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Vorhersage für Lebensmittelrisiken

Lebensmittelüberwachung. - Die Liste der Lebensmittelskandale der vergangenen Jahre ist lang. Um in Zukunft gegen neue Gefahren besser gewappnet zu sein, hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit den Risiken von morgen befasst. Auf der Fresenius-Fachkonferenz in Köln wurde die Einheit vorgestellt.

Von Volker Mrasek |

    7 Babys starben, fast 300.000 erkrankten, viele von ihnen bekamen Nierensteine. Das ist die Bilanz des Melamin-Skandals in China. Die Industriechemikalie war Milchnahrung illegal beigemischt worden. Um einen Proteingehalt vorzutäuschen, der gar nicht vorhanden war. Die Frage ist, ob das alles nicht hätte verhindert werden können. Denn Melamin war schon ein Jahr vorher als Problemstoff aufgefallen. Darauf verwies der Biochemiker Steve Crossley vom Wissenschafts- und Ingenieurbüro Exponent International jetzt auf der Fresenius-Konferenz in Köln:

    "Im Jahr 2007 sind aus China exportierte Proteinzusätze für die Tierfutter-Produktion mit Melamin gestreckt worden. Sie haben zu Hunderten von Todesfällen bei Katzen und Hunden in Nordamerika geführt. Der Gehalt von Melamin in den Produkten war sehr hoch. Rund 5000 wurden allein in den USA vom Markt genommen."

    Dieser Fall, so Crossley in Köln, hätte ein Weckruf für die staatliche Lebensmittelüberwachung sein müssen:

    "Der Melamin-Fall ist ein Beispiel für ein neu aufgetretenes Risiko im Nahrungsmittelbereich. Es gab danach Aktivitäten in China, um eine weitere Verbreitung belasteter Tierfutterzusätze zu verhindern. Aber es wurde nicht erkannt, dass Melamin genauso gut Lebensmitteln illegal zugesetzt werden könnte."

    Solche Versäumnisse soll es in Zukunft nicht mehr geben. Jedenfalls nicht in Europa. Die Efsa, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, hat eine neue Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich nur um eines kümmern soll: um kommende, heute noch unbekannte Gesundheitsrisiken durch belastete Lebensmittel. Leiter des zehnköpfigen Arbeitsstabes im italienischen Parma ist der deutsche Mediziner und Epidemiologe Ralf Reintjes:

    "Wir haben keine Kristallkugel, in die wir hineinschauen und die Zukunft vorhersagen können. Wir versuchen, so eine Art Frühwarnsystem zu haben und in der Zeit um Wochen, Monate oder vielleicht auch Jahre vorauszusein, um eine Gefahr zu signalisieren und die dann an spezielle Arbeitsgruppen weiterzugeben, die das dann verifizieren können, ob wir wirklich mit einer Gefahr zu rechnen haben oder nicht."

    Auf der Kölner Fachtagung erläuterte Reintjes, wie seine Arbeitsgruppe dabei im Detail vorgeht:

    "Konkrete Informationsquellen, die wir zur Zeit nutzen: Wir analysieren weltweite Medien in über 40 Sprachen täglich, die uns Informationen liefern können. Wir nutzen wissenschaftliche Netzwerke mit unterschiedlichen Leuten, die auch in der Lebensmittelproduktion tätig sind, neue Produktionsmethoden zu überprüfen. Auf der anderen Seite halt auch zum Beispiel neue Importdaten zu gucken. Wenn aus einem Land besonders starke Importzunahmen sind, liegt das vielleicht daran, dass dieses Land besonders günstig – und vielleicht auch nicht in korrekter Art und Weise – produzieren kann."

    So war es im Fall von Melamin. Die billige, gesundheitsschädliche Industriechemikalie ersetzte natürliche Proteine in Tierfutter und Babynahrung. Frühzeitig gewappnet sein will die Efsa aber nicht nur bei neuen Giftstoffen in Nahrungsmitteln. Sondern genauso bei neuen Krankheitserregern. Auch da ist Reintjes zufolge mit einem veränderten Spektrum zu rechnen, zum Beispiel durch den Klimawandel und veränderte Anbaubedingungen in der Landwirtschaft. Noch ist das Projekt in der Erprobungsphase. Wenn es einmal voll operationell läuft, stellt sich der deutsche Forscher seine Detektivarbeit im Idealfall geräuschlos vor:

    "Wenn unser System richtig gut funktioniert, werden Sie nie etwas davon hören."

    Denn dann sollen Risiken durch neue Giftstoffe oder Erreger behoben sein, noch ehe belastete Lebensmittel in die Verkaufsregale gelangen.