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Vorkämpfer für Meinungsfreiheit oder rechtes Blatt?

Die umstrittenen Mohammed-Karikaturen aus Dänemark sind unter dem Zeichen der Pressefreiheit in vielen anderen Zeitungen nachgedruckt worden. Doch waren die Veröffentlichungen der "Jyllands-Posten" nicht doch eher eine verantwortungslose Provokation als ein Ausdruck von Meinungsfreiheit? Das fragt man sich auch in Dänemark.

Von Marc-Christoph Wagner |
    Es ist ein nahezu frühlingshafter Samstagmorgen in der Kopenhagener Innenstadt - der Himmel blau, die Sonne scheint, Temperaturen um die 10 Grad. Und doch liegen Gewitterwolken über dem Land. Den meisten Passanten behagt es überhaupt nicht, im Blitzlicht der internationalen Öffentlichkeit zu stehen. Mit den Karikaturen habe Jyllands-Posten eine Grenze überschritten, meint dieses Ehepaar. Das Blatt verletzte religiöse Gefühle, gefährde Arbeitsplätze, ja Menschenleben sogar:

    Noch drastischer sieht es der aus dem Irak stammende Gemüsehändler, der seit sechzehn Jahren in Dänemark lebt. Die Veröffentlichung der Karikaturen sei eine bewusste Provokation:

    " Jyllands-Posten und diese rechte Dänische Volkspartei stecken unter einer Decke. Sie wollten uns Moslems provozieren und eine Situation wie in Frankreich heraufbeschwören, um somit einen guten Grund zu haben, alle Ausländer aus dem Land zu werfen. "

    Im Hause Jyllands-Postens selbst weist man diesen Vorwurf zurück. Ein dänischer Verlag, erklärt Feuilleton-Chef Flemming Rose, der die Karikaturen im vergangenen Herbst in Auftrag gab, wollte ein Buch über das Leben Mohammeds veröffentlichen, fand jedoch keinen Illustrator, weil diese sich - aufgrund des im Islam vorherrschenden Bilderverbotes - vor Übergriffen radikaler Moslems fürchteten. Selbstzensur, donnerte Rose, und fühlte sich an die Kontroverse um Salman Rushdies Satanische Verse erinnert. In einem freien Land wie Dänemark könne man dies unter keinen Umständen akzeptieren:

    " Hätten alle Religionen das Recht, allen Bürgern ihre religiösen Dogmen, Verbote, Tabus, usw. aufzuzwingen, dann wäre Dänemark kein Ort, an dem man leben wollte. "

    Tatsächlich hat Jyllands-Posten eine lange rechtsliberale Tradition. In der innenpolitischen Debatte plädiert das in Århus erscheinende Blatt immer wieder für weniger Staat, niedrigere Steuern und private Initiative. In der Auseinandersetzung um eine Verschärfung der dänischen Terrorgesetzgebung wehrten sich die Kommentatoren gegen eine verstärkte Überwachung öffentlicher Orte, forderten, die offene Gesellschaft nicht in ihr Gegenteil zu verwandeln. Im Zuge der aktuellen Kontroverse führte Jyllands-Posten eine scharfe Fehde mit dem ihr ansonsten nahestehenden Dänischen Industrieverband. Nach dem Boykott dänischer Waren hatte dieser eine Entschuldigung des Blattes für die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen gefordert. Die Industrie setze Handelsinteressen über Prinzipien, schoss das Blatt zurück. Dennoch, so Chefredakteur Carsten Juste heute, hätte er die Zeichnungen nicht veröffentlicht, hätte er deren Konsequenzen gekannt:

    " Hätte ich gewusst, dass wir dadurch Menschenleben gefährden, hätte ich dies nicht getan. Das hätte ich nicht verantworten können. "

    Dänemarks internationale Zeitung, heißt es im Untertitel der auflagenstärksten der seriösen dänischen Tageszeitungen. Ein Anspruch, dem man in den vergangenen Wochen weiß Gott erfüllt hat, auch wenn es normalerweise die Zeitung selbst ist, die in ihrem für dänische Verhältnisse opulenten Auslandsteil über internationale Ereignisse und Debatten berichtet. Inzwischen nun sieht es so aus, als ob man dem Rampenlicht der internationalen Medien gerne wieder entschwinden würde. Noch am Mittwoch teilte Feuilletonchef Flemming Rose mit, am morgigen Sonntag werde man antichristliche und antijüdische Karikaturen publizieren, um zu beweisen, dass es dem Blatt tatsächlich um Meinungsfreiheit und nicht um antiislamische Hetze gehe. Auf CNN sagte er gar, er wolle Zeichnungen einer iranischen Satire-Zeitschrift abdrucken, die den Holocaust karikierten:

    Dies beides aber ging Chefredakteur Carsten Juste zu weit. Am Donnerstagabend wurde Rose auf unbestimmte Zeit beurlaubt, um - wie es heißt - sich von den Strapazen der vergangenen Wochen zu erholen.