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Vorhang auf!

Theater wird in Deutschland an vielen Schulen angeboten – als freiwillige Arbeitsgruppe oder Wahlpflichtfach. Hamburg wird als erstes Bundesland Darstellendes Spiel ab kommendem Schuljahr als Pflichtfach einführen. Die Kritik von Schulleitern an dem neuen Fach ist jedoch groß.

Von Verena Herb | 03.11.2011
    Mittwoch morgen, 8 Uhr. Doppelstunde "Theater" am Corvey Gymnasium in Hamburg-Eppendorf. Rund 15 Mädchen und Jungs der Jahrgangsstufe 10 haben das Fach in diesem Schuljahr gewählt. Erste Übung: die Chinesische Mauer. Eine Schülerin steht in der Mitte, die anderen versuchen, an ihr vorbeizulaufen. Wer angetippt wird, ist Teil der Mauer, muss stehen bleiben und die anderen Schüler fangen. Einige Aufwärmübungen zu Beginn der Stunde sind obligatorisch, so Theaterleiterin Maya Kersten:

    "Muss, oder sollte einfach zur Lockerung beitragen. Was mit Bewegung und Körpereinsatz zu tun haben. Und kann in Weiterem dann auch zum spielerischen führen."

    Die Schüler werden wach, laufen, lachen und sind dann ganz konzentriert, als die Lehrerin Maya Kersten ihnen die nächste Übung erklärt. Es geht ans Arbeiten. Immer zwei tun sich zusammen, befassen sich mit einer bestimmten Szene von Dürrenmatts "Die Physiker".

    "Jetzt arbeiten alle an einer Sequenz. Und dann schauen wir uns das an. Und schauen erstmal: Was wirkt eigentlich gut. Was überzeugt uns. Womit können wir einen guten Eindruck machen. Womit sind wir auch theatral überzeugend? Womit transportieren wir ne gute Aussage. Das wird dann schon reflektiert. Die Schüler suchen mit aus."

    Dann werden die erarbeiteten Szenen vorgeführt – die Mitschüler geben Feedback. Marie spielt seit der 5. Klasse Theater. Die 15-Jährige hat sich das Corvey-Gymnasium gerade deshalb ausgesucht: Hier wird seit vielen Jahren von der Klasse 5 bis zum Abitur Theater unterrichtet. Seit Ende der 80er-Jahre werden auch Abiturprüfungen in Theater abgenommen.

    "Ich glaube, das ist für jeden Schüler eine gute Erfahrung mal Theater zu spielen. Weil es ist, erstens anders als normaler Unterricht irgendwie. Und es ist auch anders als Sportunterricht. Es ist jetzt nicht so: Man bewegt sich die ganze Zeit, sondern man kann so richtig kreativ was machen. Man kann sich dabei bewegen. Es fördert auch, glaube ich, sehr das Selbstbewusstsein, das zu machen. Und das lernt man dann alles auch."

    Darstellendes Spiel wird in Deutschland bereits an den meisten Schulen in irgendeiner Form angeboten: freiwillig am Nachmittag in AGs oder als Wahlpflichtfach. Doch Hamburg führt als erstes Bundesland Theater als Pflichtfach ein.

    "Neu ist, dass es tatsächlich verpflichtend durchgängig eingeführt wird. Eigentlich ist neu nur, dass es in den Klassen 5 und 6 dazu kommt","

    erklärt Isabell Jannack, Fachreferentin für Theater bei der Hamburger Schulbehörde. Ab dem kommenden Schuljahr 2012/2013 muss Theater mindestens im Schnitt ein Mal wöchentlich unterrichtet werden. In den Grundschulen und ab Klasse 5 und 6. Hans Grasmück, Referatsleiter für die Unterrichtsentwicklung Deutsch und Künste erklärt:

    ""In der Grundschule sollen alle Schülerinnen und Schüler die Chance haben, die drei künstlerischen Fächer kennenzulernen. Und das hat ja auch damit zu tun, dass diese Fächer sich in Hamburg gleichrangig entwickelt haben. Wir haben ganz große Nachfragen. Das Fach Theater ist von den Schülern gekommen. Von den Lehrern."

    Das Corvey-Gymnasium in Hamburg-Eppendorf ist das beste Beispiel dafür. Dennoch: Die Pläne der Schulbehörde sieht Schulleiterin Christel Jäger sehr kritisch:

    "Wir denken, dass zum Theater ein hohes Maß an Freiwilligkeit dazugehört. Viele Kinder mögen gerne Theater spielen. Für andere ist es einfach die falsche Form der Betätigung, die gewinnen nichts daraus."

    Hinzu kommt: Viele Schulen haben sich gerade auf ein künstlerisches Angebot spezialisiert. Dass künftig sämtliche Schulen Theater anbieten sollen, als Pflichtfach, findet Christel Jäger nicht gerechtfertigt:

    "Weil es genügend Möglichkeiten gab, für Kinder auch an anderen Schulen Theater im Wahlbereich anzuwählen. Wir sind ja nicht die Einzige. Aber: Es ist überhaupt kein Vergleich, mit der Art und Weise, wie wir Theater verstehen, diese Zwei, ich sag mal ganz abfällig, 'Schnupperstunde'. Das ist eine andere Geschichte."

    Die Kritik an dem neuen Pflichtfach ist groß: Viele Schulleiter äußern die Sorge, nicht die entsprechenden Fachlehrer für den Unterricht zu finden. Auch die Umstrukturierung des Unterrichts macht ihnen zu schaffen. Auch wenn Maya Kersten Theater als Schulfach außerordentlich wichtig findet, kann sie den Unmut mancher Kollegen verstehen:

    "Dadurch, dass in den letzten Jahren immer so viel war. Das hat, glaube ich, eher mit dieser Masse zu tun, dass man das Gefühl hat: Man kommt nie zur Ruhe. Es ist immer irgendwas, was jetzt neu gemacht wird. Also diese ganzen Umwälzungen mit Abitur und so. Und ich hab das Gefühl: Das schlaucht die Leute einfach."

    Für die Schülerinnen und Schüler bedeutet die Änderung erst einmal: Sie haben künftig die Möglichkeit, von der ersten Stunde an ein Fach, in dem sie sich ausleben können, kennenzulernen.