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Vormittags Lehrer, nachmittags Privatlehrer

Griechische Eltern investieren so viel Geld für Nachhilfe-Institute und Privatunterricht wie sonst nur noch die Franzosen. Bizarr an diesen Verhältnissen ist auch, dass die Lehrer, die vormittags den offiziellen Lehrplan runterleiern, nachmittags als Privatlehrer arbeiten.

Von Rodothea Seralidou | 18.11.2011
    Mathematikunterricht in der griechischen Oberstufe. Der Raum ist klein und schlicht. In der Mitte, ein großer ovaler Tisch: an der einen Seite haben sechs Schülerinnen und Schüler platzgenommen, an der anderen steht der Stuhl des Lehrers. Jannis, ein lässig gekleideter Mann in knallrotem Pullover, schreibt komplizierte mathematische Formeln auf die Tafel. Seine Schüler machen sich hochkonzentriert Notizen. Keiner redet dazwischen, keiner stört den Unterricht. Ideale Bedingungen also. Der Unterricht findet aber nicht in einer Schule statt, sondern in einem "Frontistirio": So heißen die zahlreichen Nachhilfezentren, die es in Griechenland an jeder Straßenecke gibt. Allein in Athen sind es etwa 750. Hierher kommen die Schüler nach dem eigentlichen Schulunterricht und gehen denselben Stoff noch einmal durch. So auch Eleni Machaira. Die 17-jährige Schülerin besucht die zwölfte Klasse und bereitet sich auf die Aufnahmeprüfungen der griechischen Universitäten vor:

    "Ich besuche das Nachhilfeinstitut, weil die Schule mich nicht gründlich genug auf die Aufnahmeprüfungen vorbereitet. Die Lehrer denken, dass alle Schüler ohnehin Nachhilfeunterricht nehmen und engagieren sich nicht besonders. Also sind wir gezwungen, hierher zu kommen",

    sagt das Mädchen mit den dunkelblonden Haaren und der schwarzen Brille. 450 Euro im Monat zahlen ihre Eltern für den Unterricht nach dem Schulunterricht - in Zeiten der Krise viel Geld. Doch gerade jetzt seien Nachhilfestunden besonders wichtig, glaubt auch Elenis Mitschüler Panagiotis:

    "Wer sich nur auf die Schule verlässt, wird keinen Erfolg haben. Einige Lehrer sind unmotiviert, weil sie jetzt sehr wenig verdienen und zwingen dadurch die Schüler, Privatunterrichtsstunden zu nehmen."

    Doch die fehlende Motivation der Lehrer ist nur eines der vielen Probleme, meint Panagiotis. Die Krise und die damit verbundenen Sparmaßnahmen der Regierung haben auch andere Auswirkungen auf das griechische Bildungssystem:

    "Es fehlt an Geld. Viele Schulbücher werden wir erst Anfang nächsten Jahres bekommen. Wir haben Fächer, für die wir noch keine Bücher haben! Hinzu kommt, dass meine Schule für 250 Schüler gebaut wurde und wir im Moment 390 Schüler sind, 30 Schüler pro Klasse."

    Diese Probleme kennt Nachhilfelehrer Jannis nur zu gut. Der 42-jährige Mathematiklehrer arbeitet nämlich hauptberuflich in einer öffentlichen Schule.

    "Es kann doch nicht sein, dass ich in der Schule auf einer Tafel schreibe, die so beschädigt ist, dass man nicht lesen kann, was ich schreibe. Einige Fenster sind zerbrochen und der Schule fehlt das Geld, sie zu erneuern. Weil es noch keine Bücher gibt, muss ich Fotokopien machen. Und die muss ich aus eigener Tasche bezahlen, denn der Kopierer in der Schule ist meistens kaputt. Wenn er mal funktioniert, gibt es kein Papier!"

    Dass Jannis nach der Schule sowohl in einem Nachhilfezentrum arbeitet als auch Privatstunden gibt, weiß man in seiner Schule nicht - das wäre ein Grund, ihn fristlos zu entlassen. Doch der Familienvater ist Alleinverdiener und hat vier Kinder. Vor der Krise bezog er als Schullehrer ein Gehalt in Höhe von 1500 Euro netto - Familienzuschläge inklusive. Auch damals reichte dies hinten und vorne nicht, klagt er. Heute aber könnte die Familie ohne den Nachhilfeunterricht gar nicht mehr über die Runden kommen. Denn jetzt verdient Jannis als Mathematiklehrer der Oberstufe nur noch etwa 1000 Euro. Ein Witz, wie er findet:

    "Es ist paradox: Wie kann ich eine sechsköpfige Familie mit 1000 Euro ernähren? Es kann doch nicht sein, dass ich im Nachhilfezentrum 15 Euro die Stunde bekomme, bar auf die Hand, und für meine Arbeit in der Schule nur 1000 Euro im Monat, mit 30 Schülern in der Klasse!"

    Alles in allem verdient Jannis mit seinem Nebenjob als Nachhilfelehrer dreimal mehr als in der Schule. Dafür arbeitet er täglich bis 10 Uhr abends- sieben Tage die Woche. Beim Finanzamt gilt er trotzdem als Geringverdiener. Denn Jannis versteuert nur sein Monatsgehalt, das er als Lehrer vom Staat bekommt. Alles andere verdient er schwarz dazu. Dabei würde er gerne sein gesamtes Einkommen versteuern, beteuert er- wenn er es nur dürfte:

    "Ich finde dieses Verbot, einen Nebenjob zu haben, unfair. Ich würde gerne belegen können, dass ich mehr verdiene. Davon würde doch auch der Staat profitieren! Warum gibt er uns nicht die Möglichkeit, auch außerhalb der Schule legal zu unterrichten. Ich hätte auch was davon, ich könnte dann einen Kredit aufnehmen, ein Auto auf Raten kaufen, das verbietet mir der Staat im Moment."

    Solange es beim Verbot bleibt, wird Jannis weiterhin schwarz im Nachhilfeinstitut arbeiten. So wie viele seiner Kollegen. Um mangelnde Nachfrage braucht er sich keine Sorgen zu machen. Solange das griechische Schulsystem dafür sorgt, dass der Unterricht in den Schulen mangelhaft ist, werden besorgte Eltern ihre Kinder weiterhin zur Nachhilfe schicken. Trotz oder gerade wegen der Krise.