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Vorlesung mit Lunchpaket

In den USA sind sie Gang und Gäbe, die sogenannten Brown-Bag-Seminare, Vorlesungen in lockerer Runde zu hoch komplexen Themen, zu denen die Studierenden ihr Mittagessen mitbringen können. Und auch die FH Frankfurt setzt nun auf die Wissensvermittlung in der Mittagspause.

Von Afanasia Zwick | 05.04.2013
    Professor Tobias Hagen stellt seine neuesten Forschungsergebnisse vor. Zum Thema: "Impacts of National Banking Regulation on Macroeconomic Performance after the 2007 Financial Shock".Auf Deutsch: Es geht um die Deregulierung des Finanzsektors als treibende Variable für die Stärke der Finanzkrise - gut, selbst auf Deutsch bleibt der Stoff schwer verdaulich.

    Deswegen ist hier auch Essen erlaubt, ja sogar gewünscht. Die Vorlesung ist die erste der sogenannten "Brown-Bag"-Seminarreihe:Eine lockere, unkomplizierte Gesprächsrunde, im Gegensatz zur trockenen Lehre, sagt Dekanin Yvonne Ziegler:

    "Brown Bag steht ja dafür, dass jeder sein Lunchpaket mitbringt und beim Mittagessen zusätzlich auch noch was lernt."

    Ganz nach amerikanischem Vorbild: In regulären Pausen, wie der Mittagspause, sollen Informationen vermittelt oder ausgetauscht werden. Und damit die Veranstaltung so informell wie möglich erscheint, darf jeder ein kleines Essenspaket in der typisch braunen Papiertüte mitbringen.

    Bloß: Keiner tut's. Auf den Tischen in der FH Frankfurt liegen statt Lunchpaketen aber nur Notizblöcke. Keiner der zwölf Teilnehmer, davon fünf Professoren, zwei wissenschaftliche Mitarbeiter und fünf Studierende, hat ein Lunchpaket dabei. Weil es eine Frage des Respekts sei, vor einem Professor nicht zu essen, meint die Wirtschaftsstudentin Teresa Tesing. Weshalb sie trotzdem lieber hier als in der Kantine sitzt:

    "Es ist ein kleiner Einblick in die Welt der Professoren. Und gleichzeitig eine kleine Vorausschau, wo es einen später mal so hinführt. Also ich bin hier natürlich auch noch unter dem Aspekt hergekommen, weil ich derzeit darüber nachdenke, in welche Richtung ich eine Bachelorarbeit schreiben kann."

    Die 24-Jährige ist die Jüngste in dem Raum. Eigentliche Zielgruppe der Brown-Bag-Veranstaltung ist die Professorenschaft. Sie soll sich untereinander vorstellen, woran sie forscht und sich möglicherweise vernetzen. Und genau das hat bereits im ersten Seminar Früchte getragen:

    "Grundsätzlich gebe es die Möglichkeit, dass Herr Hagen und ich uns zusammensetzen und das, was ihm gefehlt hat, nämlich der Wirkungskanal zwischcen den einzelnen Deregulierungsschritten und dem schlechteren Abschneiden in der Finanzkrise, dass ich mithilfe meines Bankwissens ihm da Ideen geben kann, und theoretisch könnte daraus ein neues Paper entstehen."

    Prof. Lars Wellejus ist nächstes Mal mit seinem Thema an der Reihe. Er fühlt sich beflügelt durch den Vortrag seines Kollegen und ist ihm dankbar, eine neue Sicht auf seinen eigenen Themenkomplex - "Periodengewinne von Unternehmen" bekommen zu haben.

    Aber nicht nur bei Professoren kommt das Seminar gut an: Was auf den ersten Blick wie ein "Strebertreff" wirkt, ist ein bunt zusammengewürfelter Haufen aus Studierenden verschiedener Fachrichtungen. Elias Spreiter zum Beispiel studiert Architektur:

    "Bin von daher eigentlich Ingenieur, bin trotzdem sehr gerne hergekommen, dem Finance-Vortrag zuzuhören und konnte ihn auch so weit gut nachvollziehen. Ich würde es auch sehr begrüßen, wenn das noch einer breiteren Masse von Studierenden zugänglich wird, weil gerade dadurch, dass man über den Tellerrand schaut, über seinen eigenen Fachbereich hinweg, kann man wahnsinnig viel mitnehmen, und für mich heute war das sehr aufschlussreich, und ich denke, dass es für viele Studenten aus dem Finance-Bereich genauso interessant wäre, bei uns auf ein Brown-Bag-Seminar zu kommen, zum Thema erneuerbare Energien."

    Deswegen diskutieren die begeisterten Studenten auch direkt nach dem Seminar, wie man die Vorträge auf ein Niveau bringen könnte, das Professoren nicht langweilt, Studenten aber gleichzeitig animiert, mitzureden. An der Diskussion über die Deregulierung der Finanzmärkte haben sich nämlich hauptsächlich Professoren beteiligt. Während sie nun vor gesättigten und leicht müden Studenten ihre gewöhnlichen Vorlesungen halten, teilt sich die Brown-Bag-Gruppe. Ein Teil eilt ins nächste Seminar, und der nächste dann vielleicht doch noch in die Mensa - bis sich das mit den braunen Tüten im Brown-Bag-Seminar etabliert hat.