
Er sei guter Dinge, dass man in den kommenden Tagen eine Lösung finden werde, mit der man als Bürger leben könne, sagte André Schulz vom Bund Deutscher Kriminalbeamter im Deutschlandfunk. Er betonte, dass Straftaten immer häufiger in der digitalen Welt begangen würden. Bei der Abwanderung der Straßenkriminalität ins Internet dürfe man nicht blind sein.
Die Frage, bei welchen Straftat-Ermittlungen die Daten herangezogen werden dürfen, sei im deutschen Entwurf für eine Regelung zur Vorratsdatenspeicherung bereits sehr konkret festgelegt, in der EU-Richtlinie jedoch nicht. Die EU müsse nun ebenfalls klar regeln, wo die gesammelten Daten wie lange gespeichert werden dürfen.
Das Interview in voller Länge
EUGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland
Tobias Armbrüster: Mein Kollege Gerd Breker hat über diese aktuelle Entwicklung in Sachen Vorratsdatenspeicherung gestern Abend mit André Schulz gesprochen, dem Vorsitzenden beim Bund Deutscher Kriminalbeamter. Erste Frage an ihn: War das ein enttäuschender Tag für alle Ermittler in Deutschland?
André Schulz: Ach, das würde ich so nicht sagen. Für diejenigen, die sich damit beschäftigt haben, für die war das, was der Europäische Gerichtshof da in seinem Urteil bekannt gegeben hat, ja nicht überraschend. Das waren die Kritikpunkte, die bekannt waren, und die tragen wir auch, diese Kritikpunkte.
Gerd Breker: Der Europäische Gerichtshof geht in die gleiche Richtung wie auch schon das Bundesverfassungsgericht. Die Bürgerrechte werden zu sehr verletzt. Da hat man offenbar zu viel gewollt?
Schulz: Das kann man für Deutschland nicht sagen in dem Bereich. Jetzt ging es ja um die EU-Richtlinie, die es dann umzusetzen galt, aber auch da haben wir gesehen, nach deutschen Voraussetzungen wird das nicht so durchgehen und da sind Kritikpunkte, und die haben wir auch im Vorwege, muss man sagen, in Deutschland ja erkannt und auch schon umgesetzt. Das heißt, so wie es geplant ist und, wie ich glaube, auch immer noch kommen wird, haben wir diese Punkte, die heute der Europäische Gerichtshof kritisiert hat, bereits umgesetzt. Von daher blicke ich noch relativ entspannt in die Zukunft.
Breker: Weil es auf europäischer Ebene so schnell keine neue Richtlinie geben wird, geben kann, brauchen wir also aus Ihrer Sicht eine nationale Regelung?
Schulz: Wir haben heute direkt die Bundesregierung aufgefordert, jetzt das entsprechende Gesetz in Deutschland auf den Weg zu bringen. Bundesinnenminister de Maizière hat da ja auch zugestimmt und das ebenfalls gefordert. Der Bundesjustizminister, Herr Maas, ist dann ja etwas zurückgerudert, leider auf den gleichen Pfaden wie seine unsägliche Vorgängerin, aber wir sind da noch guter Dinge, dass man sich zusammensetzen wird die nächsten Tage und eine Lösung finden wird – um die geht es ja immer -, eine Lösung, mit der man wirklich leben kann als Bürger, der dann einen Grundrechtseingriff hinnehmen muss, und wir als Ermittler, dass wir Straftaten verfolgen können.
Breker: Was muss denn aus Ihrer Sicht, Herr Schulz, das neue Gesetz gewährleisten?
Schulz: Das sind genau die Punkte, die eigentlich schon auch bekannt waren. Das heißt, der Europäische Gerichtshof hat ja heute auch gesagt, und wenn man das Gerichtsurteil oder das, was bis heute vorliegt, bis jetzt vorliegt, genau liest, dann sagt der Europäische Gerichtshof sehr wohl, dass die Vorratsdatenspeicherung sinnvoll und auch dem Gemeinwohl dienend ist. Das tragen wir natürlich auch, weil ich jetzt etliche Beispiele sagen könnte, wo wir diese digitalen Spuren brauchen. Und die Kritikpunkte, die waren in der Richtlinie nicht konkret genug umgesetzt, sehr allgemein gehalten. Da geht es zum Beispiel darum: Wo werden die Daten gespeichert, sprich bei Sicherheitsbehörden, also beim Staat, oder bei privaten Dienstleistern? Dann die Speicherdauer natürlich und auch, um welche Straftaten es konkret geht. Das ist in Deutschland im Entwurf sehr konkret geregelt und das war in der EU-Richtlinie nicht der Fall.
Breker: Eine anlasslose Speicherung von Daten, ist das aus Sicht eines Ermittlers, der erfolgreich sein will, wirklich wichtig?
Schulz: Erfolgreich sein, darum geht es ja in dem Sinne nicht. Wir haben einen gesetzlichen Auftrag, Straftaten zu erforschen und Täter zu fassen und so präventiv dort zu arbeiten, dass andere Bürger nicht Opfer werden, und wir müssen einfach dann auch ein bisschen die Emotionen beiseite legen und sagen, wir sind im 21. Jahrhundert und es gibt heute dann auch keinen Täter oder Tatverdächtigen, der nicht mit einem Telefon hantiert oder einen PC hat. Wir erleben regelhaft die Abwanderung von der Straßenkriminalität hin ins Internet, und da darf man nicht blind sein. Das ist eine ähnliche Diskussion, vor 100 Jahren hatten das die Kollegen, als der Fingerabdruck kam, vor 20 Jahren hatte man das, als die DNA-Spur kam, heute haben wir das bei digitalen Spuren.
Breker: Für die Bekämpfung welcher Verbrechen brauchen wir denn tatsächlich diese Vorratsdatenspeicherung? Wo hilft das besonders?
Schulz: Es war einer der Hauptkritikpunkte des Europäischen Gerichtshofs heute, dass man gesagt hat, man muss es sehr, sehr konkret halten für eine ganz bestimmte Deliktsart. Das haben wir in Deutschland geregelt mit dem Paragrafen 100a Strafprozessordnung. Da sind alle in Deutschland definierten schweren Straftaten drin. Das fängt an bei Mord, Totschlag, geht über andere Delikte, schwerer Raub, bandenmäßige Delikte. Die sind in Deutschland sehr, sehr eng umgrenzt. Das ist eben nicht die allgemeine oder Bagatellkriminalität, wo man nun wirklich sagt, bei jedem, sage ich jetzt mal, Download von irgendeinem Titel hat man die Sicherheitsbehörden an den Hacken. Das ist in Deutschland ganz klar geregelt. Wir reden von schwersten Straftaten und man darf heute nicht vergessen: Es gibt, Strafgesetzbuch hoch und runter, fast kein Delikt mehr, wo Sie nicht das Tatmittel Internet haben, oder Sie haben Täter, die telefoniert haben, und dann sind wir angewiesen auf diese Daten.
Breker: Sie sagen, Herr Schulz, eine nationale Lösung sei notwendig. Ab wann wird der Ermittler ungeduldig, wenn es keine nationale Regelung gibt?
Schulz: Der Ermittler hat ja einen Gerechtigkeitssinn. Das muss man ja wirklich so sagen. Und natürlich wird man immer dann unruhig, wenn man das so sagen möchte, wenn man sieht, wir hätten da noch einen Ermittlungsansatz, können aber nicht weiter ermitteln, weil wir das nicht nachweisen können. Sie haben es gerade in dem Bereich organisierte Kriminalität zum Beispiel, wo es eigentlich nur darum geht, Strukturen nachweisen zu können, dass Person A mit Person B Kontakt hatte, das heißt, Strukturen aufzuhellen. Dann wird es immer ärgerlich. Das heißt, eigentlich bei einer Vielzahl von Delikten sind Sie heute schon an einem Punkt, wo Sie sagen, ich kann nur bis hierher und nicht weiter. Das sagt man der Staatsanwaltschaft auch und dann wird das Verfahren, wenn Sie Pech haben, eingestellt, weil Ihnen der einzige Ansatzpunkt, den Sie dann noch haben, genommen wird, obwohl das leicht zu beheben wäre.
Armbrüster: André Schulz, der Vorsitzende beim Bund Deutscher Kriminalbeamter, war das gestern Abend im Gespräch mit meinem Kollegen Gerd Breker.
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