sich kein Hindernis für uns, mit den Partnern zu verhandeln. Allerdings werden wir uns nicht noch einmal auf falsche Versprechungen einlassen und einer Paketlösung zustimmen, die dann am Ende nicht eingehalten wird. Da haben wir schlechte Erfahrungen gemacht."
Die Atomfrage könnte schon bald wieder die finnische Politik beschäftigen. Denn hinter den Kulissen wird längst für den Bau weiterer Reaktoren geworben. Matti Putkonen, Sprecher der Metall-Gewerkschaft, ist eine einflussreiche Stimme der Atomlobby:
" Die Bioenergie wird unsere Probleme nicht lösen. Deshalb brauchen wir - neben dem im Bau befindlichen fünften Reaktor - möglichst bald Beschlüsse über zwei weitere Anlagen, damit wir den prognostizierten Strombedarf im Jahre 2020 decken können. Die Befürworter der Bioenergie sollten den Mut haben, den Leuten zu erklären, dass die Preise ohne Atomstrom um 40 Prozent steigen würden. Und was passiert dann mit den Arbeitsplätzen? Die Konzerne wandern ab, wenn wir nicht auch künftig auf sichere und kostengünstige Atomenergie setzen."
Aufbruch in Finnland, Stillstand in Schweden: Wochenlang blieben vier Kernreaktoren in Forsmark an der Ostküste sowie bei Göteborg im Süden abgeschaltet. Die schwedische Atomaufsicht hatte die Anlagen vorsorglich vom Netz genommen, nachdem am 25. Juli ein Kurzschluss in einer Umspannstation des Atomkraftwerks Forsmark den schwersten Störfall in der Geschichte des Landes auslöste.
Von vier dieselbetriebenen Notstrom-Generatoren zur Kühlung sprangen nur zwei automatisch an. Im Kontrollraum fielen Instrumente aus - auch solche, die den Wasserstand im Kühlbecken anzeigen, sowie die Position der Brennstäbe, mit denen die Kettenreaktion gesteuert wird. Erst nach 23 Minuten im teilweisen Blindflug gelang es dem Personal, die beiden ausgefallenen Notstromdiesel von Hand zu starten und die Situation damit wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Lars-Olov Höglund hat zwischen 1976 und 1986 für den Energiekonzern Vattenfall gearbeitet und damals den Bau des Atomkraftwerks betreut. Nur mit viel Glück, meint der frühere Chefingenieur der Anlage, sei es am 25. Juli in Forsmark nicht zur Kernschmelze gekommen.
" Das war ein Störfall, den ich eigentlich in meiner Karriere nie zu erleben hoffte. Und dass alles gut gegangen ist, ist kein Anlass zur Ruhe. Vier von diesen Notstromsystemen haben den gleichen Fehler gehabt. Es war reiner Zufall, dass nur zwei von diesen vier Systemen ausgefallen sind. Wenn alle vier Dieselgeneratoren nicht angesprungen wären, dann hätte man die Anlage nicht kühlen können. Dann wäre es nach 30 Minuten bis anderthalb Stunden zu einer Kernschmelze gekommen."
Höglund zweifelt grundsätzlich an der Sicherheit der Anlagen, denn heute ginge es nur noch darum, den größtmöglichen Profit aus ihnen herauszuholen. Wartungsarbeiten würden immer öfter bei laufendem Reaktorbetrieb durchgeführt, Störfälle heruntergespielt. Viele Fachleute aus der Branche würden aus Furcht, unter persönlichen Druck zu geraten, den Mund halten. Gleichzeitig sei das Vertrauen seiner Landsleute in die Obrigkeit und in die Technologie scheinbar grenzenlos, bemerkt der Schwede mit einem bitteren Lächeln.
" Das ist ja diese typisch schwedische Verlogenheit: Wir sind Weltmeister in allen Bereichen! Wir sind auch Weltmeister bei der Atomkraftsicherheit! Dieser Störfall passt nicht in unser Selbstbild. Und dann ist Schweden auch furchtbar abhängig von Atomkraft - die Hälfte unseres Strombedarfs wird von Kernkraftwerken gedeckt. Und dann ist es ja fast nicht möglich, die Konsequenzen nach so einem Störfall voll durchzusetzen."
1980, bei der Volksbefragung zum Atomausstieg in Schweden, waren die Fronten klar: Das AKW-Unglück im nordamerikanischen Harrisburg brachte die Stimmung in dem bis dahin kernkraftfreundlichen Land zum Kippen. Eine Mehrheit der Schweden entschied sich damals gegen den weiteren Ausbau des Reaktorenparks. Die dänischen Nachbarn machten vor, wie man mit Sonne, Wind und Einsparungen den Energiehunger einer aufstrebenden Volkswirtschaft stillen kann.
20 Jahre später ist Ernüchterung eingekehrt: Zwar wurden die beiden Reaktoren im südschwedischen Barsebäck tatsächlich vom Netz genommen. Und 1996 einigten sich die damals regierenden Sozialdemokraten mit Linkspartei und Zentrum auf das Jahr 2010 als Termin für das definitive Ende der schwedischen Kernkraft.
Doch dieser Zeitplan ist längst vom Tisch. Das liegt vor allem an den mangelnden Alternativen. Die Windenergie ist trotz einiger ehrgeiziger Versuche mit küstennahen Windparks noch unterentwickelt, um die Standorte der Anlagen wird vor Gericht gestritten. Die Wasserkraft kann nicht noch weiter ausgebaut werden, weil die großen Flüsse vor weiteren Eingriffen geschützt sind. Und wie in Finnland machen auch in Schweden Industrie und Gewerkschaften Druck, warnen vor einem energiepolitischen Abenteuer.
Anders als in Deutschland wurden beim schwedischen Atomkonsens keine Verhandlungen mit den Betreibern über konkrete Restlaufzeiten und Produktionsobergrenzen geführt. Unterdessen rüsten die großen Energieversorger Eon, Fortum und Vattenfall ihre Kernkraftwerke nach, um den Ausfall von Barsebäck aufzufangen. Dank milliardenschwerer Investitionen produzieren die zehn verbliebenen Meiler heute mehr Strom als früher die zwölf. Laufzeitverlängerungen von 20 bis 30 Jahren sind geplant.
Nachdem die schwedische Politik jahrelang eine Entscheidung über die Zukunft der Kernkraft vor sich her geschoben hatte, wittert die Branche nunmehr Morgenluft. Denn drei Parteien der neuen bürgerlichen Regierungskoalition stehen dem Bau weiterer Meiler nicht abgeneigt gegenüber. Ein 26 Jahre altes Referendum könne nicht länger die Grundlage für die schwedische Energiepolitik sein, meint etwa Jan Björklund, Vizechef der liberalen Volkspartei:
" Bei der Abstimmung 1980 wussten wir noch nichts vom Phänomen der globalen Erwärmung und von der Wirkung der Treibhausgase. Schweden hat sich verpflichtet, den Ausstoß von Kohlendioxid zu verringern. Doch was jetzt geschieht, ist das genaue Gegenteil. Wir sind das einzige Land in Europa, das eine Steigerung der Emissionen einplant. Und das beruht vor allem auf der Entscheidung, die Kernkraft in den nächsten Jahrzehnten abzuwickeln."
Die bäuerliche Zentrumspartei war früher schärfste Gegnerin der Atomkraft und hat sogar einmal eine Regierungskoalition platzen lassen, weil man sich mit den anderen bürgerlichen Parteien in dieser Frage nicht einigen konnte. Diesmal war der Machthunger größer. Um die Sozialdemokraten aus der Regierung vertreiben zu können, musste die Partei zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten die Forderung nach dem Ausstieg aus ihrem Programm streichen. Immerhin konnte das Zentrum durchsetzen, dass im Laufe der nächsten Legislaturperiode die Entscheidung über den Ausstieg offen bleibt. Ein Kompromiss, mit dem alle gut leben können, unterstreicht der konservative Regierungschef Fredrik Reinfeldt:
" Wir sollten uns sorgfältig Gedanken über die Alternativen machen, bevor wir viel Kapital vernichten, Arbeitsplätze aufs Spiel setzen und die Haushalte belasten. Die Ausstiegspläne von Rot-Grün waren einfach nicht seriös in einem Industrieland am Rande Europas, das auf billige Energie angewiesen ist. Wir sollten die Lage neu bewerten und am Ende muss das Volk entscheiden."
"Ein fauler Kompromiss!", hält Svante Axelsson vom schwedischen Naturschutzbund dagegen. Der Störfall in Forsmark habe bewiesen, dass die Risiken der Atomkraft nicht beherrschbar seien. Am schwedischen Atomausstieg dürfe deshalb nicht gerüttelt werden. Überdies unternehme der Staat viel zu wenig, um die privaten Verbraucher etwa mit einer gezielten Ökosteuer zum Energiesparen und zum Verzicht auf die weit verbreiteten elektrischen Heizungen zu bewegen.
" Die Macht ist wichtiger als eine durchdachte Energiepolitik. Der Konflikt wurde unter den Teppich gekehrt. Die Parteien gönnen sich vier Jahre eine Auszeit. Wir können auch nicht immer nur auf die Marktkräfte vertrauen. Wir müssen die Umweltgefährdung in die Preise einrechnen. Nur dann haben alternative Energien im Wettbewerb eine Chance."
Schwer kalkulierbare Kosten durch den Emissionshandel und steigende Rohölpreise, ein zu niedriger Wasserstand in den Stauseen, zuletzt die Probleme mit stillgelegten Atomkraftwerken: Abenteuerlich sind die Begründungen, warum der Strompreis für die privaten Verbraucher in den letzten Jahren kräftig gestiegen ist. Eine andere Erklärung: Auch im Norden Europas wissen die mächtigen Energieversorger, wie man unerwünschten Wettbewerb vermeidet.
Im Schweden der Sozialdemokraten durfte man noch träumen. Göran Persson, der Patriarch, versprach im Stockholmer Reichstag, bis 2020 werde sein Land von fossilen Energieträgern wie Öl und Gas unabhängig sein. Die Regierung würde den staatlichen Vattenfall-Konzern dazu zwingen, in Windparks zu investieren und die Fernwärme auszubauen. Und Schweden wäre wieder einmal das leuchtende Vorbild für die Welt.
" Schweden hat mehr Wälder als irgendein Land in Europa. Warum sollten wir unsere Energie nicht aus Wäldern und Äckern gewinnen, Treibstoff für Autos, Flugzeuge und Heizungen? Schweden ist zwar nur ein kleines Land, aber wir können den anderen vorausgehen und zeigen, dass man gut leben kann ohne das Klima zu zerstören. Wir erschaffen das grüne Volksheim. Und wenn es bei uns funktioniert, dann werden uns die anderen folgen."
Immerhin, viele Haushalte heizen heute mit Holzpellets. Und die Zahl der Autos, die mit umweltfreundlichen Treibstoffen wie Bioethanol über schwedische Straßen rollen, ist aufgrund allerhand steuerlicher Anreize sprunghaft angestiegen. Die bürgerliche Regierung hat angekündigt, die Förderung von alternativen Energien wie Windkraft und Biomasse fortzuführen. Werden auch die Kernkraftwerke im "grünen Volksheim" ihren Platz haben? Eines steht fest: Beim Atomausstieg haben es die Schweden nicht eilig.
" Dieses weiße Gebäude hier ist der Wetterschutz für das künftige Reaktorgebäude. Darin wird die Hülle gefertigt. Linkerhand entstehen die Anlagen zur Lagerung des Brennstoffs, das Zwischenlager für den Atommüll sowie die Einrichtungen für die Dieselaggregate, die den Reaktor im Notfall kühlen sollen."
"Ihre Sicherheit liegt uns am Herzen!" Im Besucherzentrum der Atomanlage lässt sich Olkiluoto 3 in allerhand bunten Schaubildern bestaunen. Größer, sparsamer und vor allem sicherer als die vorherigen Baureihen sollen die Reaktoren der dritten Generation sein, rühmt sich der Hersteller AREVA. Der deutsche Siemens-Konzern ist mit seiner Kernkraft-Sparte an dem französischen Unternehmen beteiligt.
Eine doppelte Reaktorhülle aus Stahlbeton, vierfach angelegte Notstromdiesel zur Kühlung und ein Keramikbecken, das bei einer Kernschmelze den strahlenden Ausfluss auffangen soll. Im Animationsfilm der Werbestrategen wirkt sogar der Totalausfall aller Sicherheitssysteme noch irgendwie beherrschbar.
Olkiluoto 3 ist der erste Neubau eines Kernreaktors in einem westlichen Industrieland seit der Katastrophe von Tschernobyl vor 20 Jahren. Die Industrie setzt größte Hoffnungen in das Projekt. Das finnische Vorbild soll das weltweite Geschäft mit den Kernreaktoren wieder anschieben und damit das Überleben der Branche sichern.
Finnland bezieht rund 12 Prozent seines Stroms aus Russland. Die Energieabhängigkeit vom großen unberechenbaren Nachbarn im Osten müsse reduziert werden, sagen Politiker in Helsinki. Der frühere sozialdemokratische Regierungschef Paavo Lipponen pries die Energiepolitik seines Landes bei der Grundsteinlegung in Olkiluoto vor einem Jahr als ein Modell für ganz Europa. Und Lipponen kann sich auf Umfragen berufen, wonach sich die Mehrheit der Finnen den Fortbestand der bestehenden und sogar den Bau weiterer Anlagen wünscht.
Bislang gibt es vier Atomkraftwerke, die das Fünf-Millionen-Volk mit Strom versorgen: Die veralteten Siedewasserreaktoren Olkiluoto 1 und 2 aus den achtziger Jahren wurden modernisiert und nachgerüstet. Zwei weitere Meiler laufen im Küstenstädtchen Loviisa östlich von Helsinki. Wenn Olkiluoto 3 ans Netz geht, wird sich der Anteil des Atomstroms um zehn auf dann rund 35 Prozent steigern. Zusätzliche Energie, die dringend gebraucht wird, wie TVO-Projektleiter Martin Landtman vorrechnet.
" In Finnland steigt der Strombedarf um ein bis zwei Prozentpunkte pro Jahr. Und das wird nach Ansicht aller Experten so weiter gehen. Die energieintensive Papier- und Metallindustrie ist auf stabile und günstige Preise angewiesen, um weiter wachsen zu können. Gleichzeitig will dieses Land nicht länger von Stromimporten aus dem Ausland abhängig sein."
Die finnischen Zellstoff-Fabriken, Aluminiumwerke und Stahlhütten verschlingen so viel Energie, dass der Stromverbrauch pro Kopf etwa doppelt so hoch ist wie in Deutschland. Auch der finnische Normalverbraucher neigt im Winter kaum zum sparsamen Gebrauch von Saunen, Wäschetrocknern und elektrischen Heizungen.
Die Atomlobby beruft sich auch auf den Klimaschutz. In der Tat wird Finnland die Vorgaben des internationalen Kyoto-Abkommens zur Begrenzung der Treibhausgase nur dann einhalten können, wenn die veralteten, mit Importkohle befeuerten Kraftwerke möglichst bald durch emissionsfreie Anlagen ersetzt werden.
Im Wettstreit der beiden Standorte Loviisa und Olkiluoto hatte letzterer den Zuschlag erhalten, weil sich die Bewohner der Region auch mit dem Bau eines Endlagers in unmittelbarer Nähe der Atomanlage abfinden wollen. Ab 2020 sollen die eingekapselten Abfälle aller finnischen Kernkraftwerke 500 Meter tief im Granitgestein begraben werden. TVO-Manager Landtman schwärmt von der angeblich konfliktfreien Debatte in Finnland und preist das entspannte Verhältnis seiner Landsleute zur Kernenergie:
" Im europäischen Vergleich sind wir keine nukleare Gesellschaft, aber wir haben sehr gute Erfahrungen mit der Kernkraft gemacht. Unsere Reaktoren laufen seit 25 Jahren zuverlässig und ohne Probleme. Die Leute vertrauen der Technologie, den staatlichen Kontrollen und auch dem Verantwortungsgefühl der Betreiber."
Harri Lammi, Energieexperte von Greenpeace, zeigt sich unbeeindruckt. Die Umweltorganisation bemängelt, dass der Bauantrag für den neuen Meiler viel zu schnell genehmigt worden sei. Vor dem entscheidenden Votum des finnischen Parlaments im Mai 2002 habe es unentwegte Lobbyarbeit, aber keine gründliche Einschätzung der Risiken und Kosten gegeben. Und auch die immer neuen Hiobsbotschaften von der Baustelle ließen nichts Gutes ahnen, meint Lammi.
" Die Aufsichtsbehörden weisen in ihren Berichten zahlreiche Verstöße gegen die Sicherheitsbestimmungen nach. Da wurde falsch gemischter Beton aufgetragen, um die Grundplatte abzudichten. Es gab Probleme bei der Fertigstellung der wichtigsten Komponenten. Subunternehmen kamen zum Einsatz, die nicht die geringste Erfahrung mit den besonderen Anforderungen eines solchen Projekts haben. Auf diese Weise können sich Konstruktionsfehler einschleichen, die dann Jahre später zum Störfall führen. Was das bedeutet, haben wir im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark erlebt."
Viele Abgeordnete stimmten dem Bau des Meilers nur deshalb zu, weil ihnen gleichzeitig auch Investitionen in erneuerbare Energiequellen versprochen worden waren. Die aber ließen noch immer auf sich warten, klagt Grünen-Chefin Tarja Cronberg und verweist auf die deutschen und die schwedischen Nachbarn, die etwa den Bau von Windkraftwerken kräftig fördern. Aus Protest gegen den Kraftwerksbau verließen die Grünen die "Regenbogen-Koalition" unter Paavo Lipponen. Doch Cronberg kann sich durchaus die Rückkehr ihrer Partei an die Macht vorstellen, sollte sich bei den Wahlen im März 2007 die Gelegenheit dazu ergeben.
" Wir können in einer Regierung mitarbeiten, die den Schwerpunkt auf erneuerbare Energien und die damit verbundenen Beschäftigungseffekte setzt. Die Kernkraftfrage ist an sich kein Hindernis für uns, mit den Partnern zu verhandeln. Allerdings werden wir uns nicht noch einmal auf falsche Versprechungen einlassen und einer Paketlösung zustimmen, die dann am Ende nicht eingehalten wird. Da haben wir schlechte Erfahrungen gemacht."
Die Atomfrage könnte schon bald wieder die finnische Politik beschäftigen. Denn hinter den Kulissen wird längst für den Bau weiterer Reaktoren geworben. Matti Putkonen, Sprecher der Metall-Gewerkschaft, ist eine einflussreiche Stimme der Atomlobby:
" Die Bioenergie wird unsere Probleme nicht lösen. Deshalb brauchen wir - neben dem im Bau befindlichen fünften Reaktor - möglichst bald Beschlüsse über zwei weitere Anlagen, damit wir den prognostizierten Strombedarf im Jahre 2020 decken können. Die Befürworter der Bioenergie sollten den Mut haben, den Leuten zu erklären, dass die Preise ohne Atomstrom um 40 Prozent steigen würden. Und was passiert dann mit den Arbeitsplätzen? Die Konzerne wandern ab, wenn wir nicht auch künftig auf sichere und kostengünstige Atomenergie setzen."
Aufbruch in Finnland, Stillstand in Schweden: Wochenlang blieben vier Kernreaktoren in Forsmark an der Ostküste sowie bei Göteborg im Süden abgeschaltet. Die schwedische Atomaufsicht hatte die Anlagen vorsorglich vom Netz genommen, nachdem am 25. Juli ein Kurzschluss in einer Umspannstation des Atomkraftwerks Forsmark den schwersten Störfall in der Geschichte des Landes auslöste.
Von vier dieselbetriebenen Notstrom-Generatoren zur Kühlung sprangen nur zwei automatisch an. Im Kontrollraum fielen Instrumente aus - auch solche, die den Wasserstand im Kühlbecken anzeigen, sowie die Position der Brennstäbe, mit denen die Kettenreaktion gesteuert wird. Erst nach 23 Minuten im teilweisen Blindflug gelang es dem Personal, die beiden ausgefallenen Notstromdiesel von Hand zu starten und die Situation damit wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Lars-Olov Höglund hat zwischen 1976 und 1986 für den Energiekonzern Vattenfall gearbeitet und damals den Bau des Atomkraftwerks betreut. Nur mit viel Glück, meint der frühere Chefingenieur der Anlage, sei es am 25. Juli in Forsmark nicht zur Kernschmelze gekommen.
" Das war ein Störfall, den ich eigentlich in meiner Karriere nie zu erleben hoffte. Und dass alles gut gegangen ist, ist kein Anlass zur Ruhe. Vier von diesen Notstromsystemen haben den gleichen Fehler gehabt. Es war reiner Zufall, dass nur zwei von diesen vier Systemen ausgefallen sind. Wenn alle vier Dieselgeneratoren nicht angesprungen wären, dann hätte man die Anlage nicht kühlen können. Dann wäre es nach 30 Minuten bis anderthalb Stunden zu einer Kernschmelze gekommen."
Höglund zweifelt grundsätzlich an der Sicherheit der Anlagen, denn heute ginge es nur noch darum, den größtmöglichen Profit aus ihnen herauszuholen. Wartungsarbeiten würden immer öfter bei laufendem Reaktorbetrieb durchgeführt, Störfälle heruntergespielt. Viele Fachleute aus der Branche würden aus Furcht, unter persönlichen Druck zu geraten, den Mund halten. Gleichzeitig sei das Vertrauen seiner Landsleute in die Obrigkeit und in die Technologie scheinbar grenzenlos, bemerkt der Schwede mit einem bitteren Lächeln.
" Das ist ja diese typisch schwedische Verlogenheit: Wir sind Weltmeister in allen Bereichen! Wir sind auch Weltmeister bei der Atomkraftsicherheit! Dieser Störfall passt nicht in unser Selbstbild. Und dann ist Schweden auch furchtbar abhängig von Atomkraft - die Hälfte unseres Strombedarfs wird von Kernkraftwerken gedeckt. Und dann ist es ja fast nicht möglich, die Konsequenzen nach so einem Störfall voll durchzusetzen."
1980, bei der Volksbefragung zum Atomausstieg in Schweden, waren die Fronten klar: Das AKW-Unglück im nordamerikanischen Harrisburg brachte die Stimmung in dem bis dahin kernkraftfreundlichen Land zum Kippen. Eine Mehrheit der Schweden entschied sich damals gegen den weiteren Ausbau des Reaktorenparks. Die dänischen Nachbarn machten vor, wie man mit Sonne, Wind und Einsparungen den Energiehunger einer aufstrebenden Volkswirtschaft stillen kann.
20 Jahre später ist Ernüchterung eingekehrt: Zwar wurden die beiden Reaktoren im südschwedischen Barsebäck tatsächlich vom Netz genommen. Und 1996 einigten sich die damals regierenden Sozialdemokraten mit Linkspartei und Zentrum auf das Jahr 2010 als Termin für das definitive Ende der schwedischen Kernkraft.
Doch dieser Zeitplan ist längst vom Tisch. Das liegt vor allem an den mangelnden Alternativen. Die Windenergie ist trotz einiger ehrgeiziger Versuche mit küstennahen Windparks noch unterentwickelt, um die Standorte der Anlagen wird vor Gericht gestritten. Die Wasserkraft kann nicht noch weiter ausgebaut werden, weil die großen Flüsse vor weiteren Eingriffen geschützt sind. Und wie in Finnland machen auch in Schweden Industrie und Gewerkschaften Druck, warnen vor einem energiepolitischen Abenteuer.
Anders als in Deutschland wurden beim schwedischen Atomkonsens keine Verhandlungen mit den Betreibern über konkrete Restlaufzeiten und Produktionsobergrenzen geführt. Unterdessen rüsten die großen Energieversorger Eon, Fortum und Vattenfall ihre Kernkraftwerke nach, um den Ausfall von Barsebäck aufzufangen. Dank milliardenschwerer Investitionen produzieren die zehn verbliebenen Meiler heute mehr Strom als früher die zwölf. Laufzeitverlängerungen von 20 bis 30 Jahren sind geplant.
Nachdem die schwedische Politik jahrelang eine Entscheidung über die Zukunft der Kernkraft vor sich her geschoben hatte, wittert die Branche nunmehr Morgenluft. Denn drei Parteien der neuen bürgerlichen Regierungskoalition stehen dem Bau weiterer Meiler nicht abgeneigt gegenüber. Ein 26 Jahre altes Referendum könne nicht länger die Grundlage für die schwedische Energiepolitik sein, meint etwa Jan Björklund, Vizechef der liberalen Volkspartei:
" Bei der Abstimmung 1980 wussten wir noch nichts vom Phänomen der globalen Erwärmung und von der Wirkung der Treibhausgase. Schweden hat sich verpflichtet, den Ausstoß von Kohlendioxid zu verringern. Doch was jetzt geschieht, ist das genaue Gegenteil. Wir sind das einzige Land in Europa, das eine Steigerung der Emissionen einplant. Und das beruht vor allem auf der Entscheidung, die Kernkraft in den nächsten Jahrzehnten abzuwickeln."
Die bäuerliche Zentrumspartei war früher schärfste Gegnerin der Atomkraft und hat sogar einmal eine Regierungskoalition platzen lassen, weil man sich mit den anderen bürgerlichen Parteien in dieser Frage nicht einigen konnte. Diesmal war der Machthunger größer. Um die Sozialdemokraten aus der Regierung vertreiben zu können, musste die Partei zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten die Forderung nach dem Ausstieg aus ihrem Programm streichen. Immerhin konnte das Zentrum durchsetzen, dass im Laufe der nächsten Legislaturperiode die Entscheidung über den Ausstieg offen bleibt. Ein Kompromiss, mit dem alle gut leben können, unterstreicht der konservative Regierungschef Fredrik Reinfeldt:
" Wir sollten uns sorgfältig Gedanken über die Alternativen machen, bevor wir viel Kapital vernichten, Arbeitsplätze aufs Spiel setzen und die Haushalte belasten. Die Ausstiegspläne von Rot-Grün waren einfach nicht seriös in einem Industrieland am Rande Europas, das auf billige Energie angewiesen ist. Wir sollten die Lage neu bewerten und am Ende muss das Volk entscheiden."
"Ein fauler Kompromiss!", hält Svante Axelsson vom schwedischen Naturschutzbund dagegen. Der Störfall in Forsmark habe bewiesen, dass die Risiken der Atomkraft nicht beherrschbar seien. Am schwedischen Atomausstieg dürfe deshalb nicht gerüttelt werden. Überdies unternehme der Staat viel zu wenig, um die privaten Verbraucher etwa mit einer gezielten Ökosteuer zum Energiesparen und zum Verzicht auf die weit verbreiteten elektrischen Heizungen zu bewegen.
" Die Macht ist wichtiger als eine durchdachte Energiepolitik. Der Konflikt wurde unter den Teppich gekehrt. Die Parteien gönnen sich vier Jahre eine Auszeit. Wir können auch nicht immer nur auf die Marktkräfte vertrauen. Wir müssen die Umweltgefährdung in die Preise einrechnen. Nur dann haben alternative Energien im Wettbewerb eine Chance."
Schwer kalkulierbare Kosten durch den Emissionshandel und steigende Rohölpreise, ein zu niedriger Wasserstand in den Stauseen, zuletzt die Probleme mit stillgelegten Atomkraftwerken: Abenteuerlich sind die Begründungen, warum der Strompreis für die privaten Verbraucher in den letzten Jahren kräftig gestiegen ist. Eine andere Erklärung: Auch im Norden Europas wissen die mächtigen Energieversorger, wie man unerwünschten Wettbewerb vermeidet.
Im Schweden der Sozialdemokraten durfte man noch träumen. Göran Persson, der Patriarch, versprach im Stockholmer Reichstag, bis 2020 werde sein Land von fossilen Energieträgern wie Öl und Gas unabhängig sein. Die Regierung würde den staatlichen Vattenfall-Konzern dazu zwingen, in Windparks zu investieren und die Fernwärme auszubauen. Und Schweden wäre wieder einmal das leuchtende Vorbild für die Welt.
" Schweden hat mehr Wälder als irgendein Land in Europa. Warum sollten wir unsere Energie nicht aus Wäldern und Äckern gewinnen, Treibstoff für Autos, Flugzeuge und Heizungen? Schweden ist zwar nur ein kleines Land, aber wir können den anderen vorausgehen und zeigen, dass man gut leben kann ohne das Klima zu zerstören. Wir erschaffen das grüne Volksheim. Und wenn es bei uns funktioniert, dann werden uns die anderen folgen."
Immerhin, viele Haushalte heizen heute mit Holzpellets. Und die Zahl der Autos, die mit umweltfreundlichen Treibstoffen wie Bioethanol über schwedische Straßen rollen, ist aufgrund allerhand steuerlicher Anreize sprunghaft angestiegen. Die bürgerliche Regierung hat angekündigt, die Förderung von alternativen Energien wie Windkraft und Biomasse fortzuführen. Werden auch die Kernkraftwerke im "grünen Volksheim" ihren Platz haben? Eines steht fest: Beim Atomausstieg haben es die Schweden nicht eilig.